peru: Umzingelt im Urwald: Die Ashaninkas
THOMAS MILZ |
[art. 1] |
bolivien: Mit dem Taxi auf 5395 Meter
STEPHANIE HAJDAMOWICZ |
[art. 2] |
argentinien: Via Patagonia!
ERIC BAUER |
[art. 3] |
spanien: Sechs Buchtipps für Spanien-Neulinge
TORSTEN EßER |
[art. 4] |
helden brasiliens: Arnold´s Naschbar - Deutsche Küche in São Paulo
THOMAS MILZ |
[kol. 1] |
grenzfall: Trauriges 2005 für den venezolanischen Kondor
DIRK KLAIBER |
[kol. 2] |
rezension: Geschichte einer Plünderung
Eine politische Dokumentation von Fernando Solanas ALEXANDRA GEISER |
[kol. 3] |
lauschrausch: Bersuit Vergarabat vs. Andres Calamaro
ANDREAS DAUERER |
[kol. 4] |
[art_1] Peru: Umzingelt im Urwald
Die Ashaninkas im Selva Central Die Ashaninkas haben wie keine andere Volksgruppe in Peru unter dem Guerillakrieg des Leuchtenden Pfades (1980 bis 2000) gelitten. Zwischen 5000 und 6000 Ashaninkas sind in dieser Zeit ums Leben gekommen - etwa 10% der gesamten Stammespopulation. Ihr Gebiet im peruanischen Urwald diente als Rückzugsraum für die aus dem Hochland kommenden maoistischen Kämpfer des Leuchtenden Pfades. Hier in der unendlichen Weite des dichten Urwaldes versteckten sie sich vor dem Militär. Oftmals wurden die Einwohner ganzer Indianerdörfer von ihnen verschleppt, um als lebende Schutzschilde herzuhalten. Während die erwachsenen Geiseln unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten mussten, unterzogen die Guerilleros die Kinder der Ashaninkas einer Gehirnwäsche, um sie zu Kämpfern auszubilden. Auch heute noch, sechs Jahre nach dem offiziellen Ende des Guerillakrieges, gelten etwa 600 Ashaninkas als verschollen. Die im Urwald versprengten Überreste des "Leuchtenden Pfades" halten immer noch viele Indianer als Gefangene und terrorisieren ganze Landstriche. Sie verdingen sich als Söldner für die Tropenholzmafia und, besonders im Gebiet des Rio Ene-Apurimac und des Huallaga, für die Drogenhändler. Angeblich stammen bereits 30% des weltweiten Kokains aus dem peruanischen Dschungel. Dr. Luis César Maury Parra, Vertreter des peruanischen Innenministeriums in der Stadt Satipo, im Distrikt Selva Central, hat wenig Hoffnung auf Besserung. "Weiter nördlich, in der Gegend um Iquitos, ist es noch schlimmer. Es ist praktisch unmöglich, dieses Gebiet zu kontrollieren. Es ist die Hölle." Offiziell gehört das Land hier den Ashaninkas. Doch es fehlt oft an registrierten Landmarkierungen, und selbst dort, wo es sie gibt, gelten sie nicht viel. Siedler aus dem Hochland lassen sich auf Ashaninka-Land nieder - eine ständige Quelle bewaffneter Auseinandersetzungen. Zudem hat die Regierung Bohrlizenzen an internationale Ölfirmen vergeben - auf Land, das eigentlich den Ashaninkas gehört. Und nirgends ist wirkliche Hilfe in Sicht. Zwar sind die um Satipo gelegenen Militärkasernen mit flotten Sprüchen wie "La guerra es hoy - Der Krieg ist heute" bepinselt. Doch wirklichen Schutz für die Indígenas scheint dies nicht zu bringen. So versuchen die Ashaninkas, sich selbst zu helfen. Sie haben sich mit alten Gewehren bewaffnet und in ihren Gebieten Flusswachen aufgestellt. Von Perus Regierung im fernen Lima haben die Ashaninkas auch sonst nicht viel Hilfe zu erwarten. Wenig Geld kommt für Infrastruktur, Gesundheit und Erziehung hier an. Lima schickt Lehrer aus dem Andenhochland in den Urwald, doch viele Ashaninkas sprechen weder Spanisch noch Quechua, die Sprache der Hochlandbewohner. So kommt es zu wenig fruchtbaren Begegnungen der Indígenas mit den abkommandierten Lehrern. Zwar erkennt die von der peruanischen Regierung zur Aufklärung der Gräueltaten während des Guerillakrieges eingesetzte "Wahrheitskommission" das überproportionale Leiden der Ashaninkas offiziell an - Anspruch auf Entschädigung haben die Ashaninkas aber nicht. Anders als die Angehörigen der restlichen 65000 Toten des Guerillakrieges, für die bereits 100 Millionen Dollar an Entschädigungszahlungen bereitgestellt sind. Denn in den unzugänglichen Urwaldgegenden fehlt es an gesicherten Daten über die Verschwundenen, gibt es keine Wohn- und Geburtsregister der Toten. Schlechte Karten für die Ashaninkas. Stellungnahme Salomon Lerner, ehemaliger Präsidenten der Wahrheitskommission der peruanischen Regierung, zur Situation der Ashaninkas: "Es stellt sich die Frage, was für die Ashaninkas getan werden kann, die etwa 10% ihrer Stammesangehörigen verloren haben? Eine Lösung der mit dieser Frage zusammenhängenden Probleme sollte vom "Nationalen Rat für Entschädigungen" und von ministerialen Gremien auf höchster Ebene kommen. Denn die Ashaninkas haben in höchstem Maße in diesem Konflikt gelitten. So sehr, dass man meiner Meinung nach von einem Völkermord sprechen kann, verübt vom Leuchtenden Pfad. Deshalb sollten die zuständigen Behörden mit besonderem Augenmerk die Daten der Opfer unter den Ashaninkas erheben.
In diesem Fall müssen wir wohl auf kollektive Entschädigungen besonderes Gewicht legen, ohne allerdings individuelle Entschädigungen ganz auszuschließen. Die Ashaninkas sind selbst heute noch bedroht. Es gibt Gruppen, die versuchen, sie aus ihren angestammten Gebieten zu vertreiben. Zum Beispiel die Holzmafia. Für die Ashaninkas sind die Probleme noch längst nicht zu Ende." Die Wahrheitskommission hat in ihrem im August 2003 vorgelegten Abschlussbericht über die in der Zeit von 1980 bis 2000 vom Leuchtenden Pfad und dem Militär begangenen Gräueltaten die Zahl der Getöteten mit insgesamt 70000 angegeben. Text + Fotos: Thomas Milz |
[art_2] Bolivien: Mit dem Taxi auf 5395 Meter
Es ist früh am Morgen. In La Paz, der größten Stadt Boliviens mit über einer Millionen Einwohnern, öffnen die fliegenden Händler gerade ihre aus schlichtem Holz gebauten Verkaufsstände entlang der Straßen. Die Luft ist stickig auf 3650 Metern. Ein Gemisch aus den unterschiedlichsten Aromen erreicht die Nase: vergleichbar mit einer Prise Gewürze, verdorbenem Obst und vielen Autoabgasen. Wer durch La Paz zu Fuß geht, könnte meinen, jeder Bolivianer besitze mindestens zwei Autos. Sogar morgens um 6 Uhr verspäten sich die Taxifahrer. Heute geht es für 200 Bolivianos - umgerechnet 20 Euros - mit Pablo auf den Chacaltaya. Auf den ersten Blick scheint diese Tour nichts Besonderes. Doch welcher Normalsterbliche hat schon einmal die Chance, mit dem Auto auf den Gipfel eines 6000ers zu fahren. Nur die letzten Meter muss man zu Fuß zurücklegen. Wer sich jedoch noch nicht an die Höhe in Bolivien angepasst hat, der sollte diese Tour nicht wagen. Denn manchem wird schon im Taxi übel. Pablo kennt den Weg zum Chacaltaya. Er fährt seit 15 Jahren Touristen auf den Berg. Und er erzählt von El Alto, wo er gerade durchfährt, dem berühmten Vorort von La Paz, von wo aus man diesen spektakulären Blick auf den Kessel der Unterstadt hat. In El Alto leben die, die weniger Bolivianos verdienen. Sie hausen in engen Zimmern und schlagen sich mit kleinen Jobs durchs Leben. Der Weg ist schlecht und oft nicht mal beschildert. Die nur selten befahrene Piste führt Pablo mit seinen Gästen auf immer rutschigere Straßen. Es schneit. Obwohl ein paar Kilometer zuvor die Menschen in T-Shirts und Shorts herumlaufen. Nebel kommt auf. Pablo weiß nicht, ob er heute bis ganz nach oben kommt. Er wirkt ein wenig ängstlich, denn seine abgefahrenen Sommerreifen bieten keinen richtigen Halt. Das Auto schliddert von rechts nach links, er drosselt das Tempo und fährt mit 20 km/h Höchstgeschwindigkeit Richtung Chacaltaya. Die Straße schlängelt sich in engen Serpentinen immer höher hinauf. Unterwegs passiert kein anderes Auto die Route. Es ist still hier oben. Geschafft! Zwei Stunden dauert die etwa 40 Kilometer lange Fahrt mit Pablo bis zur Hütte von Karl Woitech auf 5100 Metern. Der Österreicher hat dort eine echte Skihütte vom Club Andino Boliviano übernommen. Ermattete Wanderer oder Taxigäste treffen sich drinnen bei Nusskuchen und anderen hausgemachten Leckereien. Der Eintritt in die Hütte kostet zehn Bolivianos umgerechnet ein Euro. Dafür trifft man Gleichgesinnte, die entweder schon auf dem Gipfel waren und darüber berichten oder solche, die nach der Stärkung gleich lossteigen. Derweil bestellt sich Paco einen Coca-Tee, der dabei hilft, diese Höhen besser zu ertragen. Draußen weht ein heftiger Wind. Es ist eiskalt. Schnee überall. Der Berg ist rutschig. Ohne festes Schuhwerk ginge jetzt nichts mehr. Die ersten Schritte wirken leicht, doch es geht steil aufwärts. Je länger man unterwegs ist, desto diffuser wird das Licht und die Atemluft merklich dünner. Jeder Schritt wird zur Qual. Eigentlich ist es nicht mehr als ein kleiner Spaziergang. Doch es geht nur kleinen Schrittes voran. Langsam aber kontinuierlich setzt man einen Fuß vor den anderen, macht öfters Pause, um die Aussicht zu genießen und tief durchzuatmen. Schnell ziehen die Wolken vorüber, ein kalter Wind weht, und ein gigantischer Blick auf die Berge ringsherum, alles über 6000er, wird frei, so beispielsweise auch auf den Huayana Potosi mit über 6088 Metern. Ein einzigartiges Erlebnis. Nur die Handschuhe, einen dicken Schal, eine wetterfeste Jacke und Bergsteigerschuhe sollten bei dieser Tour auf keinen Fall fehlen. 5380 Meter erreicht. Man fühlt sich ein bisschen wie ein junger Reinhold Messner, der immer höher ohne Atemgeräte hinaus will. Und tatsächlich: jeder will hier den noch ein paar Meter höheren Gipfel erwandern - der bei 5395 Metern liegt. Oben angekommen, trifft man wenige Touristen, die sich gegenseitig fotografieren. Und jeder schnappt sich eine Schieferplatte und ritzt dort mit einem Stein seinen Namen und die Gipfelhöhe ein. Ein berauschendes Gefühl stellt sich ein. Man fühlt sich großartig. Wie der erste Mensch auf dem Mond. Die Wangen glühen aufgrund der Kälte. Nach kurzer Verschnaufpause geht es wieder herunter zur Hütte. Der Abstieg erfolgt flotter, aber man fühlt sich wie erschlagen. Die Beine sind schwer. Die Augen so müde. An der Hütte wartet schon Pablo, unruhig, das Wetter schlägt um. Es schneit und schneit. Pablo will sofort losfahren.
Erst kurz vor dem Hotel wachen die Bergsteiger wieder auf. Pablo ist froh, heil unten angekommen zu sein. Zwischendurch hat er den Schnee, der sich auf seiner Motorhaube sammelte, zusammen geschobenm. Von diesem Schnee bleibt tatsächlich bis La Paz noch etwas über. Stolz bringt er den jetzt seiner Familie mit. Text + Fotos: Stephanie Hajdamowicz |
[art_3] Argentinien: Via Patagonia!
Eine Kurve! Nach fünfundvierzig staubigen Kilometern geradeaus, in einer Welt ohne rechts und links, die nur aus Oben und Unten zu bestehen scheint, ist eine Kurve schon mal etwas Besonderes. Patagonien! Endlose, fast nur auf schottrigen Highways zu erfahrene, baumlose Landschaft. Ständig begleitet vom endlos jagenden Wind, der jeden achtlos offen gelassenen Fensterschlitz nutzt, das Wageninnere mit Sand zu füllen (Achtung Gebissträger: Per Wimp hier bläft eim germe fon mal pie Prophefe aufer Freffe!). Das Ganze hört sich jetzt echt öde an und mir wurde auch erst später klar, dass die Fahrt durch diese elegische Weite eine der grandiosesten meines Lebens war.
El Bolson! Der Wind bläst durch die breiten Straßen des kleinen Städtchens auf dem 42. Breitengrad, der Hochburg der argentinischen Hippies und bringt Stimmung in deren jeden zweiten Tag stattfindenden Flohmarkt. Die 70er lassen grüßen! Ich brauche Socken, zwei Paar, und erblicke einen einzeln stehenden Plünsenladen, der in alten DDR-Zeiten als "V.E.B." so auch in Karl-Marx-Stadt gestanden habe könnte. Hier wird noch bedient! Stelle mich an, komme dran, werde nach hinten geschickt, ziehe Wartemarke, stelle mich wieder an… "Quiero comprar dos sox para quantus largos quarentaicinco, por favor!" (Eigentlich ist mein Spanisch besser, aber in Richtung "Falsch" kann ich mich echt gut verstellen). Die Größe haben sie nicht, so ziehe ich schließlich mit "poco mas chico" von dannen. Werden schon passen… Zwei Paar - ein Euro! Argentinien ist derzeit extrem günstig. Man(n) zahlt nur etwa ein Drittel soviel wie in Deutschland - frau hingegen bekommt für ihr Geld dreimal soviel Ware! Für lässige drei Euro gibt’s im Pub nebenan ein Riesen-Rumpsteak vom Leckersten. Man trinkt die nach der Stadt benannte "El Bolson Cerveza". Lecker, und nach zwei Humpen bin ich überzeugt, dass die Stadt den Namen vom Bier hat. So wie Jever! Noch 20 Kilometer bis zum Ziel: Lago Puelo!
Vielleicht das einzig Perfekte in diesem perfekt unperfekten Land: Das Steak! Das "Gold der Pampa", deren leicht bitteres Gras - erst einmal wiedergekäut - für den unnachahmlichen Geschmack des argentinischen Rindfleisches sorgt. Und während in unseren Graden das arme Tier beim Grillen mittels so seltsamen Dingen wie "Bieraufguß" oder womöglich "Elektrogrill" ein zweites mal gekillt wird, zelebriert mein argentinischer Freund Marcelo das "Asado" an einem seiner Kamine in der guten Stube. Wahlweise im Kleinen für den Genuß zu zweit mit Gattin Susanne, oder im Großen für Gäste. In diesem lagert zur Rechten "gut abgehangenes" Zedernholz, welches dann in der Mitte zur Verbrennung gelangt. Die wohlglühendsten Stücke des Holzes werden dann unter das Rost geschoben, auf welchem ein großes Stück "bife chorizo" seiner Bestimmung entgegen schmort.
Obwohl das Wort "Verzehr" ausschließlich für den einheimischen Gast gilt, der die Qualität eines solchen Mahles natürlich als Standard ansehen darf (mit 67 Kilogramm Rindfleischverzehr pro Kopf / Jahr liegt der Argentinier an der Weltspitze). Für den mal eben lässige sechsundzwanzig Stunden angereisten Europäer, also mich, ist es der kulinarische Höhepunkt meines Aufenthalts in Argentinien. Das Ziel meiner Träume… Text: Eric Bauer Fotos: Marcelo von Fürstenberg + Eric Bauer Tipp: Familia Von Fürstenberg Neue Ferienhäuser in Patagonien/Lago Puelo, in sehr ruhiger Lage und nur 1500m vom Nationalpark Lago Puelo entfernt. Möglichkeiten zum Trekking, Rafting, Angeln, Klettern, Reiten, Kayak, Schwimmen, Mountainbike, Paraglyding und Fliegen sind in der direkten und näheren Umgebung gegeben. Kontakt: Page: http://www.vonfuerstenberg.com.ar/ Mail: fuerstenberg@red42.com.ar Tel.: (0054) 2944 499392 |
[art_4] Spanien: Sechs Buchtipps für Spanien-Neulinge: Aussteiger, Studenten, Unternehmer
Immer mehr Deutsche zieht es nach Spanien, frei nach dem Motto "Brüder zu Sonne, zur Freiheit". Nicht nur Rentner wollen dem deutschen Wetter und dem Reformstau entkommen, auch Studenten, junge Unternehmer oder Aussteiger engagieren sich auf die eine oder andere Weise auf der iberischen Halbinsel. Nun hat sich Spanien zwar seit dem Tode Francos zu einem modernen Land entwickelt (zumindest in den Städten und Touristenzentren) und gehört seit 1986 auch der EU an, das hat aber - erfreulicherweise - keine Angleichung der Sitten und Gebräuche an europäische Normen zur Folge. "España es diferente" lautete ein Werbeslogan der spanischen Tourismusindustrie. So muss jeder Neuankömmling seine eigenen Erfahrungen mit Land, Leuten und Institutionen machen. Dabei können ihm diese Werke helfen: Grundlegendes zur spanischen Kultur vermitteln neun Autoren in "Spanien: Mitten in Europa". Neben der Geschichte der letzten 30 Jahre finden sich interessante Beiträge zum Nationalbewusstsein und Werteverständnis der Spanier, zur movida, zum Rollenverständnis von Mann und Frau, zur Ideologie des machismo (z.B. warum spanische Männer ihre heterosexuelle Aktivität immer auffällig darstellen müssen) uvm. Die Wirtschaftskultur wird thematisiert, hier gibt es gute Tipps zum Verhalten gegenüber Geschäftspartnern und/oder Kollegen in spanischen Unternehmen (Einladungen, Geschenke), die verhindern, sie vor den Kopf zu stoßen. Sehr aufschlussreich: die Ausführungen zum unterschiedlichen Zeitverständnis, das i.d.R. nicht auf einer geringeren Disziplin beruht. "Trotz seiner breiten Rezipierbarkeit soll das Werk auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügen", heißt es im Vorwort. Das ist gelungen und das Buch trägt dazu bei, Stereotypen über Land und Leute - z.B. der sprichwörtliche Stolz der Spanier - zu widerlegen oder zu mildern, die seit dem Mittelalter in Deutschland vorherrschen. Dabei werden auch immer wieder interessante kleine Details dem Leser nahegebracht, so z.B. über den aus dem Landschaftsbild verschwundenen Osborne-Stier.
Hauptsächlich auf mittelständische Unternehmer zielt der Titel "Unternehmenskultur in Spanien", der in Zusammenarbeit mit der spanischen Handelskammer in Deutschland entstanden ist. Die Autoren - in der Mehrheit erfahrene Geschäftsleute, die sich im deutsch-spanischen Business auskennen - möchten mit ihren Kurzbeiträgen die kulturbedingten "Stolpersteine" ausräumen, die so manche Geschäftsanbahnung oder so manchen Start ins Berufsleben vielleicht verhindert haben. Die Themenpalette reicht vom Eintritt in den spanischen Markt, über die Bewerbung, die Marketingstrategie bis zum Führungsstil. Bekannt, aber sehr wichtig: wie fast überall außerhalb Deutschlands ist der "Small-Talk" bedeutend, am besten bei einem guten Essen. Manchmal kann es zwei Stunden dauern, bevor das eigentliche Thema zur Sprache kommt (Deutsche sollten sich in Geduld üben und Themen wie Stierkampf und Religion vermeiden!). Apropos "Sprache": dass Grundkenntnisse der Sprache (auch der Regionalsprachen) sowie ein gewisses Interesse an der Kultur (nicht zuviel, sonst gilt man als Besserwisser) Sympathie erzeugen, ist selbstverständlich. Aber dass der Ritus des gegenseitigen Lobens aus Höflichkeit bis zur Lüge reifen kann, daran werden sich Deutsche in Spanien - zumindest passiv - gewöhnen müssen. Das Buch enthält keine Gesetze, Bestimmungen oder Regelungen, die zu beachten sind, wenn man sich in Spanien niederlassen will, sondern es gibt Unternehmern sowie Arbeitsuchenden Orientierung über die menschliche Dimension des Wirtschaftspartners Spanien.
Gesetze, Bestimmungen oder Regelungen finden sich hingegen reichlich in dem von vier deutschen bzw. spanischen Wirtschaftsanwälten herausgegebenen Handbuch "Firma in Spanien". Ob Unternehmensformen, Finanzierung, Franchising, Arbeits-, Vertrags- oder Steuerrecht, die Autoren haben alle wichtigen Informationen zwischen diese zwei Buchdeckel gepresst. Eine sehr umfangreiche Adressensammlung erleichtert dem potenziellen Unternehmensgründer die weitere Informationsbeschaffung. Das Buch ist verständlich geschrieben und in der Ratgeberreihe zu Spanien erschienen, die viele weitere informative Titel umfasst, so z.B. "Ausländer in Spanien" oder "Wohnungseigentum in Spanien" sowie viele Gesetzeswerke (www.edition-spanien.de). Löber/ Fabregat/ Poniatowski/ Bilz. Firma in Spanien - Handbuch für Unternehmer und Firmengründer Edition für internationale Wirtschaft, Frankfurt am Main 2005, S. 205, 34 Euro Das Buch "Arbeiten und Studieren in Spanien" des Autorenpaars Neuhaus behandelt die vielen verschiedenen Programme und Institutionen, mit denen junge Arbeitnehmer oder Studenten nach Spanien gehen können sowie den dortigen Arbeitsmarkt. Ausführlich widmen sich die Autoren der Erstellung des Bewerbungsschreibens und des Lebenslaufes und liefern dazu praktische Textbausteine sowie Redewendungen für das evtl. folgende Gespräch. Nützliche Adressen und Internetseiten runden das Büchlein ab.
Um in Spanien zu leben, ist es nicht nur nützlich, die einheimische Mentalität zu verstehen, sondern auch zu wissen, was Spanier über Deutsche und ihre Kultur denken und wie sie sich damit auseinandersetzen. Damit beschäftigen sich viele der Beiträge in dem lesenswerten Tagungsband "Die deutsch-spanischen Kulturbeziehungen im europäischen Kontext", wobei letzterer eine untergeordnete Rolle spielt. Schon in den beiden Beiträgen über das gegenseitige Bild in der Presse erschließt sich die Herkunft vieler Missverständnisse, denn in Deutschland wie in Spanien wird außer in einigen wenigen seriösen Tageszeitungen das gegenseitige Bild von Klischees bestimmt. In dem Buch erfährt man neben vielen weiteren interessanten Details, warum deutsche Literatur bis Mitte der 90er Jahre in Spanien als Ladenhüter galt: "bleischwere Gedanken- und Innerlichkeitsprosa, die das Unbehagen der Deutschen mit sich selbst und ihrer Kultur ausdrückte" (Gut erkannt, möchte ich hinzufügen!), und warum so wenige Spanier Deutsch sprechen: Zwar ist das Angebot in den offiziellen Sprachschulen befriedigend - rund 70% bieten es an - , aber an den Schulen ist es so gut wie nicht vorhanden (in manchen Regionen nicht mal an 1% der Schulen), da auch keine Stellen für Deutschlehrer geschaffen werden.
Zum Schluss noch ein Buch des Berliner Journalisten Paul-Albert Wagemann: In "Spanien wie es nicht im Reiseführer steht" beschreibt er in Kurzgeschichten seine "Abenteuer" mit Pyrenäengeiern, Kampfstieren sowie seinen Selbstversuch im Restaurant des katalanischen Drei-Sterne-Kochs Ferran Adrià. Amüsante Vorbereitungs- und Abendlektüre in einem.
Text: Torsten Eßer Fotos: amazon.de |
[kol_1] Helden Brasiliens: Arnold´s Naschbar - Deutsche Küche in São Paulo
"Arnold`s Naschbar" liegt inmitten der Hügel São Paulos, doch sobald man es betritt, ist man zurück in der Bundesrepublik Deutschland vor dem Mauerfall. "Vor 25 Jahren haben wir das Restaurant aufgemacht. Unser Haus war einfach zu groß, da mussten wir doch was draus machen," erzählt Herr Valdemar, der 90-jährige Besitzer italienischer Abstammung.
Wir sind in einer anderen Zeit und Welt gelandet. Ein vergilbtes Neuschwanstein an der Wand, ein Haufen alter deutscher Bücher und Zeitschriften auf einem Wühltisch. Bier- und Weinkrüge aus deutschen Landen, soweit das Auge reicht. "Die Deutschen meinen, sie müssten immer alles aufheben, als Erinnerung und zu historischen Zwecken. Wir Brasilianer sind da ganz anders - wir schmeißen einfach immer alles direkt weg." Da mag die deutschlanderfahrene Brasilianerin mir gegenüber wohl Recht haben.
Die Schlachtplatte wird gebracht. Vier große Würste, dazu Sauerkraut und Kartoffelsalat. Und zwei Sorten Senf. Deutsches Bier gibt’s auch, gerne im Ein-Liter-Krug. Dazu Geschichten von Herrn Valdemar. In der kleinen Hafenstadt São Vicente ist er aufgewachsen. Mit João Havelange, dem ehemaligen FIFA-Boss, sei er damals über die Drahtseile der Brücken geklettert. Und dann hinab ins offene Meer gesprungen. Das waren noch Zeiten. "Moskau im Regen, Tränen im Gesicht" zwitschert der schon so oft totgesagte gute alte deutsche Schlager aus den Lautsprechern. "Apfelkompott" oder lieber den "Strudel" zum Nachtisch? "Apfelstrudel für die Dame, Schokoladenstrudel für mich", ertönt es aus meinem Mund. Den Schwarzwald kennt Herr Valdemar von früheren Europareisen. Und Spanien, wo er in einem kleinen Restaurant am Ende der Welt mit niemand geringerem als Plácido Domingo gespeist hat. "Drei Lieder hatte er mir versprochen. Doch nach dem zweiten waren schon so viele Neugierige dazugeströmt, dass er nicht weiter singen konnte. Das letzte Lied müsse er ihm schuldig bleiben, sagte er noch." Wir sind pappensatt. Herr Valdemar ist müde. Doch bevor er sich zurückzieht, erzählt er noch eine kleine Anekdote seiner Europareise. Einen heute berühmten Sänger hat er damals in Nizza getroffen.
Erinnerungen an vergangene Zeiten. Vergehende Zeiten. "Aus Köln bist Du also. Damals nach dem Krieg war der Dom noch voller Schusslöcher." Wir verabschieden uns. Die Schlachtplatte hat müde gemacht. "Júlio Iglesias heißt der Sänger", fällt Herrn Valdemar dann doch noch der Name des Sängers ein. Draußen fällt der für São Paulo typische Nieselregen. "Moskau im Regen, Tränen im Gesicht." Text + Fotos: Thomas Milz |
[kol_2] Grenzfall: Trauriges 2005 für den venezolanischen Kondor
Trotz der andauernden Regenzeit war es ein herrlich sonniger Morgen und so hatte mein Vater an diesem Ferientag beschlossen, mit meiner Mutter und mir, dem achtjährigen Jesus, einen Ausflug in den Páramo zu unternehmen. Papa ist Polizist in Caracas und weil er dieses Jahr einen guten Job geleistet hat, ist er für seine Dienste am Vaterland ausgezeichnet und mit einigen Tagen Urlaub in den venezolanischen Anden in Mérida belohnt worden. Schon am zweiten Tag fühlte er sich ob der klaren Luft und der herrlichen Aussicht wie neu geboren und von unbändigem Tatendrang erfüllt. Akribisch säuberte er seine Waffe und ging dann auf den Hotelparkplatz um seinen Wagen warm laufen zu lassen. Eine Viertelstunde später bereits befand sich die Familie auf dem Ausflug. Immer höher arbeitete sich unser kleines Auto die Transandina empor und immer mehr gab es zu entdecken: kleine Kirchen, typische Dörfer, eine Pflanze, die sich Frailejón nennt, Bergseen und die lustigen Leute mit ihren tiefroten Wangen. Mich interessierte aber nur eins, der Kondor.
Meine Bindung zum Kondor erfuhr ich durch meinen Großvater, der hier aus den Anden stammt und mir viel von seinem Volk, den Timotes, erzählte. Die Timotes verehrten die Kondore als Götter und fütterten einige Vögel an Festtagen so lange bis diese nicht mehr fliegen konnten. Die voll gefressenen Kondore konnten dann nur noch mit den riesigen Flügeln schlagen, die bis zu 3,5 Meter Spannweite erzielen, und träge hüpfen. Dies interpretierten die Timotes als Tanz der Götter und tanzten mit. Als die Spanier kamen, töteten sie alle Kondore, da sie es nicht ertrugen, dass die Timotes die gewaltigen Geier, zu dessen Familie sie gehören, verehrten und mit dem spanischen Gott auf eine Stufe stellten. Auf der Wanderung von der Laguna Mucubají, eine Gletscherlaguna auf 3500 Meter, zur Laguna Negra, stolperte ich einige Male, weil ich ununterbrochen den Himmel nach Kondoren absuchte. Mein Vater kam aus dem Lachen gar nicht mehr heraus, da er glaubte, ich würde mich aufgrund der Höhe so tollpatschig anstellen. Aber ich wurde belohnt: Erst, so kam es mir vor, erspähte ich ein Exemplar weit oben am Himmel, welches nur als schwarzer Punkt in 10000 Meter Höhe auszumachen war. Dann aber gleitete ohne Vorankündigung hinter einem Felsen ein stattlicher Kondor hervor, überflog unsere Köpfe und verschwand in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Ich bezirzte meine Eltern sofort umzukehren und den Kondor zu verfolgen. Meine Mutter konnte mir diesen Wunsch nicht abschlagen und mein Vater ist nicht unbedingt erpicht darauf längere Strecken zu Fuß zurück zu legen, so dass sie meinem Begehren nachgaben. Leider holten wir den großen schwarzen Vogel nicht mehr ein. Ein wenig enttäuscht bestieg ich das Auto und wir setzten unseren Ausflug fort. Kaum 10 Minuten später aber sah ich ein Hinweisschild auf das Tal von Mifafi. Hier hatte man 1992 mit der Wiederansiedelung der Kondore in den venezolanischen Anden begonnen und hier, so schrieb die Zeitung, sei der beste Platz freie Kondore zu beobachten. In der Kondorstation erfuhren wir, dass vor 13 Jahren fünf Kondore genau an dieser Stelle freigelassen wurden, mit dem Ziel, die Täler und Höhen des Nationalparks Sierra Nevada wie einst mit Kondoren zu besiedeln. Immerhin fanden sich unter den Neuankömmlingen ein Männchen und ein Weibchen so sympathisch, dass sie beschlossen, fortan als Paar auf Lebenszeit zusammen zu bleiben. Im Idealfall hätten sie alle zwei Jahre Nachkommen in die Welt setzten können, doch leider blieb ihnen der Kinderwunsch verwehrt. Das Glück des Kondorpärchens wie auch des gesamten Forscherteams zerstörte ein Bauer aus der Gegend, der die beiden beim Fressen über ein Aas gebeugt erspähte und kurzer Hand das Männchen erschlug. Das Weibchen zeigte sich nur noch einmal im Tal von Mafifi und war dann wie vom Erdboden verschwunden. Auch zwei weitere Kondore blieben nicht mehr lange. Wahrscheinlich fanden sie Liebschaften im naheligenden Kolumbien und zogen es vor, dort ihre Zelte aufzuschlagen. Traurig lauschte ich den Ausführungen des Forschers und plötzlich, ohne genau darüber nachzudenken, sprudelte es aus mir heraus: "Dann gibt es ja nur noch einen einzigen Kondor im Páramo und den habe ich gerade gesehen." Der Forscher bestätigte: "Ja, Jesus. Da hast du großes Glück gehabt. Denn obwohl uns der letzte Kondor oft besucht, so ist er doch genauso oft tagelang unterwegs." Mit einem weinenden und einem lachenden Auge verließ ich an der Hand meiner Mutter die Station Mifafi um zum Auto zurück zu kehren. Mein Vater war schon vorgelaufen und öffnete die Türen. Und dann sah ich ihn erneut. Vielleicht 10 Meter vom Auto entfernt auf einem großen Stein. Er schaute mir direkt in die Augen. Gebannt verharrend wagte ich nicht einmal zu atmen. Die Welt um mich herum schien still zu stehen, so intensiv empfand ich den Moment. Die Welt meines Vaters allerdings drehte sich weiter und geriet just in diesem Moment aus ihrer Bahn. Denn wie von allen guten Geistern verlassen, zog er seinen Revolver und drückte ab. Dann sah ich nur noch Blut und Federn. P.s.: Seit dieser traurigen und im Kern wahren Begebenheit ist kein Kondor mehr im Tal von Mifafi gesichtet worden. Hoffnung besteht natürlich weiterhin, dass aus den angrenzenden Gebieten, etwa dem Tamá Nationalpark oder den kolumbianischen Anden wieder Kondore in die Sierra Nevada übersiedeln. Vielleicht kehren auch die drei Sprösslinge der Station, die vorübergehend in anderen Gefilden nach Partnern freien, nach Mifafi zurück. Groß war die Freude als unmittelbar nach dem geistesumnebelten Akt des Polizisten der Zoo in Mérida verkündete, dass es zum ersten Mal Nachwuchs bei den Kondoren gegeben habe. Text: Dirk Klaiber |
[kol_3] Rezension: Geschichte einer Plünderung
Eine politische Dokumentation von Fernando Solanas Im Dezember 2001 bricht das argentinische Bankensystem zusammen und verzweifelte Menschen, die nicht mehr an ihr Erspartes oder ihren Lohn kommen, ziehen vor die Casa Rosada und lärmen mit ihren leeren Kochtöpfen und Pfannen solange, bis Präsident Fernando de la Rúa vor der "Revolution der Kochtöpfe" kapituliert und seinen Rücktritt erklärt. Die Bilder gingen um die Welt und wurden leider viel zu schnell wieder vergessen. Zu komplex waren die Zusammenhänge, um sie auf ein brauchbares Medienformat zu kürzen. Und der vermeintliche Sieg der Argentinier war, wenn überhaupt, nur von kurzer Dauer, denn geändert hat sich nicht viel. Heute leben wieder 18 Millionen Argentinier von einem Dollar pro Tag oder weniger. Der Filmemacher Fernando Solanas, seit dreißig Jahren eine der kritischen Stimmen und Beobachter des politischen Geschehens in Lateinamerika, ist in seinem neuesten Film "Memoria del Saqueo", auf Deutsch erschienen unter dem Titel "Geschichte einer Plünderung", der ewigen Frage nachgegangen, weshalb in einem so reichen Land wie Argentinien so viel Armut und Hunger herrschen kann. Eine Frage übrigens, der viel zu wenig im Detail nachgegangen wird, und zwar nicht nur in Argentinien.
In zehn Kapiteln, erst chronologisch, dann an thematischen Kapitelüberschriften orientiert, lässt Solanas prominente Wirtschaftsexperten, Gewerkschaftler, Soziologen und Insider der ehemaligen Regierung Menem, Oppositionelle und das einfache Volk in Gestalt von Müttern, die ihre Kinder nicht mehr ernähren können, Ärzten, die nicht wissen, was sie einer minderjährigen Patientin, die auf der Müllkippe lebt, als Ernährungstipp mit auf den Weg geben sollen, zu Wort kommen. Die Bilder sind kombiniert mit Archivmaterial, das am entlarvendsten ist, wenn es unkommentiert bleibt. In zeitlichen Rückblicken bis 1976 erfahren wir den Übergang von Militärdiktatur zur Demokratie und die Wirtschaftspolitik besonders des angeblichen Neoperonisten Carlos Menem und seiner Nachfolger. Hier leider liegt eine inhaltliche Schwäche des Films, denn Solanas wirft Menem vor, dass er eben nicht à la Peron einen gesunden Anti-Imperialismus an den Tag legte, sondern sich mit seinem vorauseilenden Gehorsam zum Lieblingskind des IWF machte. Letzteres entspricht zwar der Realität, unterstellt aber, dass der in Argentinien immer noch als Maßstab gesetzte Perón seinerzeit eine umsichtige Wirtschaftspolitik betrieben habe. Und das wiederum entspricht keineswegs der Realität. Perón war in der historisch glücklichen Lage gewesen, auf so viele Ressourcen zurückgreifen zu können, dass er sich die Zustimmung der Arbeiterschicht und Gewerkschaften mit finanziellen Zugeständnissen erkaufen konnte. Auf Dauer hätte das damals aus den Weltkriegen reich gewordene Argentinien auch das nicht mehr finanzieren können. Der Mythos Perón lebt dennoch weiter. Bis in die späten neunziger Jahre wurde Argentinien in den westlichen Tempeln des Neoliberalismus als Vorzeigemodell gehandelt. Die 1:1 Bindung des Peso an den Dollar, der Wegfall sämtlicher Kapitalverkehrskontrollen und die unglaublich hohen Zinsen zu unglaublich niedrigen Risiken waren ein gefundenes Fressen für gieriges internationales Kapital. Die Kommentare der ehemaligen Mitspieler in der Regierung und das Archivmaterial geben eine deutliche Antwort auf die Frage, wie diese Plünderungen genau stattgefunden haben. Das Geld gehortet haben korrupte Politiker, die sie bestechenden nationalen und internationalen Wirtschaftsbossen und ihre Klientel verratende Gewerkschaftler, die in einer weltweit beispiellosen Privatisierungsorgie Gewinn bringende nationale Industrien stillgelegt oder verkauft, Ressourcen zu Schleuderpreisen an ausländische Konzerne verhökert, dem ungebremsten Warenimport stattgegeben und die sozialen Versorgungssysteme ausgehöhlt haben. Die Eliten haben dabei das Geld natürlich nicht im eigenen Land angelegt, bereits in den neunziger Jahren haben auch Durchschnittsargentinier, sprich die massiv schwindende Mittelklasse, wenn sie es sich leisten konnte, ihr Geld nicht den eigenen Banken anvertraut. Noch einige Worte zum Regisseur selber: Für sein Lebenswerk erhielt der fast siebzigjährige Solanas im Februar 2004 einen Goldenen Ehrenbären auf der Berlinale. Bekannt wurde er durch seinen ebenfalls politischen Film La Hora de los Hornos, Die Stunde der Hochöfen, der 1967 zu einem Schlüsselfilm des lateinamerikanischen Kinos wurde. Mitte der siebziger Jahre ging er nach Morddrohungen ins Exil und kehrte erst nach Ende der Militärdiktatur nach Argentinien zurück. Sur, El Viaje und La Nube gehören zu den bekannteren seiner Filme der letzten Jahre. Nicht nur Solanas` Filmschaffen zeugt allerdings von seinem politischen Engagement, er gründete eine eigene Partei, die Frente del Sur und war von 1993 bis 1997 selber Abgeordneter im argentinischen Parlament. Während dieser Zeit überlebte er ein Attentat nur mit Glück und sechs Kugeln im Bein. Ein Prozess gegen die Attentäter hat bis heute nicht stattgefunden. Ja, "Geschichte einer Plünderung" ist emotional und das darf der Film auch sein. Er ist handwerklich sehr gut gemacht, unterhaltsam mit seinem unaufdringlichen ironischen Unterton, leider ein wenig zu dicht bepackt mit Informationen, was aber in der Natur des Diskurses liegt, aber und vor allem: es ist ein wichtiger Film! Argentinien gehört leider nicht zu den so genannten Gewinnern der Globalisierung. Es gibt noch immer zu wenig und zu wenig durchdachte Diskussionen und kluge Denkanstöße um die Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, trotz Kochtopfrevolution. Solanas wandte sich nach Ablauf seiner Legislaturperiode wieder dem Kino zu, da er "als Künstler eingesehen hat, dass er mit seinen Filmen mehr erreicht als in der Politik". Geschichte einer Plünderung: unbedingt anschauen! Text: Alexandra Geiser |
[kol_4] Lauschrausch: Bersuit Vergarabat vs. Andres Calamaro
Bersuit Vergarabat - Testosterona Die argentinische Combo La Bersuit hat nach dem großen Erfolg um ihre letzte Scheibe "La argentinidad al palo" nun ein neues, beachtenswertes achtes Album nachgelegt: Testosterona heißt das gute Stück und ist aus dem einfachen Grunde bemerkenswert, weil sich die achtköpfige Truppe um den charismatischen Sänger Gustavo Cordera erneut kreativ ins Zeug gelegt und den altbekannten Sound ein Stück weit hinter sich gelassen hat. Heraus kam eine "etwas andere" Mischung mit zeitkritischen Texten und einem energiegeladenen Potpourri an zahlreichen Stilelementen, was nicht zuletzt auch den mitwirkenden Musikgrößen wie Andrés Calamaro, la Mona Jiménez und El Sindicato de Hip-Hop liegt. Karibische Klänge bei "O vas a misa" (mit Andrés Calamaro), ein bisschen Funk in "La flor de mis heridas", wo sich Cordera seiner Zeit des Exzesses und des familiären Wahnsinns erinnert, ohne jedoch vor dem Leben zu kapitulieren. Dreizehn Stücke über Sexualität und ihre verschiedenen Nuancen und Auswirkungen, die im Kontrast zum Tod stehen. Auch wenn es nicht vordergründig erscheint, so steht die Platte im Zeichen der "Post-Cromañon" Ära und wirft eine Innenansicht auf die argentinische Gesellschaft mit ihren Problemen, Ängsten und Wünschen.
Andres Calamaro - El Regreso Lang, lang ist's her, wenn es um Andres Calamaros letzte Bühnenauftritte geht. Zwar lebt er schon seit Jahren in Spanien, aber seiner argentinischen Wurzeln ist er sich weiterhin bewusst. Und so kehrte er im April 2005 nach Buenos Aires, seiner alten Heimat, zurück. Im Gepäck hatte er neben einer hervorragenden Band auch einige Gastmusiker, allen voran sein Bruder Javier Calamaro. Aber auch Juanjo Domínguez, Juanse und La Bersuit waren mit von der Partie und natürlich, wie sollte es anders sein, boten sie den Zuhörern im Luna Park am 18 und 20 April 2005 ein fantastisches Programm. Man neigt gerne zu Übertreibungen, gerade wenn es um Künstler geht, die länger nichts von sich hören haben lassen, aber dieses Live-Album ist wohl eines der besten, das 2005 veröffentlicht wurde. Natürlich beginnt der musikalische Reigen mit El Cantante und El Salmón im Anschluss, was Lust auf die insgesamt 21 Titel macht. Eigentlich fehlt kein Hit auf der Scheibe und auch der argentinischen Rocklegende Pappo, der im Februar 2005 mit seinem Motorrad tödlich verunglückte, wird gedacht. Ihm ist der Viejo Blues (Desconfío) gewidmet und aus den eifrigen Porteño-Kehlen wird - nicht nur bei diesem Stück - jedes Wort mitgesungen! El Regreso ist eine mitreißende Scheibe, die jeder an argentinischer Rockmusik Interessierte im Schrank haben sollte. Text: Andreas Dauerer Foto: amazon.de |