ed 09/2016 : caiman.de

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spanien: Wo Barock rockt
Zu Besuch in der grandiosen Kirche San Juan de Dios in Granada
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


brasilien: Olympia und die schöne neue Welt
Ausgewählte Höhepunkte Rio 2016
THOMAS MILZ
[art. 2]
argentinien: Ein Tag mit Oscar
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 3]
uruguay: Nostalgie und Futurismus
Architektur a la Uruguaya
LARS BORCHERT
[art. 4]
erlesen: Quo vadis Kuba?
Melodie und Rhythmus (M&R), Heft Juli / Aug. 2016
TORSTEN EßER
[kol. 1]
sehen: Troja ist überall - Der Siegeszug der Archäologie
Rivalen im Maya-Reich / Das Rätsel von Machu Picchu
[kol. 2]
sehen: Brasilien / Zona Norte – Kriegerin des Lichts
Was aus den Straßenkindern des Projeto Uerê geworden ist
[kol. 3]
lauschrausch: Venezuela 70 und Tiempo libre
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Spanien: Wo Barock rockt
Zu Besuch in der grandiosen Kirche San Juan de Dios in Granada
 
Der heilige Johann von Gott (San Juan de Dios) lebte von 1495 bis 1550 und widmete zumindest seine zweite Lebenshälfte ganz dem Dienst am Nächsten. Geboren wurde er in Portugal, kam aber schon mit 12 Jahren nach Toledo. Zunächst kämpfte er in seiner Jugend als Soldat für Kaiser Karl V. Später zog er nach Granada, wo er die theologischen Schriften von Juan de Ávila las und fortan sehr von dessen Gedanken beeinflusst wurde.

Er verschrieb sich absoluter Armut, vernichtete seine Bücher und wanderte von einem Moment zum anderen nackt durch die Stadt. Er wurde verhaftet, für verrückt erklärt und eingesperrt. Nach seiner Entlassung aus dem Kerker unternahm er als Pilger eine Wallfahrt zum Kloster Guadalupe in der Extremadura. Dieses Erlebnis prägte ihn sehr, sodass er sein Leben radikal änderte, sich fortan der Krankenpflege widmete und ein Hospital für Kranke und Sterbende in Granada gründete. Daraus entstand der Orden der Hospitalarier und weitere Krankenhäuser in anderen andalusischen Städten wurden gegründet. Passend für einen Mann, der sich als Idealist ganz der Nächstenliebe verschrieben hatte, starb San Juan de Dios durch Ertrinken beim Versuch, einen jungen Mann aus dem Fluss Genil zu retten. Schon 1690 wurde San Juan de Dios heilig gesprochen und seit 1757 ruhen seine Gebeine in der in jenem Jahr vollendeten Kirche in Granada, die zu den spektakulärsten Barockbauten Europas gehört.

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Eine gewaltige Grabstätte, wenn auch deutlich zu prunkvoll geraten für einen Bettelmönch, der Armut und Demut zu seinen wichtigsten Idealen zählte. Schon von außen wirkt dieser Kirchenbau, der in knapp sechs Jahrzehnten zwischen 1700 und 1757 vollendet wurde, durchaus imposant mit seiner monumentalen Doppelturm-Fassade und der großen Kuppel. Im Zentrum der Hauptfassade erhebt sich eine steinerne Statue des jugendlich wirkenden Heiligen, der in der rechten Hand ein goldenes Banner und in der linken ein Modell seiner Kirche hält.

Von der Popularität dieses "Heiligen der Hospitäler" und seiner Beliebtheit bei der Bevölkerung Granadas zeugt ein großer Blumenstrauß zu seinen Füßen. Inzwischen vertrocknet, wird er sicher bald durch einen neuen ersetzt und man wundert sich, wie man diese Blumengabe dort in Schwindel erregender Höhe anbringen konnte.

Links von der Heiligenstatue entdeckt man die interessante Skulptur eine Engels, der in einem Umhang Brote trägt, um sie an die Armen zu verteilen.

Die meisten Reliefs der Fassade sind Werke des Bildhauers Miguel de Pereda. Die beiden Glockentürme rechts und links sind reich mit Schnörkeln und barocken Girlanden aus Stein verziert. Die 50 Meter hohe Kuppel besteht ähnlich wie die Figueroa-Barockkirchen in Sevilla zum größten Teil aus Ziegeln und ist mit bunt glasierten Dachschindeln bedeckt, vorwiegend in weiß und grün, den Farben Andalusiens.

Man ist also schon beeindruckt von der Außenbesichtigung dieses Tempels. Aber sobald man den Innenraum betritt, ist kein Wort groß genug, um all die Großartigkeit ringsumher zu beschreiben.

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Der erste Eindruck: hier scheint ALLES aus Gold zu sein: nicht nur die sieben (!) Hochaltäre, sondern auch die Kanzeln, die Bilderrahmen, die Gesimse und Fresken. Obwohl die Kirche wie so viele in Andalusien nur kleine und sehr wenige Fenster hat, wird sie von strahlender Helligkeit erfüllt. Hier ersetzt Goldglanz das Sonnenlicht. Der Effekt wird noch geschickt verstärkt durch Hunderte von kleinsten Spiegeln, die in die vergoldeten Altäre integriert wurden und die Strahlkraft des begehrtesten aller Metalle multiplizieren.

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Besonders interessant für Besucher: man kann quasi in den Hauptaltar hinein klettern. – Treppen führen auf seiner Rückseite nach oben, so dass man die schöne Inmaculada mit blauem Mantel auch aus der Nähe betrachten kann und zudem eine eindrucksvolle Aussicht auf das ganze Kirchenschiff von oben erhält. Hier hat man auch einen wunderbaren Blick in die Kuppel mit den Fresken des Barockmalers Sarabia, der auch die Heiligenporträts neben dem Reliquiar gemalt hat. Diese prunkvoll dekorierte, goldene "Knochenkammer" birgt 180 Reliquien und befindet sich auf derselben Höhe wie das Zentrum des Hauptaltars.

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San Juan de Dios ist ganz großes Barocktheater nach allen Regeln der Kunst. In dem ganzen Tempel gibt es keinen Quadratzentimeter ohne Dekoration – das barocke Prinzip des "Horror Vacui" wurde hier im künstlerischen Gesamtkonzept sehr konsequent umgesetzt.

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Zu den wichtigsten Kunstschätzen dieser Kirche gehören neben dem grandiosen Goldgebirge des ca. 20 Meter hohen Hauptaltars die Madonnenstatuen und Heiligenskulpturen von Bernardo und Diego de Mora, Pedro de Mena, und die Gemälde der Barockmeister Conrado Giaquinto und Carlos Maratta sowie die außergewöhnlich verschnörkelte Kanzel, die natürlich auch üppig vergoldet wurde. Übrigens war es König Philipp V., der das Gold für die Altäre von San Juan de Dios stiftete.

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Kritiker mögen nun einwenden, von diesem Gold hätte man vielleicht ein halbes Dutzend Krankenhäuser bauen können. Aber Kranke und Krankenhäuser kommen und gehen. Gold hingegen strahlt ewig und dieser Barocktempel wird noch in Jahrhunderten das Auge zukünftiger Generationen erfreuen und an den Namen des Heiligen erinnern, dem er gewidmet wurde: an Johannes von Gott, einen Krankenpfleger, dessen Programm radikale Nächstenliebe war.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Und noch ein Tipp zum Schluss: Den schönsten Blick auf Kuppel und Türme von San Juan de Dios hat man von der Dachterrasse des Hotels Colón schräg gegenüber. Man muss kein Gast sein, einfach im Aufzug ganz nach oben fahren, am besten kurz vor Sonnenuntergang in der Azotea-Bar einen Cocktail trinken und den Blick auf Granada und seine schönste Barockkirche genießen.

Link 1: La Basilica de la Inmaculada y San Juan
Link 2: Fachada Basilica San Juan de Dios

Adresse: C/ San Juan de Dios 19 (Eingang rechts neben der Hauptfassade).
Es sind Audio-Guides verfügbar. 
Eintritt: 4 Euro
Montags bis Samstags: 10.00 bis 13.00 und 16:00 bis 19:00
Sonntags: 16.00 bis 19.00

[druckversion ed 09/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Brasilien: Olympia und die schöne neue Welt
Ausgewählte Höhepunkte Rio 2016

"Um mundo novo", eine "neue Welt" lautete der Slogan, der überall an den Arenen der Olympischen Sommerspielen Rio 2016 zu sehen war. Wir haben mal genau nachgeschaut. Und gelernt, wie diese neue Welt aussieht.

Neue Welt, Teil 1: Arena Beachvolleyball, Copacabana. Der Blick ist unglaublich. Zum Meer hin ist die 12.000 Menschen fassende Arena offen, man sieht die Wellen bis dicht an die Tribünen kommen. Wer in der Arena ganz oben sitzt, schaut über die ganze Copacabana mit ihrem Strand und den Hochhäusern hinaus. Unten macht ein DJ mächtig Dampf. Partystimmung am berühmtesten Strand der Welt. Vor uns nehmen zwei junge Damen Platz, die die ersten 15 Minuten des äußerst spannenden Spiels mit dem Schießen von Selfies verbringen, wobei das Spielgeschehen hinter ihnen liegt. Den Rest der Partie verbringen sie damit, den Gesichtern auf den geschossenen Selfies digital mit Hundenasen und Hasenohren zu versehen. Die so aufgepäppelten Fotos werden dann per Whatsapp an diverse elektronische Adressen verschickt und reichlich kommentiert. Dann ist das Spiel vorbei und die Damen verlassen die spektakuläre Arena. Die "neue Welt" ist also digital, wir begleiten sie in real-time. Ach ja, wer hat da eigentlich gespielt? Jemand mit Hundenase?

Neue Welt, Teil 2: die Fressmeile im Olympiapark von Barra da Tijuca. In den ersten Olympiatagen klagten viele Zuschauer über Versorgungsengpässe in den Arenen und Parks. Und das obwohl patente fastfood- und Getränkebrausekonzerne Olympia sponsern. Und eine brasilianische Cateringgruppe mit familiären Beziehungen ins Organisations-Komitee hinein eigentlich für das leibliche Wohl sorgen sollte. Es fehlte an Nachschub und Personal. Und sogar an Leitungswasser. Danach wurde die Zahl des Bedienpersonals angeblich verzehnfacht. Doch jetzt steht man wieder einmal an der Kasse Schlange, an der man die Voucher für Getränke und Essen bezahlen muss. In bar oder mit der Kreditkarte des Olympia-Sponsors. Nach einer halben Stunde ist man dran. "Es gibt nur noch Cheeseburger" ist die knappe Ansage. Okay, dann Cheeseburger. Man wartet 45 Minuten, um endlich den besagten Cheeseburger zu bekommen. Der riecht nach der Pappverpackung. Und die seltsamen Käsescheiben mittendrin kleben den Rest des Abends an den Zähnen. In der "neuen Welt" braucht man also Geduld. Und einen Zahnstocher für den Zahnkäse sowie eine Wäscheklammer, die man beim Essen auf die Nase klemmt.

Neue Welt, Teil 3: die Plastikbierbecher! In 42 Varianten der olympischen Modalitäten. Die werden schnell zum Sammlerstück, manche kaufen nur deshalb ein Bier, weil man die Becher-Kollektion ergänzen will. Warum sollte man das Bier des offiziellen Sponsors auch sonst trinken? Das Bier ist "like making love in a canoe - fucking close to water", würde Monty Python sagen. Und der Becher stinkt furchtbar nach Plastik. Uargh! Die "neue Welt" besteht aus Plastik-Bierbechern, die stinken und ungenießbares Bier bieten.

Neue Welt, Teil 4: die "nachhaltigen Spiele". Während der Eröffnungsfeier "spendete" jeder Sportler einen Setzling - 11.000 Bäume sollen nach Olympia gepflanzt werden. Nette Idee. In den Olympiaparks und Arenen gibt es Essen, wenn man es so nennen kann, und Trinken nur in aufwendigen Plastik- und Pappverpackungen. Laut den Organisatoren sollen insgesamt 2.000 Tonnen Müll in den Olympiaparks produziert worden sein. Die "neue Welt" pflanzt tausende Bäume und produziert tausende Tonnen Müll. Wie das wohl zusammengeht?

Neue Welt, Teil 5: Spiele fürs Volk. Und das ist im Fall Brasiliens ja mindestens zur Hälfte dunkelhäutig. Die sah man aber in den Stadien nicht. Da saßen fast nur hellhäutige Menschen, Brasilianer und Touristen. Ansonsten war die Stimmung in den Arenen gut, auch wenn manche fast leer waren. Als unsere Frau Kerber um olympisches Tennis-Gold spielte, war das Stadion zu 3/4 leer. An Karten kam man trotzdem nicht - seltsam seltsam. So neu ist die "neue Welt" da also nicht. Auch nach 31. Sommer-Olympiaden ist der geregelte Ticketverkauf immer noch eine Achillesferse.

Nun ist Olympia vorbei, das Raumschiff Olympia ist weggeflogen, hat Milliarden an Gewinnen mitgenommen und die Milliarden schweren Rechnungen den Brasilianern dagelassen. Es landet erst 2020 wieder in Tokio. Dann wieder mit Plastikbechern und Cheeseburgern.






[art_3] Argentinien: Ein Tag mit Oscar
 
Koordinator eines Kolpingverbandes – das klingt auf Anhieb nicht nach einem besonders aufregenden Beruf. Doch wer einen Tag mit Oscar Vargas in den Vororten der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires verbringt, erlebt wie spannend und vor allem erfüllend die Arbeit im Kolpingverband sein kann.

Der Wagen steht, mal wieder. Der Stau rund um Buenos Aires ist legendär und kostet Millionen Menschen jeden Tag viele Stunden Lebenszeit. Doch Oscar Vargas lässt sich nicht davon beeindrucken, zückt das Telefon und ruft den ehemaligen Bischof von Quilmes an. ob er ihm da in einer Sache helfen könne? "Er stammt aus Deutschland und ist mit Kolping aufgewachsen", erklärt Oscar. "Wenn ich irgendetwas von einem Pfarramt brauche, dann legt er immer ein gutes Wort für uns ein."

Oscar Vargas, 34 Jahre alt und studierter Biologe, ist ein echter Tausendsassa, ein Strippenzieher, der überall seine Kontakte und immer eine Idee hat, wen er anrufen und fragen könnte, ganz gleich um was es geht. Seit Jahren bekleidet er die Stelle als Leiter von Kolping im Großraum Buenos Aires und seit der charismatische junge Mann hier seinen Job angetreten hat, ist das Kolpingwerk in einer Geschwindigkeit gewachsen wie nirgendwo sonst auf der Welt. "Ich gründe jedes Jahr eine neue Kolpingfamilie." Für einen Augenblick blitzt Stolz über diese Leistung in seinen Augen auf. "Dieses Jahr entsteht unsere siebte, hier in diesem Viertel." Oscar zeigt auf die am Straßenrand stehenden, bescheidene Häuschen, fast schon Hütten, an denen sich die Autokolonne langsam vorbei schiebt. Jedes Jahr eine Kolpingfamilie zu gründen, das bedeutet eine unglaubliche Menge an Papierkram, Telefonaten und Besprechungen. Anträge müssen gestellt und Gelder beschafft werden und ganz nebenbei sind da ja auch noch die übrigen Kolpingfamilien zu betreuen. Doch wer eine Kolpingfamilie gründen will, muss vor allem eines können: Menschen für eine Sache begeistern. Und das kann Oscar wie kein zweiter.

Als Oscar nach langer Fahrt im Kolpingbildungszentrum von Quilmes, einer Vorstadt von Buenos Aires, ankommt, ist es fast, als sei der Familienvater heimgekehrt. Jeder im Raum will ihn begrüßen, kurz mit ihm sprechen und Oscar nimmt sich Zeit für jeden einzelnen. "Die Menschen suchen einen Ort, an dem sie gebraucht und respektiert werden, einen Ort, an dem sie Gemeinschaft finden." Oscars Kolping-Zentren sind solche Orte. Es sind Ersatzfamilien, an denen man die täglichen Sorgen vergessen kann und gemeinsam an einer größeren Sache arbeitet.

Tägliche Sorgen, davon gibt es viele in den Vorstädten von Buenos Aires. Das Leben ist teuer und die Gehälter niedrig, 16 Stunden täglich in zwei unterschiedlichen Jobs zu arbeiten, das ist hier völlig normal. Es ist eine Welt, in der sich Ehepartner oder Eltern und Kinder nur zwischen Tür und Angel sehen, in der Familien unter der hohen Belastung zerbrechen und man die Nachbarn höchstens vom Sehen kennt, weil sie nie daheim sind. Inmitten der geschäftigen Betriebsamkeit bleibt der Einzelne einsam zurück, vor allem Ältere, deren Kinder aus dem Haus sind.

"Mir fehlte etwas in meinem Leben. Kolping hat mir den inneren Frieden gegeben. Jetzt habe ich einen anderen Blick auf die Dinge und es gibt mir viel, bei Kolping Solidarität zu erleben." Omar Monzóns Stimme stockt, als er das erzählt. Aber es ist ihm wichtig auszudrücken, was Kolping für ihn bedeutet. Als er es geschafft hat, laufen dem Rentner Tränen über die Wangen. Oscar nimmt ihn fest in den Arm und Elida Nieva klopft ihm beruhigend auf die Schulter. Mit ihren 33 Jahren ist sie mit Abstand die Jüngste der Runde. "Ich kam in einem schwierigen Moment meines Lebens hier her, hatte große persönliche und gesundheitliche Probleme. Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal das Kolping-Zentrum betrat. Ich sah Carlos und Angelita und fühlte mich zu Hause. Vom ersten Tag an. Und dafür möchte ich Euch danken", sagt sie und blickt die beiden anderen Ehrenamtlichen an. Dann besinnt sie sich auf das, was sie eigentlich erzählen wollte. "Ich gebe hier im Zentrum Computerkurse – Internetrecherche, Emails schreiben, Dokumente anlegen, solche Dinge. Ich mache das ehrenamtliche, weil ich sehe, dass es bei uns viele Menschen gibt, die Probleme haben, die etwas lernen müssen um ein besseres Auskommen zu finden. Hier bei Kolping fühle ich mich nützlich und gebraucht."

Ein Ehrenamtlicher nach dem anderen erzählt seine Geschichte und was für Aufgaben er bei Kolping übernommen hat. Da gibt es Spielgruppen für Kinder, Näh- und Elektrikerkurse oder Workshops, in denen alte Möbel restauriert werden. Jeder bringt seine unterschiedlichen Talente und Erfahrungen ein. Eines aber haben alle gemeinsam: Den Willen etwas zu bewegen. "Doch man kann nicht immer nur arbeiten und sich Sorgen machen", bricht Oscar die Runde irgendwann ab. "Man muss auch gemeinsam fröhlich sein und das Leben spüren." Sagt es und holt seine Gitarre hervor. Dass Oscar so viele Menschen für Kolping begeistern kann, hängt gewiss auch mit seiner voll tönenden Stimme zusammen. Kräftig greift er in die Saiten und singt ein zugleich sehnsuchtsvolles und fröhliches argentinisches Volkslied. Unversehens wird getanzt, geklatscht und gesungen.

Mindestens einmal im Monat treffen sie sich, um zu feiern, jeder bringt etwas zu essen und zu trinken mit. Irgendein Anlass findet sich immer, und wenn es der Nationalfeiertag ist. "Bei unseren Festen mit Oscar lernen wir uns besser kennen und verstehen. Wir teilen unsere Freude und auch unsere Sorgen. Gemeinsam zu arbeiten und zu beten ist wichtig und schön. Aber man muss auch gemeinsam feiern können", sagt Mirta Vera, Vorsitzende einer der Kolpingfamilien.

Es ist spät geworden und nach und nach verabschieden sich die Freiwilligen. Manche brechen zu einem nächtlichen Zweitjob auf, andere müssen am nächsten Tag früh raus. Auf Oscar wartet noch Arbeit am Computer, es sind Anträge zu schreiben und ein Treffen in der Stadtverwaltung vorzubereiten. Seine Tage dauern immer bis tief in die Nacht. Ob da denn Zeit für eine Familie bleibe?  Er wischt die Frage mit einer Handbewegung zur Seite und Mirta meint dazu "die braucht er nicht, er hat doch uns." "Ja", sagt Oscar "Kolping ist die größte Familie der Welt."

Weitere Zitate von Kolpingmitgliedern
Margarita Gutierrez: "Das Werk Kolpings ist wunderbar. Es gibt so viel: Liebe, Frieden, alles, was wir brauchen um zu leben. Hier bei Kolping geht es um die wichtigen Dinge. Wir helfen uns gegenseitig, wir unterstützen uns, reisen und feiern zusammen. Das ist das, worauf es ankommt."
Angelita Vega: "Das größte Problem bei uns ist, dass die Menschen ihre Werte verloren haben. Kolping hilft uns, sie wieder zu finden. Wir selber finden sie hier und können so helfen, dass auch andere sie finden."
Carlos de Pinto: "Ich hatte ein schweres gesundheitliches Problem und wäre fast gestorben. Gott hat mir die Chance gegeben, weiter zu leben. Dieses Geschenk will ich nutzen, in dem ich anderen Menschen helfe. Hier bei Kolping kann ich das tun. Kolping ist mein zu Hause. Hier habe ich Freunde und finde Frieden."

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

[druckversion ed 09/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien]





[art_4] Uruguay: Nostalgie und Futurismus
Architektur a la Uruguaya
 
Eines der am häufigsten fotografierten Gebäude im Land ist Casapueblo: Atelier und Museum des lateinamerikanischen Picasso: Carlos Páez Vilaró. An dem extravaganten Gebäude in Punta Ballena wurde 36 Jahre lang gebaut. Doch ist es bei Weitem nicht das einzige Bauwerk in Uruguay, das sich zu besuchen lohnt. Schon bei der Ankunft (sofern man einfliegt) überrascht der Hauptstadtflughafen Aeropuerto Internacional de Carrasco als ein architektonisches Meisterwerk. Das revolutionäre futuristische Design des eleganten, transparenten Gebäudes stammt von dem uruguayischen Architekten Rafael Viñoly und hat bereits zahlreiche internationale Preise gewonnen. Besonders die Dreifachkrümmung der Decke, die sich über das Gebäude spannt und an seinen Enden auf dem Boden zu schweben scheint, gibt dem Flughafen beinahe den Anschein eines Raumschiffes.

Foto: Die Aduana, das Zollgebäude Montevideos, ist ein weithin sichtbarer Art Déco-Bau, der 1923 errichtet wurde.


In starkem Kontrast zu so viel Moderne stehen die meisten anderen Gebäude in Uruguay (selbst die Hauptstadt strotzt nicht vor zeitgenössischen Bauten). Die Stilrichtungen variieren stark in einem Land, das viele Eroberer erdulden musste und vielen Einwanderern eine neue Heimat gab: Kolonialarchitektur, Renaissance und Barock, spanischer bzw. französischer Klassizismus, italienischer Neoklassizismus, Art déco – alles ist vertreten.

Besonders der im Stil des Eklektizismus bzw. Art déco erbaute Palacio Salvo in Montevideo sticht im wahrsten Sinne des Wortes heraus, war er doch mit 26 Stockwerken das erste Hochhaus des Landes und bis 1935 das höchste Gebäude Südamerikas.

Ohnehin ist die Hauptstadt berühmt für ihre Paläste und Stadtvillen sowie die mit Stuck und anderen Ornamenten geschmückten Reihenhäuser. Viele Gebäude der Stadt sind zwar trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs im Land in einem etwas heruntergekommenen Zustand. Aber sie haben sich ihren Charme bewahrt und lohnen einen Blick – und es ist ein Glück, dass nur wenige abgerissen und durch hässliche Betonklötze ersetzt wurden.

Ein anderes architektonisches Highlight aus den letzten beiden Jahrhunderten sind die zahlreichen Estancias. Viele stammen aus der Gründungszeit der Republik. Sie sind eher schlichte, oft sogar festungsähnliche Bauten mit meterdicken Mauern und Fenstern, die zum Teil handgeschmiedete Eisengitter aufweisen. In der Mitte ihrer Innenhöfe befindet sich oft noch ein Schöpfbrunnen. Ab der späten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fiel die Architektur der Landgüter dann schon sehr viel stattlicher aus. Die Herrenhäuser der Anwesen erstrahlen noch heute in ihrer meist kolonial inspirierten, stark von der spanischen Architektur beeinflussten Pracht. Einige von ihnen haben sogar einen Turm (Mirador), der eher Repräsentationszwecken als der Verteidigung diente. Die Decken der "neuen" Estancias sind schon sehr viel höher und die Fenster deutlich größer. Die Fassaden zieren Stuck und andere Ornamente. Kurz: Wer sich für historische Landgüter und herrschaftliche, mediterran inspirierte Architektur mit Patios, Brunnen, Galerien, schweren Mauern, hohen Decken und kunstvoll geschmiedeten Fenstergittern interessiert, ist in Uruguay genau richtig.

Kleinere öffentliche Gebäude und die Wohnhäuser der Familien auf dem Land stammen mehrheitlich aus der Zeit zwischen 1900 und 1940. Sie sind in einer eher simplen, aber dennoch deutlich neo-kolonialen Bauweise errichtet. So wie in anderen Teilen der Welt waren auch in Uruguay nach der vorletzten Jahrhundertwende historisierende Baustile modern. Sie und die unter dem Einfluss des Art déco entstandenen Gebäude sind es, die oft den Eindruck erwecken, in manchen Orten Uruguays sei die Zeit stehen geblieben.

Text + Foto: Lars Borchert

Reiseführer Uruguay: Dieser Text ist dem Reiseführer Uruguay – Handbuch für individuelles Entdecken erschienen im Reise Know-how Verlag entnommen. Wer nicht bis zum nächsten Caiman warten, sondern möglichst schnell mehr über Uruguay erfahren möchte, kann sich diesen Reiseführer für 16,95 Euro unter info@larsborchert.com persönlich beim Autor bestellen oder im gut sortierten Buchhandel kaufen.
Titel: Uruguay – Handbuch für individuelles Entdecken
Autor: Lars Borchert
ISBN: 978-3831725908
Seiten: 300
Verlag: Reise Know-How
1. Auflage 08/2015

[druckversion ed 09/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: uruguay]





[kol_1] Erlesen: Quo vadis Kuba?
Melodie und Rhythmus (M&R), Heft Juli / Aug. 2016

"Quo vadis Kuba?", diese Frage haben sich Mitarbeiter der Zeitschrift "Melodie und Rhythmus" (M&R) gestellt und sind auf die Insel geflogen, um sich selbst ein (musikalisches) Bild zu machen. Die Autoren der Texte / Interviews im Schwerpunkt "Viva Cuba" (Heft Juli / Aug. 2016) haben bei ihrem Besuch Liedermacher, Rapper, Jazzer und Rockmusiker getroffen, viele Konzerte besucht und die Stimmung auf der Insel aufgesaugt. In Interviews mit u.a. dem Jazzer Javier Zalba, dem spanischen Flamenco-Sänger "El Cigala" (sehr lesenswert!) oder der Sängerin Omara Portuondo erkunden sie die persönlichen Biographien der Musiker, aber auch die Geschichte der Insel und das Wesen der kubanischen Musik. Ein lobenswertes Projekt in Zeiten fortschreitender Digitalisierung, in denen Printprodukte und CD´s aus der Mode kommen.

Diverse
Viva Cuba
M&R / Verlag 8. Mai

Dabei sollte man wissen, dass M&R eine dem Marxismus und der Frankfurter Schule verhaftete Zeitschrift ist, denn die politischen Hintergründe werden oft nur durch das linke Brillenglas betrachtet und gipfeln so manchmal in einer für ausschließlich politisch-ideologisch denkende Menschen typischen Schwarz-Weiß-Malerei: Kuba = gut, USA ("das Imperium", S. 30) / Yankee-Musik = schlecht. So einfach ist es nicht! Und der kubanische Musikwissenschaftler Olavo Alén verzichtet bezeichnenderweise in seinem aufgezeichneten Gespräch über die Musikgeschichte denn auch auf solche Schlussfolgerungen. Ebenso der Liedermacher Gerardo Alfonso, der zeitweise sehr unter der staatlichen "Zensur" zu leiden hatte, und der im Interview sehr offen über die früheren und aktuellen Missstände der Revolution berichtet, die nämlich vielfach hausgemacht waren bzw. sind, und die inzwischen auch auf der Insel (teilweise) von Historikern aufgearbeitet werden (Tobias Thiele hingegen "vergisst" in seinem Artikel über die "Trova / Nueva Trova" mal eben die teils erheblichen Schwierigkeiten, die jede Generation der Liedermacher mit den staatlichen Institutionen hatte (z.B. Pablo Milanés, Carlos Varela, Pedro Luis Ferrer).

Besonders durchsetzt mit ideologischen Spitzen ist der einleitende Text von Gerd Schumann, ehemaliger Leiter des Ressorts Außenpolitik der jungen Welt (!), der anscheinend den Untergang des Sozialismus emotional noch nicht verarbeitet hat. Leider streifen sie oft nur die Oberfläche eines Problems und die Wortwahl erinnert an Reden von Honecker und Ulbricht über "Beatmusik": "Der Import von westlichen Riten und Ritualen - auch Kultur genannt - soll das Tor öffnen für die Etablierung einer bewusstseinstechnischen Verflachungstendenz, die den Menschen zu [...] einem auf Konsum fixierten Wesen verformt".

Das ist kein neues Phänomen auf der Insel und war nur durch die Blockade einerseits und die staatliche "Verleumdung" andererseits in den 1960er-80er Jahren abgeschwächt. Die (junge) Bevölkerung aber fühlte sich immer zu anglo-amerikanischer und europäischer Musik / zu US-Produkten hingezogen, daran änderte auch eine sozialistische Erziehung nichts. Nicht umsonst versuchte man auch in Kuba Ersatzprodukte wie den songo zu schaffen, vergeblich. Der hier als straffer Sozialist zitierte Ex-Kulturminister Abel Prieto war / ist übrigens bekennender Beatles-Fan und die treibende Kraft hinter der Aufstellung der Lennon-Statue in Havanna.

Es freut mich natürlich, dass Herr Schumann mich im seinem anderen Text über die Rocksmusik Kubas zitiert, aber auch dieser ist – wenn man die Geschichte und die Szene lange begleitet hat – sehr verharmlosend. Denn ob es nun "der Staat" oder "nur" seine Kulturfunktionäre waren, Tatsache ist, dass viele Rockmusiker und –fans erhebliche Nachteile für ihre Leidenschaft hinnehmen mussten, bis hin zu Lager- oder Gefängnisstrafen.

"Die Kubaner trauen ihrer Regierung zu, die weitere Entwicklung zu meistern...", ist ein weiteres Zitat aus dem Heft. Das freut mich, aber ich befürchte, dass es sich hier um das Phänomen einer selektiven, in diesem Fall linken, Wahrnehmung handelt: In Studien zum Leseverhalten wurde belegt, dass Menschen am liebsten das lesen, was ihre Meinung weitestgehend bestätigt. Und solche Menschen trifft und spricht man auch gerne, das scheint auch den Autoren so gegangen zu sein. Ich jedenfalls habe bei meinen acht Aufenthalten auf der Insel viele Menschen getroffen (und mit ihnen gearbeitet), die das anders sahen, darunter sympathische und vom Sozialismus überzeugte Studenten, Journalisten und Funktionäre, die im weiteren Verlauf unserer Bekanntschaft auf einmal in Madrid oder Miami lebten… (und das waren nicht nur sog. "Wirtschaftsflüchtlinge").

Als weitere Quelle in der Literaturfülle über die (Musik der) Insel hat das Heft (und die CD) seinen Wert, besonders, wenn die ideologischen (Unter)Töne entfallen, wie z.B. im interessanten Interview über das Urheberrecht etc., oder wenn wie im Text "Zwei Kulturmodelle im Kampf" bewusst die kommunistische Kulturvorstellung dem Modell der USA gegenüberstellt wird. Und dort stehen dann auch die Kernsätze des ganzen Hefts, vom Journalisten Enrique Ubieta: "Die einzige Lösung [zur Rettung Kubas] ist, um kritische Menschen zu kämpfen, die in der Lage sind zu differenzieren, und das eine vom anderen Produkt zu unterscheiden", und "…brauchen wir einen starken Staat, der das Authentische der Kultur fördert" (womit natürlich kein irgendwie zensierender Staat gemeint sein kann). Nur das wird "gegen die drohende Ausplünderung…" helfen, die im Editorial befürchtet wird.

Text: Torsten Eßer
Cover: M&R Verlag

[druckversion ed 09/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: erlesen]





[kol_2] Sehen: Rivalen im Maya-Reich / Das Rätsel von Machu Picchu
Troja ist überall – Der Siegeszug der Archäologie
 
Folge 1: Rivalen im Maya-Reich

Der Deutsche Teobert Maler und der Amerikaner Edward Thompson waren besessen von dem Wunsch, als Maya-Forscher Geschichte zu schreiben – jeder auf seine Art. In den Regenwäldern von Mexiko und Guatemala entwickelte sich ein Wettlauf um Ruhm, Geld und Anerkennung. Ihr Ringen miteinander spiegelt die beiden Philosophien wider, die die Archäologie des 19. Jahrhunderts bestimmten: Erkenntnisgewinn und Erhaltung kontra Raub im Namen der Wissenschaft.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Edward Herbert Thompson finanzierte seine Reisen in das Mayaland auch, indem er vor Ort Fundstücke entnahm und sie an amerikanische Museen verkaufte.

Copyright: PHOENIX/ZDF/David Kämmerer


Maler war Dokumentarist, Archivar und vor allem ein hervorragender Fotograf. Seine Bilder sind für moderne Wissenschaftler noch immer oft der erste und einzige Anhaltspunkt für das Verstehen und Interpretieren versunkener Tempel und Paläste der ebenso rätselhaften wie faszinierenden Kultur der Maya. Seine Expeditionen führten den Deutschen kreuz und quer durch das gesamte Maya-Reich. Tausende Kilometer legte er im Dschungel zurück. Monate lang war er ohne Unterbrechung unterwegs – um zu zeichnen und zu fotografieren und so die Kultur der Maya zu bewahren. Dabei hatte er den amerikanischen Forscher Edward Thompson besonders im Visier.

Sendetermin und Hintergrundinfo
Troja ist überall - Der Siegeszug der Archäologie
Mittwoch, 10. August 2016

Folge 1: Rivalen im Maya-Reich
Beginn: 20.15 Uhr

Folge 4: Das Rätsel von Machu Picchu
Beginn: 23.00 Uhr

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Als Pionier der Unterwasser-Archäologie erkundet Edward Thompson einen als Cenote bezeichneten Maya-Brunnen.

Copyright: PHOENIX/ZDF/David Kämmerer


Thompson war der Gegenentwurf eines verantwortungsvollen Wissenschaftlers. Um bei seinen Raubzügen durch das mexikanische Yucatán ungestört walten zu können, beantragte er beim amerikanischen Außenministerium einen diplomatischen Status. Fortan suchte Thompson als Konsul die Stätten der Maya nach gewinnbringenden Funden ab. Dabei war er äußerst erfolgreich und lieferte so viele Artefakte an die amerikanischen Museen, dass er dort als Held galt. Als Thompson dann auch noch als erster Unterwasser-Archäologe Amerikas in die geisterhaften Opferbrunnen der Maya hinab tauchte, wurde er zu einer lebenden Legende.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Palenque, das "Paris der Maya".

Copyright: PHOENIX/ZDF/David Kämmerer


Obwohl die Rivalität ihre Arbeit bestimmte, legten Teobert Maler und Edward Thompson entscheidende Grundsteine für die Archäologie des 21. Jahrhunderts. Die Wissenschaftler von heute führen mit modernen Methoden die Arbeit fort und versuchen genau wie ihre Vorgänger, die noch immer bestehenden Geheimnisse der Maya in Mexiko, Guatemala und Honduras zu lüften.

Folge 4: Das Rätsel von Machu Picchu

1532 eroberten 168 spanische Soldaten unter dem Kommando von Francisco Pizarro, einem ehemaligen Schweinehirten, das heutige Peru. Ein Teil der Inka floh an einen Ort namens Vilcabamba und leistete von dort aus noch bis 1572 Widerstand. Der Rückzugsort wurde in der Folgezeit zu einem Mythos. Das Wissen um seine Lage ging verloren, nicht aber die Gerüchte über sagenhafte Gold- und Silberschätze, die in Vilcabamba vor den Konquistadoren versteckt worden sein sollen. Unzählige Abenteurer und Archäologen durchstreiften seither die peruanischen Anden, auf den Spuren der letzten Inka.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Die Inkaruine Machu Picchu gibt den Archäologen noch immer Rätsel auf.

Copyright: PHOENIX/ZDF/Thomas Bianga


Der Morgen des 24. Juli 1911: Nebel verschlechtert die Sicht und nur wenig Licht scheint durch das dichte Gewächs. Ein junger Amerikaner kämpft sich einen unwegsamen Andenpass hinauf. Immer wieder rutscht der Mann ab, Blattwerk peitscht ihm ins Gesicht, Gestrüpp auf dem Boden fesselt ihn. Seine Gesichtszüge sind verzerrt, vor Anstrengung und Schmerz. Als er endlich oben ankommt, macht er die spektakulärste Entdeckung in der Geschichte der Inkaforschung. Vergessen im nahezu unzugänglichen Gebirge Perus und dem dichten Nebel des Regenwaldes thront die atemberaubende Festung Machu Picchu auf einem Felssporn hoch über dem Urubambatal. Es soll der wichtigste Tag im Leben des amerikanischen Forschers Hiram Bingham werden. Er selbst misst dem Fund zunächst allerdings nur wenig Bedeutung bei, da er in den Schriften spanischer Chronisten keinen Hinweis auf den Ort findet.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Der Amerikaner Hiram Bingham erforschte auf drei Expeditionen von 1911-1915 die Kultur der Inka.

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Der junge Wissenschaftler läutete mit der „Yale Peruvian Expedition“ im Jahr 1911 eine neue Ära in der Geschichte der Archäologie ein. Zum ersten Mal bricht ein interdisziplinäres und mit modernster Technik ausgestattetes Team auf, um eine bisher unbekannte Region Perus zu erkunden. Für seine Expedition hat sich Bingham das größte und in vielen Teilen unzugänglichste Reich in der Geschichte Amerikas ausgesucht.

Die Inka selbst nannten es Tahuantinsuyu, Land der vier Teile. Ihre Herrschaft schwankte zwischen perfekter Ordnung und grausamer Despotie. Die Ordnung des Reiches spiegelt sich in seiner planvollen Architektur wieder, einem mehr als 20.000 Kilometer umfassenden, phantastisch ausgebauten Straßensystem und einer wirtschaftlichen Verwaltung, die die Versorgung der Bevölkerung auch bei Katastrophen und in Dürrejahren sicherte.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Die Nachfahren der Inka leben noch immer in den Anden.

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Fast 100 Jahre nach der Entdeckung ist der ursprüngliche Zweck Machu Picchus, dieser archäologischen Stätte der Superlative, noch immer nicht geklärt.

Weitere Infos: phoenix

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[kol_3] Sehen: Brasilien / Zona Norte – Kriegerin des Lichts
Was aus den Straßenkindern des Projeto Uerê geworden ist
 
2001 hat Regisseurin Monika Treut die Menschenrechtlerin Yvonne Bezerra de Mello porträtiert, die sich um Straßenkinder in Rio kümmert. Jetzt fragt Treut nach dem Stand des Hilfsprojekts.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 1: Die sechs Moraes Schwestern mit Filmemacherin Monika Treut (Mitte).

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Aus der langjährigen Arbeit hat Yvonne Bezerra de Mello mittlerweile eine neue Pädagogik entwickelt, die durch Gewalt und Krieg traumatisierten Kindern weltweit helfen kann, ihre Erfahrungen und die daraus resultierenden Lernprobleme zu überwinden.

15 Jahre nach Monika Treuts Film "Kriegerin des Lichts" hat sich vieles verändert, vor allem die Stadt Rio ist nicht mehr wiederzuerkennen: Die Fußball-WM 2014 und die Vorbereitung auf die Sommer-Olympiade 2016 haben ihre Spuren hinterlassen. Der den Mega-Sportereignissen geschuldete, extreme Militäreinsatz gegen die Bewohner der Favelas hat bürgerkriegsähnliche Zustände provoziert. Fast täglich eskaliert die Gewalt.

Sendetermin und Info
Im Fokus: Brasilien
Zona Norte
Dokumentarfilm von Monika Treut, Deutschland 2016
Länge: 91 Minuten

Zona Norte lief am 26. Juli 2016 im ZDF.
Aktuell findest du den Dokumentarfilm in der ZDF-Mediathek.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Archäologen und Drehteam. Im Hintergrund altes Gebäude.
Foto 2: "Zona Norte": Ein Soldat sondiert durch ein Fernglas die Lage, während vor ihm, auf Sandsäcken aufgebaut, ein schussbereites Maschinengewehr steht.

Copyright: ZDF/Bernd Meiners

Wie geht Bezerra de Mellos Hilfsprogramm "Projeto Uerê" mit der veränderten Lage um? Und was ist aus den Kindern geworden, die in "Kriegerin des Lichts" vor der Kamera standen?

Der damals 13-jährige Tiago hatte als Sechsjähriger das Candelaria-Massaker überlebt, bei dem acht Straßenkinder brutal von der Polizei ermordet worden waren. Der HIV-positive Junge trug als Schuhputzer zum Unterhalt seiner zehnköpfigen Familie bei und träumte davon, Automechaniker zu werden.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Gómez und zwei Arbeiter in unterirdischem Gang.
Foto 3: Seit Jahrzehnten setzt sich die brasilianische Menschenrechtlerin Yvonne Bezerra de Mello (links) im Rahmen ihres Hilfsprojektes Uere für Rechte und Bildung von Favelakindern ein.

Copyright: ZDF/Bernd Meiners


Vanessa, ein begabtes, lernbegieriges Mädchen, sehnte sich nach einem Leben ohne Leid und hoffte, später Anthropologin zu werden.

Die Schwestern Pamela, Joice und Gessica erfuhren nur in Yvonne Bezerra de Mellos sicherem Haus, dass das Leben nicht nur aus Gewalt, Drogen und Vernachlässigung besteht.

Aus den Kindern von damals sind heute junge Erwachsene geworden, die aus ihrem Leben berichten. Sie sind der lebende Beweis dafür, dass eine alternative Pädagogik langfristig den Teufelskreis von Armut und Gewalt zu durchbrechen vermag.

Das WDR WELTWEIT-Team hat ihn auf dieser Mission begleitet.

Weitere Infos: ZDF

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[kol_4] Lauschrausch: Venezuela 70 und Tiempo libre

Seit den 30er Jahren floss das Öl in Strömen in Venezuela und der Preis stimmte, zu Beginn der 70er Jahre noch gesteigert durch die "Ölkrise". So entwickelte sich das Land in kurzer Zeit zu einer relativ modernen Regionalmacht mit einer boomenden Kulturszene, die stark an den USA orientiert war, auch weil sich viele Amerikaner im Land befanden. Das beeinflusste die einheimischen Musikszenen stark. Die Rockmusiker, die zunächst noch die US-Vorbilder nur kopiert hatten, kreierten ab den 70er Jahren einen neuen, eigenständigen Sound und fusionierten die traditionelle venezolanische Musik mit Rock, Elektronik, Funk, Jazz und anderen lateinamerikanischen Rhythmen (cumbia, samba, etc.).

Diverse
Venezuela 70
Soul Jazz Records

Soul Jazz Records hat nun zum ersten Mal Stücke dieser Zeit auf einem Album versammelt. National bekannte Rockmusiker wie Vytas Brenner, der darauf mit einem "Hippietitel" aus Gitarrengeschrammel und elegischem Stimmenklang auf einem Synthesizerbett ("Araguaney"), sowie einem weiteren Instrumentaltitel mit "Videospieltönen", die klingen wie von "R2D2" ("Bang-going-gone"), vertreten ist oder wie Miguel Angel Fuster, der einmal jazzige funky-fusion-Klänge mit Geräuschen kombiniert ("Polvolunar") oder über einen Synthesizer mit Bachmelodie einen funky Bass und Rockgitarren legt ("Dame de comer") - übrigens einer der schöneren Titel der Sammlung - produzierten einen wilden, progressiven und experimentellen Mix mit Parallelen zum deutschen Krautrock (Amon Düül, CAN).

Einige Titel lassen schöne Erinnerungen an die frühen Santana aufkommen ("Caracas para locos") und zeigen originelle Adaptionen folkloristischer Musik ("Joropo No. 1"), andere nerven mit psychedelischen Endlosschleifen, Gezwitscher und grässlichem Geigengeschrammel ("Amor en llamas" von Pablo Schneider). Die Vokaltitel wie das hymnische "Barcos de papel" mit sanftem Gesang oder das rockige "Ayudame a encontrar mi camino" gehören zu den besten Titeln der Sammlung, ebenso Titel in denen die Fusion von traditionellen Instrumenten mit Moog-Synthesizern und elektrischen Gitarren funktioniert ("Machu Picchu" / "San Juan"). Einige Titel mit ihren Endlosschleifen sind aber tatsächlich nur zu ertragen, wenn man die entsprechenden Drogen im Hirn hat. Ein interessantes und wichtiges Zeitdokument mit informativem Booklet, musikalisch auch für Retroparties geeignet. Mit dem Absturz der Ölpreise und der venezolanischen Wirtschaft in den 80er Jahren brach auch der Kultursektor ein und das bedeutete das Ende der experimentellen Phase in der Rockmusik.


Kommen wir direkt zum originellsten Titel des Albums: "Berlin City", ein Covertitel, zusammengesetzt aus "Happy" von Pharrell Williams und dem Boogaloo-Abräumer "I like it like that" aus dem Jahr 1966, versehen mit nahöstlichen Klangeinsprengseln und einem deutsch-spanischen Text über die Hauptstadt. Die restlichen 11 Titel der deutsch-französisch-kubanischen Band um die Bassistin Maike Scheel aus Berlin bewegen sich zwischen Salsa, Rumba, Reggae, Funk oder Latin-Jazz und wurden fast alle von dem in Rostock lebenden Kubaner Walter Doval Martínez komponiert, so dass die cubanidad sich durch das ganze Album zieht.

Mi Solar
Tiempo libre
galileo mc

Die Titel sind durchaus partytauglich, aber manches klingt arg konstruiert, vor allem die englischen oder deutschen Textabschnitte in manchen Titeln mit denen man Multikulturalität demonstrieren möchte (?), letztlich aber nur nervt. Für die Eltern der Kinder aus dem Kleistpark haben sie dann noch die Textzeile "Multikulti … wir sind Mi Solar" in den Titel "La pista" eingebaut, dem ein englischsprachiger Rap folgt, was ein bisschen viel des GUTEN ist (solche Botschaften sollte man besser im Begleittext unterbringen). Beeindruckend allerdings ist die Stimme der kubanischen Sängerin Mayelis Guyat, die über die ein oder andere textliche Schwäche hinweg tröstet - wie gesagt ein gutes Partyalbum aus Berlin.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 09/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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