ed 11/2014 : caiman.de

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spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Vierundzwanzigste Etappe: El Bierzo – eine weinselige Wanderung durchs Paradies
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


bolivien: Gewächshäuser in den Anden
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 2]
brasilien: Brasilien trocknet aus (Teil 1)
Der "Velho Chico" in Not
THOMAS MILZ
[art. 3]
mexiko: Besuch der Toten
Schrill und farbenfroh feiert Mexiko den Día de los Muertos
MEXICO TOURISM BOARD
[art. 4]
grenzfall: Unfreiwillig Sesshaft - Fotoausstellung
Die Ayoreos – Das Leben nach dem Wald
GERALD HENZINGER
[kol. 1]
traubiges: Riojano Irresistible
La Rioja Alta 'Gran Reserva 890'
LARS BORCHERT
[kol. 2]
macht laune: Brasilien in Köln
In Deutschland um die Welt – Aber Köln ist nicht Deutschland
PIERRE M. KRAUSE / SWR
[kol. 3]
lauschrausch: Spanien im Herzen - Lieder des Spanischen Bürgerkrieges
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Etappen [24] [23] [22] [21] [20] [19] [18] [17] [16] [15] [14] [13] [12] [11] [10] [9] [8] [7] [6] [5] [4] [3] [2] [1]
Vierundzwanzigste Etappe: El Bierzo – eine weinselige Wanderung durchs Paradies
 
Am 23. Juni 2013. Heute brechen wir spät auf in der Pilgerherberge von Molinaseca, denn bis zu unserem Ziel Ponferrada sind es nur sechseinhalb Kilometer - unsere kürzeste Tagesetappe während des gesamten Camino. Da wir in Ponferrada nicht nur die Kirchen, sondern die riesige Tempelritterburg besuchen und uns etwas von der gestrigen Bergetappe erholen wollen, hatten wir uns gestern Abend für diese Mini-Etappe entschieden. Zum ersten Mal ist es morgens nicht kalt, sondern sommerlich warm. Cayetana wirkt euphorisch (sehr selten so früh morgens), denn endlich sind Wetter und Temperaturen nach ihrem Geschmack und ich hoffe, ihre Stimmung bleibt konstant.

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Als wir uns der Hochhaus-Silhouette von Ponferrada nähern, wabern Wolken über die Bergrücken ins üppig grüne Tal, so wie wir es sonst nur von den Passatwolken auf den Kanarischen Inseln kennen. Kaum jemand würde auf die Idee kommen, die Metropole des Bierzo-Tals, eine von Beton-Wohnblöcken geprägte Bergwerksstadt, als "schön" zu bezeichnen – auch wir nicht. Aber Ponferrada wird dominiert von seiner gigantischen Tempelritterburg, hat zahlreiche interessante Kneipen und ist die letzte Stadt vor Santiago, denn auf den letzten 200 Kilometern liegen nur noch Dörfer am Camino.

Bevor wir Ponferrada entdecken, besteht Cayetana auf einem extrem süßen Frühstück mit Schoko-Croissants und Cremetörtchen, das jeden Zuckerkranken sofort ins Koma befördert hätte. Derart gestärkt stehen wir vor dem Bollwerk der Tempelritter, das sie am Ende doch nicht vor ihrer Vernichtung durch den französischen König im Jahr 1307 retten konnte. Wir treten ein und sind fast allein im riesigen Areal. Das mag daran liegen, dass es noch sehr früh ist und die Burg erst vor zehn Minuten ihre Pforten geöffnet hat und daran, dass vielen Pilgern der Eintritt zu teuer ist. "Sechs Euro – das ist doch wohl nicht wahr – oder? Das ist hier doch nicht die Alhambra!", empört sich Cayetana gegenüber der Dame an der Kasse, die versucht, den Eintrittspreis mit der Sonderausstellung wertvoller Manuskripte zu rechtfertigen. "Wenigstens könnten sie von den üppigen Eintrittsgeldern mal ne neue Fahne kaufen", meint Cayetana beim Anblick der von Wind und Wirtschaftskrise zerfledderten spanischen Flagge.

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Der Komplex der Templerburg ist fast 8.000 Quadratmeter groß, konnte aber nur stellenweise die original mittelalterliche Baustruktur aus dem 13./14. Jahrhundert bewahren. Die der Avenida abgewandte Seite besteht fast nur noch aus Ruinen, die andere Hälfte ist zum Teil rekonstruiert. Und mittendrin findet man moderne Ausstellungsräume. Es ist kaum zu glauben, aber 1923 wurde ein großer Teil dieser von Kriegszerstörung verschonten Ritterburg in die Luft gesprengt, um innerhalb der Mauern einen Fußballplatz anzulegen (der inzwischen wieder verschwunden ist).

Uns beschleicht ein merkwürdiges Gefühl, als wir zwischen diesen halb zerfallenen Mauern wandeln und angesichts der zerbröselnden Steine die unerbittliche Vergänglichkeit aller menschlichen Macht vorgeführt bekommen.

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In jedem Fall lohnt es sich, von den begehbaren Partien des Mauerwalls die Aussicht zu genießen. Von dieser Anhöhe bietet sich ein guter Blick auf die gestern überquerten Montes de León und den eleganten Kirchturm von Santa María de la Encina. Anschließend besuchen wir diese wichtigste Kirche von Ponferrada.

Sie ist innen etwas düster, hat aber einen spektakulären Hochaltar und schöne Skulpturen, unter anderem die namensgebende "Madonna von der Steineiche". Cayetana regt sich darüber auf, dass der Madonna zu Ehren nur Elektrokerzen zu entzünden sind, die beim Einwurf von 50 Cent aufleuchten. "Das sieht ja furchtbar aus! Wie soll die Madonna denn meinen Wunsch erfüllen, wenn  hier keine Flamme brennt, sondern nur das alberne Glühbirnchen?"

Nachdem wir die ganze Stadt besichtigt haben, warten wir in der Pilgerherberge "San Nicolás de Flüe" darauf, dass uns Betten zugewiesen werden. Und das geht trotz des enormen Andrangs von hundert Pilgern erstaunlich schnell. Diese Herberge wurde von einem Schweizer Millionär gestiftet (es gibt deutlich sinnlosere Wege, sein Geld loszuwerden!) und ist aufgeteilt in viele kleine Zimmer mit je drei oder vier Hochbetten. Jedes Zimmer trägt seinen eigenen frommen Namen und ein Bild auf der Tür, das diesen illustriert. Eine sehr originelle Idee! Am Abend nehmen wir teil an der Pilgermesse in der Kapelle der Herberge, deren Kuppel mit modernen Fresken geschmückt ist. Im Zentrum entdeckt Cayetana die Türme der Kathedrale von Santiago.

24. Juni 2013: um kurz vor halb sieben verlassen wir die Herberge von Ponferrada und marschieren weiter nach Westen, den Sonnenaufgang im Rücken. Als wir die Brücke überqueren, liegt das Tal noch in der bläulichen Dämmerung, während die Bergrücken schon von den ersten Sonnenstrahlen erleuchtet werden. Am Ortsausgang von Ponferrada passieren wir einen kleinen Tunnel, der mit zwei monumentalen Graffiti-Kunstwerken aufgehübscht wurde: "Compostilla" und "Ponferrada". Dahinter erwartet die Pilger ein Geschenk eines lokalen Minenbesitzers: Eine von ihm gestiftete Pilgerkapelle und davor eine ebenfalls von ihm in Auftrag gegebene, entzückende weiße Madonna, die einen üppig blühenden Blumenstrauß im Arm hält. Ob die Lilienpracht im Arm der Madonna von demselben Stifter gespendet wurde (und ständig erneuert wird) wissen wir nicht, jedenfalls ein schöner Gruß an jeden hier vorbei ziehenden Pilger.

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Auf den Pfaden durchs Bierzo-Tal sehen wir besonders viele kleine Pilgerkapellen, oft inmitten der Weingüter. Sobald wir die Häuser von Ponferrada hinter uns gelassen haben, wandern wir den ganzen Tag durch Weinfelder und nicht nur Cayetana meint, es sehe hier aus wie in der Rioja. Die Landschaft des Bierzo, ein grünes Paradies zwischen kastilischer Steppe und Kantabrischem Gebirge, ist vielleicht sogar noch schöner als die Rioja, hügeliger und abwechslungsreicher. Die Reihen der Weinreben, die sich die Hügel empor ranken, sind durchsetzt mit uralten Kirschbäumen, Kastanien und Apfelbäumen, die Schatten spenden. El Bierzo ist die spanische Toskana und ein deutscher Pilger, der ähnlich begeistert war wie wir, hat auf den Pfeil eines Wegweisers das Wort "schön!" eingeritzt.

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Einziger Nachteil der pittoresken Hügel: es gilt ein paar Steigungen zu überwinden. Der Schweiß treibendste Anstieg erwartet uns hinter Cacabelos, entlang der Asphaltstraße steil hinauf nach Pieros. Zum Glück gibt es dort einen Brunnen. Hinter Pieros sollte man auf jeden Fall nicht weiter der Landstraße folgen, sondern rechts abbiegen. Diese Feldweg-Variante ist nur zwei Kilometer länger als die Landstraße und so romantisch, dass sich der Umweg lohnt. Der Feldweg durch die Weinhügel rund um das Dörfchen Valtville de Arriba gehört in unserer Erinnerung zu den schönsten Etappen des ganzen Camino. Während wir hier entlang marschieren, kommt uns dieser Abschnitt wegen des ständigen Auf und Ab allerdings anstrengend vor und wir brauchen deutlich länger als geplant, so dass unser Wasservorrat sich überraschend schnell dem Ende zuneigt.

Da steht wie bestellt an einer Weggabelung zwischen zwei Weinfeldern ein Engel – schließlich sind wir hier im Paradies, da dürfen Engel nicht fern sein und niemand sollte Durst leiden müssen. Der Engel ist ein bronzehäutiger Junge, der uns frisch gepflückte, tiefstrote Kirschen anbietet. Es sind die saftigsten Kirschen, die ich je gegessen habe und sie löschen unseren Durst bis wir an unserem Tagesziel ankommen. Villafranca del Bierzo hat 3500 Einwohner und die müssen sehr glücklich sein, denn dies ist wohl der romantischste Ort des ganzen Jakobswegs (mal von Geisterdörfern und 5-Häuser-Bergdörfern abgesehen). Ein fast subtropisches Tal, von drei Seiten von hoch ragenden, bewaldeten Bergrücken umgeben. Überall üppiges Grün, Palmen stehen neben nordischen Koniferen und es scheint auf den ersten Blick mehr Kirchen und Paläste als Wohnhäuser zu geben. Als wir dieses zauberhafte Miniaturstädtchen betreten, nimmt auch Cayetanas Begeisterung beängstigende Züge an. "Voll schön hier! Also hier bleiben wir aber jetzt länger!" (Nein, es muss weiter gehen!) Allerdings lädt Villafranca sehr zum Verweilen ein. Und mit dieser Meinung stehen wir nicht allein. Denn die wunderbare Pilgerherberge "De la Piedra", wo wir zunächst unsere Rucksäcke deponieren, wird betrieben von einem jungen Paar, das sich auf dem Camino (hier?) kennen und lieben gelernt hat und sich dann diesen Ort zum Leben ausgesucht hat. Die Versuchung ist also groß.

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Wir überqueren die Brücke und flanieren durch die Rúa del Agua, die monumentale Hauptgasse des Ortes mit vielen wappengeschmückten Palästen. Dann stehen wir fasziniert vor der düsteren Burgruine, über der Scharen von Turmfalken kreisen, und wundern uns, dass einer der vier Rundtürme noch von Menschen bewohnt wird, während der Rest der ruinösen Mauern uns mit leeren Fenstern anstarrt. Cayetana kramt wieder eine ihrer Lieblingsphantasien hervor: für sie sind die Turmfalken Vampire und in der Burg befindet sich die geheime Gruft von Graf Dracula. Beeilen wir uns also, noch vor Einbruch der Dunkelheit den Rest dieses verwunschenen Dorfes zu besichtigen. Wir schlendern über die gemütliche, von zahlreichen Kneipen-Terrassen belebte Plaza Mayor und durch den kleinen Stadtpark, wo in wenigen Tagen das Lyrikfestival "Fiesta de la Poesía" stattfindet. In einer knappen Stunde wird die Sonne untergehen.

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Plötzlich fragt Cayetana, ob wir nicht die Abendmesse in der Hauptkirche Santa María besuchen wollen. Innen ist dieses größte Gotteshaus von Villafranca deutlich schöner als von außen. Der Tempel ist jedoch komplett leer. Wir sind die einzigen. Eine Messe für nur zwei (mehr oder weniger) Gläubige? Nein, ein so spärliches Publikum ist offenbar auch dem örtlichen Priester zu wenig um sein Messgewand anzulegen. Denn um kurz vor 20 Uhr, als die Messe eigentlich beginnen soll, kommt nur ein Großmütterchen aus der Sakristei, blickt in die Leere ringsumher und schüttelt den Kopf. Die Tür schließt sich wieder und nichts passiert. Nach zehn Ave Maria vor der Rosenkranzmadonna verlassen auch wir die leere Kirche und wenden uns den beiden schönsten (leider geschlossenen!) Gebäuden des Dorfes zu: der Kirche San Francisco, die halb gotisch und halb im Renaissancestil auf dem höchsten Punkt errichtet wurde, und vor allem der romanischen Kirche Santiago, deren Nordportal, das Tor der Vergebung, von der untergehenden Sonnen golden erleuchtet wird. Im Mittelalter konnten die Pilger, die sich die Überquerung der letzten Gebirgskette nicht mehr zutrauten, schon hier in Villafrancas ältester Kirche (Ende 12. Jahrhundert) den Sünden-Ablass und die Compostela-Urkunde erhalten. Doch jetzt bleiben die Pforten dieses Tempels leider geschlossen.

Von einem Moment zum anderen ist auch die Sonne hinter den Bergen im Westen verschwunden und als die kurze Dämmerung Fluss und Brücke von Villafranca mit violetten Farbtönen überzieht, sitzen wir in der Bar "Sevilla" auf der Plaza Mayor vor unserem Abendessen und probieren die großartigen Mencía-Rotweine der Region. Als sie ihr viertes Glas absetzt, glänzt plötzlich eine tiefe Melancholie in den Augen Cayetanas. "Alles könnte so schön sein, aber ich werde nie jemand finden, um alles zu teilen und am Ende war der ganze Weg umsonst…", murmelt sie betrübt vor sich hin, als würde sie zu der Rotweinflasche sprechen. Spontan muss ich sie in den Arm nehmen und ganz fest drücken. "Aber meine Kleine, wir sind noch nicht mal angekommen! Und du bist doch keine von diesen Paulo-Coelho-Leserinnen, die den Camino nur gehen, um einen Mann kennen zu lernen! Zu mir hast du am ersten Tag beim Abstieg von Somport gesagt, du würdest diesen Weg gehen, um dich besser kennen zu lernen, nicht jemand anderen …" Zweifelnd blicken ihre großen, fast schwarzen Augen mich an.

Sie hasst es, wenn man sie an ihre eigenen Worte erinnert. Krachend schiebt sie ihren Stuhl zurück, reißt ihr Weinglas an sich, um den letzten Schluck zu trinken, und stapft dann zurück zur Herberge.

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Nachdem sie endlich eingeschlafen ist, hat Cayetana wie immer einen merkwürdigen Traum. Sie geht durch eine sonnendurchflutete Allee von Kirschbäumen, die alle sehr hoch sind. Sie fühlt sich selbst winzig und die reifen, roten Kirschen hängen alle in unerreichbarer Höhe. Da kommt ihr vom anderen Ende der Allee ein Tempelritter entgegen – zu Fuß, in voller Rüstung, mit weißem Umhang und einem Helm, der sein Gesicht verdeckt. Immer größer, fast riesig wird seine Gestalt, als er sich nähert. Dann bleibt er vor ihr stehen und nimmt seinen Helm ab. Zu ihrer großen Überraschung hat er maurische Gesichtszüge. Er lächelt wortlos und hebt sie ganz hoch, so dass sie einen Ast voll süßer, tiefstroter Kirschen ergreifen und zu sich hinunter ziehen kann. Als sie sich zu ihrem ritterlichen Prinzen hinab beugen will, um ihn zu küssen, wacht sie auf.

Text und Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links: Etappe von Molinaseca nach Ponferrada: 6,5 Kilometer
Etappe von Ponferrada nach Villafranca del Bierzo: 25 Kilometer

Unterkunft und Verpflegung:
Unterkunft in Ponferrada: Kirchliche Pilgerherberge "San Nicolás de Flüe" (C. de la Loma), mit angebauter Kapelle (sehr schöne Pilgermesse sonntags 20.00 Uhr, Pilgerandacht täglich 19.30 Uhr) Tel. 987-413381: dieses Refugium wurde von einem Schweizer Millionär geschaffen und bietet statt Turnhallen-Schlafsaal gemütliche kleine Zimmer mit je drei oder vier Hochbetten, Küche, Kaffeeautomat, Waschmaschine, Trockner, Internet, Terrasse. Trotz Größe und Massenandrang sehr freundliche Aufnahme. Übernachtung: freiwillige Spende. Schließt 22.30 Uhr.

Verpflegung in Ponferrada: "DKDA": Plaza Tierno Galván 3 (nahe der Pilgerherberge): eine Tapas-Bar, die immer voll ist, kreative und günstige Appetit-Happen (v.a. Pinchos und köstlich belegte Baguettescheiben) und großartige Bierzo-Rotweine anbietet, sehr freundliche Bedienung, eher junges, leicht alternatives Publikum.

"La Destilería", C. Obispo Osmundo 5, Tel. 987-404290: rustikales Restaurant, in dem riesige Portionen aufgefahren werden – meine "Ración de Cecina" habe ich nicht ganz geschafft.

Unterkunft in Villafranca del Bierzo: Private Pilgerherberge "De la Piedra", C. Espíritu Santo 14 (am Ortsausgang, an der Straße nach Trabadelo), Tel. 987-540260. Sehr empfehlenswert, eine der besten Herbergen des Camino, geführt von einem bezauberndem Paar, das sich auf dem Jakobsweg kennen gelernt hat und anschließend dieses alte Haus in eine Herberge umgewandelt hat. Übernachtung 8 Euro, Küche, Waschmaschine, Trockner, Internet, Getränkeautomaten. Bietet schon ab fünf Uhr gutes Frühstück gegen Aufpreis.

Verpflegung in Villafranca del Bierzo: Restaurant "Sevilla", Plaza Mayor; sehr empfehlenswert. Pilgermenü für 10 Euro (drei Gänge inkl. Getränk). Gute Tapas (Rührei mit Ziegenschinken und Spargel, köstlicher Ziegenkäse, Lamm mit Paprika, usw.) und großartige Bierzo-Rotweine ("Mencía Suprema").

Kirchen:
Renaissance-Kirche Santa María de la Encina (16. Jahrhundert), in Ponferrada, mit manieristischem Hochaltar (1630) und barockem Turm. Geöffnet: Mo. – Sa. 9.00 – 14.00 Uhr und 17.00 – 20.30 Uhr, So. 9.00 – 13.00 Uhr und 19.00 – 20.30 Uhr.

Iglesia de las Angustias in Cacabelos: spätbarock-klassizistisch (18. Jahrhundert), berühmt ist das Relief mit dem Karten spielenden Jesuskind an der Tür zur Sakristei. Die Kirche ist leider meist geschlossen, nur im Juli/August von Mittwoch-Sonntag 10.30 – 13.00 Uhr und 17.00 bis 19.00 Uhr geöffnet.

Iglesia de Santiago, Villafranca del Bierzo:  am Ortseingang, romanisch (um 1200), wie fast alle Kirchen in Villafranca leider meist geschlossen. Kleiner, aber sehr harmonischer Tempel, besonders beeindruckend ist die Fassade der Puerta del Perdón mit den Apostelpaaren.

Iglesia de Santa María, Villafranca del Bierzo: hauptsächlich ein Renaissancebau, mit gotischen Gewölben und teils barocker Innenausstattung. Von außen wirkt diese Kirche disharmonisch und klobig, innen überrascht sie mit einer Fülle sehenswerter Kunstwerke (barockes Chorgestühl, Hochaltar, Virgen del Rosario). Geöffnet meist nur zur Abendmesse ca. 19.00 – 20.00 Uhr.

Iglesia de San Francisco, Villafranca del Bierzo (15. Jahrhundert): schöne Kirche vorwiegend im Renaissancestil, innen spektakuläre Mudéjar-Holzdecke und schöne Gemälde. Leider meist geschlossen.

Iglesia de San Nicolás, Villafranca del Bierzo: monumentale Barockkirche (ehem. Jesuitenkloster), leider meist geschlossen.

Vinos del Bierzo:
Die aus der nur hier wachsenden Mencía-Traube gekelterten Rotweine sind längst kein Geheimtipp mehr. Selbst junge Bierzo-Rotweine erreichen schon die Geschmacksintensität alter Rioja-Reservas und behalten dabei ihre Fruchtigkeit. Ein paar Empfehlungen: "Mencía Suprema", "Gran Bierzo", "Ruchel de Valdeorra", "Peique", "Losada", "Val de Puga".

[druckversion ed 11/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]






[art_2] Bolivien: Gewächshäuser in den Anden
 
In den Anden Boliviens ist es auf einer Höhe von knapp 4.000 Metern viel zu kalt und zu windig um Gemüse anzubauen. Doch mit Hilfe von einfachsten Gewächshäusern können sich die Andenbewohner selbst in dieser Höhe mit Vitaminen selber versorgen.


Für die zehnjährige Wilma gab es bislang immer nur eines zu Essen: Kartoffeln. Geschützt durch die Erde sind sie das einzige, was im eisigen Andenwind Norte Potosís wächst. Die Region ist einer der ärmsten Landstriche Boliviens und ganz Südamerikas. Wilma lebt mit ihren Eltern, Großeltern und den zwei Geschwistern in einer kleinen Hütte aus Adobeziegeln.

Zwar macht immer nur Kartoffeln essen satt, aber vor allem den Kindern fehlen wichtige Vitamine, die sie für ihre Entwicklung brauchen. Gemüse oder Obst lassen sich auch nicht einfach aus der Stadt in die Höhe bringen – der nächste Ort ist acht Autostunden entfernt – und wer kann sich hier schon ein Auto leisten? "Das einzige Gemüse, das man hier her transportieren kann, sind Zwiebeln. Die sind hart und können durchgeschüttelt werden. Alles andere ist kompliziert. Tomaten, Paprika, Salat – das verdirbt alles schnell, wenn es tagelang auf einem Eselsrücken unterwegs ist", erklärt Jhonny Herbos von Pusisuyo, einer Partnerorganisation von terre des hommes.

Jhonny Herbos gibt Wilma und den anderen Kindern aus dem kleinen Dörfchen Pichuya heute eine ganz besondere Schulstunde: Feldbauunterricht. Hier lernen die Kinder, welche verschiedenen Gemüsesorten überhaupt existieren - Gemüse ist in den Andendörfern bislang so gut wie unbekannt. Damit sich die Bauern gesund ernähren können, gibt es nur eine Lösung: Sie müssen ihr Gemüse selber anbauen. Aber das ist in der eisigen Höhe der Anden fast unmöglich. Und so hat Pusisuyo eine Methode entwickelt, mit der es doch gelingt. "Wir haben uns ein Gewächshaus ausgedacht, in dem auf 15 Quadratmetern verschiedene Gemüsesorten angebaut werden können. Am besten wächst dort Blattgemüse, aber auch andere Sorten gedeihen gut. Wir können zwei bis drei Mal im Jahr ernten", erzählt Jhonny Herbos.


So ein Gewächshaus, carpa genannt, besteht aus selbstgemachten Adobeziegeln und Steinen – davon gibt es in den Anden reichlich. Dazu kommt eine Plastikplane. Die Bauern können so ein Gewächshaus innerhalb weniger Tage selber errichten. Auch die Schule hat eine carpa. Die Kinder lernen hier, wie man eine "carpa" baut und in Stand hält. Und natürlich auch, wie man darin Gemüse anpflanzt. Trotz des kalten Windes, der draußen über das Hochland pfeift, ist es in dem Gewächshaus tropisch warm – und die Schüler fahren eine reiche Ernte ein.

Wilma hat über das, was sie in der Schule über den Gemüseanbau gelernt hat, mit ihren Eltern gesprochen. Ihre Familie hat inzwischen so wie fast alle im Dorf eine eigene Carpa  gebaut. Das, was an Materialien nicht vor Ort vorhanden ist, nämlich Plastikplane, Eisenstangen, Saatgut und für den Anfang ein wenig Humus, kostet alles in allem rund 110 Euro  - Geld, das von den Spendern von terre des hommes kommt. In den meisten Familien ist es die Aufgabe der Kinder, sich um die carpas zu kümmern.

Wilma sieht jeden Tag nach der Schule in ihrem Gewächshaus nach dem Rechten. Dort wendet sie das an, was sie im Unterricht gelernt hat. Sie ist zu Recht stolz auf ihre Arbeit. "Das habe ich alles geerntet! Schau mal, mein Salat!", sagt sie und hält lächelnd eine Handvoll der Delikatesse in die Höhe.

Seitdem die Kinder in dem Dorf Pichuya Gemüse anbauen können, bekommen sie nicht nur mehr, sondern vor allem auch ausgewogeneres Essen als früher. Damit ist ein Anfang gemacht.

Doch viele Kinder in Bolivien leiden noch immer unter Mangelernährung. Ziel von terre des hommes wird deshalb sein, in weiteren Dörfern in den Anden Feldbauunterricht und Gewächshäuser zu finanzieren.

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Pusisuyo

Tipp: Katharina Nickoleit hat u.a. einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
ISBN: 978-3-89662-586-1
Seiten: 252
Verlag: Reise Know-How
4. aktualisierte Auflage 2014

[druckversion ed 11/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: bolivien]





[art_3] Brasilien: Der "Velho Chico" in Not (Teil 1)

Brasilien trocknet aus. Zwar hat das Land die größten Süßwasserreserven der Welt, hauptsächlich im Amazonasgebiet. Im bevölkerungsreichen Südosten wird die Lage jedoch kritisch, in São Paulo beginnt bereits die Rationierung. Und in Rio de Janeiro und Minas Gerais könnte es bald schon genauso kommen.

Auch in der Amazonasregion selbst weitet sich die Trockenheit aus. Zwanzig Prozent des ursprünglichen Regenwaldes ist bereits abgeholzt, weitere zwanzig Prozent sind akut bedroht. Die Natur sei "am tipping point", dort, wo das System kippt und es kein Zurück mehr gibt, glaubt der Wissenschaftler Antonio Nobre vom staatlichen Klimadienst INPE.

Nun hat es auch den einst mächtigen São Francisco Fluss erwischt, der weite Teile des trockenen Nordostens durchfliest. Der "Velho Chico", der größte 100% brasilianische Strom des Landes, ist zum ersten Mal seit Menschengedenken an seiner Quelle ausgetrocknet. Dabei sollte der Fluss eigentlich bald den Nordosten mit Wasser versorgen. Doch daraus wird wohl vorerst nichts.


Wir stehen am Ufer des "Velho Chico" in der Kleinstadt Ilha do Ouro. Hier trennt der Fluss den Bundesstaat Sergipe vom auf der anderen Seite gelegenen Alagoas. "Er sieht immer noch mächtig aus, aber wenn Du mit dem Boot rüber fahren willst, wird es knifflig." Der Fischer, der seit Monaten schon nichts mehr gefangen hat, berichtet über die verschwundenen Untiefen des Flusses. Früher sei er an manchen Stellen 15 oder 20 Meter tief gewesen. "Heute setzen sogar die leichten Boote oft auf, mehr als 1,5 Meter Tiefe gibt es da nicht."

Der Fluss stirbt, glauben die hier lebenden Fischer. Dünger und Pflanzenschutzmittel haben viele Fische getötet, zudem wird das Abwasser von tausenden Städten ungeklärt in den Fluss geleitet. Auch die zahlreichen Staustufen, durch die Energie gewonnen wird, haben die Wassermenge reduziert. Die saisonalen Überschwemmungen, wichtig für die umliegende Landwirtschaft, gibt es schon lange nicht mehr.

Die meisten Fischer beziehen heute Sozialhilfe. Vom Fischen kann niemand mehr leben, zu wenig Fische gibt es in den trüben Fluten. Dabei sollte die chronische Trockenheit des Nordostens eigentlich mit Hilfe des Flusses bekämpft werden. Derzeit baut die Regierung zwei Kanäle, die Flusswasser hoch in den staubtrockenen Norden bringen sollen. Doch trotz Milliardeninvestitionen kommt das Projekt nicht voran.


So muss die umliegende Bevölkerung mit Wasserwagen versorgt werden. Am Rande des Flusses parken diese, Pumpen saugen das Flusswasser in die Tanks. Experten sprechen bereits von der schlimmsten Dürre der letzten 70 Jahre. Ob es nach Besserung aussieht? Regen ist auf jeden Fall erst einmal nicht in Sicht.

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 11/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]






[art_4] Mexiko: Besuch der Toten
Schrill und farbenfroh feiert Mexiko den Día de los Muertos
 
Der "Día de los Muertos" ist einer der wichtigsten Feiertage in Mexiko und ehrt die verstorbenen Seelen. Gemäß dem Glauben der Völker Mexikos besuchen die Toten einmal im Jahr, von Ende Oktober bis Anfang November, die Lebenden und kehren zu ihren Familien zurück. Was für manch einen angsteinflößend klingen mag, ist in Mexiko ein beliebter Brauch, der 2003 von der UNESCO zum Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit ernannt wurde.



Zu Ehren der Verstorbenen werden im ganzen Land farbenprächtige Altäre aufgestellt und mit Beigaben verziert, die die vier grundlegenden Elemente der Natur darstellen: Früchte symbolisieren das Element Erde und verwöhnen die Seelen mit ihrem süßlichen Aroma. Hauchzarte Scherenschnittbilder aus Seidenpapier (papel picado) stellen den Wind dar und Gefäße gefüllt mit Wasser stillen den Durst der Seelen nach ihrem langen Weg aus dem Jenseits. Kerzen und Grablichter leuchten als Feuer-Element den Weg.



Während der Feierlichkeiten wird den toten Seelen allerlei an kulinarischen Spezialitäten geboten. Freilich dürfen auch die Lebenden von den Leckereien kosten: Das traditionelle süße Totenbrot (pan de muerto), Zucker-Totenköpfe (calaveras de dulce) sowie Skelette und Särge aus Marzipan dürfen auf dem festlichen Speiseplan nicht fehlen. Dazu werden Mezcal und Tequila sowie das Nationalgetränk Mexikos Pulque (fermentierter Saft aus Agaven) gereicht. Auf den Friedhöfen Mexikos geht es während des "Día de los Muertos" besonders feierlich zu. Im Licht unzähliger Kerzen beten die Angehörigen für ihre verstorbenen Familienmitglieder und Freunde. Bei einem fröhlichen Picknick am Grab der Liebsten wird gemeinsamen gegessen, getrunken, gesungen und getanzt.



Bei kulturellen und künstlerischen Festivals sowie Kostümwettbewerben wird schnell klar, dass der "Tag der Toten" in Mexiko ein Fest der Freude und nicht der Trauer ist. Gesucht wird die beste Verkleidung als Catrina – einer Skelett-Dame, die als Symbol für den Tod steht und von dem mexikanischen Graveur José Guadalupe Posada ins Leben gerufen wurde. Seine Heimatstadt Aguascalientes feiert vom 31. Oktober bis 9. November 2014 das "Festival der Totenköpfe" zu seinen Ehren: www.festivaldecalaveras.com.mx

Eine weitere bekannte Veranstaltung ist das "Festival zu Ehren des Lebens und des Todes" (Festival de Tradiciones de Vida y Muerte) im Park Xcaret, an der Riviera Maya: www.festivaldevidaymuerte.com

Außergewöhnliche Bräuche zu Ehren der Toten
Auf der Halbinsel Yucatán sind die Totentage unter dem Namen Hanal Pixán oder "Essen für die Seelen" bekannt. Dabei erfreuen sich die Toten an den ihnen dargebrachten Speisen und Getränken: Der Volksglaube besagt, dass die toten Kinderseelen in der Zeit vom 31. Oktober bis zum 1. November die Welt der Lebenden besuchen. Erwachsene Seelen dagegen kehren vom 1. bis 2. November zurück.



Einer der außergewöhnlichsten traditionellen Bräuche stammt aus der nördlichen Region des Bundesstaates Campeche in der Stadt Pomuch. Hier werden die Knochen der verstorbenen Angehörigen ausgegraben, um sie gewaschen in eine Holzkiste zu legen und mit einem bestickten Tuch zu bedecken. Die Überreste liegen bis zum nächsten Jahr in einem offenen Grab – bis sie erneut gewaschen und zurechtgelegt werden.



In Ocotepec glaubt man, dass die Verstorbenen in der Nacht nach dem 1. November für acht Tage ihre ehemaligen Häuser besuchen und dort in die Träume der Lebenden eindringen. So sehen sie das Erlebte, die Wünsche und Sorgen ihrer Lieben. Bei der sogenannten Cereada (Cera = Wachs) leuchten Kerzen den Toten auf blumengeschmückten Straßen den Weg vom Friedhof zurück nach Hause. Der cuerpo simulado ist eine Nachbildung des Toten durch eine Puppe, die seine Kleidung trägt. Sein Schädel wird aus Zucker nachgebildet.

Rezept Pan de Muerto
Zutaten:
• 5-6 Tassen Mehl (Type 405)
• 0,5 Tassen Zucker
• 1 TL gemahlener Anis
• 1 TL Salz
• Ein Würfel frische Hefe oder ein Päckchen Trockenhefe
• 0,5 Tassen Milch
• 0,5 Tassen Wasser
• 0,5 Tassen Butter
• 4 Eier

Zubereitung:
Einen Vorteig aus dem Mehl, dem Zucker und Salz und dem Anis zubereiten. Dafür die Zutaten vermischen und in die Mitte eine Mulde drücken, in welche die Hefe hineinkommt. Das Wasser und die Milch erwärmen und die Butter darin auflösen. Anschließend die Flüssigkeit auf die Hefe in der Mulde gießen und zunächst vorsichtig und dann kräftig mit dem Mehl mischen.

Den Teig an einem warmen Ort für 30 Minuten mit einem Handtuch abgedeckt ruhen lassen. Währenddessen die Eier gründlich verrühren und zu dem bereits aufgegangenen Vorteig hinzugeben. Im Anschluss vom restlichen Mehl so viel hinzugeben, bis der Teig zu Brotlaiben geformt werden kann. Meist benötigt man dafür ca. 4 Tassen Mehl, was von der Größe der Eier und der Flüssigkeit abhängig ist. Etwas von dem Teig beiseitelegen und daraus "gekreuzte Knochen” formen, die dann auf die runden Brotlaibe gedrückt werden.

Anschließend den Teig wieder für ca. 30 Minuten ruhen lassen. Die Brotlaibe bei ca. 180 Grad Celsius im Ofen für 40 Minuten backen lassen. Haben sie eine schöne braune Farbe angenommen, mit Alufolie abdecken. Eine kurze Zeit, bevor das Pan de Muertos aus dem Ofen genommen wird, dieses mit etwas lauwarmen Wasser bestreichen. Nach ca. 3 Minuten aus dem Ofen nehmen und mit Zucker bestreuen.



Text + Fotos: Mexico Tourism Board
Copyright:
Mexico Tourism Board

[druckversion ed 11/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: mexiko]





[kol_1] Grenzfall: Unfreiwillig Sesshaft - Fotoausstellung
Die Ayoreos – Das Leben nach dem Wald

Ein ganzes Volk verliert seine Identität, hat keine Orientierung mehr. Alles was bisher gültig war, ist nun bedeutungslos.  Es sucht nach der Betriebsanleitung für diese neue, globale Welt. Nur, es gibt keine.

Der Besuch der Ayoreos hinterlässt dieses Gefühl der Orientierungslosigkeit. Sie sind die Ureinwohner des Gran Chacos im Norden Paraguays. Bis in die 50iger Jahre des letzten Jahrhunderts lebten sie ohne an der allgemeinen Gesellschaft teilzunehmen. Mehr oder weniger freiwillig und mit Versprechungen auf ein besseres Leben wurden sie aus dem Wald geholt und in Lagern angesiedelt. Die anschließende Integration der Ayoreos beschränkte sich auf das Verbannen ihrer ursprünglichen Gebräuche durch evangelikale Missionare. Ihr Lebensraum, der Wald, wird seitdem von Bulldozern für die Viehzucht zerstört.

Mit dieser physischen Zerstörung des Lebensraums geht die Zerstörung von Wissen um das Leben im Wald einher. Es verblasst in den Köpfen der Alten. Die jungen Ayoreos brauchen diese Fähigkeiten einfach nicht mehr.

In dieser Portraitserie zeigt der Fotograf die Ayoreos, welche den Prozess des Erstkontaktes miterlebt haben. Sie wuchsen in einer Welt auf, die es jetzt nicht mehr gibt. Die Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft ist allerdings noch immer nicht abgeschlossen. So kann diese Serie nur eine Momentaufnahme dieser Suche sein, ein Istzustand einer unfreiwilligen Integration. Und für diesen Integrationsprozess gibt es kein Rezept, nur "try and error".



Die Vernissage der Ausstellung findet am Mittwoch, den 19.11.2014 um 19 Uhr im Albert Schweitzer Haus, Schwarzspanierstraße Ecke Garnisongasse, 1090 Wien statt und wird dort vom 19.11.2014 - 9.1.2015 im Rahmen von eyes-On Monat der Fotografie und Brot für die Welt zu sehen sein.

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Der Fotograf
Der Fotograf Gerald Henzinger wurde vor 38 Jahren in Oberösterreich geboren und lebte mehrere Jahre in Bolivien und in Mosambik als Zivildiener an einer Schule bzw. als Mitarbeiter an einem Fernlerninstitut. Während seinen Aufenthalten in diesen Regionen der Erde hat Gerald vor allem Menschen in ihrem Umfeld fotografiert. Subsistenzbauern, Modeschau am Gebrauchtkleidermarkt, Musiker und Fernlernstudenten sind in seinem Portfolio enthalten.

Seine Fotos und Geschichten findet man unter: www.enlumen.net

Publiziert hat er in folgenden österreichischen und internationalen Medien: GEO, DATUM, derstandard.at, FALTER, ProfiFoto, FotoObjektiv.

Kontakt: Wien, +43 (0) 680 40 237 85, enlumen@enlumen.net

[druckversion ed 11/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]





[kol_2] Traubiges: Riojano Irresistible
La Rioja Alta 'Gran Reserva 890'
 
Warum soll man nicht mal über einen Kultwein schreiben? Einen, der Weinliebhaber, -kenner und -kritiker gleichermaßen um den Verstand bringt. Einen, der zwar schon ziemlich ins Geld geht, aber im Vergleich zu den vielen höchstpreisigen französischen Gewächsen doch eher wie ein Schnäppchen daherkommt. Einen, den man ohne Weiteres mit solchen Begriffen wie Grandseigneur der Gran Reservas oder als Rioja-Rakete betiteln kann – oder auch ganz sinnlich als Verführer.

Aber von vorne: Es war im Jahr 1890 als fünf baskische Weinbauern mit Wurzeln in der Rioja ein Weingut gründeten und damit das Fundament für großartige Gewächse legten. Sie hatten von Anfang an das Ziel, in der höchsten Liga der Weinwelt mitzuspielen und engagierten daher sogar einen französischen Önologen. Schon damals wurden alle Fässer in der bodega-eigenen Küferei hergestellt. Qualität war nicht nur die Maxime im Weinberg, sondern auch im Weinkeller. Zwei lange Jahre gab und gibt man dem aus Amerika importierten Holz Zeit zu trocknen, bevor es zu Fässern verarbeitet wird. Heute gehört das Weingut, das übrigens "Rioja Alta" heißt, zu den Klassikern der Rioja.

Der edelste Wein der Bodega, sozusagen das Flagschiff von Rioja Alta, ist die ‚Gran Reserva 890’, die so heißt, weil sie im Jahr 1890 zum ersten Mal vinifiziert wurde. Der Hauptanteil dieser Cuvée besteht aus Tempranillo, außerdem noch ein wenig Graciano und noch weniger Mazuelo von den besten Weinlagen der Rioja Alta. Sage und schreibe 72 Monate, also sechs Jahre, reift der Wein in den hausgemachten Barriques aus amerikanischer Weißeiche, und noch einmal mindestens 72 Monate in der Flasche, bevor er in den Handel kommt. Jeder ,Gran Reserva 890’ wird so gemacht – ganz so wie im Jahr 1890. Dieser Aufwand ist selbst für einen Wein in dieser Preisklasse einzigartig.

Aber er lohnt sich! Und er hat diesen Wein (und mit ihm die Bodega) berühmt gemacht: "Bester Rioja" oder aber "einer der zehn besten Weine Spaniens" lauten derzeit die Beurteilungen für den Jahrgang 1998 dieses Weins. Aber was bedeuten schon Superlative? Was dem eenen sin Uul, is dem andere sin Nachtijall. Trotzdem ist es nicht weit hergeholt, diesen Wein als Gentleman oder eben sogar als Verführer zu bezeichnen. Denn sein Reiz beginnt schon beim Öffnen der Flasche: Sobald er mit all seiner Intensität ins Glas fließt, offenbart er sein intensives Kaminrot, das im Kern immer dunkler wird, aber am Rand schon fast ziegelfarben schillert. Sein Bukett ist kraftvoll und ausdrucksstark – aber auch elegant und überhaupt nicht aufdringlich.

Reife dunkle Früchte und Konfitürenoten gepaart mit Tabak, Gewürzen, Leder, Vanille und Zimt steigen zur Nase auf. Dann der erste Schluck: Geschmeidig, vollmundig und charaktervoll legt er sich über den Gaumen. Noble Aromen edler Schokolade, schwarzer Waldbeeren und frischer Muskatnuss umspülen die Zunge. Seine geschmolzenen Tannine sind samtweich und im Hintergrund dominieren zarte Eukalyptusanklänge. Sein Abgang ist genau so, wie er sein soll: extrem lang, außerdem geprägt von Frucht und Gewürzen, mit einem Hauch Barrique. Absolut unwiderstehlich!

Text: Lars Borchert

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er mit seinem Webjournal wein-vagabund.net. Auf caiman.de berichtet er jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika.

[druckversion ed 11/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: traubiges]





[kol_3] Macht Laune: Brasilien in Köln
In Deutschland um die Welt – Aber Köln ist nicht Deutschland
 
Rund 15.000 Brasilianer leben in Köln. Das Rio vom Rhein beherbergt damit die größte brasilianische Community in Deutschland.

Pierre M. Krause taucht in seiner Sendung "In Deutschland um die Welt" ein in die Welt der kölschen Brasilianerinnen und Brasilianer. Neben Caipi zum Frühstück und Samba auf dem Dorffest, zwischen Umbanda-Schamanismus-Gemeinde von St. Michael und Fleisch am Spieß erfährt Pierre im Hause Garrido, warum Köln nicht Deutschland ist (13:10 min).


Pierre M. Krause trifft zum Start seiner Brasilienreise seine große brasilianische Liebe, das Model und Schauspielerin Jana Ina / Foto: © SWR/dibido.tv

Aktuell kannst du Pierre M. Krauses In Deutschland um die Welt auf EinsPlus sehen. Oder die Folge Brasilien in Köln direkt hier und jetzt:



Weitere Infos zur Serie In Deutschland um die Welt findest du unter:
www.einsplus.de/-/id=11825276/12ysi7x/index.html

Format: In Deutschland um die Welt
In Deutschland leben etwa sieben Millionen Menschen mit ausländischem Pass, insgesamt 16 Millionen Einwohner haben einen Migrationshintergrund. Sie kommen aus allen Nationen dieser Welt und bringen ein Stück ihrer Kultur in die neue Heimat ein. Ideal für den von Flugangst geplagten SWR-Moderator und Multikulti-Liebhaber Pierre M. Krause: So kann er direkt vor seiner Haustür in andere Kulturen eintauchen. "In Deutschland um die Welt" ist ein humorvolles Roadmovie durch die Kulturen der Welt innerhalb der deutschen Grenzen.

In jeder Folge trifft Pierre M. Krause Menschen mit fremden Wurzeln, die ihre Kultur in Deutschland leben – spezielle Essgewohnheiten und Vorurteile inklusive. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sie ihre Kultur erhalten und leben.


Tanzlehrerin Maria (li.) und ihre Tochter wollen Pierre M. Krause den brasilianischen Paartanz "Forró" beibringen / © SWR/dibido.tv

Fotos: © SWR/dibido.tv
Video: Produziert von EinsPlus

[druckversion ed 11/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]





[kol_4] Lauschrausch: Spanien im Herzen - Lieder des Spanischen Bürgerkrieges
 
Nachdem Francos Truppen im März 1939 Madrid erstürmt und somit den Spanischen Bürgerkrieg für sich entschieden hatten, deckte sich ein Mantel des Schweigens über die Verbrechen der Faschisten und über den Krieg als Thema generell. Das galt natürlich nur für Spanien, die ausländischen Kriegsteilnehmer auf beiden Seiten – alleine bei den Internationalen Brigaden (IB) auf republikanischer Seite kämpften rund 40.000 Ausländer, von denen etwa die Hälfte ihr Leben ließ – sprachen und schrieben sehr bald schon über diesen Krieg (Ernest Hemingway, George Orwell etc.). Die zurückgekehrten Ausländer, die real nur einen kleinen Teil der republikanischen Truppen ausgemacht hatten,  heroisierten jedoch oftmals ihren Kampf dermaßen (vor allem in der DDR), dass der Eindruck entstand, dass nur sie gegen die Faschisten gekämpft hätten. Und ihre eigenen Verbrechen, wie zum Beispiel die internen Kämpfe innerhalb der IB, verschwiegen sie naturgemäß. In Spanien konnte erst nach Francos Tod (1975) mit der Aufarbeitung begonnen werden, ein Prozess, der langsam in Gang kam und bis heute andauert.

Spanien im Herzen - Lieder des Spanischen Bürgerkrieges
Audio CD (27. Juni 2014)
Anzahl Disks / Tonträger: 8
Format: Box-Set
Label: Bear Family Productions (Bear Family Records)
ASIN: B00ISEY41Q

Zum Kampf gehörte – wie in jedem Krieg – auch die Musik, die aber in diesem Fall aufgrund der ausländischen Teilnehmer besonders vielfältig und interessant war. Das Label "Bear Family" und der Berliner Historiker Jürgen Schebera haben nun auf sieben CDs mehr als 120 Lieder aus diesem Krieg gesammelt – es fehlen allerdings Lieder der Faschisten, die m.E. der historischen Vollständigkeit halber hätten dabei sein müssen – und in einem dicken, dreisprachigen Begleitbuch mit Fotos und Originaldokumenten kommentiert, das auch die Geschichte des Krieges noch einmal beleuchtet. Auf den CDs, die sich in "Lieder der spanischen Republik", "Lieder des kämpfenden Volkes" (2), "Lieder der Rep. Volksarmee" und "Lieder der Internationalen Brigaden" (3) aufteilen, finden sich u.a. die "Himno de Riego", von 1931-1939 Nationalhymne der Zweiten Republik, "La defensa de Madrid", "Canción de soldados", "Hijos del pueblo«, das 1931 für den anarchistischen Gewerkschaftsverband CNT geschrieben wurde, oder "El quinto regimiento", das zu Ehren der gleichnamigen militärischen Einheit der Kommunisten gesungen wurde. Letzteres übrigens in zwei Versionen, die schönere vom chilenischen Liedermacher Rolando Alarcón, der in den 1960er Jahren eine LP mit Liedern des spanischen Bürgerkriegs aufnahm, die interessantere vom US-Barden Pete Seeger, der schon in der 40er Jahren Lieder zu Ehren der US-amerikanischen Kämpfer in Spanien (Lincoln Brigade) aufgenommen hatte.

Neben weiteren Nachkriegssängern wie dem Duo "Juan & José" oder dem Mexikaner Oscar Chávez stammen viele Aufnahmen von Schellack-Platten, die Schebera weltweit zusammengetragen hat. Hervorzuheben ist Paul Robesons Version von "Los cuatro generales", die der schwarze US-amerikanische Schauspieler, (Opern)Sänger und Bürgerrechtler, der 1938 die IB an der Front besucht und für sie gesungen hatte, mit seiner Bassstimme beeindruckend interpretiert. Das gleiche Stück, das auch unter dem Titel "Mamita mía" verbreitet ist, singt ebenfalls Ernst Busch, der zudem einen deutschen Text, "Die Herren Generale", dazu verfasste. Der Schauspieler, Regisseur und Sänger, der später in der DDR lebte, trat 1937/38 auch vor den IB auf. Des weiteren gab er in Spanien das Liederbuch "Canciones de las Brigadas Internacionales" heraus und spielte später LPs mit "Spanienliedern" ein, von denen hier neben vielen anderen "Lied der Internationalen Brigaden" und "Thälmann-Kolonne" zu hören sind, räumt doch Jürgen Schebera Buschs deutsch- und spanischsprachigen Liedern fast zwei CDs Platz ein.

Das Stück "Los Cuatro Muleros" wiederum ist interessant, weil es zeigt, dass viele der im Krieg gesungenen Lieder alte Volkslieder waren, die der zu Beginn des Krieges von den Faschisten ermordete Dichter Federico García Lorca kurz zuvor wiederentdeckt, eingespielt und so erneut populär gemacht hatte.

Ergänzt wird die Liedersammlung durch eine DVD mit dem Film "300 Juden gegen Franco", der die Geschichte jüdischer Freiwilliger aus Palästina erzählt, die gegen die Faschisten gekämpft haben. Insgesamt ein hörens- und beachtenswertes Projekt, bei dem ich mir nur weniger Lieder von Busch und dafür mehr französische, italienische oder anderssprachige Lieder gewünscht hätte; denn immerhin kämpften Männer und Frauen aus rund 50 Nationen in den IB.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

CD 1: Cantemos el Himno
Lieder der Spanischen Republik - Songs Of The Spanish Republic - Canciones de la Segunda República Española

CD 2: ¡A las barricadas!
Lieder des kämpfenden spanischen Volkes 1 - Songs Of The Fighting Spanish People 1 - Cantos del pueblo español en la lucha 1

CD 3: Las Compañías de Acero
Lieder der Republikanischen Volksarmee - Songs Of The Republican Popular Army - Cantos del Ejército Popular de la República

CD 4: Spaniens Himmel breitet seine Sterne
Lieder der Internationalen Brigaden 1 - Songs Of The International Brigades 1 - Canciones de las Brigadas Internacionales 1

CD 5: We Are Abe Lincoln’s Men
Lieder der Internationalen Brigaden 2 - Songs Of The International Brigades 2 - Canciones de las Brigadas Internacionales 2

CD 6: Wie könnten wir je vergessen…
Lieder der Internationalen Brigaden 3 - Songs Of The International Brigades 3 - Canciones de las Brigadas Internacionales 3

CD 7: Todos camaradas
Lieder des kämpfenden spanischen Volkes 2 - Songs Of The Fighting Spanish People 2 - Cantos del pueblo español en la lucha 2

DVD: Madrid Before Hanita
300 Juden gegen Franco - 300 Jews Against Franco - 300 Judios contra Franco

[druckversion ed 11/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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