caiman.de 07. ausgabe - köln, 2001

Chaos im Andenland

In Peru wurde im vergangenen Mai gewählt, Alejandro Toledo ist neuer Präsident, die Dekade von Alberto Fujimori ist Vergangenheit. Der Autokrat ist verschwunden - wird nun endlich alles gut im armen Andenland?

Sicher ist, wer Peru in den nächsten Jahren regiert, steht vor keiner leichten Aufgabe. Das Land gehört immer noch zu den ärmsten Südamerikas, über die Hälfte der Bevölkerung hat keinen festen Job und die wirtschaftliche Situation ist chaotisch. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Doch anstatt das Volk mit der Realität zu konfrontieren, überboten sich Toledo mit seiner Partei Perú Posible und Gegenkandidat Alan García von der APRA vor der Stichwahl mit vollmundigen Versprechungen: neue Arbeitsplätze, Hilfen für die Landwirtschaft, billige Medizin und Steuersenkungen.

García war erst im Januar aus seinem Exil in Frankreich zurückgekehrt und schaffte es in nur zwei Monaten Wahlkampf, die aussichtsreiche Gegenkandidatin von Toledo - Lourdes Flores - aus dem Feld zu schlagen, der vor allem deswegen Chancen eingeräumt wurden, weil sie als erste politische Persönlichkeit seit langer Zeit als nicht korrumpierbar gilt.

Die Zeit bevor "el chino" kam

García war der letzte Präsident Perus vor Fujimori und setzte bei der jetzigen Wahl vor allem auf die jüngeren Peruaner, die seine desaströse Amtszeit von 1985-1990 nicht bewusst miterlebt hatten. Damals beschloss er das Finanzwesen zu verstaatlichen, hinterliess dem Land eine Hyperinflation von mehr als 7000 % und katapultierte Peru auf einen Schlag auf einen der hinteren Ränge der ärmsten Staaten der Welt zurück.
Unter García erreichte zudem der Terror der beiden Guerilla-Organisationen MRTA (Movimiento Revolucionario Tupac Amaru) und „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad) ihren Höhepunkt. Indem der Präsident die Bauern gegen den Leuchtenden Pfad bewaffnen ließ, verschärfte er den Konflikt dramatisch.

Die Gewalt eskalierte, als das Militär auf der Suche nach den Terroristen ganze Dörfer dem Erdboden gleichmachte. Insgesamt verloren mehr als 20.000 Menschen ihr Leben, viele verschwanden und wurden gefoltert. Zugleich beraubte die Regierung zwischen 1985 und 1990 der Presse ihrer Unabhängigkeit, indem Kredite vom Inhalt der Medien abhängig gemacht wurden. Der Schriftsteller Mario Vargas Llosa bezeichnet in seiner Autobiographie „El Pez en el Agua“ (Der Fisch im Wasser), in der er seine kurze politische Karriere verarbeitet, die absolute Kontrolle über die Information als „Weg in ein totalitäres Peru“.

Vargas Llosa hatte sich 1990 als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen, eine Stichwahl zwischen ihm und García galt als sicher. Aber dann kam „el chino“...

Das Phantom auf dem Traktor

Alberto Fujimori war einige Wochen vor den Wahlen quasi aus dem Nichts aufgetaucht und hatte für alle überraschend den hoch favorisierten Vargas Llosa aus dem Feld geschlagen. In dem oben genannten Werk ist nachzulesen, wie „el chino“ – so nennen die meisten Peruaner den japanisch stämmigen Fujimori - kurz vor der Wahl plötzlich mit einem Traktor überall in Peru in den Armenvierteln herummanövrierte und mit einem Plakat seiner Partei Cambio 90 für Arbeit, Ehrlichkeit und Technologie warb. Bis dato war der Universitätsprofessor für Agrarwissenschaften gänzlich unbekannt, war er doch politisch bisher nicht in Erscheinung getreten.

Ein Wahlprogramm? Fehlanzeige! Fujimori versprach den Bürgern des Landes lediglich, die Reformen langsam angehen zu lassen, während Vargas Llosa kein Geheimnis daraus machte, dass Peru wegen der Nachwirkungen der Politik Garcías keine einfachen Zeiten bevorstünden.
Langfristiges Denken in politischer Hinsicht scheint bei wahlberechtigten Bürgern keine sehr ausgeprägte Eigenschaft zu sein.

Und Fujimoris Blitzstrategie funktionierte: die peruanische Bevölkerung gab ihre Stimme „el chino“. Fujimori hatte plötzlich das höchste Amt des Landes inne – aber kaum Ahnung von Regierungsgeschäften und keinen Parteiapparat in der Hinterhand

1990: An die Macht gekauft

Kürzlich wurde aufgedeckt, dass Fujimori angeblich eine Million Dollar Wahlhilfe vom Boss des Medellin-Kartells, Pablo Escobar, erhalten hatte. Kurz vor dem zweiten Wahlgang verfügte Fujimori plötzlich über so viel Geld, dass er den Traktor gegen ein Privatflugzeug eintauschen konnte. Damals wurde vermutet, dass Unternehmer Fujimoris Wahlkampf unterstützten, um seinen Gegenkandidaten Vargas Llosa auszuschalten.

Nach seinem Wahlsieg besetzte „el chino“ einflussreiche Positionen unter anderem in Justiz und Medien mit Weggefährten. Momentan werden ständig neue Beweise erbracht, dass sich nicht nur Fujimori und Montesinos bereichert haben, sondern dass im Prinzip das gesamte politische Umfeld finanziell profitierte. Fujimori zählt zu seinen Verdiensten, die beiden großen Probleme Perus – Hyperinflation und Terrorismus – beseitigt zu haben. 1992 gelang es ihm, den Chefideologen des Sendero Luminoso, den Philosophie-Professor Abimael Guzman zu verhaften.

Dabei schien es ihn nicht zu stören, dass er zwar ein Übel beseitigt, dafür aber viele neue geschaffen hatte, indem er gnadenlos und brutal gegen Regimekritiker vorging. Unter Montesinos Leitung ließ der Geheimdienst Fujimoris mutmaßliche Terroristen ohne Prozess ermorden, viele unschuldige Menschen landeten ohne Verfahren im Gefängnis. Dennoch wurde Fujimori 1995 mit großer Mehrheit wiedergewählt.

Der Sturz des Autokraten

Trotz heftiger Proteste seitens des Volkes lässt die – von Fujimori eingesetzte - Wahlkommission ONPE (Oficina Nacional de Procesos Electorales) seine erneute Kandidatur im Jahre 2000 zu, indem er vom Kongress die Verfassung ändern ließ, die vorher nur zwei Amtszeiten erlaubte.

Die offizielle Begründung: Unter Berufung auf ein 1996 verabschiedetes Gesetz zur „authentischen Interpretation der Verfassung“ dürfe Fujimoris erste Amtszeit von 1990-1995 nicht angerechnet werden, da er damals nach den Bestimmungen der Verfassung von 1979 gewählt worden sei.

Jedenfalls erzielte Alberto Fujimori bei der Stichwahl um das Amt des Präsidenten Ende Mai letzten Jahres 75% der Stimmen. Die heftig umstrittene Wahl wurde von massiven Protesten in vielen Teilen des Landes begleitet, die von Polizei und Militär brutal niedergeschlagen wurden. Der Widerstand im Land hielt in den folgenden Wochen unvermindert an. Tage vor Fujimoris Vereidigung im Juli 2000 demonstrierten in Lima 200.000 Anhänger der Opposition und kündigten an, die „Diktatur zu stürzen“. Hierbei bei kamen sechs Menschen ums Leben, mehrere Hundert wurden verletzt oder verhaftet. Das Ende vom Lied: sowohl Fujimori als auch Montesinos sahen zu, so schnell wie möglich aus Peru zu verschwinden, el chino setzte sich nach Japan ab und Montesinos verschwand spurlos. Vor einigen Tagen – Ende Juni 2001 – hat man ihn in der venezolanischen Hauptstadt Caracas verhaftet und an Peru ausgeliefert. Zurzeit befindet er sich im Hochsicherheits-Gefängnis im Hungerstreik.

Korruption, Wahlfälschung, Betrug, persönliche Bereicherung, Menschenrechtsverletzungen, Folter und Mord – die Liste der Vergehen unter Fujimoris Regime ist lang und kaum einer durchschaut das komplexe Gespinst seiner dunklen Machenschaften. Keine leichte Aufgabe also, die den neuen Präsidenten erwartet. Erschwerend kommt hinzu, dass Toledo selber in Skandalgeschichten verwickelt ist: Kokainkonsum, eine uneheliche Tochter mitsamt Verweigerung des Vaterschaftstests sowie persönliche Bereicherung durch Spendengelder stehen auf seinem Sündenkonto.

Hoffnungsträger

Positiv anzumerken ist allerdings, dass Toledo dem amtierenden Übergangspräsidenten, dem Rechtsprofessor Valentin Paniagua und dessen Kabinettschef und Außenminister Javier Perez de Cuellar die Mitarbeit in seinem Kabinett angeboten hat. Alejandro Toledo scheint bemerkt zu haben, dass Paniaguas Kabinett als das seit langem Kompetenteste gilt; ihm gehörten namhafte Experten sowie Politiker unterschiedlicher Richtungen an. Paniagua hatte das Präsidentenamt mit dem Hauptziel übernommen, Neuwahlen nach demokratischen Gesichtspunkten zu organisieren. Zudem setzte er eine siebenköpfige Wahrheitskommission ein, die sich mit den Menschenrechtsverletzungen der vergangenen zwanzig Jahre befassen und Vorschläge zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaat machen soll. Vorgesehen war, die Mitglieder der Kommission nach Kriterien wie ethische Qualifikation, demokratische Gesinnung und besonderes Ansehen auszuwählen

Dies missfällt Alan García, dem politischen Gegenspieler Toledos nicht ohne Grund. Soll sich die Kommission doch auch mit der Zeit befassen, während derer García selbst Präsident des Andenstaates war. Das Geplänkel geht munter weiter.

In der Wahlnacht versprach Alejandro Toledo, nun beginne für Peru die Zukunft. Einen Lichtblick gibt es jedenfalls: Es kann nur besser werden!

Text: kristina willenborg

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