caiman.de 12/2011

[kol_1] Erlesen: Wir töten nicht jeden von Carlos Salem
 
Der graumäusige Pharmavertreter ist im wahren Leben Berufskiller. In seiner Firma ist er die Nummer drei und damit der höchstgehandelte unter den professionellen Todbringern. Doch dann kommt der Zeitpunkt, zu dem es ihm selbst an den Kragen gehen soll. Das Verwirrspiel, wem er vertrauen kann, wen er beschützen muss und wen er lieben darf, ist gut inszeniert und spannend erzählt. Aber der Weg bis zur Spannung ist lang, schmalztriefend und mit öden Supercharakteren gepflastert, so dass ich mich die ersten 150 Seiten zum Lesen zwingen musste.

Wir töten nicht jeden
Carlos Salem

dtv (Juni 2011), 288 Seiten
ISBN-10: 3423213027
ISBN-13: 978-3423213028

Originaltitel: Matar y guardar la ropa, Madrid 2008

Es gibt vier Supermänner, den Hauptdarsteller Juan Pérez Pérez mit eingerechnet. Sie sind wahre Prachtexemplare, gute Trinker, erfolgreich im Job und Sexgötter. Juan darf dem Leser gefühlte 100 Mal sein erigiertes Glied zur Schau stellen. Ihm zur Seite steht die Frau der Träume aller männlichen Besucher des FKK-Campingplatzes, dem Haupthandlungsort. Mehrfach gratuliert ihm die Begehrenswerte anhimmelnd und erschreckend platt zugleich: Du hast seit fast zwei Stunden einen Ständer [...] Ich nehm’s als Kompliment. Ein ziemlich beachtliches Kompliment. Im Anschluss kommt sie ausführlich, aber wenig prickelnd beschrieben, in den Genuss der bereits erwähnten Fähigkeiten.

Juans Exfrau bewohnt mit ihrem neuen Superlover wie zufällig die Nachbarparzelle. Die Zeltwände sind hörbar dünn, die Familie unfreiwillig vereint, da Juan mit den beiden gemeinsamen Kindern im Auftrag der Firma seinen Urlaub auf besagtem FKK-Gelände zu verbringen hat. Die Ex scheint ihren Juan, den sie sich statt als Pharmavertreter als erfolgreichen Mediziner gewünscht hatte, in dieser Situation neu kennenzulernen. Sie versucht, ihn zurückzuerobern oder zumindest noch einmal zu vernaschen und bringt es für diejenigen Leser, die noch Zweifel an der unbändigen Manneskraft und Liebesperfektion haben auf den Punkt:

Du wärst der denkbar beste Liebhaber, wenn du beim Vögeln auch mal etwas falsch machen würdest: wenn deine Zärtlichkeiten vor lauter überbordender Leidenschaft auch mal unbeholfen sein würden, deine Bewegungen weniger von deinem Perfektionsdrang als von deinem Begehren gelenkt, und dein Stöhnen ein lustvolles Seufzen und nicht nur der Triebstoff für deine Sexmaschine wäre.

Gähn. Im Übrigen kann Juan Pérez Pérez alles, wovon Männer träumen: Kämpfen wie ein Profiboxer, Schießen mit unvergleichlicher Präzision, Tanzen wie Ricky Martin, Charmeversprühen wie Marilyn Monroe und den Rest kennt ihr ja schon. Ein weiterer unglaublich ermüdender Geduldsfaktor sind die Supermännerfreundschaften. Egal, ob schon von Berufswegen in unterschiedlichen Lagern anzusiedeln und damit zu Feinden verdammt, sie lieben und respektieren sich wie nur Supermänner in der Lage sind, abstrahiert wertzuschätzen. Sie haben gemeinsame Geliebte: der Superrichter ist mit Juans Exfrau angereist und der Superkommissar war der verliebte Angetraute einer von Juans’ Exgeliebten, die den Überfall zweier Junkies nicht überlebte. Letzteres ist auch der Grund, warum sich Kommissar und Pharmakiller halb zu Tode prügeln, um im Anschluss Arm in Arm am Tresen Four Roses zu schlürfen und in gemeinsamer Erinnerung an die von beiden so verehrte Frau zu schwelgen. Die Szene gipfelt im Verständnisrausch:

Danke, Juan. Jetzt weiß ich auch, warum sie dich so toll fand.
Und ich, warum sie so verrückt nach dir war [Kommissar].

Vor allem rund um den vierten Superheld, einen alten weisen Schriftsteller und Juans väterlichen Trinkkumpanen an nicht enden wollenden FKK-Tagen und die diversen guten und bösen Nummern der Firma inszeniert Carlos Selema in der zweiten Hälfte seines zweiten Kriminalromans ein interessantes Spiel mit der Spannung. Wer ist Freund, wer Feind? Wer wird wann zuschlagen? Oder sind doch der Superanwalt und der Superkommissar auf ihn angesetzt. Die Firma scheint allwissend und ein jeder könnte der todbringende Killer Nummer x sein.

Fazit: Bei Wir töten nicht jeden handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Spanischen. Möglichweise ist die Sprache des Originals origineller. Vielleicht sind dann auch die Charaktere und Beziehungen der Superhelden spitzfindiger. Trotz guter Story mag ich das hoch gelobte Werk des in Spanien lebenden Argentiniers Carlos Salem in der deutschen Übersetzung nicht empfehlen. Die Sprache ist begrenzt, die Darstellungen von Beziehungsgeflechten sind ermüdend und die Supermänner langweilig eintönig.

Text: Dirk Klaiber
Cover: amazon.de

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