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[art_2] Bolivien: Mit dem Taxi auf 5395 Meter

Es ist früh am Morgen. In La Paz, der größten Stadt Boliviens mit über einer Millionen Einwohnern, öffnen die fliegenden Händler gerade ihre aus schlichtem Holz gebauten Verkaufsstände entlang der Straßen. Die Luft ist stickig auf 3650 Metern. Ein Gemisch aus den unterschiedlichsten Aromen erreicht die Nase: vergleichbar mit einer Prise Gewürze, verdorbenem Obst und vielen Autoabgasen. Wer durch La Paz zu Fuß geht, könnte meinen, jeder Bolivianer besitze mindestens zwei Autos. Sogar morgens um 6 Uhr verspäten sich die Taxifahrer. Heute geht es für 200 Bolivianos - umgerechnet 20 Euros - mit Pablo auf den Chacaltaya.



Auf den ersten Blick scheint diese Tour nichts Besonderes. Doch welcher Normalsterbliche hat schon einmal die Chance, mit dem Auto auf den Gipfel eines 6000ers zu fahren. Nur die letzten Meter muss man zu Fuß zurücklegen. Wer sich jedoch noch nicht an die Höhe in Bolivien angepasst hat, der sollte diese Tour nicht wagen. Denn manchem wird schon im Taxi übel.

Pablo kennt den Weg zum Chacaltaya. Er fährt seit 15 Jahren Touristen auf den Berg. Und er erzählt von El Alto, wo er gerade durchfährt, dem berühmten Vorort von La Paz, von wo aus man diesen spektakulären Blick auf den Kessel der Unterstadt hat. In El Alto leben die, die weniger Bolivianos verdienen. Sie hausen in engen Zimmern und schlagen sich mit kleinen Jobs durchs Leben.

Der Weg ist schlecht und oft nicht mal beschildert. Die nur selten befahrene Piste führt Pablo mit seinen Gästen auf immer rutschigere Straßen. Es schneit. Obwohl ein paar Kilometer zuvor die Menschen in T-Shirts und Shorts herumlaufen. Nebel kommt auf. Pablo weiß nicht, ob er heute bis ganz nach oben kommt. Er wirkt ein wenig ängstlich, denn seine abgefahrenen Sommerreifen bieten keinen richtigen Halt. Das Auto schliddert von rechts nach links, er drosselt das Tempo und fährt mit 20 km/h Höchstgeschwindigkeit Richtung Chacaltaya. Die Straße schlängelt sich in engen Serpentinen immer höher hinauf. Unterwegs passiert kein anderes Auto die Route. Es ist still hier oben.



Geschafft! Zwei Stunden dauert die etwa 40 Kilometer lange Fahrt mit Pablo bis zur Hütte von Karl Woitech auf 5100 Metern. Der Österreicher hat dort eine echte Skihütte vom Club Andino Boliviano übernommen. Ermattete Wanderer oder Taxigäste treffen sich drinnen bei Nusskuchen und anderen hausgemachten Leckereien. Der Eintritt in die Hütte kostet zehn Bolivianos – umgerechnet ein Euro. Dafür trifft man Gleichgesinnte, die entweder schon auf dem Gipfel waren und darüber berichten oder solche, die nach der Stärkung gleich lossteigen. Derweil bestellt sich Paco einen Coca-Tee, der dabei hilft, diese Höhen besser zu ertragen.

Draußen weht ein heftiger Wind. Es ist eiskalt. Schnee überall. Der Berg ist rutschig. Ohne festes Schuhwerk ginge jetzt nichts mehr. Die ersten Schritte wirken leicht, doch es geht steil aufwärts. Je länger man unterwegs ist, desto diffuser wird das Licht und die Atemluft merklich dünner. Jeder Schritt wird zur Qual. Eigentlich ist es nicht mehr als ein kleiner Spaziergang. Doch es geht nur kleinen Schrittes voran. Langsam aber kontinuierlich setzt man einen Fuß vor den anderen, macht öfters Pause, um die Aussicht zu genießen und tief durchzuatmen.



Schnell ziehen die Wolken vorüber, ein kalter Wind weht, und ein gigantischer Blick auf die Berge ringsherum, alles über 6000er, wird frei, so beispielsweise auch auf den Huayana Potosi mit über 6088 Metern. Ein einzigartiges Erlebnis. Nur die Handschuhe, einen dicken Schal, eine wetterfeste Jacke und Bergsteigerschuhe sollten bei dieser Tour auf keinen Fall fehlen. 5380 Meter erreicht. Man fühlt sich ein bisschen wie ein junger Reinhold Messner, der immer höher ohne Atemgeräte hinaus will. Und tatsächlich: jeder will hier den noch ein paar Meter höheren Gipfel erwandern - der bei 5395 Metern liegt. Oben angekommen, trifft man wenige Touristen, die sich gegenseitig fotografieren. Und jeder schnappt sich eine Schieferplatte und ritzt dort mit einem Stein seinen Namen und die Gipfelhöhe ein.

Ein berauschendes Gefühl stellt sich ein. Man fühlt sich großartig. Wie der erste Mensch auf dem Mond. Die Wangen glühen aufgrund der Kälte. Nach kurzer Verschnaufpause geht es wieder herunter zur Hütte. Der Abstieg erfolgt flotter, aber man fühlt sich wie erschlagen. Die Beine sind schwer. Die Augen so müde. An der Hütte wartet schon Pablo, unruhig, das Wetter schlägt um. Es schneit und schneit. Pablo will sofort losfahren.

Im Taxi dudelt laute Salsa-Musik, die Scheiben sind beschlagen, die winzigen Wischblätter können den Schnee nicht richtig wegdrücken. Das Taxi gerät ins Rutschen. Pablo macht sich Sorgen, dass er gar nicht mehr in La Paz ankommt. Doch seine Gäste schlafen bereits. Die Höhenluft macht unendlich müde.

Erst kurz vor dem Hotel wachen die Bergsteiger wieder auf. Pablo ist froh, heil unten angekommen zu sein. Zwischendurch hat er den Schnee, der sich auf seiner Motorhaube sammelte, zusammen geschobenm. Von diesem Schnee bleibt tatsächlich bis La Paz noch etwas über. Stolz bringt er den jetzt seiner Familie mit.

Text + Fotos: Stephanie Hajdamowicz