caiman.de 09/2009

[kol_3] Grenzfall: Wespen, Spinnen und Tod durch frijolítos
 
Ich wohne in einer wunderschönen Stadt. Sie ist zwar dreckig aber trotzdem hab ich das Gefühl, ich kann hier durchatmen, weil die Menschen miteinander leben wollen. Man grüßt und quatscht ohne sich zu kennen.

Es war einst in dieser Stadt vieles geduldet. Nun aber regiert das Grau des Ordnungsamtes, das Grün bzw. Blau der Verkehrspolizisten und das Grau-Blau der weiblichen und männlichen Politessen. Die Hüter der Ordnung - falls es in dieser wunderschönen aber unglaublich dreckigen Stadt tatsächlich um Ordnung geht, mag ich auf der Stelle tot umfallen - der Stadt, deren Gedächtnis gerade durch ein aberwitziges Bauprojekt ausgelöscht wurde - Gott hab die Seelen der Archivdokumente gnädig -, kassieren, kassieren, kassieren als wäre es das letzte Aufbäumen einer Stadt vor dem finanziellen Kollaps.


Gleiches passiert in Venezuela. Auch hier flossen unvorstellbare Mengen von Geldern in bekannte und unbekannte Kanäle. Jetzt sind die Kassen leer und Unternehmer, auch Kleinstunternehmer sollen zahlen für die wohl irrwitzigste Wirtschaftspolitik der aktuellen Dekade. Jeden Tag schließen mehr und mehr Geschäfte, jeden Tag kontrollieren mehr und mehr Rotkappen den Warenaustausch. Das hat Auswirkung auf den Faktor Zeit. Käufer von etwa Aspirin sollten erwägen, gleich noch Beruhigungsmittel dazu zu erwerben.

Gestern in der schönen, aber dreckigen, deutschen Stadt ruft mich meine Finanzbeamtin an. Selbstständigkeit sei das letzte! Und was für eine blödsinnige Aussage, ich könnte mit meinem Laptop überall arbeiten. So nicht!


Ich kann nur mit Ratlosigkeit reagieren. In weiser Voraussicht war ich erst die Woche zuvor beim Finanzamt vorstellig geworden. Meine zuständige Beamtin befand sich noch in ihrer letzten Urlaubswoche. Meine vorübergehende zuständige Beamtin war unglaublich nett, beriet mich hervorragend und schlug mir eine Menge Lösungen vor. Bleibt nur zu hoffen, dass die schlechte Laune der Urlauberin sich nicht auf die gesamte Abteilung auswirkt.

Da e ich so durch die Straßen und treffe eine Frisöse, die leicht erbost flucht. Das Ordnungsamt hatte sie gerade mit einem 30 Euro Busgeld verwarnt, weil ihre Werbetafel mehr als 50 Zentimeter von der Wand ihres Salons entfernt stand. Zudem hatte sie umgehend die Bank, die sie für zigarettenbegeisterte Kunden vor der Tür platziert hatte, in den Keller räumen müssen. Erklärung: Verdacht auf Ausschank! Weil ja besonders Friseurläden berühmt und berüchtigt sind für das illegale verticken von Schnaps und Bier, besonders an Jugendliche, die sich erst mal komatös gesoffen konformfeindliche Frisuren verpassen lassen.


Da erzähle ich von meiner Auflage seitens des Finanzamtes, dass ich mich mit meinem Laptop, wenn ich nicht von zuhause arbeite, vor jeglichen blau, grünen oder grauen Straßenwächtern in acht nehmen müsste, weil die mein deplatziertes Fremdarbeiten, egal ob im Café, beim Kunden, im Ausland oder auf dem Mond, melden würden und ich dann damit rechnen müsste, dass ich aus den Zuständigkeitsbereichen aller Finanzämter dieser Welt herausfalle, woraufhin mir der Pass entzogen, die Wohnung entwendet und die Ehe annulliert würde.

In Venezuela beobachte ich eine Wespe, die achtlos um ein trichterförmiges Spinnennetz herumkreist. Zack! Die Spinne schießt aus dem Verborgenen hervor, beißt zu und saugt die Wespe aus. Aus Guatemala kenne ich die ungemein schmackhaften frijolítos fritos, Schwarze Bohnen zu Mousse gekocht und gebraten, mit denen sich nicht nur Spinnen ersticken lassen.

Text + Fotos: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 09/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]



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