caiman.de 10/2011

[art_2] Brasilien: Wilder Westen Goiania
Kirchenmann flieht vor Todesschwadronen der Polizei
 
Bereits seit Jahren gibt es Gerüchte über die Existenz von aus Polizisten gebildeten Todesschwadronen im Bundesstaat Goiás in Zentralbrasilien. Im Februar diesen Jahren nahm die Bundespolizei schließlich 19 Angehörige der der Landesregierung unterstehenden Policia Militar fest. Mindestens 20, vielleicht sogar 40 Kinder und Jugendliche sollen sie in den letzten Jahren kaltblütig ermordet haben. Selbstjustiz, um die "Gesellschaft zu reinigen". Dahinter steckt die brutale Logik, dass Kinder und Jugendliche hinter der zunehmenden Gewalt und Kriminalität in Brasiliens Gesellschaft stecken und daher aus dem Wege geräumt werden dürfen.



Seit Jahren schon setzt sich der Jesuitenpater Geraldo Marcos Labarrere Nascimento für die Bestrafung der Täter und gegen Gewalt an Jugendlichen ein. Der 71-Jährige, der das Jugendzentrum Casa da Juventude (Haus der Jugend) in Goiania leitet, welches vom Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche, ADVENIAT, unterstützt wird, half der Bundespolizei sogar bei den Ermittlungen gegen die Todesschwadronen.

Nachdem Gerüchte laut wurden, dass auch Teile der Landesregierung in die Fälle verwickelt seien, rief der Gouverneur eine Kommission zur Untersuchung der schaurigen Taten ins Leben. Auch Padre Gerlado gehörte der Kommission an, deren Mitglieder seit den Festnahmen der Polizisten im Februar in Angst leben. Teilweise werden diese sogar öffentlich von Polizisten bedroht, ohne dass dies Konsequenzen hat. Auch Journalisten, die über die Fälle berichteten, gerieten ins polizeiliche Fadenkreuz.

Nachdem Padre Geraldo im Laufe dieses Jahres mehrere anonyme Morddrohungen erhalten hatte, erreichte ihn in der Nacht des 24. auf den 25. August eine besonders eindringliche Warnung. Ein Todeskommando sei bereits unterwegs zu ihm und wolle er sein Leben retten, so müsse er den Bundesstaat sofort verlassen. Dabei dürfe er nicht mit dem Flugzeug reisen, da die Todesschwadrone über Wege und Mittel verfügten, sich Informationen über sein Reiseziel zu beschaffen. Padre Geraldo verließ daraufhin umgehend Goiania, mit unbekanntem Ziel.

"Es ist auffällig, wie gut diese Todesschwadrone der Polizei hier im Bundesstaat Goiás organisiert sind", urteilt Eduardo de Carvalho Mota, Mitarbeiter von Violencia Goiás. "Und es fällt auf, wie sehr die Politik die Augen verschließt und dies einfach geschehen lässt. Das gilt auch für große Teile der Gesellschaft, die denkt, dass solche Polizeiaktionen genau der Aufgabe der Polizei entsprechen. Man ist der Meinung, dass nur ein toter Bandit ein guter Bandit ist", so Carvalho Mota.

Violencia Goiás geht davon aus, dass die Zahl der verschwundenen Jugendlichen wesentlich höher ist als bisher angenommen. Mindestens 200 Fälle seien bekannt, dazu komme noch eine kaum zu bestimmende Anzahl von Obdachlosen, die in den letzten Jahren spurlos verschwunden seien. Eventuell wurden auch sie Opfer der Todesschwadrone. Hinter den "Säuberungen" stecke eine brutale Logik, meint Carvalho Mota. "Jugendliche sind etwa dreimal so oft Opfer von Morden wie jede andere Bevölkerungsgruppe. Dahinter steckt eine Argumentationskette, die auch von den Medien aufgebaut wurde und besagt, dass Jugendliche gefährlich seien, und dass man sie entweder einsperren oder sogar auslöschen müsse."



Derweil sinkt die Hoffnung, dass die Gräueltaten tatsächlich gesühnt werden. Einer der 18 Polizisten, die vor kurzem noch einsaßen, wurde vor einigen Wochen aus der Haft entlassen. "Die Frist zur Prozesseröffnung war überschritten", berichtet die deutsche Missionarin Petra Silvia Pfaller, die seit Jahren für die Gefängnispastoral in Goiania arbeitet. Diese Entscheidung könnte auch auf die anderen 17 Polizisten ausgedehnt werden. Wilder Westen pur hier in Brasilien!

Text + Fotos : Thomas Milz

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