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Grenzfall: Nachts im Nichts oder Kolumbien mal anders
Einige Städte in Kolumbien sind nicht wirklich weit voneinander entfernt, nur so 500 bis 600 Kilometer, aber wegen der Berge und der schlechten Straßen braucht man dann doch 15 Stunden. Daher entscheidet man sich ab und zu für einen Nachtbus, weil 15 Stunden bei vollem Bewusstsein in so einem Kühlschrank auf Rädern nur schwer zu ertragen sind.
Nach zehn Tagen habe ich mich schweren Herzens von Bogotá verabschiedet und bin mit dem Taxi zum Busterminal. Dort musste ich zwei Stunden warten bis zur Abfahrt. Nicht schlimm, denke ich mir: Lese ein bisschen im Reiseführer, trinke zwei Bier dazu (Fehler!).
Der Bus: ganz OK. Der obligatorische Film: nicht zu arg (kein Rocky 1 bis 5, die kennt man mittlerweile auswendig, und auch kein Baller- oder Kriegsfilm) und vor allem nicht zu laut. Die Klimaanlage: nicht zu kalt. Also soweit alles in Ordnung.
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Nachts um zwei in einem kleinen Kaff an der Panamericana mit fünf Häusern eine kurze Pause zum Beineausstrecken und Cola-Trinken. Ich bin noch ein wenig schläfrig, brauche meine Zeit, um mich aus dem Bus zu schleppen, trinke Saft, gehe kurz aufs Klo (wegen der zwei Bier, wie gesagt: Fehler!). Im Klo (eine gekachelte Rinne hinter einem Duschvorhang, um genau zu sein) höre ich noch „BrummBrumm“, denke mir aber nichts Böses. Das war bestimmt der andere Bus, der, der neben unserem parkte.
Ich komme also aus der Toilette - und mein Bus ist weg! Mit allen meinen Sachen, die ich mir in letzter Zeit nach dem Diebstahl meines Rucksacks in Venezuela mühsam zusammengekauft hatte. Nichts wertvolles, aber trotzdem. Ich stehe also zum zweiten Mal da in einem fremden Land und besitze nur die Dinge, die ich am Körper trage. Kolumbien gilt zwar mittlerweile wieder als einigermaßen sicher - doch nachts um Viertel nach Zwei irgendwo im Nichts fühlt man sich nicht wirklich wohl...
Leichte Panik kommt auf. Ich fühle mich verlassen und sehe wohl etwas gehetzt aus. Im Lokal (eigentlich nur einem Loch in der Wand, d.h. eine kleine Theke mit ein paar Sachen zum Essen) steht der ältere Herr, dem der Laden gehört; er schaut mich ganz mitleidig an.
Es gibt noch zwei weitere Leute. Sie tragen das gleiche Hemd wie der Busfahrer, der mir grad davongefahren ist und sind augenscheinlich von der Busgesellschaft. Die beiden trinken gemütlich ihre Cola und tun so, als ob sie mich nicht wahrnehmen würden. Ich frage sie, was da gerade passiert sei, was ich tun solle und ob sie „meinen“ Busfahrer anrufen könnten. Sie schauen nur unbeteiligt, sagen irgendwas von "nicht unser Problem". Sie fahren wohl in eine andere Stadt (von der ich noch nie gehört habe) und ihr Bus sei voll besetzt. Als die beiden dann fertig gegessen/getrunken haben, schlendern sie zu ihrem Bus. Meine Panik wächst. Der nette Cola-Verkäufer bedeutet mir, ich solle sie nicht davonfahren lassen und mit einsteigen; sie könnten versuchen, den anderen Bus einzuholen. Es sei dieselbe Strecke für die nächsten Stunden.
Ich also mit in den Bus, es sind wirklich alle Plätze besetzt. Quetsche mich auf den Boden zwischen die Sitze und hoffe, dass wir schneller sind als der zehn Minuten vorher abgefahrene Bus. Habe aber meine Zweifel...
Eine haarsträubende Bergtour folgt. Unterwegs sind um diese Urzeit nur noch rasende Busse und kriechende Lastwagen. Der Bus rast also jeweils zwei Minuten, bis er hinter einem oder fünf oder zehn Lastwagen zum Kriechen kommt. Jeder versucht dann, irgendwie zu überholen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite das gleiche. Echt erschreckend! Normalerweise kriegt man das nicht so mit, weil die Sicht nach vorne verdeckt ist, aber im Mittelgang sieht man alles.
Irgendwann komm ich dann auf die Idee, es gäbe vielleicht eine Zentrale, die man anrufen könne. Da antwortet mir der Busfahrer, dass er schon längst mit dem anderen Bus telefoniert habe. Hat er mir nur nicht gesagt. Blödmann. Lässt mich lieber weiter Panik schieben. Fragt dann noch, ob ich für diesen "Service" nicht 10.000 Pesos (4 US-$) bezahlen wolle. Habe ich dann glatt gemacht, hätte auch mehr bezahlt, so froh war ich.
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So um drei Uhr nachts macht mein Herz einen kleinen Hüpfer, ich sehe den anderen Bus vor uns. Beide halten, der Busfahrer „meines“ Busses und ich schreien ein bisschen aufeinander ein, wer denn jetzt Schuld habe. Dann steige ich schlaftrunken ein. Als ich zu meinem Platz komme, sagt mein Nachbar mir, dass er dem Busfahrer sofort nach Abfahrt mitgeteilt habe, dass ich nicht an Bord sei.
[davongefahren]
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Der habe aber erstmal drauf geschissen und sei einfach weitergefahren. Allerdings könne man ihm zugute halten, dass er dann doch noch den anderen Bus angerufen habe und eventuell auch nicht ganz so schnell gefahren sei wie üblich.
Am nächsten Morgen im Hostal bin ich mir dann schon gar nicht mehr so sicher, ob das alles nicht nur ein Traum war. So unwirklich kommt mir das Ganze vor. Aber erstaunlicherweise ist ja alles gut gegangen. Und eine nette Geschichte ist es auch geworden. Ach ja, und Reisen macht Spaß!
Text + Fotos: Frank Brakhan