ed 12/2010 : caiman.de

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[kol_2] Grenzfall: Top Tipp geht baden
 
Hallo Reiseführer! Ich hab dich gegriffen am Flughafen. Ich hätte dich auch greifen können am Bahnhof. Geschicktes Marketing, gab so gut wie keine Alternative. Dabei wollte ich dich nicht. Nun aber hab ich dich und lerne dich zu lesen. Je mehr du anpreist, desto touristischer. Also gelernt: Insider Tipps meiden, sonst verhungern vorm Tresen.

Und doch hat uns der Reiseführer einen wunderschönen Nachmittag beschert: Unter der Rubrik Restaurants schlägt er das Atira-te ao rio vor. Allein der Name Stürz dich in den Fluss lässt uns den vorgeschlagenen Weg einschlagen: Mit der Fähre über den Tejo von Cais do Sobré nach Cacilhas, direkt nach Verlassen des Hafengebäudes rechts halten und der heruntergekommenen Uferpromenade in Richtung Ponte de 25 do abril bis zum Restaurant folgen.

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Der Weg ist spannend. Rechterhand führen betonierte Stege in gleichmäßigen Abständen ins Wasser. Jeder Steg ist von einem Angler belegt und von voluminösen Quallen umgeben. Die Häuserfront auf der Linken ist größtenteils zugemauert und im Zerfall begriffen. Es stellt sich unweigerlich die Frage, warum hier nicht schon längst Cafés und Bars entstanden sind, denn die Lage mit Blick auf Lissabons Zentrum und die beiden gewaltigen Brücken über den Tejo ist einzigartig. Nach gefühlten 10 Minuten Fußweg stoßen wir auf das Atira-te ao rio. Es liegt zur Mittagszeit dieses sonnig frischen Oktobertages noch im Schatten und die Geschäftigkeit ist erst im Aufwachen begriffen. Im Lokal daneben allerdings, dem Ponto Final, sind bereits Tische besetzt und die Sonne schickt sich an, die ersten Plätze und uns zu wärmen.

ponto final [zoom]
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Was folgt ist fischig fürstlich. Zwei Stunden später ziehen wir uns zurück, schaffen es aber nicht ganz vorbei am Reiseführer Geheimtipp und versacken für zwei, drei Getränke auf der Chill-out- Fleez-Fläche des Atira-te ao rio.

atira-te ao rio [zoom]
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Als wir uns spät am Nachmittag endlich loseisen von den beiden bezaubernden Restaurants und zurückschlendern vorbei an Stegen, Anglern und Quallen stoßen wir auf ein Schild, dass auf eine Ausstellung hinweist, inmitten der heruntergekommenen Häuserfront. Eine perfekte Location für einen Kunstraum. Die Leiterin verweist auf Nachfrage auf ihren anderen Raum und einige weitere Offspaces drüben in der Stadt. Und dann sagt sie, dass die Ausstellung, die wir gerade besucht hätten, die letzte an dieser Stelle gewesen sei, denn im November 2010 würden die Abrissarbeiten beginnen und dann würde an der Uferpromenade von Cacilhas Touristenbars, Cafés und Restaurants entstehen.

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Es ist jetzt Ende November, zwei Tage vor dem 1. Advent. Ich sitze im Zug von Dresden nach Berlin und es schneit und alles ist weiß und grau und finster und Lissabon liegt weit, weit weg. Wo hab ich eigentlich den Reiseführer? Unglaublich dieses Wetter, es lenkt ab und fordert komplette Aufmerksamkeit. Keine Chance, das Bild einer aufgemotzten Uferpromenade zu imaginieren. Ich schätze, ich muss da noch mal hin.

Text + Fotos: Dirk Klaiber

Infos:
Ponto Final
R. do Ginjal, N° 72, Cacilhas
pontofinalrest@gmail.com, Telfon: 212760743

Atira-te ao rio
http://atirateaorio.pt

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