ed 09/2013 : caiman.de

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spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Zehnte Etappe Etappe: Im Kloster von Nájera
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


chile: Zusammenkunft mit Mapuche-Indígenas
DR. JUTTA ULMER / DR. MICHAEL WOLFSTEINER
[art. 2]
spanien: Cap de Creus (Bildergalerie Teil 3)
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[art. 3]
brasilien: Der Cerro Santa Lucía
Ausflugstipp Santiago de Chile
THOMAS MILZ
[art. 4]
pancho: Schwarz deftige Schönheiten
DIRK KLAIBER
[kol. 1]
grenzfall: Erinnerung an Víctor Jara
Zum 40. Todestag des großen chilenischen Sängers
THOMAS MILZ
[kol. 2]
macht laune: Calçots – katalanische Zwiebelorgie
NIL THRABY
[kol. 3]
lauschrausch: 33 mal relaxen
Woman of Brazil / Brazilian Beat / Brazilian Lounge Music
TORSTEN EßER
[kol. 4]

[art_1] Spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Etappen [12] [11] [10] [9] [8] [7] [6] [5] [4] [3] [2] [1]
Zehnte Etappe: Im Kloster von Nájera
 
26. August 2012. 6.15 Uhr. Es muss wohl nicht betont werden, wie schwer es war, Cayetana an diesem Sonntagmorgen bei Sonnenaufgang wach zu rütteln und zum Aufbruch zu bewegen. Das lag nicht nur an der guten Flasche Rioja, die sie am Vorabend genossen hatte, sondern vor allem daran, dass sie die halbe Nacht wach gelegen und vergeblich auf eine SMS des von ihr angebeteten Barmanns aus der Calle Laurel gehofft hatte. Entsprechend unerträglich ist ihre Stimmung jetzt. Dabei ist abgesehen von ihrem "Liebeskummer" alles optimal: das Wetter ist sonnig und warm, aber nicht mehr so heiß wie vor dem gestrigen Gewitter, wir wandern durch den schönen Stadtpark von Logroño, als begleitet von Vogelgesang die Sonne aufgeht. Cayetana hat keinen Blick für das erste Licht des Tages, die schöne Zypressen-Allee, durch die der Camino hinter dem Stadtausgang führt, oder den Stausee, der sich südlich des Weges ausbreitet. Seit anderthalb Stunden sind wir nun schon unterwegs und sie geht stur in gewissem Abstand hinter mir her, ohne auch nur ein Wort zu verlieren.



Stundenlang wandern wir durch die hügelige Weinlandschaft der Rioja, kommen vorbei an Eingangstoren, die zu den Kellern berühmter Weingüter führen. Als am Horizont der Hügel von Navarrete auftaucht, zerreißt plötzlich Cayetanas Stimme anklagend die Stille: "Jetzt sind wir schon 13 Kilometer gegangen und haben noch nicht mal Kaffee getrunken!" Da hat sie allerdings recht, denn als wir in Logroño aufbrachen, waren noch alle Cafés geschlossen und seitdem haben wir nur Zypressen und Weinreben, aber kein Dorf gesehen. Ich versuche, meine demotivierte Begleiterin zu beruhigen und versichere ihr, dass wir in Navarrete bestimmt ein offenes Café finden würden.

In diesem zentralen Ort der Rioja werden wir mit Glockengeläut empfangen. Angeblich ist die riesige Renaissance-Dorfkirche Iglesia de la Anunciación, die fast die Dimensionen einer Kathedrale hat, ein Werk des Escorial-Architekten Herrera. Wir betreten das Gotteshaus, in dem die Gemeinde auf den Beginn der Sonntagsmesse wartet und bewundern den gigantischen vergoldeten Barockaltar, der den gesamten Chorraum ausfüllt. Leider sind alle meine Fotos von diesem Wunderwerk verwackelt – vielleicht ein Symptom des Koffeinmangels?

Als die Gemeinde sich erhebt und der Priester am Beginn der Messe zur Kanzel schreitet, verlässt Cayetana fluchtartig die Kirche und raunt mir beim Hinauseilen zu, dass sie unmöglich eine ganze Messe auf nüchternen Magen durchhalten könne. Ich folge ihr und wir marschieren durch die Hauptgasse von Navarrete. Es ist kein Café zu finden, sonntägliche Stille breitet sich aus. Nur in einem Luxushotel am Weg scheint es im Inneren auch eine Cafetería zu geben, aber Cayetanas kommunistischer Stolz verbietet ihr das Betreten eines solchen Etablissements.

"Eher werd ich auf dem Camino verhungern und dann heilig gesprochen!"

Ruft sie mir über die Schulter zu und lässt keinen Zweifel an ihrer dramatischen Entschlossenheit. Wenig später sind wir wieder inmitten von weitläufigen Weinfeldern und marschieren Richtung Nájera. Kein Kaffee, kein Brötchen oder Croissant. Nur Wasser und ein paar Mandeln und getrocknete Aprikosen. Cayetana schreitet nun voran, im Wut-Schritt-Modus. Als es mir mit einiger Mühe gelingt, sie einzuholen, registriere ich erschreckt ihren Gesichtsausdruck. Sie schreitet durch die unschuldigen Weinreben mit ihrem Amoklauf-Blick: "Keiner liebt mich und ich liebe sowieso keinen!" Es wäre ein großer Fehler, sie jetzt anzusprechen.

"Guten Morgen, junge Pilger!", tritt plötzlich ein fast hundertjähriger Greis aus den Reihen der Weinreben auf uns zu, mit der linken Hand gestützt auf einen Stock, in der rechten zwei sehr verlockend aussehende Weintraubenzweige.



Wie ein Bote des Himmels überreicht er jedem von uns die violette Köstlichkeit. Wir sollten uns die reifen Trauben schmecken lassen und in Santiago für ihn beten. Wir bedanken uns artig und Cayetana bemerkt, dass er großes Glück habe, dass ihm ein so schöner Weinberg gehöre. "Dieser Weinberg gehört gar nicht mir", entgegnet der Alte schon im Fortgehen. Er dreht sich noch einmal um, lächelt und flüstert augenzwinkernd:

"Sagen wir, diese Trauben sind aus dem Weinberg Gottes…"

Cayetana, noch den Mund voller Trauben, ist zum ersten Mal an diesem Tag gut gelaunt und prustet los: "Voll cool, dieser Alte! Klaut und verteilt die Trauben von seinem Nachbarn an Pilger und lässt sich dafür feiern!" Gestärkt mit den Früchten aus dem "Weinberg Gottes" erreichen wir nach endlos langem Marsch von 31 Kilometern zur Siesta-Zeit Nájera, die ehemalige Residenzstadt der Dynastie des Königreichs Navarra, heute ein geschichtsträchtiges Dorf im Herzen der Rioja. Begrüßt werden wir von einem merkwürdigen Graffito an einer Brücken-Unterführung: "Kölner here – Beim Brunnen". Darunter steht eine Adresse, offenbar bietet mein Landsmann hier Massagen an..



Wir überqueren die Brücke, dann stehen wir vor dem monumentalen Mausoleum der Könige von Navarra, Santa María la Real. Vor allem der Kreuzgang dieses Klosters ist zu Recht weltberühmt. Wir gelangen in einen Paradiesgarten aus verschlungen wuchernden Steinschnörkeln, die ohne arabischen Einfluss kaum denkbar wären. Als letztes Glanzstück der monumentalen Klosteranlage wurde er um 1518 im plateresken Renaissancestil neben der Kirche errichtet.



Dann treten wir ein in die spätgotische Kirche, die in den 1420er Jahren erbaut wurde, als Erweiterung eines Gotteshauses, das an eine Höhle grenzt. In der Grotte erwartet uns die von Legenden umrankte romanische Marienstatue, die hier im 11. Jahrhundert vom König Navarras gefunden wurde und der wir dieses riesige Kloster verdanken. Vor ihr leuchten eine rote und eine grüne Kerze. Alles in dieser an Kunstschätzen reichen Klosterkirche ist beeindruckend: der golden glänzende barocke Hochaltar von 1690, die gotischen Gewölbe, die Höhle inmitten der Kirche, die vielen verzierten Sarkophage, in denen die sterblichen Überreste der Königsfamilien von Navarra ruhen.



"So viele Särge machen mich depressiv – ich muss hier sofort raus!" Mit diesen Worten lässt Cayetana mich allein zwischen all den Steingräbern und ist auch schon ins Tageslicht entschwunden. Durch ihre voreilige Flucht verpasst sie die – nach dem Kreuzgang – größte Sehenswürdigkeit des Klosters: das spätgotische Chorgestühl im Hochchor der Kirche, vollendet kurz vor 1500.



Es ist nicht nur sehr kunstvoll geschnitzt, sondern präsentiert eine Schwindel erregende Fülle an Überraschungen: Charakterköpfe, die verschiedene Rassen darstellen, Heilige mit Pestbeulen, Fratzen, die dem erstaunten Betrachter die Zunge rausstrecken, eine Madonna mit einem schwarzen Jesuskind.



Und der Blick von hier oben hinab auf das gesamte Kirchenschiff ist großartig. Man fühlt sich kurz wie im Himmel – dann klatscht die Führerin in die Hände und bittet die Besichtigungsgruppe resolut zum rasanten Abstieg über die Wendeltreppe.





Draußen finde ich Cayetana am Fluss ein Sonnenbad nehmend. Entkleidet bis auf einen grell pinkfarbenen Bikini räkelt sie sich auf einer Bank am Ufer. Ich erinnere sie daran, dass wir uns langsam eine Bleibe für die Nacht suchen sollten. Viel Auswahl gibt es nicht mehr. Nachdem wir in zwei kleineren privaten Herbergen abgewiesen wurden, weil schon jedes Bett belegt war, stehen wir jetzt vor der turnhallenartigen 100-Betten-Herberge der Stadtverwaltung. Und bekommen die Nummern 90 und 91 zugewiesen. Nun ja, "suboptimal" sei diese Massenherberge, findet Cayetana nach einem schnellen und leicht ängstlichen Blick auf die ansehnliche Warteschlange vor den Toiletten. (Suboptimal ist eines der neuen Lieblingswörter von Cayetana – von mir hat sie das nicht – sie benutzt es fast täglich, um ihren Unmut in einer bestimmten Situation sanft aber deutlich Ausdruck zu verleihen). Wir flüchten aus diesem Turnhallen-Saal, um uns zumindest ein üppiges Abendmahl vor dem kargen Nachtlager zu gönnen.



Im 15. Jahrhundert schrieb ein deutscher Pilger, der in Nájera Station machte: "Die Frauen der Herberge lärmen mit den Pilgern, aber die Essenrationen sind gut bemessen." Das gilt auch heute noch, denn hier bekamen wir in stattlichen Portionen eines der besten Pilgermenüs des ganzen Camino vorgesetzt, so dass wir sehr zufrieden zum riesigen Schlafsaal zurückkehren. Trotz des befürchteten Schnarchkonzerts schlafen wir erstaunlich gut in Nájera. Cayetana hat allerdings einen Albtraum, in dem sie in einer finsteren Dracula-Gruft an einer endlosen Galerie von Baby-Särgen entlang gehen muss, in denen hunderte von kleinen Prinzen mit Vampirzähnchen liegend aufs Aufwachen warten.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
www.bodegasbaigorri.com

Etappe von Logroño nach Nájera: 31 Km

Unterkunft in Nájera:
Städtische Pilgerherberge, Plaza de Santiago 90, unmittelbar hinter der Brücke am Ufer entlang links, Tel. 941-360675. Übernachtung freiwillige Spende. Großer Saal mit eng gestellten Betten, Turnhallen-Atmosphäre und gemessen an der Bettenzahl sehr wenige Duschen/WCs.

Private Pilgerherberge "Puerta Nájera", Calle Carmen 4, Tel. 941-896009: neu und relativ komfortabel, Wäscheservice. Übernachtung 10 Euro

Verpflegung in Nájera:
Empfehlenswert: Restaurant "Los Panales", Calle Mayor: dreigängiges Pilgermenü inkl. Wein 12 Euro, sehr gut und großzügig (Chorizo-Kartoffel-Eintopf, Carillada (Gulasch), Joghurt)

Schräg gegenüber: "La Taberna de Manú": Bodega, die preiswert beste Rioja-Weine bietet, z.B. Viña Berneda

Kirchen:
Iglesia Santa María Asunción, Navarrete: geöffnet: nur vor und nach den Messen ca. 11.30 – 13.30 und 18.00 – 20.00, evtl. hat man Glück und es wird auch zwischendurch aufgeschlossen
http://es.wikipedia.org/


Klosterkomplex Santa María la Real, Nájera: Geöffnet Di. – Sa. 10.00 – 13.00 und 16.00 – 19.00 Uhr, Mo. Geschlossen!, So. 10.00 – 12.30 und 16.00 – 18.00, Eintritt: 3 Euro

[druckversion ed 09/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Chile: Zusammenkunft mit Mapuche-Indígenas

Señora Juanita hält einen üppigen Gemüsestrauß im Arm. Rote Beete, Eisbergsalat, Möhren und Zwiebeln sind frisch geerntet und sehen aus, wie Gemüse aussehen sollte: erdig, wurzelig, ungenormt und gesund! "Bei uns ist alles bio. Wir verwenden keinen Dünger. Die Natur allein entscheidet, wie viel sie uns schenken möchte", erklärt uns unsere Gastgeberin. Señora Juanita lebt in der Region Araucanía im kleinen Örtchen Curarrehue. Sie ist eine Mapuche und gehört damit zum größten indigenen Volk Chiles.

mapuche mapuche

Die Ureinwohner werden in politischen Berichten oft als aufrührerisch, gewaltbereit und terroristisch beschrieben. Gleichzeitig schmücken sie, bekleidet mit traditioneller Tracht, touristische Hochglanzmagazine. Beide Bilder passen nicht zu Señora Juanita und ihrer 19-jährigen Tochter Iris. Die zwei tragen westliche Kleidung, sind offenherzig und zeigen uns voller Enthusiasmus ihren wilden Gemüsegarten. "Das Leben in Einklang mit der Natur ist für uns sehr wichtig. Monokultur kennen wir nicht. Im Übrigen bedeutet "Mapuche" in unserer Sprache Mapudungun "Menschen der Erde", doziert Iris verschmitzt. Wir können uns kaum satt sehen an Kapuzinerkresse, Topinamburblüten, Andenbeeren und rotbackigen Äpfeln. Señora Juanita aber treibt zur Eile an, denn das Mittagessen muss zubereitet werden.

mapuche mapuche

Wir betreten ihr kleines Holzhäuschen, in dem die Küche relativ viel Raum einnimmt. Unter der strengen Regie der Hausherrin schälen wir Kartoffeln, mörsern Chilischoten, mahlen Weizen und putzen Bohnen. Unser Blick bleibt immer wieder am Herd hängen, einer gusseisernen Kochvorrichtung, die mit Holz betrieben wird und museal aussieht. Darauf köcheln seit etwa einer Stunde Piñones, die nun fertig sind und abgegossen werden müssen.

mapuche mapuche

Ehe wir uns versehen, halten wir einen geschälten Piñon in der Hand verbunden mit der Aufforderung, ihn in den Mund zu stecken. "Das sind die Samen der Araukarie. Uns Mapuche sind diese Bäume heilig. Meine Mutter und ich haben die Piñones im Wald gesammelt. Ich mag sie unheimlich gern. Ihr habt wahnsinniges Glück, denn momentan ist Piñoneszeit", sprudelt es aus Iris heraus. Auch wir sind begeistert von den fünf Zentimeter langen Araukariensamen, die ein bisschen wie Esskastanien schmecken. Die Bäume haben wir im Nationalpark Conguillío gesehen. Sie werden bis zu 40 Meter hoch, sind bizarr und strecken ihre immergrünen Äste majestätisch gen Himmel. Araukarien sind vom Aussterben bedroht, weshalb sie in Chile unter besonderem Schutz stehen und einem Ausfuhrverbot unterliegen.

mapuche mapuche

Señora Juanita erklärt das Kochen für beendet, bittet uns zu Tisch und serviert Schaf-Eintopf, Rote-Beete-Salat und Katutos. Das sind schiffchenförmige Fladen aus einem Weizen-Piñones-Gemisch. Zum Essen sind auch Ehemann Raúl sowie die Söhne Ernesto und Luis erschienen. Die drei Männer haben ihre Tätigkeit des Brennholzmachens unterbrochen, um in der Mittagspause neue Kräfte zu sammeln. Vom Brennholzverkauf, Gemüseanbau und einer kleinen Hühnerzucht lebt Señora Juanitas Familie. Und vor einem Jahr kam eine neue Einkommensquelle hinzu, der Tourismus. In Curarrehue wurde die Cooperativa de Servicios Turísticos Ruka Ngen gegründet mit dem Ziel, Verdienstmöglichkeiten in der kleinen Mapuche-Gemeinde zu schaffen.

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Den Mapuche gelang es als einzigem indigenen Volk in Südamerika, sich gegen die spanischen Eroberer zu verteidigen und ihr Land zu schützen. 1883 wurde die autonome Mapuche-Nation dann aber doch gewaltsam an Chile angegliedert. Es kam zu Landenteignungen und die Ureinwohner wurden in Reservate deportiert. Damit gingen Unterdrückung, Diskriminierung und der Verfall traditioneller Werte einher. Heute weisen die Mapuche die höchste Armutsrate innerhalb der chilenischen Bevölkerung auf. Die Alphabetisierungsquote ist gering und das Überleben auf dem Land mangels Verdienstmöglichkeiten sehr schwierig. Viele Mapuche suchen deshalb ihr Glück in nordchilenischen Bergwerken oder städtischen Ballungsräumen. Um der Landflucht entgegenzuwirken, wurde das kommunale Tourismusprojekt Ruka Ngen ins Leben gerufen. Frauen wie Señora Juanita verdienen etwas Geld, indem sie Reisende an ihrem Alltag teilhaben lassen. Außerdem kann man in der Hostería Ruka Ngen übernachten.

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Das Gästehaus wird von fünf Jugendlichen aus Curarrehue betrieben. Einer von ihnen ist Marcelo, der uns etwas schüchtern die Architektur der Hostería erklärt: "Eine Ruka ist die typische Behausung der Mapuche. Traditionell handelt es sich um ein fensterloses Rundhaus ohne Fußboden, denn meine Vorfahren duldeten nichts Trennendes zwischen sich und Mutter Erde. Das Gästehaus wurde in Anlehnung an eine Ruka gebaut, hat aber Fenster, einen gefliesten Boden und Warmwasserduschen." Wir finden die Verschmelzung traditioneller Elemente mit modernen Annehmlichkeiten sehr gelungen. Errichtet wurde das Gästehaus von der Cooperativa de Madera Ngen, der fünf Männer aus Curarrehue angehören. Sie sind es auch, die die hölzerne Einrichtung der 16 Zimmer getischlert haben, die inmitten araukanischer Stille besten Schlafkomfort bieten.

mapuche mapuche

Am Morgen werden wir von Marcelo mit einem reichhaltigen Frühstück verwöhnt. Es gibt Kaffee, Kuchen, Wurst, Käse, selbst gebackenes Brot und verschiedene Marmeladen, die aus der Produktion der Cooperativa Zomo Ngen stammen. Diese Kooperative vereint 130 Frauen aus Curarrehue. Sie sammeln im Wald Früchte und bereiten daraus Marmeladen aus Lleuque (Pflaumen-Steineibe) und Maqui (Chile-Weinbeere) sowie in Zuckersirup oder Chilisud eingelegte Piñones. Die Delikatessen werden in einem blitzblanken Küchenneubau zubereitet und in ein paar Feinkostläden in Santiago de Chile verkauft. Seit ein paar Monaten ist die Cooperativa Zomo Ngen Mitglied der World Fair Trade Organization (WFTO). Mit Hilfe des Fairen Handels hoffen die Frauen, zukünftig ihre Produkte auch in Europa und den USA verkaufen zu können. Initiator der drei Ngen-Kooperativen ist der Baske Padre Iñaki. Ziel ist es, den Mapuche in Curarrehue eine Zukunftsperspektive zu geben, ihre Kultur zu wahren, die kommunale Entwicklung zu fördern und die Natur zu schützen. Die Projekte befinden sich in der Anfangsphase und bedürfen noch finanzieller Unterstützung von außen. Doch alle Ngen-Mitglieder sind überaus motiviert, aus den Kooperativen sich selbst tragende Unternehmen machen. Die ersten Schritte sind getan: Sie haben sich organisiert, verfolgen eine Vision und kämpfen gemeinsam für die Realisierung ihrer Träume. Und selbstverständlich ist das Wort "Ngen" Mapudungun und bedeutet "Ort der Zusammenkunft".

Text + Fotos: Dr. Jutta Ulmer + Dr. Michael Wolfsteiner

Weitere Informationen zu den Autoren und ihrem Projekt findet ihr unter:
www.lobOlmo.de & www.facebook.com/lobOlmo

Tipps + Links:
www.turismorukangen.cl
www.cooperativapinones.cl

[druckversion ed 09/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: chile]





[art_3] Spanien: Cap de Creus (Bildergalerie Teil 3) (Teil 1 / Teil 2)
 
Wenns mit dem Sommer mal wieder ein wenig länger dauert, klick ich mich tagelang durch Bildergalerien vergangener Urlaube. An manche Orte zieht es mich immer wieder zurück. So auch ans Cap de Creus, eine unfassbar betörende Mittelmeer-Halbinsel an der französischen Grenze gelegen, wo jedes Stimmungstief verweht.

Dritter Teil: Kurztrip zum Far de Cala Nans
Die Bucht vor Augen folgt man der Strandpromenade rechts herum. Vorbei am Casino und mehreren kleinen Buchten führt der Weg noch in Cadaques ein kurzes Stück steil an. Dann hält er das Niveau und bietet damit einen traumhaften Blick auf die Bucht mit der Stadt im Hintergrund. Bald ist auch die Spitze der Halbinsel Cap de Creus auszumachen.

Eine gute halbe Stunde ist man unterwegs. Kurz vor dem eigentlichen Ziel, dem kleinen Leuchtturm (Far) von Cadaques, gibt es eine kleine Badebucht. Wieder auf dem Rückweg fällt der Blick bald auf die andere Seite der Bucht mit den einladenden Restaurants. Dort lässt sich wenig später bei Fisch und Wein die Aussicht auf die Strecke und das Ziel genießen.

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Fotos: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 09/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_4] Chile: Der Cerro Santa Lucía
Ausflugstipp Santiago de Chile
 
Wer Chiles Hauptstadt Santiago besucht, kommt an einem Besuch des Cerro Santa Lucía nicht vorbei. Der 69 Meter hohe Hügel legt Zeugnis ab von der Ankunft der spanischen Soldaten unter Pedro de Valdivia. Seine Truppe war am 13. Dezember 1940, dem Tag der Heiligen Lucia von Syrakus, auf dem rund 600 Meter hoch gelegenen Plateau unterhalb der Anden angekommen.



Für den Bau eines ersten befestigten Wachturms wählte Valdivia den von den Indigenen Huelén (Schmerz, Traurigkeit) genannten Felsen. Hier soll Santiago am 12. Februar 1541 offiziell gegründet worden sein. Die kleine Festung, die heute mitten im Stadtzentrum liegt, sollte die Spanier gegen die Angriffe der kriegerischen Mapuche schützen.



In den ersten Jahrhunderten der spanischen Besiedlung wurde an dem Hügel Wein angebaut. Später bildete sich rund um den Hügel das Stadtviertel Lastarria. Während des Unabhängigkeitskrieges bauten die Spanier die Befestigungen auf dem Hügel aus, zwei Plattformen mit Kanonen wurden hoch oben eingerichtet.



Im Jahre 1847 begann man mit dem Bau eines der ersten Observatorien auf dem Hügel, mit dem der Sternenhimmel in Südamerika erforscht wurde. Im späten 19. Und frühen 20. Jahrhundert erfolgte dann die Umwandlung der Festung in einen Park, in dem bis heute verliebte Pärchen den Blick auf die Hochhäuser der Stadt und die dahinter aufragenden Anden genießen. Der dichte Smog, den hunderttausende von Autos täglich in die Luft blasen, verschleiert die Anden jedoch oftmals. Den Aufstieg hoch auf den geschichtsträchtigen Ort sollte trotzdem niemand versäumen!



P.S.: Zu erreichen ist der Hügel über der Metrostation Santa Lucía.

Text + Foto: Thomas Milz

[druckversion ed 09/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: chile]




[kol_1] Pancho: Schwarz deftige Schönheiten
 
Die schwarze Bohne ist das verbindende Moment Lateinamerikas. Ob im Gallo Pinto Costa Ricas, beim Papillon Criollo Venezuelas, der Sopa de Frijoles Mexikos oder der Feijoada Brasileira – auf sie ist Verlass. Egal wann, wo und wie, schwarze Bohnen sind fester Bestandteil einer jeden Latino-Küche.



Die Liebe zur Bohne traf mich ins schwarze Herz an meinem ersten Tag als Austauschschüler in Guatemala. Frijolítos frítos nannten sie das nicht uneingeschränkt ansehnlich, schwarz gerollte Etwas auf dem Frühstückstisch. Doch von all den neuen Eindrücken – Tortillitas, Chirmol, Papaya con Limón... – trafen mich die Frijoles Negros am Nachhaltigsten. Von der Bohnen-Rolle schnitt meine Gastschwester eine zwei Zentimeter dicke Scheibe herunter und strich sie aufs Brot oder in die Tortilla und begoss sie mit allerhand scharfen Sößchen auf Koriander-Tomaten-Chili Basis. Ich biss ab und an.



Zurück in Deutschland war die Enttäuschung unvorstellbar. Dicke Bohnen: ja, aber weiß. Schnitt-Bohnen: ja, aber grün. Das wars. Mehr gaben die Supermärkte nicht her. Also rollte der private Import. Zu jeder mitgebrachten Flasche Rum aus Mittelamerika gehörte unweigerlich auch ein Sack schwarzer Bohnen.

Die Asien-Läden waren die ersten dann, die schwarze Bohnen hierzulande anboten. Und dann tat sich ein Vierteljahrhundert nur sehr wenig: Hier und da eröffnete in den Metropolen ein Latino-Kiosk und bot Bohnen aller Art feil. Ein erster echter Durchbruch der schwarzen deftigen Schönheit ging einher mit dem Einzug trinkbarer Rumsorten in die Regale von Getränkehändlern und sogar einiger Supermarktketten gegen Ende des letzten Jahrzehnts. Und so muss ich heuer für meinen täglichen Bedarf nur noch zum Markt um die Ecke.



In fünf Minuten schwarz deftig schöner Hochgenuss:
Die Bohnen in der Dose sind bereits vorgekocht. Sie müssen nur noch aufgewärmt werden. Dazu brat ich kurz aber heftig Speck in Würfel geschnitten und gebe Zwiebeln, ebenfalls gewürfelt, Knoblauch gepresst und Chilischoten dazu, bis die Zwiebeln glasig sind. Die diversen Mengen nach Gusto. Dann die schwarz deftigen Schönheiten unterrühren, aufkochen und fertig. Anrichten und abrunden mit einem ordentlichen Schuss Essig.

Text: Dirk Klaiber

[druckversion ed 09/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: pancho]





[kol_2] Grenzfall: Erinnerung an Víctor Jara
Zum 40. Todestag des großen chilenischen Sängers
 
Víctor Jaras Frau Joan beschreibt den Morgen jenes 11. September 1973 als einen kalten, Nebel verhangenen Tagesbeginn. Ihr Mann, der chilenische Sänger und Theaterdirektor Víctor Jara, machte sich auf den Weg in die Universidad Técnica, wo er der Eröffnung einer Ausstellung über die Gräuel des Faschismus beiwohnen wollte. Erwartet wurde auch Staatspräsident Salvador Allende.

Doch Allende kam nicht. Sein Palast wurde an jenem Morgen von den Truppen unter General Augusto Pinochet umstellt und bombardiert. Allende konnte sich in einer Radioansprache noch von seinem Volk verabschieden, dann tötete er sich im Angesicht der den Palast stürmenden Soldaten selber mit zwei Schüssen. Gleichzeitig verhafteten Pinochets Soldaten Víctor Jara in der Universidad Técnica und brachten ihn mit anderen Gefangenen in den Sportkomplex Estádio Chile.

Für das Militär war Jara nichts weiter als ein Marxist, ein subversiver Liedermacher der offen seine kommunistischen Überzeugungen heraussang, die UDSSR lobte und den amerikanischen Vietnamkrieg verurteilte. Sein Protest richtete sich auch gegen die Aktion der chilenischen Polizei, die im März 1969 eine Landbesetzung nahe Puerto Montt gewaltsam auflöste und dabei 10 Personen tötete. Ein Massaker, besungen von Jara in dem Lied "Preguntas por Puerto Montt".

Victor Jara - Preguntas por Puerto Montt

Vier Tage lang wurde Jara von Pinochets Schergen gefoltert, sein Körper mit brennenden Zigaretten gebrandmarkt, seine Seele mit inszenierten Erschießungen gequält. Zuletzt soll er noch ein Gedicht über die im Estádio Chile errichtete Hölle verfasst haben.

"Espanto como el que vivo
como el que muero, espanto.
De verme entre tanto y tantos
momentos del infinito
en que el silencio y el grito
son las metas de este canto."

"Spiel doch jetzt die Guitarre, Scheißkommunist" sollen die Soldaten ihn aufgefordert haben, nachdem sie ihm mit Schlägen ihrer Gewehrkolben beide Hände zerschmettert hatten. Die Hände, die einst so wundervolle Lieder wie "Paloma quiero contarte" spielten.

"Lloro con cada recuerdo
a pesar que me contengo.
Lloro con rabia pa' fuera
pero muy hondo pa' dentro,
palomita verte quiero."

Victor Jara - Paloma quiero contarte

Am 16. September 1973 fand der Höllentrip des Víctor Jara sein Ende. Mit 44 Kugeln tötete man die Stimme Chiles. Zurück ließ er einen reichen Schatz an Liedern, Gedichten und Theaterarbeiten, die er in seinen kurzen 40 Lebensjahren erschuf.

Für sein Land dagegen war es erst der Beginn von nahezu drei Jahrzehnten unter der Herrschaft des grausamen Herrn Pinochet. In Freiheit durfte dieser 91 Jahre alt werden, zurück ließ er ein vor ihm zitterndes Land, das seinen gewaltigen Schatten bis heute immer noch abzuschütteln sucht. Zurück ließ Pinochet auch über 2.000 Tote, über 1.000 Verschwundene und zwischen 30.000 und 40.000 Chilenen, die von seinen Knechten gefoltert wurden.

Einer davon war Víctor Jara. Im August 1973, wenige Tage vor Pinochets Putsch, spielte Jara auf einem Konzert in Peru sein Lied "El derecho de vivir en paz", das die Gräueltaten des Vietnamkriegs verurteilt. Das Recht, in Frieden zu leben, wurde ihm ebenso verweigert wie das Recht, in Frieden zu sterben.

Victor Jara El derecho de vivir en Paz

Text: Thomas Milz

[druckversion ed 09/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]





[kol_3] Macht Laune: Calçots – katalanische Zwiebelorgie
 
Als seltsame Spezialität möchte ich an dieser Stelle auf eine aufmerksam machen, die immer zu Jahresbeginn in Südkatalonien mit großem Vergnügen verschlungen wird: die Calçots. Besagte gehören zur Familie der verspeisbaren Gemüse und bilden damit eine erfreuliche Ausnahme zu der fleischhaltigen Vorspeisenlandschaft meiner Wahlheimat. Calçots sind eigentlich ordinäre weiße Zwiebeln, die jedoch noch einmal gesondert umgepflanzt werden, bevor man sie endgültig der Erde entreißt. Sie kommen in Form von Stangen auf den Markt, dem Lauch dabei keineswegs unähnlich.

In Erinnerungen an finstere Traditionen der spanischen Vergangenheit werden diese Stangen mitsamt Wurzeln, Haut und zartem Fleisch auf ein offenes Feuer gelegt, wobei allerdings der aufsteigende Geruch im Vergleich mit ehedem deutlich verbessert worden ist. Dass dabei die äußere Schale verbrennt, ist erwünscht. Geschmackvoll in einem halbrunden Ziegel drapiert, kommen sie auf die vollen Tafeln der noch volleren Restaurants.

Denn Calçots werden in großen Gruppen verspeist, mit möglichst vielen Freunden und Bekannten. Wir, die wir in der tarragonensischen Provinz wohnen, erhalten so wenigstens einmal im Jahr, nämlich im Februar, wenn das traditionelle Fest des Zwiebel-Verzehrens ansteht, Besuch unserer weltstädtischen Freunde aus Barcelona.

Man trifft sich am Vormittag, begutachtet ein wenig die historischen Überbleibsel der Umgebung, versammelt sich dann auf dem Marktplatz zu einem Aperitif und bewegt sich schließlich zum meist außerhalb liegenden Restaurant. Dort wird man zunächst mit den kleinen, sehr kräftigen Oliven (arbequines) und den typischen Hartwürsten (fuets) der Gegend versorgt, und der lokale Rotwein beginnt – zunächst noch zögerlich – zu fließen. Eigentlich trinkt man diesen hier aus einem sogenannten porró, einem gläsernen Trinkgefäß mit langem Ausguss, der, wenige Zentimeter vom Gesicht entfernt, die rote Flüssigkeit allzu oft auf Hemd oder Hose und nicht in den Mund fließen lässt. Aber die Großstädter müssen es ja unbedingt versuchen, wollen zeigen, dass sie auch hier auf dem Lande zu bestehen wissen. Der glückliche Umstand, dass um den Hals gebundene Servietten fester Bestandteil eines Calçot-Essens sind, bewahrt sie vor schlimmeren Folgen (Ich persönlich habe nach so manchen Flecken beschlossen, die Erfindung der individuellen Trinkgläser begeistert zu beklatschen und mich so dem Ich-könnte-auch-vom-Dorf-sein-Wettbewerb zu entziehen.).

Da die Restaurants oft hoffnungslos überfüllt sind, werden die Ziegel mit den verbrannten Wurzeln meist mit Hunger und unter großem Hallo am Tisch willkommen geheißen. Und dann beginnt der eigentliche Spaß: man versichert sich, dass die Serviette fest um den Hals gebunden ist, greift sich eine der Stangen und hält sie mit einer Hand an der Wurzel fest.

Nun entzieht man ihr vom anderen Ende aus, also sozusagen am Gestrüpp, das zarte Herz. Dieses taucht man in eine dickflüssige Tunke, hält es dann hoch über den Kopf und beißt das Ende ab. Dass dabei Soße und Saft auf Gesicht und Serviette tropfen, versteht sich von selbst. Die erwähnte Tunke, die unter dem Namen Romesco bekannt ist, besteht aus so ungefähr allem, was hier wächst: Tomaten, Öl, Knoblauch, Mandeln und Haselnüssen.

Der beschriebene Vorgang wird nun so lange wiederholt, bis es entweder keine Calçots mehr gibt (was seltener auftritt) oder die Beteiligten die Waffen strecken (was weitaus häufiger vorkommt). Aber keine Angst: das Fleisch, das man vorhin noch mit hungrigen Augen bestellt hat, ist bereits im Anmarsch. Überfressen und in seinem persönlichen Diätplan um Jahrzehnte zurück geworfen, taumelt man dann irgendwann gegen 18 Uhr aus dem Restaurant, verabschiedet sich müde von seinen Freunden, fährt irgendwie nach Hause und träumt dann die ganze Nacht von zuviel Essen. Und davon, das alles im nächsten Jahr zu wiederholen.

Für die lokale Gastronomie hat die verbrannte Wurzel eine nicht unerhebliche Wirtschaftskraft, denn für ein solches Calçots-Essen muss man durchaus 25-40 Euro pro Person einrechnen. Da wird es den Leser kaum wundern, dass Calçots bereits als kulturell-ökonomisches Gut angesehen und als solches reguliert wird. Wie Wein gibt es auch hier eine Ursprungsbezeichnung (DOC) für besonders herausragende Zwiebeln. Ebenso wenig darf es verwundern, dass Calçots in Wirklichkeit nicht nur im Februar, sondern von Januar bis April gereicht werden: die Nachfrage bestimmt das Angebot.

Wer jedoch authentisch traditionelles Zwiebelessen erleben möchte, der sollte sich im zweiten Jahresmonat ein abgelegenes Gehöft mit Wirtschaft suchen, sich nicht an den vielen Autos aus Barcelona stören, sondern sie vielmehr als gutes Zeichen werten und sich mit einer möglichst großen Schar Freunde angemeldet in den Wirtsraum begeben. Der Spaß und der ausgezeichnete Geschmack sind das Geld auf jeden Fall wert.

Text: Nil Thraby

[druckversion ed 09/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]





[kol_4] Lauschrausch: 33 mal relaxen
Woman of Brazil / Brazilian Beat / Brazilian Lounge Music
 
Brasilien ist im besten Sinne ein "Land der Zukunft" (Stefan Zweig), zumindest für die kommenden drei Jahre, denn es ist im Oktober Gastland der Buchmesse und danach Gastgeber der Fußball WM und der Olympiade. Darauf reagieren auch hierzulande Verlage und Label und bringen neue Produkte auf den Markt.

Das Label Putumayo hat schon immer vorzügliche Brasilien-Kompilationen angeboten von denen es nun zwei – verändert – wieder aufgelegt und zusätzlich die "Serie" um eine neue CD ergänzt hat. Letztere - "Woman of Brazil" – widmet sich einer neuen Generation von Sängerinnen, die es wunderbar verstehen, Musiktradition und Moderne zu verbinden. Eröffnet wird der Reigen mit einem eher traditionell arrangierten Bossa von einer Sängerin aus Italien, einem Land übrigens, wo die Produktion brasilianischer Musik sehr stark ist. Im Folgenden aber geht es zurück nach Lateinamerika. Alle Titel sind angenehm anzuhören; herausheben möchte ich Flavia Coelho, die mit "A foto" einen sehr leisen und schönen Reggae-Bossa beisteuert, Aline Morales, die zu Gitarre und Flöte einen melancholischen Samba singt, Juliana Kehl, in deren Stück eine Streichholzschachtel zu hören ist, die im Samba manchmal als Percussionsinstrument verwendet wird, und Miriam Maria, in deren Eigenkomposition Akkordeon und Mandoline erklingen, Botschafter eines weit entfernten europäischen Einflusses.

Diverse
Woman of Brazil
Putumayo 330-2

Weitaus rhythmischer und schneller geht es auf "Brazilian Beat" zu, einer veränderten Neuauflage der gleichnamigen Compilation aus dem Jahr 2006 (acht von elf Titeln sind gleich). Eröffnet von Karla Sabah mit einer interessanten Coverversion von "Mas que nada", mit elektronischen Verzerrungseffekten und Beats, die aber nicht lästig wirken.

Es folgen Coverversionen – "Bananeira" im Jazzfunk-Stil, "Partido alto" als Remix einer Coverversion – bevor die Eigenkompositionen überwiegen, von denen ich die Banda Black Rio erwähnen möchte, die ihren Soulfunk-Sound aus den 70ern erfolgreich in die Gegenwart transportiert hat, den Sambasoul von Fino Coletivo, oder Marcello, der elektronische Beats und akustische Gitarre zu einem organischen Sound vereint, noch tanzbar, aber eher zum Chillen geeignet.

Diverse
Brazilian Beat
Putumayo 332-2

"Brazilian Lounge Music", ebenfalls aus dem Jahr 2006 (fünf Titel sind neu), versammelt entspannte Stücke, aus denen "Os olhos dela" heraussticht, weil es in origineller Weise mit einer elektronisch nachbearbeiteten Bläsersektion spielt. Völlig laid-back: "Como vou fazer", das einen entschweben lässt. Insgesamt 33 Titel, die durchweg positive Gefühle wecken und entspannte Stimmung erzeugen.

Diverse
Brazilian Lounge Music
Putumayo 331-2

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 09/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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