ed 12/2010 : caiman.de

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spanien: Antequera - die schöne Unbekannte Andalusiens
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1]
druckversion:

[gesamte ausgabe]


ekuador: Im Wechselbad der Klimazonen
ROBERT GAST
[art. 2]
spanien: El Salvador in Sevilla erstrahlt in neuem Glanz
BERTHOLD VOLBERG
[art. 3]
spanien: Gute Laune T-Shirts
ROCÍO GÓMEZ DOMINGUEZ
[art. 4]
mexiko: Las cascadas de Huaxtla
Versehentlich unterwegs in den Vororten von Guadalajara
ANNIKA WACHTER
[art. 5]
macht laune: Ein Grüner Fleck auf der Stadtkarte
ANDREAS DAUERER
[kol. 1]
grenzfall: Top Tipp geht baden
DIRK KLAIBER
[kol. 2]
lauschrausch: Maria del Mar Bonet / Litus / Diego Piñera
TORSTEN EßER
[kol. 3]




[art_1] Spanien: Antequera – die schöne Unbekannte Andalusiens
 
Während die Namen der drei Kulturmetropolen Sevilla, Cordoba und Granada jedem Andalusien-Besucher ein Leuchten in die Augen zaubern und Ronda zumindest den deutschen Reisenden bekannt ist, weil der Dichter Rainer Maria Rilke über dem dortigen Abgrund eine romantische Zuflucht gefunden hat, erfreut sich Antequera einer deutlich geringeren Berühmtheit. Das sollte sich dringend ändern.

Denn diese monumentale Kleinstadt (knapp 40.000 Einwohner) bietet viel auf engstem Raum, liegt auf 600 Metern Höhe von spektakulären Berglandschaften umgeben – und wäre beinahe sogar zur Hauptstadt von Andalusien gewählt worden. Aber schließlich setzte sich bei dieser Wahl 1978 doch Sevilla durch. Dennoch ist auch das kleine Antequera ein historisches Schwergewicht. Vor den Toren der Stadt liegen bestens erhaltene megalithische Grabstätten, die z.T. mehr als 4500 Jahre alt sind (Dolmen de Menga), darunter auch der älteste Kuppelbau Europas, ein 34 Meter langer Grabtempel (Dolmen del Romeral, ca. 1800 v. Chr.).

Jubiläumsplakat
Efebo de Antequera

Die Siedlung Antequera selbst wurde wahrscheinlich im 6. Jahrhundert vor Christus gegründet. Nachdem die Römer sie erobert hatten, gaben sie ihr den Namen Antikaria und schufen hier im 1. Jahrhundert nach Christus die vielleicht schönste römische Bronzestatue überhaupt, den berühmten "Efebo de Antequera". Das Original dieser 1955 durch Zufall bei Bauarbeiten vor den Toren der Stadt gefundenen Figur steht im Stadtmuseum, eine Kopie befindet sich in der Hauptkirche Santa Maria la Mayor.

Stierkampfarena / Puerta de Estepa [zoom]
Don Fernando [zoom]

Und auch während der islamischen Epoche kam der "Madinat Antaqira" einige Bedeutung zu, vor allem in der Endphase während ihrer Zugehörigkeit zum Nasridenreich von Granada. Das zeigt sich noch heute in den Stadtmauern und der stolzen Alcazaba, die im 14. Jahrhundert unter der Regierungszeit von Muhammad V. erbaut wurden. Heute präsentiert sich die Festung allerdings stark restauriert, in Teilen rekonstruiert. Dieser Burgberg, der so dekorativ über Antequera thront, war damals nahezu uneinnehmbar – wehrhafte Mauern gegen die Reconquista. König Pedro der Grausame von Kastilien versuchte vergeblich die Stadt zu erobern und 1410 forderte der Infant Don Fernando sein Glück heraus und begann mit einer fünf Monate langen Belagerung. Schließlich zahlte sich seine Geduld aus: am 16. September 1410 öffnete die muslimische Bevölkerung dem christlichen Prinzen die Stadttore.

Antequera [zoom]
Antequera [zoom]

Plaza de San Sebastián [zoom]
Plaza de San Sebastián [zoom]

Deshalb hat Antequera am 16. September 2010 den 600. Jahrestag seiner Eingliederung ins Königreich Kastilien gefeiert. Der Legende nach soll dabei himmlischer Beistand im Spiel gewesen sein. Der Prinz sprach am Morgen der Eroberung den feierlichen Satz "Möge die Sonne für uns über Antequera aufgehen und dann geschehe, was immer Gott will." Damit wiederholte er die Worte, die ihm in der Nacht zuvor eine im Traum erschienene leuchtendweiße Frauengestalt aus einem Strahlenkranz heraus verkündet hatte.

Nachdem der Prinz Don Fernando in die arabische Burg eingezogen war, überreichte man ihm ein Kästchen mit Namen von christlichen Heiligen des Monats September – mit dem Ziel, einen Schutzpatron für die neu eroberte Stadt zu proklamieren. In einer Art von sakralem Lotteriespiel zog der Infant dann mit verbundenen Augen ein Namensschild aus dem Kästchen. Und die Gewinnerin war: Santa Eufemia!

Paso der Santa Eufemia [zoom]
Santa Eufemia [zoom]

Befestigungsmauer der Alcazaba [zoom]
Stadtmauer [zoom]

So kam die heilige Eufemia (289-304), eine Märtyrerin aus Kleinasien, die während der Christenverfolgung in der Epoche Kaiser Diokletians in der Arena von Löwen zerfetzt wurde, zu der Ehre, fortan als Schutzpatronin von Antequera verehrt zu werden. Deshalb spielte sie natürlich auch eine Hauptrolle bei den Festivitäten zur 600-Jahr Feier der kastilischen Eroberung. Unter ihrem Banner organisierte die Bruderschaft der heiligen Eufemia die festliche Prozession am 16. September 2010. Dabei wurde die schöne Statue der Eufemia im Stil von Málaga getragen, d.h. die wackeren Träger (Costaleros) waren nicht unter der Altarbühne versteckt, sondern transportierten sie mit Hilfe von langen Tragebalken. Die Prozession verlief von der Kirche San Sebastián zurück zu ihrer Heimatkirche, durch festlich geschmückte Gassen und begleitet von der halben Stadt und leidenschaftlich trompetenden Musikern.

Trompeten für Santa Eufemia [zoom]
Paso der Santa Eufemia [zoom]

Geschmückte Gassen [zoom]
Wappenträger [zoom]

Dazu gab es eine Reihe von Veranstaltungen: Konzerte, einen Mittelalter-Markt, Austellungen etc. – und ein sehr angenehmes Merkmal dieser Festwoche im September 2010 war, dass sie nicht unter dem revanchistischen Motto "Reconquista" stand, sondern dass man die Sprachregelung "Integración" (Eingliederung ins spanische Reich) wählte. Damit wurde der multikulturelle Aspekt betont, in dem das islamische Erbe seinen Platz neben christlich-barockem Prunk haben soll, wie fast überall in Andalusien. In den Jahrzehnten nach dieser "Eingliederung" mag vorübergehend der Triumph-Gedanke überwogen haben: so baute man z.B. 1585 den monumentalen "Arco de los Gigantes" als architektonisches Siegessymbol direkt vor die islamische Alcazaba. Heute schreitet man durch diesen Torbogen zur Hauptkirche Santa María la Mayor.

Alcazaba [zoom]
Alcazaba [zoom]

Arco de los Gigantes [zoom]
Iglesia de San Pedro [zoom]

Aber im 20. Jahrhundert wurde die Burgruine restauriert, ebenso wie andere islamische Bauelemente. Und so wurde am 16. September eben nicht "Santiago Matamoros" durch die Straßen des schönen Bergstädtchens getragen, sondern eine sanfte, engelshafte Frauengestalt: Antequera feierte sich selbst und Santa Eufemia. Und beide empfangen gern Besuch!

Text + Foto: Berthold Volberg


Quellen:

"El Angelote”- Periodico turistico de Antequera, Nr. 4 (2010)
"Comarca de Antequera – más cerca de tí" (Guía de profesionales 2010)

Sehenswertes:

Anfahrt mit dem Zug nach Antequera
Von Málaga (Fahrt dauert ca. 30 Minuten)
Von Sevilla (knapp 2 Stunden)
Von Madrid (mit dem AVE, 3 Stunden)

Monumente
Alcazaba von Antequera:
Öffnungszeiten: Di.-Fr. 10.30-14.00 und 16.00-18.00, Sa. + So. 11.30-14.00,
Eintritt Frei (Mo. geschlossen)

Dólmenes (Grabtempel)
Öffnungszeiten: Di.-Sa. 9.30-18.00, So. 9.30-14.30, Mo. geschlossen
Eintritt Frei

Museo Municipal
Öffnungszeiten: (z.Z. wg. Restaurierung geschlossen)

Ausflug in den Naturpark "El Torcal"
Ein Taxi (außer Leihwagen oder Fahrrad die einzige Möglichkeit) zur spektakulären Berglandschaft des Naturparks "El Torcal" (ca. 20 Kilometer gen Süden) kostet 40,- € und man startet am besten von der Stierkampfarena an der Puerta de Estepa aus.


Empfehlungen:

Hostal Colón
C. Infante Don Fernando 29-31, Tel. ++34-952840010
Sehr schönes altes Hotel in bester Lage mit einfachen, sehr preisgünstigen Zimmern und sehr freundlichem und hilfsbereitem Empfang.

Hostal + Restaurante Plaza San Sebastián
Plaza San Sebastián 4; Tel. ++34-952844239
Email: informacion@hotelplazasansebastian.com
www.hotelplazasansebastian.com

Restaurante La Giralda
C. Mesones 8-10, Tel ++34-952845860
Email: lagiralda@conexanet.com
www.conexanet.com/lagiralda
Geöffnet 12 Uhr-16 Uhr und 20 Uhr-23.30 Uhr, montags geschlossen
Schönes Restaurant mit sehr netter Bedienung
Spezialitäten: Lammfleisch, rotes Fleisch vom Grill und Wild; Crepes und "Delicatessens" (köstliche kleine Überraschungen); gute Weinkarte

Restaurant la Giralda
Hostal Colon

Meson Juan Manuel
C. San Agustin 1, Tel. ++34- 952843484,
geöffnet 13 Uhr-17 Uhr und 20 Uhr-24 Uhr,
Rustikales Ambiente, mittags ein leckeres und großzügiges Tagesmenü,
Spezialiäten: Geflügel, "Porra Antequerana" (die hiesige Version des "Salmorejo", eine Art cremiges "de luxe Gazpacho"), Fleisch vom Grill

El Angelote
C. Encarnación"/ Ecke "Coso Viejo", Tel. ++34-952703465
Edles Restaurant der gehobenen Preisklasse, untergebracht in altem Palast,
breit gefächerte Spezialitätenangebot und Weinkarte

Cafetería La Mandrágora
Plaza Las Descalzas 1, Tel. ++34-952845743
Email: elpadrinodemenga@hotmail.com
Eine Tapas-Bar / Cafetería für vorwiegend junges, teils alternatives Publikum, mit leckeren + sehr preisgünstigen Tapas + Kuchen + Crepes und mit sehr geschmackvoller Musik-Berieselung (Flamenco, Jazz, Blues).

[druckversion ed 12/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Ekuador: Im Wechselbad der Klimazonen
 
"In Ecuador findet man sämtliche Klimazonen auf engstem Raum" heißt es in dem Reiseführer, den ich vor meiner Abreise aus Deutschland gelesen habe. Nachdem ich in Quito gelandet war und nach zwei Wochen genug hatte vom Moloch der ecuadorianischen Hauptstadt, entschied ich mich, diese Behauptung auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.

Zunächst verschlug es mich ins bergige Hochland im Norden Ecuadors. Die Landschaft um Otavalo glich in vielerlei Hinsicht der rund um Quito: Zerklüftete Felslandschaften, steile grüne Hänge, hohe Vulkane und vom harschen Bergklima gezeichnete Hütten wohin das Auge reicht. Auf der Suche nach neuen landschaftlichen Eindrücken stieg ich schließlich in einen Bus und fuhr gen Westen. Eine dreistündige, holprige und kurvenreiche Fahrt, die ich stehend in einem zu niedrigen und überfüllten Bus verbringen musste, brachte mich in eine andere Klimazone.

Weitläufige, von dichter Vegetation bewachsene Bergkämme zerpflügten die Gegend, in den Tälern flossen zu stattlichen Flüssen angewachsene Gebirgsbäche. Was der Beschreibung nach ans Auenland erinnert, war in Wahrheit die abgelegene Intag-Region. Auf 1.400 Meter Höhe befand ich mich laut Reiseführer im subtropischen Nebelwald. Als ich mich vom Busfahrer vor einem verlassenen Hostal abseits jeglicher Siedlung absetzen ließ, überfiel mich vor allem das Gefühl am verschlafensten Ort der Welt zu sein.

Am nächsten Tag zog es mich zu den Thermalbädern von Nangulvi, die sich jedoch als mittelgroße Enttäuschung entpuppten. Ich hatte irgendwie mehr erwartet als ein paar schmutzige Schwimmbecken mit warmem Wasser. Zudem hatte ich auch noch Pech mit meinem Hostal: schmutziges Zimmer, bewohnt von Ameisen, mit bedenklich brummendem Flackerlicht und hauchdünnen Wänden. So verbrachte ich einen einsamen Tag und fühlte mich von den Einheimischen angestarrt und als Fremder nicht unbedingt willkommen. Aber das warme Klima war angenehm, auch wenn nachts ein harter Regenschauer auf das Dach meiner Unterkunft prasselte.

Ich blieb nur eine Nacht in der Nähe von Apuela, machte am Morgen vor meiner Weiterreise jedoch noch eine Wanderung aus dem Tal hinauf auf einen der Bergkämme. Ich suchte ein paar Ruinen aus präkolumbischer Zeit, die ich jedoch nicht fand. Stattdessen begegnete ich auf einem schmalen Feldweg am Hang des Berges zwei jungen Kälbern – dicht gefolgt von einem wütend drein blickenden Bullen mit riesigen Hörnern. Mein Herz schlug mir bis zum Hals als ich mich vorsichtig an der kleinen Rinderfamilie vorbei schob um meine Suche nach den Ruinen fortzusetzen.

Mein Irrweg hatte aber auch etwas Gutes. Ich erhaschte faszinierende Einblicke in das Leben zwischen Bananenplantagen, Wasserfällen und schnell vorüber ziehenden Nebelschwaden. Die Menschen in Intag scheinen ihrem Tagesgeschäft mit außerordentlicher Gemütlichkeit nachzugehen. Auch in anderer Hinsicht ist Intag eine Region mit Vorbildcharakter. Die Bewohner haben sich politisch organisiert, unter anderem um die sie umgebende Natur im Kampf gegen skrupellose Minenfirmen zu schützen. Hinzu kommt die einst von Entwicklungshelfern gestartete Intag-Zeitung, die über das Leben der indigenen Bevölkerung und kommunale Geschichten berichtet – ein Teil der Zeitung erscheint in der Indigenensprache Quechua.

Als ich zur Bushaltestelle schlenderte, hatte ich irgendwie das Gefühl, die Gegend an einem schlechten Tag erlebt zu haben.

Auf dem Weg zum Bus nach Otavalo erlebte ich dann jedoch einen elementaren Bestandteil der hiesigen Kultur: Niemand kann einem eine verlässliche Auskunft geben. Um den Bus zurück in die Zivilisation zu bekommen, musste ich mehrfach die Haltestelle wechseln, sprinten, schwitzen, und schließlich feststellen, dass der Bus genau da abfuhr, von wo aus ich gestartet war.

Nachdem man mir in Otavalo meine Regenjacke aus einem Internetcafé geklaut hatte und ich mir daraufhin in Quito eine neue kaufen musste, verbrachte ich eine Nacht in der Backpacker´s Inn ("Che Guevara hängt im Treppenhaus"). Am nächsten Morgen brach ich dann Richtung Regenwald auf.

Am Abend kam ich im kleinen Dschungel-Dorf Misahualli an, das etwa eine Stunde östlich der Provinzhauptstadt Tena und fünf Busstunden südöstlich von Quito liegt. Die Straße dorthin ging ständig bergab, aus der Ebene zwischen den Vulkanen hinab ins Amazonas-Becken. An manchem Punkt konnte man geradezu spüren, dass dort, in Richtung Tal, keine Berge mehr kommen und dass keine Erhebung den Blick gen Atlantik auffangen würde – auch wenn man es wegen dichter Wolken leider nicht sehen konnte.

Misahualli zeigte sich mild. Auf dem Plaza de Armas vor meinem Hostal erinnerte eine Schar wild herumturnender Affen daran, dass man sich in den Tropen befand. Diese Affen machten jeden Gang über den von Brunnen und Palmen gezierten Dorfplatz zu einem kleinen Abenteuer – vollkommen hemmungslos sprangen sie Touristen und Einheimische an, nur um ihnen Taschen, Halsketten oder Feuerzeuge zu entreißen, die sie dann auf irgendein Dach schleppten um damit zu spielen.

Rund um den Dorfplatz wurde daher Hostal-Gästen eindringlich geraten, ihre Fenster zu jeder Tages- und Nachtzeit zu schließen.

Auf der Suche nach Abendessen fand ich schließlich meinen Weg ins Hostal Shaw, das der einzig belebte Flecken an diesem Abend zu sein schien. Ansonsten kam mir das Dorf eher verlassen vor und so hatte ich mich gedanklich schon auf ein schnelles Mahl und einen Abend unter der Leselampe eingerichtet. Doch kaum hatte ich das Restaurant betreten, fand ich mich von einer Gruppe kanadischer Volontäre umzingelt, die mich kurzerhand zu einer Feier in einem indigenen Dorf flussabwärts einluden. Hier hatten sie zwei Wochen lang sanitäre Anlagen und Dschungelpfade errichtet und wollten nun ihren Abschied feiern. So kam es, dass ich wenig später in einem Motor-Kanu über den Rio Misahualli schoss, mit tropischer Priese im Gesicht und Bier in der Hand, umgeben von gut gelaunten jungen Leuten und der nächtlichen Symphonie eines Amzonas-Zubringers.

Der Abend war dann auch so lustig, dass mich die Kanadier am nächsten Tag mit zum Rafting auf einen in der Nähe befindlichen Fluss schleppten.

Hier kämpften wir unseren Weg durch Stromschnellen, kenterten mehrere Male und machten intensive Bekanntschaft mit dem Nass des Tropenflusses, der belebte, durchströmte und begeisterte. Durch Stromschnellen geschwemmt zu werden, die einen ohne Schwimmweste sicherlich umgebracht hätten, war der ultimative Kontakt mit der Natur und bescherte mir ein einmaliges Freiheitsgefühl.

Die Kanadier reisten noch am selben Abend ab. Am nächsten Morgen erkundete ich eigenständig die Umgebung und bestritt den etwas mühsamen Weg (Fußmarsch, Bus, der sich mehr als verspätete, Kanu) zu der Tier-Station AmaZOOnico, in der aus dem illegalen Handel gerettete Tiere aufgefangen werden um sie anschließend wieder auszuwildern.

Bei dieser Gelegenheit sah ich Affen, Papageien mit absurden Farbkombinationen (blaue Schnäbel, gelbe Augen, rot-schwarze Federn), eine Anaconda und sich paarende Schildkröten. Gegen Abend machten mir dann aber die 40 Moskitostiche an meinen Beinen zu schaffen, die ich mir am Vortrag zugezogen hatte. Außerdem wurde das Dorf von einem Tropenschauer heimgesucht, der in den Nachtstunden unvorstellbare Regenmassen auf die Erde niederprasseln ließ. Dem war das Dach meines 7$-Zimmers leider nicht gewachsen. Kurz nachdem ich eingeschlafen war, wurde ich von Wassertropfen geweckt, die in reger Anzahl auf mein Bett fielen und meine Matratze durchweichten.

So lag ich in der Dunkelheit in einer Pfütze und lauschte dem Kreischen der Affen, das immer mal wieder vom Plaza de Armas zu mir hinüber drang, innerhalb weniger Sekunden aber vom nächsten Regenschwall übertönt wurde. Bevor ich in einen unruhigen Schlaf fiel, kreisten meine Gedanken. Ja, ich hatte innerhalb der letzten Woche drei Klimazonen gesehen: Hochland, Nebelwald, Tropen. Was aber in Erinnerung bleiben würde, waren die Erlebnisse dazwischen, die Höhen und Tiefen des Reisens, die Begegnungen. Und die Nostalgie, die man nach Wochen wie dieser schon kommen sieht, lange bevor sie eine Chance hat, im Rückblick real zu werden.

Text + Fotos: Robert Gast

[druckversion ed 12/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: ekuador]





[art_3] Spanien: El Salvador in Sevilla erstrahlt in neuem Glanz
 
Nach fast sieben Jahren dringend notwendiger Restaurierungsarbeiten konnte die wichtigste Barockkirche Sevillas Ende 2008 wieder ihre Pforten öffnen. Mehr als fünf Jahre waren ihre Schätze aufgrund der Schließung nicht zugänglich. Nun hat man beschlossen, die goldglänzende Pracht der Kirche El Salvador (für einen Obulus von 3 € Eintritt) allen interessierten Besuchern ganztägig zugänglich zu machen.

Dabei kann man nicht nur die Kirche selbst besichtigen, sondern auch ein kleines, neu eingerichtetes Museum und zwei Sakristei-Säle mit Kunstschätzen.

Nur wenige Meter von den Touristenströmen entfernt, die sich durch die lebhafte und von Souvenirläden geprägte Calle Sierpes schieben, von der Kathedrale kommend oder zu ihr hin strebend, liegt diese Kirche, an der viele Besucher Sevillas achtlos vorbeilaufen, sei es aufgrund eines zu gedrängten Besichtigungsprogramms oder der Fülle an Monumenten, die Sevilla zu bieten hat.

Dabei entgeht ihnen die Plaza del Salvador, einer der schönsten Plätze der Stadt. Hier schlägt das heimliche Herz Sevillas und hier erhebt sich die majestätische Erlöserkirche (Iglesia del Salvador). Es ist nun gleichgültig, ob man noch von der repräsentativen Monumentalität der Kathedrale oder des soeben durchschrittenen Rathausplatzes beeindruckt ist, oder ob man aus einer der während der Sommerhitze mit weißen Segeltüchern ("toldos") überspannten engen Nebengassen, durch die man wie durch eine Zeltstadt wandelt, den Weg zum Salvador-Platz gefunden hat. Man wird sich dem urtümlichen Zauber dieser barocken und von Orangenbäumen gesäumten Plaza kaum entziehen können. Eingerahmt wird sie von zwei Barockkirchen: vom Sakralbau des Hospital de San Juan de Dios mit plateresker Fassade und später angefügten Doppeltürmen und von der schlichten, aber ungleich mächtigeren Vorderfront von El Salvador.

Die Treppe, die zum Kirchenportal emporführt, wird passenderweise flankiert von der Statue des "spanischen Michelangelo", Juan Martínez Montañés (1568 - 1649). In der Kirche befindet sich eines seiner berühmtesten Werke, die Figur des "Jesús de la Pasión" (1615).

Von außen wirkt der gewaltige Kirchenbau beinahe schmucklos mit seiner einfachen, ziegeldominierten Fassade. Man sucht zunächst vergeblich einen Glockenturm oder eine espadaña. Später wird man den abseits stehenden Turm - wie so oft in Sevilla ein ehemaliges Minarett - entdecken.

Die Erlöserkirche bildet einen der in der andalusischen Metropole so häufig anzutreffenden heterogenen Gebäudekomplexe, die Architekturelemente verschiedener Epochen und Religionen harmonisch in sich vereinigen. Die ältesten Bauteile sind der Innenhof der ehemaligen Ibn Adabbas - Moschee aus dem 9. Jahrhundert (wo teilweise noch westgotische Arkaden erhalten sind) und das Minarett dieser ältesten Hauptmoschee Sevillas. Dieses steht abseits, an einem der Eingänge zum Innenhof und wird in der engen Calle Córdoba leicht übersehen. Wie alle in der Stadt erhaltenen Moscheetürme erhielt es in der Renaissance einen Glockenturmaufsatz.

Auf der linken Seite des Innenhofs steht die Capilla del Cristo de los Desamparados, ein winziges Kirchlein, das im Stil des portugiesischen Rokoko ganz mit Azulejos verkleidet ist und im Schatten der größten Kirche Sevillas fast verschwindet. Man nennt El Salvador wegen seiner Größe auch "segunda catedral". In der Tat handelte es sich wohl um das ambitionierteste sakrale Gebäude, das nach der Kathedrale in Sevilla errichtet wurde, noch dazu an der Stelle, wo sich schon die römische Kurie von Hispalis und die erste Hauptmoschee von Ischbilia befunden hatte. Wenn man die Kirche besichtigt und sich dabei die Daten ihrer Entstehungszeit vor Augen führt, möchte man zunächst glauben, daß der Architekt Leonardo de Figueroa, der 1699 die schon begonnenen Bauarbeiten übernahm und 1712 vollendete, sich "im Jahrhundert geirrt" hätte.

Denn obwohl diese große Basilika erst gegen Anfang des 18. Jh. begonnen wurde und die Ausgestaltung des Innenraums sich noch bis 1779 hinzog, präsentiert sie sich in einem wuchtigen Frühbarock mit archaisierenden Renaissance-Merkmalen. Dies wirkt auf den ersten Blick überraschend.

Denn gegen Ende des 17. Jh. war Sevilla nach dem Wirtschaftsboom des 16. Jh., in dem der Edelmetallstrom aus den amerikanischen Vizekönigreichen nie zu versiegen schien, und nach einer Kulturblüte, deren Höhepunkt nun (nach dem Tod von Murillo, Roldán und Valdés Leal) eindeutig überschritten war, wie in einen Abgrund gestürzt. Die große Pestepidemie von 1649, durch welche die Bevölkerung der Stadt halbiert worden war, hatte die glanzvollen Kulissen Sevillas mit geradezu apokalyptischen Szenarien erfüllt. Sie gehörte längst nicht mehr zu den reichsten Handelsmetropolen Europas, zuviel Silber und Gold waren leichtfertig nach Flandern und Norditalien geflossen. In Sevilla hatte man die gewaltigen Mengen von Edelmetall nicht so gewinnbringend investiert, wie es an den Börsen von Antwerpen und Genua geschah, sondern man hatte es vorgezogen, damit riesige Hochaltäre großzügig zu vergolden und Madonnen mit Goldkronen zu schmücken...

Es stellt sich aber nun die Frage, wieso man die Kirche El Salvador, die ja an so exponierter Stelle auf den Fundamenten der ehemaligen Hauptmoschee entstand, in diesem so "altmodischen" Barock erbaute, der sich - bei aller Sevillaner Eigenart - am basilikalen Modell der ersten Barockkirche, Il Gesu in Rom orientierte (und nicht an modischen kuppeldominierten Zentralbauten). Nun, ein Prinzip dieser Bauweise war der Trotz.

Denn diese Kirche sollte mit ihren retardierenden Formen eine demonstrative Rückkehr zur Epoche der größten Blüte, der spektakulärsten Triumphe Sevillas sein. Diese sollten gleichsam festgehalten, ein Stillstand der Zeit suggeriert werden. Die Absicht der Erbauer äußert sich deutlich in den gewaltigen vergoldeten Hochaltären von El Salvador.

Während der Kirchenbau selbst 1712 weitgehend abgeschlossen war, wurden zwei der drei höchsten Retabel (insgesamt hat El Salvador 11 Hochaltäre) erst 1779 von Cayetano de Acosta vollendet: der Retablo Mayor und der Retablo del Sagrario.

Ein Jahr nach der Vollendung dieses monumentalen Werks stirbt der definitiv letzte Meister des Sevillaner Barocks. Aber auch heute zieht der zentrale Hochaltar mit seiner Höhe von 22 Metern (nicht nur durch seine Größe) jeden, der die Kirche betritt, in seinen Bann. Er wirkt auch unmittelbarer auf den Betrachter als der Retabel der Kathedrale von Sevilla, der stets fern, abgetrennt hinter dem hohen Gitter leuchtet. Wenn jedoch in El Salvador der riesige Hauptaltar angestrahlt wird, scheint er sein Licht bis in den dunkelsten Winkel zu schleudern und es fällt schwer, das Auge wieder abzuwenden.

Man kann hier anmerken, dass wohl nur ein gläubiger Mensch, der noch dazu ein Liebhaber hochbarocker Kunst ist, für seine geheimnisvolle Wirkung zugänglich ist. Dieser Zauber liegt jedoch nicht in seiner Größe oder im Gold verborgen, sondern in seinem Programm.

Während nur eine Dekade vor der Französischen Revolution im übrigen Europa entweder aufklärerischer Atheismus und dekorlos-kalter Neoklassizismus oder aber sinnentleert dekadente Rokokokunst zu den herrschenden Modeströmungen wurden, wurde hier in Sevilla, im Retablo Mayor von El Salvador zum letzten Mal versucht, eine harmonische (und trotz reicher Dekoration wohlgeordnete) Ganzheits-Sicht der Welt (Gottes) zu vermitteln.

Natürlich gibt es in der christlichen Ikonographie viele Darstellungen der Trinität, aber kaum eine derart dramatische Vision wie man sie hier vorfindet: auf einem Sockel aus rotem Marmor ruhend und flankiert von zwei anderen Hochaltären im churrigeresken Stil, ragt dieses Glaubensbekenntnis aus vergoldetem Zedernholz empor, wie mit einem Diadem gekrönt durch einen Kranz tiefblauer Mosaikfenster. Sie durchbrechen den düsteren Stein der Kuppel wie eine ferne, aber nicht anzuzweifelnde Verheißung des Himmels, der je nach Tageszeit sein Licht auf den Altar wirft.

Und inmitten dieser goldstrahlenden Steilwand, flankiert von kannelierten korinthischen Säulen, posiert der Erlöser eingerahmt von einer riesigen Muschel - Symbol des Lebens und der ewigen Wiedergeburt - und hebt segnend, aber auch triumphierend den rechten Arm zum Zeichen des Sieges.

Über ihm schwebt eine riesige Krone und weiter oben thront Gottvater im Strahlenkranz, bekrönt wiederum von der Taube des Heiligen Geistes.

Wir stehen hier also nicht nur vor dem letzten großen Barockretabel Sevillas, sondern ebenso vor einem fast beschwörenden künstlerischen Kraftakt der Gegenreformation, die durch ein trotziges Aufbäumen gegen die damaligen Zeitströmungen in den machtvollen Säulen und Figurengruppen dieses Altars noch einmal ihr barockes Welttheater nach göttlicher Ordnung vorzuführen scheint. Gleichzeitig manifestiert sich in der Erlöserkirche jedoch auch der stolze Willensakt ihrer Stifter, der Patrizierfamilien Sevillas, in jener Zeit tiefer Krisen und wirtschaftlichen und kulturellen Niedergangs durch die Altarwand von Cayetano Acosta nicht nur Christus, sondern auch die glanzvollste Epoche ihrer Stadt auferstehen zu lassen. Mit dem goldenen Licht, das von diesem Retabel herabschimmert, sollten die dunklen Schreckgespenster der Angst und des Zweifels, welche die goldene Stadt heimsuchten, verdrängt werden: ausländisches "Ketzertum", Naturkatastrophen wie das Allerheiligen-Erdbeben von Lissabon 1755, der wirtschaftliche Zusammenbruch nach dem Verlust des Überseehandels-Monopols an Cádiz (1717).

Es handelte sich aber auch um einen finanziellen Kraftakt des Sevillaner Bürgertums. Allein für den zentralen Hochaltar gab man die immense (in heutigem Euro-Kurs mindestens mal zehn zu rechnende) Geldsumme von 1.277.390 Reales aus. Die Zeit, als Sevilla die Drehscheibe des "Indienhandels" und das "spanische Rom", die schillernde Kulturmetropole des Westens war, sollte beschworen werden und in Bildern und Skulpturen wieder auferstehen - wie noch heute jedes Jahr zur Semana Santa.

Deshalb wurde El Salvador in diesem feierlich frühbarocken Stil erbaut. Die Erbauer sind in ihrer Absicht, die Zeit zurückzudrehen, gescheitert. Die Zyniker mögen nun behaupten, dass dieser Kirchenbau ein "Monument der Vergeblichkeit" darstellt. Doch ist dieser barocke Tempel nicht eher der architektonische Schwanengesang einer in Stolz dahinscheidenden Epoche? Jedenfalls steht man heute staunend vor diesem zerklüfteten Goldgebirge.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Eintritt: 3 €
Öffnungszeiten: Montag - Samstag: 11.30 Uhr - 18.30 Uhr; Sonntags: 15.00 Uhr - 19.30 Uhr
Die Messen finden jeweils im Anschluss statt

[druckversion ed 12/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_4] Spanien: Gute Laune T-Shirts

Ihre Karriere begann als Arbeitskleidung, als einfacher Massenartikel aus Baumwolle. Aber in den 70er Jahren erfolgte ihr Aufstieg zu Modeartikel und Kultobjekt: T-Shirts. Auf T-Shirts wurden plötzlich politische Botschaften verbreitet, Protest-Slogans oder auch Werbung präsentiert und sogar Liebesbotschaften demonstriert.

Nun präsentiert uns Rocío Gómez Domínguez eine neue Variante: individuelle "Persönlichkeits-T-Shirts". Jedes ein Einzelstück, sind sie ein wunderbares Symbol gegen die Textil-Globalisierung, gegen die Invasion eines Einheits-Looks in unseren Kleiderschränken. Grund genug, der aufstrebenden Designerin aus Sevilla ein paar Fragen zu stellen.


Was war Dein Ausgangspunkt, wann kam Dir die Idee, solche T-Shirts zu entwerfen?
Ich habe Kunst und Graphikdesign studiert und war immer schon fasziniert davon, mit neuen Möglichkeiten und Materialien zu experimentieren. Es begann alles mit dem Wunsch, ein paar Kindern von Freunden ein ganz besonderes Geschenk zu machen. Weil meine T-Shirts so große Begeisterung auslösten, folgten immer mehr "Bestellungen", ohne dass ich dabei sofort an eine neue Geschäftsidee dachte. Erst als ich einige Fotos mit meinen "Baumwoll-Kunstwerken" auf Facebook postierte, begann dieses Abenteuer, die Lawine kam ins Rollen und  ich war plötzlich T-Shirt-Designerin...
Was glaubst Du - warum hast Du damit so großen Erfolg?Ich glaube meine T-Shirts sind lustig und originell. Wir leben in einer globalisierten Welt, man kann an so verschiedenen Orten immer die gleichen Sachen kaufen, deshalb sehnen wir uns vielleicht nach etwas, das herausragt aus der Flut globaler Markenartikel, nach etwas, das uns als Individuum präsentiert und unsere persönlichen Eigenschaften betont. Jeder kann bei mir seine ganz eigene T-Shirt-Idee bestellen, Motive und Farben nach seinem Geschmack vorschlagen. Deshalb sind meine Kreationen ganz besondere Geschenke, die man so in keinem Laden findet, sie sind nach individuellen Wünschen gestaltet und auf die Person zugeschnitten.



Was sind Deine Inspirationsquellen?
Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ich denke, es ist eine Mischung aus vielen Elementen. Zeichentrickfilme haben mich oft inspiriert, aber auch viele Details, die man im Internet, auf der Straße oder in Schaufenstern entdecken kann...unwillkürlich wird man durch all diese Eindrücke beeinflusst. Aber ich lege Wert darauf, nichts zu kopieren, sondern gesammelte Impressionen zu einem eigenen Werk zu verarbeiten. Und meine wichtigste Inspiration sind meine Kinder - ich beobachte sie beim Spielen, achte darauf, was sie am meisten begeistert,  und lausche ihren Phantasien. Da ich vor allem T-Shirts für Kinder entwerfe,  müssen sie besonders den Kindern selbst gefallen (nicht nur ihren Eltern, die sie kaufen und verschenken). Außerdem sind Kinder immer die ehrlichsten Kritiker!

Hast du Lieblingsfarben für Deine T-Shirts?
Alle! Ich bin Andalusierin, ich liebe Farben! 

Welcher T-Shirt-Typ verkauft sich am besten?
Mit großem Abstand solche mit einem gezeichneten Motiv, auch solche mit Filz-Aufnähern oder anderen Applikationen sind sehr beliebt. Oft gewünscht werden Motive, die den Namen eines Kindes illustrieren - wie z.B. "Trajano" (Name eines römischen Kaisers aus Sevilla) - also wird Trajano mit einem lustigen Comic-Kaiser symbolisiert. Ich mache auch T-Shirts für Erwachsene, dabei hat bisher das "Torero aus Triana"-Motiv das größte Echo hervor gerufen.

Welche Zeichnung würdest du als Deine gelungenste Kreation bezeichnen?
Mir persönlich gefällt das Motiv "schöne Helena (von Troja)" sehr gut. Der "kleine Pilot" hat besonders viele Fans gefunden, man hat bei mir sogar ein Wandbild mit diesem Motiv in Auftrag gegeben. Aber ich denke, diese Frage können andere besser beurteilen...



Wie reagieren Deine Kinder auf Deine Kreationen?
(Sie lacht laut). Mein Sohn Pablo (4 Jahre) möchte am liebsten alle für sich behalten. Im Moment ist er ganz glücklich mit seinem Piraten-Shirt, das ich für ihn entworfen habe, denn er ist absoluter Piraten-Fan. Aber er versteht noch nicht ganz, dass die T-Shirt-Zeichnungen Mamas Arbeit sind und wir Geschenkbestellungen nicht einfach behalten können. Ganz oft will er mir beim Zeichnen helfen, also haben wir schon ein paar Stück "zusammen" gemalt und für ihn ist das ein Riesenvergnügen. Wer weiß - vielleicht ist es ja seine "Berufung"?

Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen Zeichnungen auf Papier und auf Stoff, was muss man besonders beachten?
Nun, Papier ist fester und glatter, es absorbiert weniger Farbe als Baumwolle (ich benutze ausschließlich Baumwolle für meine T-Shirts). Die Baumwoll-Shirts sollte man immer zuerst waschen und dann bügeln, damit die Oberfläche glatter wird und die Farbe nicht so leicht zerläuft. Dann brauche ich eine feste, undurchlässige Unterlage, um den Stoff glatt zu ziehen und zu fixieren. Geduld ist dabei wichtig. Ich zeichne am besten in Zeitlupe...




Welche Tipps kannst du geben für die Pflege - damit Deine T-Shirts lange Freude machen?
Man kann sie bei 40° in der Waschmaschine waschen, aber möglichst mit Feinwaschmittel und im Schongang, nicht zu heftig schleudern und nicht in den Trockner. Wichtig ist, sie stets auf der Innenseite zu bügeln. Bisher sind mir noch keine Klagen gekommen...

Viel Glück und weiterhin farbenfrohe Inspirationen wünscht Dir El Caimán!
Ilustradero camisetas + Fotos: Rocio Gómez Dominguez
Übersetzung: Berthold Volberg


Blog: http://rocio.ilustradero.com/
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Y un perfil "ilustradero hecho a mano": http://www.facebook.com/ilustradero.hechoamano

[druckversion ed 12/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_5] Mexiko: Las cascadas de Huaxtla
Versehentlich unterwegs in den Vororten von Guadalajara
 
Das Thermometer zeigt weit über 30°C an. Im Oktober in Guadalajara, Mexiko nichts Außergewöhnliches. Die Uni fällt aus. Das passt meiner Freundin Teresa und mir sehr gut, denn wir wollten schon lange mal irgendwo schwimmen gehen. Dass wir die Einzigen sind, die in der staubigen Großstadthitze fast eingehen, können wir nicht glauben. Dennoch haben weder die nette Frau von der Touristeninformation, noch Freunde Informationen über öffentliche Freibäder. Auch im Internet finden wir nichts. Nur mein Mitbewohner Roberto meint, er könne sich an die Wasserfälle von Huaxtla erinnern, einem natürlichen Badeparadies am Stadtrand. "Las cascadas de Huaxtla" schreibt er auf ein Zettelchen.

Mit Handtuch und Schwimmsachen stehen wir kurz darauf am alten Busbahnhof. Von dort fahren die Busse in die nahe Umgebung ab. Wir fragen nach Huaxtla und werden mit großen Augen angesehen. Von Stand zu Stand werden wir geschickt, die anderen werden es schon wissen. Nach einer Weile meint eine wartende Passagierin sich zu erinnern, dass sie auf ihrem Heimweg an Huaxtla vorbeikommt. Als wir endlich den Fahrer finden können, bestätigt er das. Ja, er könne uns in der Nähe des Dorfes rauslassen, aber von da aus sei es noch eine Weile zu laufen bis zu den Wasserfällen. - Wir sind begeistert.

Im Bus ist es heiß, wir schlafen die ersten beiden Stunden unserer "knapp vierzig minütigen Fahrt" und wachen erst auf, als die Motorgeräusche ausbleiben. Wir sind in Tala, einer Kleinstadt etwa 50 Kilometer von Guadalajara entfernt. Alle steigen aus und verschwinden in verschiedene Richtungen. Nachdem der Bus vollgetankt ist, dürfen wir wieder einsteigen. Der Fahrer verspricht uns nochmals, Bescheid zu sagen, sobald wir aussteigen müssen.

Mitten im Nichts hält der Bus an einer Abzweigung.
"Geht hier die Straße entlang, dann gelangt ihr nach Huaxtla", sagt der Busfahrer.

"Okay" antworte ich zögerlich. Teresa und ich sehen einander an, sind nicht ganz sicher, ob er nur Witze macht. "Und wo finden wir denn bitte die Wasserfälle?"

Jetzt war es der Fahrer, der verwirrt drein guckte. "Wasserfälle? Hier? Nein davon habe ich noch nie gehört", lacht er und öffnet die Tür. Völlig verdattert steigen wir aus. Als der Bus eine lange Staubwolke hinter sich herziehend wegknattert, sehen wir uns um. Wasserfälle? Fehlanzeige. Fluss? Keiner. Wald? Genauso wenig. Dafür Gestrüpp und Maisfelder unter surrenden Stromleitungen.

Wir beschließen, uns auf den Weg ins Dorf zu machen, dort wird man uns bestimmt helfen können. Ein Polizeiwagen fährt vorbei, es hupt. "Chei, chow arr you?", brüllen die betrunkenen Polizisten, während die hinteren Mitfahrer pfeifen und Luftküsse werfen. Noch eine Staubwolke umweht uns und auch dieses Auto ist vorbei.

Nach einer halben Stunde Fußweg kommen wir im "Dorf" an. Dieses besteht aus einer Farm, einem Friseursalon und einer (leider) geschlossenen Bar. Wir treffen eine Frau, die auch noch nie von Wasserfällen gehört hat. Nachdem sie alle ihre Brüder und damit vermutlich den Rest der Einwohner des Dorfes gefragt hat, ist sie sicher, hier gibt es keine Wasserfälle.

Zurück an der Kreuzung erklärt uns ein Herr, er habe mal von Wasserfällen am Rand vom Stadtteil Zapopan gehört. Ab in den nächsten Bus und zurück nach Guadalajara. Am Stadtrand steigen wir auf der Autobahn aus, überqueren diese todesmutig und steigen auf der anderen Seite in den nächsten Bus. Bis hierhin konnten wir uns die konfuse Beschreibung merken. Die Dame, die unser Kleingeld im bis oben überfüllten Bus weitergibt, erklärt uns die nächsten zwei Male Umsteigen. Wieder vier Fahrspuren überquert, dann eine Brücke und weitere vier Spuren. Einige Stunden und noch mehr Bustickets später setzt uns der Fahrer des 380ers schon nach zwei Minuten Fahrt wieder an die frische (und mittlerweile kühle) Luft.

"Ich sollte euch doch Bescheid sagen, wenn wir bei den Wasserfällen angekommen sind!", rechtfertigt er sich und öffnet die Tür. Im Industriegebiet gelandet fragen wir in der Apotheke nach, die sich bei Betreten als Schnapsladen entpuppt.

"Die Cascadas de Huaxtla? Die gibt es doch gar nicht mehr!"

Teresa und ich sind trotz aller gesammelten Erfahrung überrascht: Wie können denn Wasserfälle verschwinden? Nur um sicher zu gehen, frage ich noch einmal nach und tatsächlich, ich habe mich nicht verhört.

"Nein, die haben keine Öffnungszeiten, die sind geschlossen, schon ein paar Jahre glaube ich. Da unten irgendwo vielleicht zehn Kilometer die Straße runter waren die, aber Busse fahren da ohnehin keine mehr. Wartet, ich zeig’s euch." Da er gerade keine Kunden hat, tippt Miguel Angel, der untersetzte Verkäufer des getarnten Schnapsladens, wie wild in seinem Handy herum. Er ruft bei zwei Leuten an und sucht sich durch diverse Homepages.

Dann haben wir es schwarz auf weiß: "Huaxtla cerrado al publico en general", lesen wir. Huaxtla für die Öffentlichkeit geschlossen. Viele Graffitis, Hausmüll, Hygienemüll und Glasscherben schmückten die traumhafte Erholungsstätte kurz vor seiner Schließung.


Als dann auch noch insgesamt neun Menschen beim Versuch, teils mit Drogen vollgepumpt von den Klippen ins Wasser zu springen, ums Leben kamen, war klar, dass dieser Ort geschlossen werden müsse. Eintrittsgelder wurden für die Cascadas de Huaxtla nie verlangt, so konnten weder Lebensretter noch Müllsammler beschäftigt werden.

So kann es laufen, wenn man ein Paradies den Menschen selbst überlässt. Mit eingestaubten Schwimmsachen und nur vom eigenen Schweiß gebadet haben wir bald unsere letzten Bustickets für den Heimweg erworben. Zurück zu Hause schreibe ich ein Zettelchen für Roberto: "¡Pinches cascadas que no existen! ¡Pero supiste que hay un pueblo que se llama Huaxtla?"

Text + Fotos: Annika Wachter


Ex-Ausflugstipp:
Las cascadas de Huaxtla: http://www.huaxtla.com.mx/



[druckversion ed 12/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: mexiko]

Die Autorin auf Tour – absolut lesens- und schauenswert!
Annika & Roberto sind mit dem Fahrrad nach Süd-Ost Asien unterwegs
Ihren Blog zum Trip "Tasting Travels – tasting the cultures of the world" findet ihr unter:
www.tastingtravels.com





[kol_1] Macht Laune: Ein Grüner Fleck auf der Stadtkarte
 
14 Millionen Einwohner, Verkehr, Hektik, Maradona: Dabei muss man nur mal ans andere Ende von Buenos Aires fahren, um all dem ganz fern zu sein.

Wer schon mal das Glück hatte, ein paar Tage in der Hauptstadt Argentiniens zu verweilen, der wird irgendwann auch mal genussvoll in sein Bett gefallen sein. Erschlagen von Eindrücken, von gutem Fleisch, von hübschen Frauen und vielleicht sogar etwas ermüdet vom viel zitierten Tango, den man vermeintlich an jeder Straßenecke spüren soll. Und so stellt sich die Frage, wo der gemeine Porteño denn überhaupt seine Ruhe finden soll. Zumindest jener, der innerhalb von Avenida General Paz und Riachuelo wohnt.


Okay werden da einige Kenner sagen. Ganz oben gibt es doch den Parque Norte, an dem auch die Ciudad Universitaria zu Hause ist. Viel Grün, doch leider auch die Einflugschneise des nationalen Flughafens Aeroparque. Weiter unten an der Küste gibt es dann noch die Plaza Holanda und nebenan an der Avenida Figueroa Alcorta, die Gustavo Cerati so hinreißend besingt, kann man mit der Liebsten schon mal einen kleinen Abstecher machen. Doch mit dieser Idee ist man dann nicht allein und so findet man sich auf engstem Raum mit Gleichverliebten wieder oder auch solchen, die es werden wollen oder vielleicht schon längst nicht mehr sind. Am Plaza San Martin gleich neben dem Retiro ist es mit der Ruhe auch nicht weit her. Man könnte also getrost das Handtuch werfen, wäre da nicht, ja wäre da nicht ein riesiger Park, der quasi vor der Haustüre auf seine Besucher wartet.

Ein Blick in eine handelsübliche Stadtkarte gibt Aufschluss. Denn auch hier sind die Parques in schlichtem Grün gehalten. Und ein besonders großes Grün ist direkt hinter dem modernen Puerto Madero eingezeichnet. Reserva Ecológica steht da. Besser bekannt als Reserva Ecológica Costanera Sur. Aber wer besucht das schon. Den berühmten, weil neu errichteten, Puerto Madero mit seinen teuren Geschäften, Restaurants, Büros - und nicht zu vergessen der Ablegestelle des Buquebus gen Uruguay - kennt jedes Kind. Den grünen Fleck dahinter kaum einer. Zu Unrecht, wie nicht nur die sportbegeisterten Jogger und Walker meinen mögen. Vor allem Vogelfreunde kommen hier auf ihre Kosten. Schließlich beheimatet der Park neben jeder Menge Gras und Bäumen auch die einzig wild lebenden Flamingos in der Stadt und sogar Fischreiher kann man regelmäßig beobachten. Wer Glück hat, sieht auch mal einen Papagei und wenn es im Gebüsch raschelt, dann kann das auch ein Biber gewesen sein.

Doch wem das herzlich egal ist, der fährt, ganz Buenos Aires unüblich, mit dem Rad zum, und später auch durch den Park. "Zum" deshalb, weil man unmittelbar an der Ecke Calabria und Padre Migone am kleinen Kiosko noch ein Choripan mitnehmen muss.



Eines der besten der Stadt, auch wenn man es auf den ersten Blick nicht glauben kann. Anschließend geht es dann weiter "durch" den Park ans Ufer des braunen Rio de la Platas, um sich die laue Luft um die Nase wehen zu lassen. Und tatsächlich: Hier kann man ganz hervorragend abschalten. Kein Verkehr, kein Lärm, die Stadt ist weiter weg denn je. Und obwohl man die Hochhäuser des Puerto Madero noch zwischen dem hohen Gras vereinzelt sehen kann, hört man lediglich das Rauschen des Meeres - oder eben nichts außer dem Wind, der durch die Natur weht.



Natürlich kann man auf das Rad auch verzichten. Vor allem Pärchen sieht man durch den Park wandern, Arm in Arm, Hand in Hand oder sie sitzen Wange an Wange auf den Bänken am Ufer. Intimität wird jedoch groß geschrieben - allerdings ganz natürlich. Touristen verirren sich hierher kaum und auch die Einheimischen kommen, wenn überhaupt, am Wochenende. So ist es perfekter Ort, um ein klein wenig dem Trubel des Tango, dem Mythos Maradonas und dem hektischen Großstadtleben zu entfliehen und trotzdem nicht auf die Möglichkeit verzichten zu müssen, diese anstrengenden wie faszinierenden Facetten binnen weniger Minuten wieder genießen zu können.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

[druckversion ed 12/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]





[kol_2] Grenzfall: Top Tipp geht baden
 
Hallo Reiseführer! Ich hab dich gegriffen am Flughafen. Ich hätte dich auch greifen können am Bahnhof. Geschicktes Marketing, gab so gut wie keine Alternative. Dabei wollte ich dich nicht. Nun aber hab ich dich und lerne dich zu lesen. Je mehr du anpreist, desto touristischer. Also gelernt: Insider Tipps meiden, sonst verhungern vorm Tresen.

Und doch hat uns der Reiseführer einen wunderschönen Nachmittag beschert: Unter der Rubrik Restaurants schlägt er das Atira-te ao rio vor. Allein der Name Stürz dich in den Fluss lässt uns den vorgeschlagenen Weg einschlagen: Mit der Fähre über den Tejo von Cais do Sobré nach Cacilhas, direkt nach Verlassen des Hafengebäudes rechts halten und der heruntergekommenen Uferpromenade in Richtung Ponte de 25 do abril bis zum Restaurant folgen.

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Der Weg ist spannend. Rechterhand führen betonierte Stege in gleichmäßigen Abständen ins Wasser. Jeder Steg ist von einem Angler belegt und von voluminösen Quallen umgeben. Die Häuserfront auf der Linken ist größtenteils zugemauert und im Zerfall begriffen. Es stellt sich unweigerlich die Frage, warum hier nicht schon längst Cafés und Bars entstanden sind, denn die Lage mit Blick auf Lissabons Zentrum und die beiden gewaltigen Brücken über den Tejo ist einzigartig. Nach gefühlten 10 Minuten Fußweg stoßen wir auf das Atira-te ao rio. Es liegt zur Mittagszeit dieses sonnig frischen Oktobertages noch im Schatten und die Geschäftigkeit ist erst im Aufwachen begriffen. Im Lokal daneben allerdings, dem Ponto Final, sind bereits Tische besetzt und die Sonne schickt sich an, die ersten Plätze und uns zu wärmen.

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Was folgt ist fischig fürstlich. Zwei Stunden später ziehen wir uns zurück, schaffen es aber nicht ganz vorbei am Reiseführer Geheimtipp und versacken für zwei, drei Getränke auf der Chill-out- Fleez-Fläche des Atira-te ao rio.

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Als wir uns spät am Nachmittag endlich loseisen von den beiden bezaubernden Restaurants und zurückschlendern vorbei an Stegen, Anglern und Quallen stoßen wir auf ein Schild, dass auf eine Ausstellung hinweist, inmitten der heruntergekommenen Häuserfront. Eine perfekte Location für einen Kunstraum. Die Leiterin verweist auf Nachfrage auf ihren anderen Raum und einige weitere Offspaces drüben in der Stadt. Und dann sagt sie, dass die Ausstellung, die wir gerade besucht hätten, die letzte an dieser Stelle gewesen sei, denn im November 2010 würden die Abrissarbeiten beginnen und dann würde an der Uferpromenade von Cacilhas Touristenbars, Cafés und Restaurants entstehen.

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Es ist jetzt Ende November, zwei Tage vor dem 1. Advent. Ich sitze im Zug von Dresden nach Berlin und es schneit und alles ist weiß und grau und finster und Lissabon liegt weit, weit weg. Wo hab ich eigentlich den Reiseführer? Unglaublich dieses Wetter, es lenkt ab und fordert komplette Aufmerksamkeit. Keine Chance, das Bild einer aufgemotzten Uferpromenade zu imaginieren. Ich schätze, ich muss da noch mal hin.

Text + Fotos: Dirk Klaiber

Infos:
Ponto Final
R. do Ginjal, N° 72, Cacilhas
pontofinalrest@gmail.com, Telfon: 212760743

Atira-te ao rio
http://atirateaorio.pt

[druckversion ed 12/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]





[kol_3] Lauschrausch: Maria del Mar Bonet / Litus / Diego Piñera

Maria del Mar Bonet
Bellver
Picap / galileo mc
Maria del Mar Bonet ist die bekannteste Liedermacherin der katalanischsprachigen Welt und steht seit 1966, als sie von Mallorca nach Barcelona zog und sich der Liedermachertruppe "Els Setze Jutges" anschloss, auf der Bühne. Zunächst nur von ihrer Gitarre begleitet, vergrößerte sich das Instrumentarium über die Jahre und gipfelte im Jahr 2007 in einem Projekt mit dem Symphonieorchester von Vallès, dessen Part, auf der vorliegenden CD eingespielt im Schloss Bellver in Palma, vom Symphonieorchester der Balearen "Ciutat de Palma" übernommen wird. Darum gebeten, aus ihrem Repertoire die "mediterransten" Titel herauszusuchen, machte sich Bonet, die schon oft die Musikkultur anderer Mittelmeeranrainerstaaten erkundet hat, an die Arbeit. Eigene Kompositionen, aber auch Lieder aus Griechenland, Italien, Katalonien und der Türkei wurden ausgewählt und neu arrangiert.

Das Album beginnt mit einem Stück des türkischen Komponisten Zülfü Livanelli, ins Katalanische übersetzt vom Valencianer Albert García, der insgesamt acht der 15 Titel mit Textadaptionen oder eigenem Text versehen hat, die im opulenten Booklet dreisprachig abgedruckt sind. Es folgt mit "A la platja" ein "Gassenhauer" von Mikis Theodorakis, der auch in Deutschland nicht unbekannt ist. Oft gehen Musik und Text aus verschiedenen Regionen/ Ländern eine Verbindung ein, wie in "Tots dos ens equivocàrem", wo türkische Musik auf einen Text aus Ibiza trifft; gesungen wird durchgängig auf Katalanisch. Die Texte sind sowohl traditionell als auch modern, wobei sie dann überwiegend von Umweltproblemen am Mittelmeer ("Desde Mallorca a L’Alguer") handeln bzw. den Schutz der kleinen Baleareninsel Sa Dragonera ("Les Illes") fordern.

Maria del Mar Bonet
Bellver
Picap / galileo mc

Ob mallorquinische Jota, neapolitanisches Lied oder griechischer Folksong, die symphonischen Arrangements passen sich wunderbar der Grundstimmung des Originals an, von fröhlich beschwingt in "Abril" bis tieftraurig im katalanischen Klassiker "La dama d’Arago". Als Mallorquinerin hat Bonet natürlich auch eine Hymne an ihre Insel mit ins Programm genommen, "La balanguera", mit einem Text des katalanischen Dichters Joan Alcover. Kein Album zum Nebenbeihören, auf diese Stücke muss man sich einlassen.


Litus
Maleta de pedres
Laura R. Perkins Records
In die Fußstapfen der großen katalanischen Liedermacher tritt Litus, der eigentlich Carles Ruiz Bosch heißt. Sein Folkpoprock klingt zwar weniger protestlerisch als die Lieder von Lluís Llach & Co., aber auch seine Texte sind oft politisch. Mit "Maleta de pedres" legt der 29jährige Sänger aus Terrassa sein zweites Soloalbum vor, auf dem er neben neuen Liedern und Produktionen für andere Künstler (so den Bolero "Como el humo" aus einem Theaterstück) auch einige Neubearbeitungen von Stücken mit seiner früheren Gruppe "Mutis" präsentiert. Neben in Katalonien bekannten Gastmusikern singt Beth mit Litus ein katalanisches Duett seines Songs "Al sur del cielo" ("Al sud del cel"). Insgesamt schöner Folkpop mit nachdenklichen Momenten.


Diego Piñera
"Forward"
Perro andaluz/ Octason
Uruguay ist ein kleines Land, besitzt aber gleichwohl eine quirlige Musikszene (natürlich auch wegen der Nähe zu Buenos Aires). Nicht nur bekannte Liedermacher - Daniel Viglietti - und Rockbands - La Vela Puerca - kommen dort her, auch die Jazzszene blüht mit Musikern wie dem Geiger Federico Britos. Aus diesem Grund orientieren sich viele Musiker recht schnell ins Ausland. Auch der Schlagzeuger Diego Piñera hat sich erst einmal von seiner Heimat verabschiedet, ohne allerdings den Kontakt zu verlieren. Er studierte am Berklee College in Boston sowie in Havanna und Leipzig und lebt heute in Berlin. Mit "Forward" legt er nun sein zweites Album vor, das er wie schon seine erste Produktion in Montevideo aufgenommen hat, diesmal mit Popo Romano am Bass und Pablo Marichal am Klavier. Eddy Porchile steuert auf zwei Titeln sein Saxophon bei (mehr hätte nicht geschadet!).

Diego Piñera
"Forward"
Perro andaluz / Octason

Die Musik bewegt sich zwischen Modern- und Latin-Jazz, sie swingt und ist lebendig, manchmal melodiegetragen ("Princesa") oder vom Funk geprägt ("Funky lady"). Die einzige Version eines "Hits" - "Insensatez" von Jobim - wirkt angenehm zurückgenommen. Naturgemäß spielt Piñeras Schlagzeug eine Hauptrolle, manchmal hätte man sich aber "echte" Soli gewünscht, da die immer gleiche Begleitung auf Dauer nervig wirkt (z.B. in "Forward"). Insgesamt aber ein interessantes Album zum Mitswingen.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 12/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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