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caiman.de 7. ausgabe - köln, 01. juli. 2000
von humboldt bis venezuela joe

caimanexpedition im jahre 1850 (teil 2)

Noch im Halbschlaf in der Hängematte schaukelnd – die Blätter der Mangobäume reflektierten die ersten Sonnenstrahlen – berührte etwas mehrfach meinen Rücken.

Ich blinzelte vorsichtig über den Rand meiner Schlafstätte, und schon erspähte ich unseren asistente, Don Joe, der sich des Übeltäters meiner Ruhestörung bereits bemächtigt hatte. Ein kleiner oso palmero, zu deutsch Ameisenbär, hatte sich in unser Lager verirrt. Die Mutter aber war nicht weit und unser asistente wies dem Kleinen auf einer Sprache, die ich nicht verstand, den Weg zu ihr zurück.

morgengrüsse

Vielversprechend also begann unserer erster Tag im Hato el Frio. Die Hacienda war ein sehr gepflegtes Anwesen. Des Abends wurde der ganze Hof mit Lampen, die man auf der Basis von Caimanfett betrieb, erhellt. Besondere Erwähnung gebührt der Küche. Diese war speziell auf meine Begleiterin, ein Fleischzahn par excellence, zugeschnitten. Ochse, Geflügel aller Art, Capybara, Spanferkel und Piranha bestimmten den Speisezettel. Köstlich! – nur werde ich persönlich ein Leben lang von den Ferkeln schwärmen. Bei diesen handelt es sich um von den Spaniern zur Zeit der Conquista nach Lateinamerika mitgebrachten Hausschweine, die sich in ihrer neuen Heimat in Windeseile vermehrt und über die Jahre zu robusten langbeinigen Wildschweinen zurück entwickelt hatten. Ihr Fleisch ist wesentlich weniger fetthaltig als das unserer gemästeten Hausschweine und schmackhafter.


die mutter des kleinen störenfrieds
Bezüglich des Lebens der hier ansässigen Coxboys ist mir speziell eines aufgefallen: Fegen, melken, braten sind Männerarbeiten! – wie alles in den Llanos. Die Frauen und Mädchen hingegen verbringen ihr Leben in süßem Nichtstun.

Neben den häuslichen Verrichtungen, die sich auf ein Minimum reduzieren, beschäftigen sie sich im günstigsten Falle mit der Bestellung eines kleinen Gartens, den sie mit Yuca und Bananen bepflanzen.
Jedenfalls ließ sich der weibliche Teil unserer Reisegruppe von den Llaneras inspirieren, und so fristen der Sachse und ich - nun Jahre später zurück in Deutschland – ein sozusagen "modernes" Leben als Hausmänner.

Die nächsten zwei Tage widmeten wir uns der Vogelbeobachtung. Obwohl die Ornithologie nie zu meinen näheren Interessensgebieten gezählt hat, muss ich die fachliche Kompetenz unseres asistente sowie seine Fähigkeit den Reisenden zu begeistern aufs entschiedenste loben. So sehe ich mich nach den Ausführungen Don Joes durchaus im Stand eine wissenschaftliche Abhandlung über die Vogelwelt der Llanos zu verfassen, doch lasse ich diesbezüglich natürlich meinem kompetenteren Reisegefährten aus Sachsen den Vortritt.

Am Abend des dritten Tages traf eine etwa 100 Mann starke Karawane in unserem Camp ein.

landschaft am apure (caiman-paradies)

Geführt wurde die Gesellschaft von Jose Antonio Páez, dem berühmten Waffengefährten Simón Bolívars und ersten Präsidenten der noch jungen Republik. Man nennt ihn auch den "besten Reiter Südamerikas", und wahrlich konnten wir uns am nächsten Morgen von seinem Können überzeugen. Unter den Reitern befand sich auch Páez´ Sohn Ramón, der einzige "Gentleman" im ansonsten eher rauhen Gefolge. Er hatte seine Erziehung in England genossen und war nun nach 15 Jahren nach Venezuela zurückgekehrt.


unsere schlafstätte im hato
Die nächsten anderthalb Tage verbrachten wir viel Zeit miteinander. Meist gesellte sich Don Joe zu uns, und wir ritten zu dritt über die Prärie.
Zur Nachmittagszeit, wir hatten kein bestimmtes Ziel vor Augen, kamen wir einer Herde Rinder immer näher, bis wir plötzlich einer gewissen Aufregung unter selbigen gewahr wurden.

Eine der großen Wasserschlangen hatte sich einer trächtigen Kuh genähert. Sofort stellte sich der Leitbulle der Herde zwischen die 12 Meter lange Ananconda, wie die Schlange hier zu Lande genannt wird, und ihr vermeintliches Opfer. Auf diesen Augenblick wiederum schien die Schlange nur gewartet zu haben, den von Beginn an hatte sie den Kopf der Rinderherde als ihren Kampfgefährten auserkorenen. Ansatzlos sprang sie mit einem Satz von 6 Metern dem Bullen an die Lefze, biss sich fest und nahm ihren tonnenschweren Gegner in den Würgegriff. Der Stier vollführte daraufhin einen Veitstanz, den wohl nicht einmal der alte Páez hätte überleben können. Er erwischte mit seinen Hufen mehrmals den Schwanz der Schlange und fügte ihr so große Schmerzen zu, so dass diese ihren Würgegriff lockern mußte. Von nun an aber gingen beide richtig zur Sache und wirbelten zu unserem Leid soviel Staub auf, dass uns die Sicht verwehrt blieb.


wir nähern uns den unruhigen rindern

Erst Minuten später verstummte das fürchterliche Fauchen der Schlange, und nur noch das heftige Schnaufen des Bullen drang über die Steppe. Der Staub legte sich, und da stand er - mit Bisswunden übersät, aber stolz und mächtig mit weit aufgerissenen Augen und Nasenlöchern. Nun, als wolle er aller Welt seinen Erfolg verkünden, stolzierte er erhobenen Hauptes vorbei an seiner Herde, den vom Rumpf getrennten Kopf der Ananconda an seiner Lefze baumelnd.

Ob im Falle des Sieges der Schlange, diese den Bullen wirklich im Ganzen hätte verschlingen können - so wie es für Würgeschlangen, die nicht in der Lage sind, ihre Opfer mundgerecht zu zerteilen üblich ist – mag dahin gestellt sein, doch zurück im Lager, hatten Páez und einige seiner Männer eine riesige Ananconda erlegt, ihren Leib aufgetrennt und waren in ihrem Verdauungstrakt auf einen 3,5 Meter langen Caiman gestoßen.

pa`rriba


Der Rum floss reichlich an diesem Abend, und ohne diesen hätte ich in Anbetracht des Erlebten wohl kaum ein Auge zugetan.
Früh am Morgen des folgenden Tages begaben wir uns auf den Rückweg nach Mérida, wo wir 4 Tage später wieder unsere alte Herberge bezogen.

Ein Wort noch zu Don Joe: Seit unserer gemeinsamen Reise verbindet uns eine herzliche Freundschaft. Und jedem Reisenden, ob Wissenschaftler oder Abenteurer empfehle ich mit Nachdruck, sich im Falle einer geplanten Tour durch Anden und Llanos an Don Joe zu wenden; denn nie fand ich einen so feinen asistente in Charakter und Wissen über Flora und Fauna seines Landes.

Köln, 26. Juni. 1863/2000

für nähere infos kontaktiert:
dirk@caiman.de (Dirk Klaiber)
Bild: Birgit Lindenberger
Text: Dirk Klaiber



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