el salvador: Óscar Romero – Chronik eines angekündigten Todes
In memoriam des Märtyrers von El Salvador
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1]
mexiko: Die Conquistadoren Mexikos als Teules und Weiße Götter?
Erste Identifizierungsversuche durch Mexica und Tlaxcalteken (Teil 1)
FELIX HINZ
[art. 2]
brasilien: Barbudo contra Xuxu
Brasilien vor den Präsidentschaftswahlen 2006
THOMAS MILZ
[art. 3]
argentinien: 15 Minuten Buenos Aires
Durch die Calle Florida zum Plaza San Martín
ANDREAS DAUERER
[art. 4]
grenzfall: Alle reden vom Postkolonialismus - wir sprechen über die Post
MICHAEL SCHLIEBEN / ANNE GRÜTTNER
[kol. 1]
macht laune: Kurzangebunden durch die Maquiné Höhle
THOMAS MILZ
[kol. 2]
pancho: Was mein Taco über dich verrät
DIRK KLAIBER
[kol. 3]
lauschrausch: Die neue Welt des Tango
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] El Salvador: Óscar Romero - Chronik eines angekündigten Todes
In memoriam des Märtyrers von El Salvador

Vom Opus Dei-Sympathisanten zum zaghaften Rebellen
"Wir waren völlig entmutigt durch die schlechte Nachricht, aber wir entschlossen uns, ihm einen Brief zu schreiben und ihn zu fragen: Was ist Ihre Botschaft, Monsignore Romero? Wir möchten wissen, ob Sie auf der Seite der Reichen stehen oder ob Sie uns Armen helfen..." Dies war die Reaktion des katholischen Bauernführers Moisés Calles, als er erfährt, dass Óscar Arnulfo Romero am 10. Februar 1977 zum neuen Erzbischof von San Salvador ernannt worden war. Die Reaktionen aller progressiven und politisch linksgerichteten Priester und Bischöfe in dem kleinen zentralamerikanischen Land El Salvador auf Romeros Berufung ins Amt des Erzbischofs waren ähnlich und reichten von verhalten geäußerter Sorge bis zum offenen Entsetzen. Denn Romero galt als konservativer Gegner der von Forderungen nach Sozialreformen geprägten Beschlüsse der lateinamerikanischen Bischofskonferenz von Medellín (1968) und als Sympathisant der reaktionären Sekte Opus Dei. Ein Jesuit, der Romero vor seinem Amtsantritt kennen lernte, beschrieb ihn als "sehr schüchtern und angepasst". Schließlich hatte er 1972, fünf Jahre bevor er das höchste kirchliche Amt in seinem Land antrat, die damals von Coronel Molina befohlene gewaltsame Räumung der Universität von studentischen Demonstranten als Wiederherstellung der Ordnung verteidigt. Es konnte also nicht überraschen, dass die Oligarchie von El Salvador, vor allem die Großgrundbesitzer, Romeros Wahl zum Erzbischof feierten und ihn immer wieder gerne auf ihre Haciendas zu Kaffee und Torte einluden. Sie glaubten, er stünde auf ihrer Seite. Sie sollten sich alle täuschen.

Óscar Arnulfo Romero:
Wenige Wochen vor seiner Ermordung. 1980

Óscar Arnulfo Romero:
Semanas antes de su asesinato. 1980

Romero bekam kaum Zeit, sich an seinen neuen Arbeitsplatz zu gewöhnen, denn sofort nach seiner Amtseinführung überschlugen sich die politischen Ereignisse. Am 26.02.1977 wurde General Carlos Romero (nicht verwandt mit dem von Opus neu ernannten Erzbischof) zum Präsidenten von El Salvador gewählt. Von einer demokratisch legitimierten Wahl konnte natürlich keine Rede sein. Und so kam es am 28.02.1977 auf der Plaza de la Libertad im Zentrum der Hauptstadt zu einem Massaker mit hundert Toten, als die Nationalgarde das Feuer auf Demonstranten eröffnete, die gegen den Wahlbetrug protestierten.Óscar Romero hielt sich mit Kritik gegen die Obrigkeit zurück, viele warfen ihm Feigheit oder Komplizenschaft mit den Herrschenden vor. Dabei stammte der Erzbischof selbst aus armen Verhältnissen. Er war eher naiv und unpolitisch. Durch sein langes Studium in Rom hatte er sich noch mehr von der Realität seines Heimatlandes entfremdet, die Lebensverhältnisse landloser Bauern kannte er kaum.

Einen Tag nach dem Massaker, umgeben von blutigem Chaos, während hunderte von salvadorianischen Bürgern "verschwanden", rief Romero eine Gruppe von befreundeten Priestern zu sich, um hochgeistige theologische Fragen zu diskutieren. Da steht der politisch wohl am weitesten links orientierte unter den Freunden Romeros, Rutilio Grande, plötzlich auf und sagt: "Es reicht! Ich glaube, dass es an diesem Tag dringendere Fragen zu besprechen gibt!" Ein paar Tage später, am 12. März 1977, wird der in seiner armen Berggemeinde Aguilares sehr populäre "Bauernpriester" Rutilio Grande mit zwei Begleitern in seinem Jeep auf der Landstraße nahe bei Los Mangos erschossen. Dieser Mord, verübt von Major Garay Flores - wie später bekannt wurde - und bezahlt von der salvadorianischen Oligarchie, bewirkt in Romero eine radikale Wende. Die namenlosen Opfer des staatlich tolerierten Terrors, an dessen Existenz er lange gezweifelt hatte, haben nun angesichts der Leiche seines von Kugeln durchsiebten Freundes ein erschreckend konkretes Gesicht bekommen.

Flüchtende Zivilbevölkerung

Civiles huyendo

Die Reaktion des Erzbischofs, der vor kaum mehr als einem Monat sein Amt übernommen hat, ist ebenso konsequent wie originell. Romero proklamiert als Protestaktion etwas Unerhörtes: einen Kirchen-Streik. Er vertritt den Standpunkt: "Wenn Ihr meine Priester ermordet, gibt es eben keine Heilige Messe im ganzen Land!" Nur eine einzige, exklusiv als Totenmesse für Rutilio Grande, die berühmte Misa Única, sollte am Sonntag, dem 20. März 1977 in der Kathedrale von San Salvador zelebriert werden. Die reichen Kaffeebarone, die ansonsten bevorzugt die Messe bei Opus Dei Priestern besuchten, mussten in die Hauptstadt kommen, um an jenem Sonntag die heilige Kommunion zu empfangen. Die auf dem großen Platz vor der Kathedrale gehaltene Messe war eine politische Provokation, ein Verstoß gegen den von der Regierung verhängten Ausnahmezustand, der öffentliche Versammlungen verbot. Zusätzlich zum Kirchen-Streik am 20. März ordnete Romero an, dass alle katholischen Schulen drei Tage geschlossen bleiben sollten - aus Protest gegen die Ermordung von Rutilio Grande. Der ganzen Nation sollte nach den Worten des Erzbischofs demonstriert werden: "Wer einen meiner Priester angreift, der greift auch mich selbst an."

Mit dem Streik begann für Romero der Ärger mit dem Vatikan. Der päpstliche Nuntius, Emmanuele Gerada, war "not amused" und zitierte den Erzbischof zu sich. Ein solcher Kirchen-Streik würde gegen kanonisches Recht verstoßen und sei keinesfalls zu rechtfertigen, so der Nuntius. Nach einem heftigen Streitgespräch mit ihm und anderen Abgesandten Roms verlässt Romero frustriert die Versammlung und sagt zu einem Begleiter: "Die verhalten sich wie die vom Opus [Dei] - sie verstehen einfach gar nichts!"

Der durch staatlich sanktionierte Todesschwadronen gesäte Terror war schon so verbreitet, dass sich mehrere Bestattungsunternehmen aus Angst weigerten, einen Sarg für Rutilio Grande zu liefern. Schließlich fand sich doch noch ein mutiger Sargbauer. Etwa hunderttausend Menschen kamen zu dieser landesweit einzigen Messe am Sonntag, dem 20. März, die zu einer indirekten Kundgebung gegen die Ermordung linksgerichteter Priester (Rutilio Grande war nur eines von vielen Opfern) wurde.

Von diesem Moment an begannen die Reichen, die um ihre Privilegien fürchteten, sich gegen Romero zu stellen. Er sei "plötzlich vom Kommunismus infiziert", so hieß es nun. Denn man ahnte, dass der Erzbischof von nun an seine Autorität einsetzen würde, um sich auf die Seite der Armen und der "Bauernpriester" zu stellen. Die Oligarchie, allen voran die berühmten "14 Familien", die seit Jahrhunderten über die größten Latifundien verfügten und das kleinste Land des amerikanischen Kontinents immer schon als Privateigentum betrachtet hatten, finanzierte nun Romero-Karikaturen und Anti-Romero Artikel in den Zeitungen. Gleichzeitig fand der Kirchenfürst, der sich die Mächtigen zum Feind gemacht hatte in seinen Predigten, die jeden Sonntag vom katholischen Radiosender YSAX übertragen wurden, immer deutlichere Worte gegen die von Regierungskreisen geförderten und von Großgrundbesitzern finanzierten Todesschwadronen und die soziale Ungerechtigkeit.

Die Stimme der Wahrheit wird immer lauter
Viele Bauernpriester und Jesuiten, die in armen, entlegenen Regionen El Salvadors Schulen leiteten, luden den Erzbischof ein, ihre Basisgemeinden kennen zu lernen. Romero begann, sich für die Idee einer Landreform zu interessieren, nachdem er mit den existenziellen Problemen der landlosen Tagelöhner konfrontiert worden war. Er entsandte eine Delegation von Priestern zum Nuntius des Vatikan, um Verständnis für die Ziele der illegalen und verfolgten Bauernorganisationen wie der FECCAS zu wecken. Doch der Botschafter des Heiligen Stuhls blieb bei seiner bequemen, vorgefertigten Sicht der Dinge und setzte die Gesandten Romeros nach kurzer Diskussion vor die Tür. Die Tore der erzbischöflichen Residenz dagegen öffneten sich für Verfolgte, die vor den Todesschwadronen aus den Bergen flüchteten, für Frauen und Kinder der Bauernmilizen.

Offizier Roberto D`Aubuisson

Mayor Roberto D`Aubuisson

Zu dieser Zeit tauchte die finstere Gestalt des Offiziers Roberto D`Aubuisson auf, zurückgekehrt nach militärischer Spezialausbildung durch die CIA in Washington, gewillt das Erlernte anzuwenden. Als eines der Gründermitglieder der rechtsgerichteten ARENA-Partei, setzte er sich zum Ziel, um jeden Preis die herrschende "Ordnung" aufrecht zu erhalten und "Kommunisten" zu jagen, wo immer es ging. Und er bringt den makabren Slogan in Umlauf "Sei Patriot - töte einen Priester!" Im staatlichen Fernsehen zeigte D`Aubuisson Fotos von "als Priestern verkleideten Kommunisten" und rief zu ihrer Verfolgung auf. Ende 1977 fand die Sekretärin des Erzbischofs die ersten Morddrohungen gegen Romero im Briefkasten. Später wurde bekannt, dass D`Aubuisson eine Todesliste von "Moskau-treuen" Priestern aufgestellt hatte - mit Romero an der Spitze.

Inzwischen war die Sonntagspredigt Romeros zur meist gehörten Radiosendung in Zentralamerika geworden. Ganz El Salvador lauschte seiner Stimme, die immer entschiedener die Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung der Opposition anprangerte, immer deutlicher die Verstrickung des staatlichen Militärs und des Justizapparats in die "Säuberungsaktionen" der Todesschwadronen aufdeckte. In seinen Predigten, die oft anderthalb Stunden dauerten, erfuhren die Einwohner El Salvadors die Nachrichten, die im zensierten Staatsfernsehen totgeschwiegen wurden. Er zählte sie auf - die Namen der Toten und Verschwundenen, an die sich niemand aus Regierungskreisen erinnern wollte. Bald gab ihm das Volk den Beinamen "periodista de los pobres" (Journalist der Armen). Er war zum Fürsprecher der Verfolgten geworden. Am 14.02.1978 verlieh ihm die Jesuiten-Universität von Georgetown (Washington) die Ehrendoktorwürde. Im gleichen Jahr schlug man Romero für den Friedens-Nobelpreis vor (welcher allerdings an Mutter Theresa ging).

Anfang Mai 1979 schrieb Romero einen langen, vertraulichen Brief, der an den neu gewählten Papst Johannes Paul II. gerichtet war, und bat ihn um eine dringende Privataudienz. In dem Brief kritisierte der Erzbischof von San Salvador die US-Militärhilfe und die passive Haltung des vatikanischen Nuntius in seinem Land. Der Vatikan schickte per Fax eine Kopie dieses vertraulichen Briefs von Romero "zur Information" an die US-Botschaft in El Salvador. Wer diese Kopie aus dem Machtzentrum der katholischen Kirche an die (protestantische) Weltmacht USA gesandt hat, ist bis heute ungeklärt, eine ebenso mysteriöse wie skandalöse Intrige. Romero erfuhr von diesem Verrat und fragt seine Mitarbeiter: "Auf welcher Seite steht denn nun der Vatikan!?"

Um dies zu klären, reiste er nach Rom und obwohl der Papst einer Audienz zugestimmt hatte, wurde Romero tagelang von obskuren Kurienkardinälen abgewimmelt. Schließlich, am Ende seiner Geduld, mischte er sich während einer öffentlichen Papstaudienz unter das Volk. Es gelang ihm bis zum Heiligen Vater vorzudringen und diesen um eine Privataudienz zu bitten, die ihm gewährt wurde. Im Rahmen dieser Privataudienz übergab Romero dem Papst eine Dokumentation über den Terror gegen die Kirche in El Salvador und legte ihm Fotos von gefolterten und ermordeten Priestern vor. Doch der Papst interessierte sich kaum dafür. Er ermahnt ihn lediglich, eine "bessere Beziehung zur Regierung seines Landes anzustreben". Auch Romeros Entgegnung, dass diese Regierung nie wirklich vom Volk gewählt worden sei, beeindruckte Johannes Paul II. nicht, war doch für ihn, der aus Polen stammte, jeder Verdacht von "kommunistischen Tendenzen" die schlimmste aller Vorstellungen. Vom Heiligen Stuhl war also keine Rückendeckung zu erwarten. Noch während des Rückflugs, bei der Zwischenlandung in Madrid, erreichte Romero die Nachricht vom Massaker auf der Treppe der Kathedrale von San Salvador. Staatliche Sicherheitskräfte im Namen der Regierung hatten das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten eröffnet: 23 Tote, über 70 Verletzte. Diesmal wurde das Massaker von ausländischen Fernsehteams gefilmt und die Bilder gingen um die Welt.

Die "14 Familien" feiern Romeros Ermordung
"Aber Monsignore, gottseidank, welche Freude - Sie leben ja noch!" Aufgeregt stürmten die Nonnen des kleinen Hospitals für Krebskranke auf Romero zu und erzählten ihm, dass der staatliche Radiosender vor einer halben Stunde in den Nachrichten verkündet habe, Erzbischof Romero sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Stunden später musste der Sender angesichts des munter mit den Nonnen Kaffee trinkenden Romero diese Nachricht natürlich korrigieren, aber das Ziel, Schrecken zu verbreiten, hatte man vorübergehend erreicht.

Ende Juli 1979, nach dem Sieg der Sandinisten im Nachbarland Nicaragua, spitzte sich die Lage in El Salvador dramatisch zu. Die Ausbildung der Todesschwadronen wurde intensiviert und die CIA und die Regierung von El Salvador entschlossen sich zu einem cleveren Manöver. Wie so oft in ähnlichen Situationen forderten die USA ein Bauernopfer, um den Eindruck einer nicht vorhandenen Änderung zu erwecken. Man inszenierte eine angebliche Rebellion junger Offiziere gegen Staatschef General Romero, der ins Exil geschickt wurde. Die jungen "Rebellen" formten eine neue Junta, die eine rasche Landreform, freie Wahlen und Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen versprach. Das US-Außenministerium gratulierte dem Volk von El Salvador zu seiner neuen Regierung.

Erzbischof Romero ließ sich vorübergehend blenden und rief zur Kooperation mit der neuen Regierung auf, an deren gute Absichten er glaubte. Doch da die Massaker von regierungstreuen Todesschwadronen weiter statt fanden und unverändert jede Woche Hunderte von Oppositionellen spurlos verschwanden, erkannte er seinen Irrtum. Am 29.10.1979 kam es in der Hauptstadt erneut zu einem Blutbad mit 80 Toten und Hunderten von Verletzten. Romero forderte in seiner Sonntagspredigt, dass neue "Militärhilfe" der USA abgelehnt und alle Militärs aus der Regierung entfernt werden sollten und drängte vor allem auf die Entlassung des berüchtigten Generals García.

Einige Wochen später besuchte der Erzbischof die entlegene Gemeinde San Miguel. Die Einwohner bereiteten ihm einen so triumphalen Empfang, dass er lächelnd meinte, er fühle sich wie Jesus beim Einzug in Jerusalem. Leider war dieser Triumphzug auch für ihn nur ein Schritt, der ihn zum Tod führen sollte.

Am 18.02.1980 zerfetzte eine Bombe das Gebäude des katholischen Radiosenders YSAX. Die Stimme der Wahrheit verstummte. Bis zum 23. März 1980. An diesem letzten Fastensonntag rief Romero in seiner Predigt deutlicher als je zuvor alle Soldaten und Polizisten in El Salvador zum zivilen Ungehorsam auf - sie sollten den Befehl verweigern, nicht auf das eigene Volk schießen, denn das göttliche Gesetz "Du sollst nicht töten!" stehe über dem militärischen Befehl. Dies war sein Todesurteil: Am Abend des 24. März, kurz nach 18.00, als er die Messe in einer kleinen Krankenhauskapelle zelebrierte und den Kelch emporhob im heiligsten Moment des Gottesdiensts, fiel der tödliche Schuss im Auftrag von D´Aubuisson und brachte Romero zum Schweigen.

Beerdigung des Märtyrers Óscar Romero

Entierro de Monseñor Romero

Zwei Stunden nachdem die Nachricht von Romeros Tod Washington erreicht hatte, verabschiedete ein Ausschuss des Kongresses der USA eine Aufstockung der "Militärhilfe" für El Salvador. Der traurige Erfolg dieser Maßnahme war eine beispiellose Saat der Gewalt und langfristigen Militarisierung der salvadorianischen Jugend.

Drei Stunden nach der Ermordung des Erzbischofs trafen sich die meisten (nicht alle) der "14 Familien" in der Villa der Hacienda von San Benito zu einem rauschenden Fest mit Champagner und Tanz bis in die frühen Morgenstunden. So feierten sie den Tod ihres schlimmsten Feindes, des Stellvertreters Christi in dem Land, das seinen Namen trägt: "El Salvador".

Auf dem Platz vor der Kathedrale versammelten sich 250.000 Menschen zur Beerdigung des Märtyrers Óscar Romero, der wahrscheinlich nie heilig gesprochen wird - weil seine Anhänger nie soviel Geld aufwenden können wie z.B. das Opus Dei unlängst für die "Heiligsprechung" ihres Gründers Balaguer.

Nicht einmal eine friedliche Totenfeier war dem erschossenen Fürsprecher der Armen vergönnt. Während der Predigt, die von dem Erzbischof von Mexiko gehalten wurde, eröffneten Heckenschützen, die wahrscheinlich zur Nationalgarde gehörten, von umliegenden Dächern das Feuer auf die Menge und lösten eine Massenpanik aus. Die Zahl der Toten ist bis heute ungewiss, Tausende flüchteten in die Kathedrale, Erzbischöfe neben Tagelöhnern, Tote zwischen Lebenden, es gab ein solches Chaos, dass das Requiem für Romero nicht ordnungsgemäß beendet werden konnte. Die Gewalt in seinem Land, gegen die er stets gepredigt hatte, sie verfolgte ihn bis in den Tod.

Massaker während der Beerdigung Monseñor Romeros. 1980

Ataque al entierro de Monseñor Romero. 1980

Das schönste Geschenk, welches das "Land des Erlösers" seinem berühmtesten Sohn posthum machen könnte, wäre die Abschaffung des Militärs. Denn wozu braucht das kleinste Land Amerikas eine Armee - es sei denn, zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung im Namen der "14 Familien"? El Salvador sollte, das Beispiel Costa Ricas nachahmend, seine Streitkräfte, die für den Staatshaushalt nur überflüssiger Luxus sind, einfach abschaffen. So wie Romero es selbst in einer seiner letzten Predigten gefordert hat: "Die beste Medizin für dieses Land wäre die Entmilitarisierung!"

Text: Berthold Volberg
Fotos: Museo de la Palabra y la Imagen

Museo de la Palabra y la Imagen
27 Av. Norte, #1140, Urb. La Esperanza
San Salvador. El Salvador
PBX: (503) 2275-4870
http://www.museo.com.sv





[art_2] Mexiko: Die Conquistadoren Mexikos als Teules und Weiße Götter?
Erste Identifizierungsversuche durch Mexica und Tlaxcalteken (Teil 1)

Die Eroberung Mexikos hat seit den bald 500 Jahren, die uns von ihr heute trennen, kaum etwas von ihrer Faszination eingebüßt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Sie fand am Schnittpunkt zweier Welten und Epochen statt, sie ist aus mehreren Perspektiven überliefert und gehört vielleicht zu den facettenreichsten Episoden der Geschichte. Die Frage, die seit dem Ende der Conquista immer wieder gestellt wurde, ist: Wie konnten die ungefähr 2000 Spanier unter Hernán Cortés das ganze Gebiet des späteren Neuspanien mit einer Bevölkerung von bis zu 25 Millionen Einwohnern unterwerfen?

Herán Cortés
Statue in Medellín, Extremadura
Foto: Felix Hinz


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Umberto Eco hat einmal gesagt, dass es auf jede noch so komplizierte Frage meist von irgendwoher eine ganz einfache Antwort gibt. - Und die sei dann falsch. Genauso verhält es sich in der Geschichte zur Conquista Mexikos. Eine solche Antwort auf die genannte Frage lautet, die Spanier seien von den Bewohnern Mexikos oder zumindest von Moctezuma für Götter gehalten worden. Starr vor Schreck und Ehrfurcht habe man mit der Abwehr der Conquistadoren so lange gewartet, bis es zu spät gewesen sei. Die Herkunft dieser Legende lässt sich wie in solchen Fällen üblich nicht mehr eindeutig feststellen. Cortés war derjenige, der quellentechnisch ihre Grundlage schuf, indem den cartas de relación zufolge Moctezuma folgende Ansprache an ihn gehalten haben soll:

"Viele Tage ist es her, dass wir durch unsere Schriften von unseren Vorfahren Nachricht haben, dass weder ich noch alle, die wir in diesem Land leben, Eingeborene desselben sind, sondern Fremde und zu ihm aus sehr fremden Landesteilen gekommen sind. Und wir haben außerdem [Nachricht], dass ein Fürst unser Geschlecht in diese Landesteile brachte, dessen Untertanen [wir] alle waren und der zu seinem Ursprungsort zurückkehrte. Und später kam er zurück nach langer Zeit, und zwar nach so langer, dass diejenigen, die geblieben waren, bereits mit den eingeborenen Frauen dieses Landes verheiratet waren, und sie hatten viele Nachkommen und Ortschaften gebaut, wo sie lebten. - Und als er sie mit sich nehmen wollte, da wollten sie weder gehen noch ihn als Herrn anerkennen, und so kehrte er um. - Und wir haben immer angenommen, dass diejenigen, die von ihm abstammen, kommen müssten, um dieses Land und uns als seine Vasallen zu unterwerfen. Und gemäß der Richtung, die ihr sagt, dass ihr da herkommt, die da ist, wo die Sonne aufgeht, und [gemäß] den Dingen, die ihr von diesem großen Herrn oder König [also Karl V.] erzählt, der euch hierher schickte, glauben wir und halten es für sicher, dass dieser unser natürlicher Herr ist, besonders weil ihr uns sagt, das er seit vielen Tagen Nachricht von uns hat."

Vieles spricht dafür, dass die Franziskaner einige Jahrzehnte später kräftig an der Legende vom wiederkehrenden Fürsten mitkonstruiert haben. Es muss bedacht werden, dass die schlechten Vorzeichen, die Moctezuma vor der Conquista gesehen haben soll, literarische Fiktion sind. Sowohl im Jüdischen Krieg des Flavius Josephus als auch bei anderen antiken Autoren werden vergleichbare Vorzeichen genannt. Sie symbolisieren dort den Zorn des christlichen Gottes über die sündigen Heiden. Moctezuma ist gemäß dieser Darstellung nichts anderes als ein Medium des zürnenden Gottes, der ihm gleich Nebudkadnezar den Untergang seiner Herrschaft kundtut. Die Conquistadoren mit all den ihnen im Buch XII der Historia general des Fray Bernardino de Sahagún zugeschriebenen Schreckenstaten und ihrem finsteren Erscheinen als eiserne, kalkgesichtige Reiter unwiderstehlicher Vernichtungskraft, denen geifernde Hunde vorauslaufen, erscheinen vor diesem Hintergrund als apokalyptische Reiter, als Geißel Gottes. Sie sind grausam, blutgierig, unwiderstehlich, mitleidlos, aber gerade deshalb Krieger Gottes. Auf den Trümmern des gestraften Heidentums sollte nach Zeiten der blutigen Buße das um so reinere Christentum erwachsen. In ihrer polytheistischen Verblendung jedoch sollten die Heiden die Christenkrieger für Götter gehalten haben, und dies habe um so mehr ihren verdienten Untergang besiegelt. - Soviel zur Geschichtsschreibung.

Was aber dachten die Totonaken und Nahuas wirklich über die Conquistadoren? Was hatte es mit der angeblichen Legende vom wiederkehrenden Fürsten auf sich? Was hatte der Gott Quetzalcóatl mit Hernán Cortés zu tun? Welchen Einfluss hatten bestimmte Prophezeiungen aufgrund des zyklisch aufgebauten Wahrsagekalenders auf die Einstellungen und Handlungen der Bewohner Mexikos angesichts der Conquistadoren?

Möglicherweise wusste Moctezuma über die Spanier zunächst mehr als diese über ihn. Thor Heyerdahl und nach ihm viele andere haben bewiesen, dass es theoretisch bereits im Altertum möglich war, den Atlantik von der Alten in die Neue Welt zu überqueren. - Aber zurück? Es ist ungewiss, was es mit dem mysteriösen portugiesischen Piloten auf sich hat, der vor Colón in der Karibik gekreuzt sein soll. Auch gibt es Gründe zur Vermutung, dass Vicente Yáñez Pinzón und Juan Díaz de Solis bereits 1508-09 vor San Juan de Ulúa beim heutigen Veracruz auftauchten. Dies wäre neun Jahre vor der Expedition unter Juan de Grjalva gewesen, der man gemeinhin den ersten Kontakt mit den Mexica zuschreibt. Da die fraglichen mesoamerikanischen Codices im Zuge der Evangelisierung des Landes zum allergrößten Teil verbrannt wurden, lässt sich nicht mehr eruieren, was diese von potentiellen vormaligen Kontakten der Bewohner Mexikos mit Europäern berichteten. Fray Toribio Benavente alias Motolinía erwähnt folgende Begebenheit: "Während dieser Zeit [d.h. bevor Grijalva landete] brachten sie Moteczumatzin eine Kiste mit spanischen Kleidern, die von irgendeinem Schiff gewesen sein musste, das im Mar del Norte [bei einem Unwetter so stark] krängte [, dass es Ladung verlor], in der sie ein Schwert, gewisse Fingerringe, andere Schmucksachen und Kleidungsstücke fanden. Und Moteczuma gab einige Schmuckgegenstände an die Fürsten von Tezcuco und Tlacuba. Und damit sie sich nicht beunruhigten, sagte er ihnen, dass seine Vorfahren sie geheim gehalten und gut gehütet hätten und dass sie sie in großer Achtung hielten."

Die pochtecas genannten Fernkaufleute der Mexica vermochten durchaus die Distanzen von Tenochtitlán nach Yucatán und nach Guatemala zu überwinden, doch was sie in Erfahrung brachten, bleibt Spekulation. Vor einer derart dünnen Quellenlage ist es angebracht, davon auszugehen, dass Grijalva und Cortés die ersten Europäer waren, von denen Moctezuma erfuhr. Die überlieferten Quellen suggerieren zumindest, dass Moctezuma keine Ahnung von Schiffbrüchigen Kastiliern in Yucatán und wenn überhaupt nur wenige Informationen über die Vorgänge im Darién und in der Karibik hatte.

Mit Vorsicht zu genießen sind die den Mexica meist unterstellten Interpretationsschemata, mit denen sie versucht haben sollen, das Phänomen "Kastilier" zu deuten. Der hinreichend bekannte mesoamerikanische Kalender enthielt auch eine zyklische Zeitvorstellung. Die Vorstellung, dass die Zeit nach jedem 52-Jahre-Zyklus wieder von vorn beginne, war nach Ablauf eines jeden Zyklus "mit fundamentaler Existenzangst verbunden" und legte es, wird oft argumentiert, den Nahuas nahe, da man im linearen Sinne weder von "Zukunft" noch von "Vergangenheit" habe sprechen können, bestimmte Abschnitte des Kalenders religiös-mythologischen Deutungsmustern zu unterwerfen, so dass sich also eben dieses Zeitverständnis auf dominante Weise durch Ritual und Prophetie ausgedrückt habe.

Eingehend beschrieben und mit zahlreichen Beispielen veranschaulicht findet sich der prophetische Kalender der Mexica im vierten Buch der Historia general des Sahagún. Sahagún berichtet auch, dass die Mexica ein jedes Individuum gemäß dem Zeichen, unter dem es geboren wurde, einschätzten - und weniger nach seiner Herkunft oder seinen Fähigkeiten. Als Veranschaulichung mag das kalendarische Zeichen Ume Tochtli dienen: In diesem Zeichen Geborene wurden von Anfang an als Säufer angesehen, und sie bekamen keine Chance im Leben. Dies dürfte nicht selten zu einer Sich-selbst-erfüllenden-Prophezeihung geführt haben, was die magische Kraft des negativen Kalenderzeichens zu bestätigen schien. Allerdings waren viele Tageszeichen ambivalent.

Am radikalsten vertrat Tzvetan Todorov die Bedeutung dieses Kalendersystems für die Sicht der Nahuas auf die Conquistadoren: "Das Individuum gestaltet seine Zukunft nicht, sondern diese offenbart sich ihm [...]. Die charakteristische Frage dieser Welt ist nicht [...] praxeologischer Art: Was tun?, sondern epistomologisch: Wie erfahren?"

Vor diesem Hintergrund wird dann angenommen, dass Moctezuma, der in seiner Jugend eine strenge religiöse Erziehung erfahren hatte und sich eher als Priester denn als Krieger verstanden haben soll, mit dem Phänomen "Kastilier" konfrontiert Antworten zunächst in prophetischen Büchern suchte, davon ausgehend, dass kein Ereignis singulär oder zufällig sein kann, sondern in anderer Form bereits an gleicher Stelle des Zyklus´geschehen bzw. angekündigt sein muss. Die fraglichen Bücher sind leider sämtlich verloren.

Alle diese Theorien basieren letztlich auf der Legende vom wiederkehrenden Fürsten Quetzalcóatl, dessen Rückkehr in diesen prophetischen Büchern angekündigt worden sein soll. - In bezug auf zyklisches Zeitverständnis ist zu berücksichtigen, dass dies immer nur ein Aspekt der Zeitphilosophie sein kann, um sie nicht ad absurdum zu führen. Auch bei uns kehren die Jahreszeiten immer wieder, und die Zeit messen wir mit einem Kreisrunden Instrument, und dennoch ist die Zeit immer auch bzw. vor allem linear. Selbst wenn das zyklische Element in Mesoamerika stärker betont wurde, ist es doch auszuschließen, dass die Mexica keinen Begriff von singulären Ereignissen in der Geschichte hatten. Auch die Maya, die einen ähnlichen Kalender verwendeten, kannten eine lineare "lange Zählung" der Zeit.

Moctezuma war ein stolzer, selbstbewusster Herrscher im bedeutendsten Teil der den Nahuas bekannten Welt. In Anbetracht der wenigen historischen Fakten, die sich nicht als spätere Geschichtsfälschungen entlarven lassen, spricht wenig dafür, dass Moctezuma durch die Ankunft der Kastilier ernsthaft beunruhigt war. Er fühlte sich im Gegenteil mächtig genug, eine abwartende Haltung und eine seinen Reichtum unter Beweis stellende Freigiebigkeit leisten zu können.

Wie verhielt es sich mit den in den Quellen immer wieder genannten "Teules"? - Wenn beispielsweise Díaz del Castillo davon schreibt, dass die Nahuas die Conquistadoren teules genannt hätten, scheint er unter diesem Begriff in etwa ´Halbgötter´ zu verstehen. Die Schwarzen unter ihnen, fügt Sahagún hinzu, seien als "wirklich schmutzige" Götter angesehen worden. - Wie haben die Mexica die Kastilier bezeichnet? Sagten sie téotl oder téutl (Gott), oder redeten sie die Fremden mit teuctli oder tecuhtli (Herr) an? Ich behaupte: Sie sagten "Gott" und meinten "Herr".

Moctezuma ließ die Ankömmlinge prächtig empfangen, als sie noch in der Bucht von San Juan de Ulúa ankerten. Es handelte sich neben dem Empfang der Conquistadoren in Tenochtitlán zweifellos um eine der denkwürdigsten kulturellen Begegnungen der Weltgeschichte. Laut Sahagúns Bericht wurden Cortés die Trachten und Attribute der mexicanischen Götter Quetzalcóatl (auch als Ehecatl und als Tlaloc) und Tezcatlipoca dargeboten. Wenn Sahagúns Ausführungen, die die geschichtlichen Ereignisse meist sehr verzerrt widergeben, zutreffen, müssten die genannten Gegenstände zwischen den Gaben befinden, die Cortés zusammen mit seinem ersten Bericht an Karl V. schickte. Und tatsächlich: Ein Vergleich der entsprechenden Sahagún-Passage mit der Inventarliste der betreffenden Schatzsendung des Cortés ergibt klare Übereinstimmungen.

Mictlantecutli und Quetzalcóatl
Quelle: Codex Borgia


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Doch die weitverbreitete These, dass die Gaben Moctezumas bedeuteten, dass die Conquistadoren vom huey tlatoani (Großer Sprecher) für die Götter gehalten wurden, deren Trachten er ihnen übergeben ließ, muss zurückgewiesen werden. Bereits Oviedo, der Quetzalcóatl gar nicht erwähnt, glaubt nicht, dass die Conquistadoren wirklich als Götter angesehen wurden, da doch jede einzelne Mexiko-Expedition (unter Córdoba, Grijalva und Cortés) angegriffen worden sei. Oft ist auch darauf hingewiesen worden, dass eine Legende von der Wiederkehr des Quetzalcóatl oder von jemand anderem aus präcortesianischen Quellen nicht ersichtlich ist. (Dieses Argument muss allerdings drei Einschränkungen erfahren: 1. Es ist leider nur ein Bruchteil der schriftlichen präkolumbianischen mesoamerikanischen Quellen überliefert. 2. Die mexicanische Kultur befand sich in einem Stadium zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Von etwaigen rein mündlich tradierte Mythen hat man heute keine Kenntnis mehr. 3. Möglicherweise gab es eine mündliche Mythos-Variante der macehualtín, die von einer Wiederkehr des Quetzalcóatl berichtete und die Moctezuma, da sie seinen Legitimitätsanspruch gefährdete, unterdrückte. Cortés könnte durch seine Dolmetscherin Marina von dieser Variante Kenntnis erhalten haben.)



Marina informiert Cortés, Quelle: Codex Durán

Wie aber hat man dann die Schmückung der kastilischen Hauptleute mit den überreichten Masken, Mänteln und Insignien zu interpretieren? - Joseph Campbell schreibt in "Die Masken Gottes", seinem berühmten Werk zum Kultur- und Religionsvergleich: Die Maske wird "verehrt und erlebt als eine vollgültige Erscheinung des mythischen Wesens, das sie darstellt, obwohl jedermann weiß, dass ein Mensch die Maske gemacht hat und dass ein Mensch sie trägt. Ihr Träger wird ferner während der Zeit des Rituals, dessen Bestandteil die Maske ist, mit dem Gott identifiziert. Er stellt den Gott nicht bloß dar, er ist der Gott."1 Nimmt man an, dass diese sehr allgemeine und nicht speziell auf die Nahuas gemünzte These Campbells zutrifft, dann stellt sich die entscheidende Frage: Was war für die Nahuas ein Gott?

Eine Antwort hierauf muss unbedingt Richard Townsends Hinweis berücksichtigen: "Ein fundamentales Konzept aztekischen religiösen Denkens wurde durch die Welt-[Wort-]Wurzel teo, oft mit dem Suffix -tl als teotl geschrieben, ausgedrückt. Schwer übersetzbar wurde das Wort von den Spaniern als ´Gott´, ´Heiliger´ oder mitunter als ´Dämon´ wiedergegeben. Studien zum Wort teo zeigen, daß es in Nahuatl-Texten in einer Vielzahl von Kontexten vorkommt. Manchmal begleitet es die Namen von Naturgottheiten, aber es wurde ebenso in Verbindung mit menschlichen Personifikationen dieser Gottheiten sowie in Verbindung mit deren heiligen Masken und dazugehörigen Zeremonialobjekten [...] benutzt. [...] Das Wort teo wurde wohl ebenso gebraucht, um beinahe alles Mysteriöse, Mächtige oder Metaphysische zu bezeichnen."

Es ist unmöglich, die teules aus der Conquista-Geschichte wegzuinterpretieren, aber es ist unbedingt nötig, die Übersetzung "Götter" zu relativieren. Sie gehören immer in Anführungszeichen im Sinne Townsends.

Text: Felix Hinz

Website: Wenn euch das Thema interessiert, besucht die Website des Autors: www.motecuhzoma.de/start-deu.html

Buchtipp: Dr. Felix Hinz ist Autor der dreiteiligen Abhandlung
"Hispanisierung" in Neu-Spanien 1519-1568. Transformation kollektiver Identitäten von Mexica, Tlaxkalteken und Spaniern

Gebundene Ausgabe: 874 Seiten

Verlag: Kovac, J; 1. Auflage: Oktober 2005
ISBN: 3830020708





[art_3] Brasilien: Barbudo contra Xuxu
Brasilien vor den Präsidentschaftswahlen 2006

Man sagt, dass Geraldo Alckmin eine sehr bescheidene Person sei. Und sehr zugänglich. "Er plaudert immer mit uns, wenn er an unserem Taxistand vorbei kommt", pflichtet mein Taxifahrer, der im Zentrum von São Paulo arbeitet, bei.

Der Präsidentschaftskandidat wirkt sogar etwas schüchtern als er den Fotografen zulächelt, die ihn an diesem Sonntagmorgen begleiten. Ein starker und eisiger Wind zerrt an der Wahlkampfbühne auf der Praça dos Trabalhadores in São Bernardo do Campo im Großraum São Paulo. Wir sind lediglich zwei Kilometer von der VW-Fabrik entfernt, die in diesen Tagen von der Schließung bedroht ist. Und so liegt im Angesicht tausender Entlassungen eine gewisse Spannung über der Stadt.


"Du brauchst keine Presseakkreditierung, um an ihn ranzukommen", hatte mir einer von seinen Mitarbeitern am Vortag noch erklärt. Und wirklich, lediglich ein bisschen mit der Kamera vor den Nasen der Sicherheitsleuten gewackelt, und schon kann man die Bühne zu Alckmin hochsteigen. An seiner Seite José Serra, Kandidat für das Gouverneursamt von São Paulo. Dieser führt die Wahlumfragen deutlich an, und seine Wahl scheint mehr als garantiert.

Bei Alckmin liegt die Sache ganz anders. Etwa einen Monat vor dem ersten Wahlgang liegt er deutlich hinter Amtsträger Lula. Mehr als 30 Prozent. Sich in den zweiten Wahlgang hinüber retten, und dann auf die Wende hoffen – so lautet die Strategie des Ex-Gouverneurs von São Paulo. Xuxu-Eis nennt man Alckmin gerne, wobei Xuxu für eine geschmacklose brasilianische Frucht steht. Den Namen hat er von einem Kolumnisten der Tageszeitung "Folha de São Paulo". Vor einigen Jahren noch reagierte Alckmin gereizt, wenn man ihn so nannte. Heutzutage macht er Witze darüber.

Alckmin hatte sich den Spitznamen durch sein angeblich vollkommen fehlendes Charisma verdient. "Er ist ein Technokrat", hört man viele sagen. Sein einstudierter und improvisationsfreier Diskurs kann die etwa 5.000 Zuhörer in São Bernardo nicht wirklich mitreißen. Aber so mancher schätzt seinen schlichten Stil. "Er ist kein Schauspieler, sondern ehrlich. Und genau das brauchen wir jetzt, nach vier Jahren unter Lula", äußert sich ein Mann am Rande der Rednerbühne.

In direktem Körperkontakt mit den Massen auf den Straßen erscheint Alckmin etwas pikiert. Die ganze Zeit beißt er sich auf die Unterlippe. Und während der unter einem Baum spontan einberufenen Pressekonferenz, eingezwängt zwischen Fernsehkameras und Journalisten, wirkt er angespannt und von solch allzu großer Nähe irritiert. Alckmin ist Arzt und bedient sich asiatischer Entspannungsphilosophien, um sich im körperlichen und seelischen Gleichgewicht zu halten. Seit Jugendzeiten bekleidet er öffentliche Ämter. Doch sein Platz ist nicht inmitten der Menge, eher in einem stillen Büro.


Einen Tag vorher, im Stadtteil Bairro das Pimentas, in Guarulhos, genau am anderen Ende des Großraums São Paulo: Der zentrale Platz des Viertels ist voller Menschen, die auf Lula warten. Die Inszenierung ist perfekt. Bereits eine Stunde vor Beginn werden gemeinsam Sprechchöre und Wahlkampflieder gemeinsam einstudiert. Alle wissen, was zu tun ist.

An Lula ran zu kommen ist unmöglich. Die Sicherheitsleute unterbinden jeglichen Versuch, aus der für Journalisten eingerichteten Zone in Richtung Bühne vorzudringen. Die Akkreditierung musste Tage zuvor erfolgen, und es gibt strenge Sicherheitschecks.


Der Präsident, der Bärtige genannt, liegt ausgesprochen gut in den Umfragen. "Die Parteimitglieder, die in den Schmiergeldskandal verwickelt waren, hat Lula entfernt. Er hat die Partei und die Regierung gesäubert, und deshalb stehen wir jetzt an seiner Seite", erklärt ein junger Aktivist der Arbeiterpartei PT.

Als vor gut einem Jahr in Brasília der Korruptionsskandal explodierte, glaubte fast niemand an eine mögliche Wiederwahl Lulas. Heute hat er Rekordumfragewerte und erhält besonders gute Noten für seine Regierung. "Es wird keinen zweiten Wahlgang geben", versichert mir ein Berater Lulas auf meine Frage hin, ob zwischen erstem und zweitem Wahlgang weitere Kundgebungen stattfinden würden.

Schlanker als zuletzt und gut gelaunt, betritt Lula die Bühne unter dem Jubel der Zuschauer. Was Alckmin an Charisma fehlt, hat Lula doppelt und dreifach. Auf den Straßen und Plätzen der Peripherie der Großstädte und auf dem Land kommt Lula stets richtig gut in Schwung. Hier hatte er sich vor Jahren zum Gewerkschaftsführer und Liebling der Massen hochgearbeitet. "Gott ist mein Zeuge, dass ich es alleine euch verdanke, heute Präsident zu sein!"


Die Bewohner des Viertels Bairro das Pimentas danken dem Präsidenten seine Schmeicheleien. Und der verspricht im Gegenzug, "dass wir noch viel mehr für euch tun werden als wir schon getan haben. Dieses Viertel wird sich nicht mehr Bairro das Pimentas nennen, sondern wird nur noch das schickste Viertel von Guarulhos genannt werden." Lula habe hier im Viertel 90% aller Stimmen, versichert mir der Aktivist an meiner Seite.

Lula liebt den improvisierten Diskurs. Dabei verhaspelt er sich zwar manchmal, rettet die Situation jedoch gleich mit einem kleinen Spässchen. "Wo ich geboren wurde, im Landesinnern von Pernambuco, war es üblich, dass der Bürgermeister bei Wahlkampfveranstaltungen Gebisse verteilt hat!" Und an ein junges Mädchen gewandt, ergänzt er. "Oder kannst Du Dir vorstellen, mit Zahnlücken einen Freund angeln zu können?"


Und sogar mit seiner angeblichen Trinksucht kokettiert er: "Ich habe schon mit Schnaps gegurgelt, um Zahnschmerzen zu bekämpfen. Die Elite Brasiliens geht zum Zahnarzt, die Armen töten den Schmerz mit Schnaps." Lula ist viel dünner als noch vor einigen Monaten. Zehn Kilo soll er angeblich schon im Wahlkampf verloren haben. Zudem soll er sich noch Botox in die Stirn spritzen haben lassen. Wie dem auch sei, sein Lächeln wirkt auf jeden Fall ziemlich rund.

Aloísio Mercadante hat auch einen Bart, oder besser, einen riesigen Schnurrbart. Seit den Tagen der Parteigründung ist er einer von Lulas engsten Vertrauten. Jetzt kandidiert er für das Gouverneursamt von São Paulo. In den letzten Umfragen lag er jedoch 35% hinter José Serra. "Sein Wahlkampfmaterial ist hier im Viertel noch gar nicht eingetroffen", erklärt ein Aktivist die missliche Umfragelage, "Und nur noch einen Monat bis zu den Wahlen!"

Lula flachst mit dem Kandidaten. "Er ist kein Fan von Corinthians", spottet der Corinthians-Fan Lula, "sondern für Santos. Und er sieht immer so griesgrämig aus, aber das liegt daran, dass er einen so großen Schnurrbart hat. Ich werde ihm auftragen, das Bärtchen etwas zu stutzen. Aber er ist die beste Wahl, wenn es darum geht, São Paulo zu regieren!"


"Leute, ich muss jetzt nach Brasília zurück. Meine Frau Dona Marisa ist dort, und ich muss nach Hause. Ihr wisst ja, was einem Mann blüht, der nicht rechtzeitig nach Hause kommt." Noch ein kurzes Winken in die Menge, und während seine Wahlkampfhymne aus den Boxen schmettert, tritt Lula von der Bühne ab.

"Olé olé olá, Lula, Lula!"

Text + Fotos: Thomas Milz





[art_4] Argentinien: 15 Minuten Buenos Aires
Durch die Calle Florida zum Plaza San Martín

Haben Sie gerade ein wenig Zeit? Gut, dann schlage ich vor, dass Sie es sich bequem machen. Am besten auf der heimischen Couch oder - sollten Sie auf der Arbeit sein - rücken Sie einfach Ihren Bürostuhl in eine geeignete Position und lassen diese Zeilen ihre Augen passieren.

Sie tun sich keinen Gefallen, wenn Sie nicht bequem sitzen. Geht nicht, sorry. Atmen Sie tief durch, drehen Sie den Kopf vom Monitor weg und lassen sie ihn langsam kreisen. Das entspannt ungemein und bringt den Körper wieder ins Gleichgewicht. Und dabei immer schön aus dem Bauch heraus atmen.

Nur 15 Minuten, genießen Sie in aller Ruhe. Ach ja, und das Sie würde ich mir auch gerne schenken. Sind Sie, ich meine, bist Du dabei? Perfekt. Und los geht’s: Buenos Aires im September auf der Calle Florida.

Ich entführe Dich jetzt auf eine kleine Tour durch die Calle Florida bis zum Plaza San Martín. Zu Fuß versteht sich, denn Autos dürfen da nicht durch und wir sind ja schon faul genug gewesen heute.

Fünf Blocks werden wir gemeinsam zurücklegen und dabei die eine oder andere belebte Querstraße kreuzen und ich hoffe nicht, dass Du ein Taxi anhältst, um vorzeitig nach Hause zu kommen. Doch noch ist es nicht soweit, noch haben wir nicht angefangen.

Zunächst fahren wir mit der Metro zur Avenida Corrientes. Das ist eine riesige Straße, die zudem die Florida - unser heutiges Ziel - kreuzt. Nachdem sich die Türen geöffnet haben, nehmen wir einen tiefen Atemzug der Untergrundluft. Es riecht nach Zeitungen, was nicht allzu schlimm ist und allemal besser als die stickige Luft im Wagon zuvor. Deshalb also nicht zögern, tief einatmen. Schnell steigen wir die Treppen hoch, lassen den Ticketschalter samt Verkäufer links liegen, vorbei an der Bäckerei und dem Blumenladen und dann die letzten Stufen zur Florida, Ecke Corrientes.

Verschnaufpause.

Das Treiben nimmt sekündlich zu. Es ist erst neun Uhr früh und die Büros füllen sich noch eine Stunde lang, ehe sie betriebsbereit sind. Genug Zeit für uns also, um in aller Ruhe das kurze Stück nach San Martín hinunterzuschlendern. Ganz langsam, Schlendergang eben, das Atmen nicht vergessen. Schließ mal die Augen und stell Dir die Szenerie vor. Die Augen erst wieder aufmachen, wenn Du Dich danach fühlst und das frühmorgendliche Buenos Aires auch wirklich verinnerlicht hast.

Buenos Aires ist wunderbar. Neulich musste ich einem Bekannten einer Bekannten erklären, dass Buenos Aires sehr europäisch ist, weil sich hier eine Menge spanisches und italienisches Blut mischte. Resultat: es gibt viel europäische und lateinamerikanisierte europäische Kultur, der Verkehr ist zwar chaotisch, aber geregelt. Sind Deine Augen wieder offen und Dein Bauch wiegt sich gemütlich im Takt der verschlungenen Zeilen, wir können also die nächsten Schritte tun: Einfach links um die Ecke biegen, am Schuhgeschäft vorbei. Keine Angst, in ein paar Minuten gibt es genügend Zeit, um das Shopping richtiggehend zu zelebrieren.

Es kann gut sein, dass wir vom Fahnenverkäufer angesprochen werden. Ziemlich sicher sogar, denn er spricht um diese Tageszeit wirklich jeden an. Aber an Fahnen bin ich heute nicht interessiert. Du etwa? Na also. Und solltest Du wirklich eine Fahne brauchen, so gönn sie Dir auf dem Rückweg. Bereite Dich also schon einmal vor, dass Du ein freundliches "no gracias" über die Lippen bekommst. Am Besten mit einem Lächeln. Nicht nur hier in Argentinien ein essentieller Ausdruck, wie ich meine. Und wieder atmen bitte, Du stockst schon wieder. Ganz ruhig, Du musst Dich nur mental vorbereiten, nicht nervös werden, ich bin ja auch da und wenn es nicht geht, dann übernehme ich diesen Part. Das "c" in gracias wird im Übrigen als normales "s" gesprochen. Bitte kein spanisches "th", das tut den Leuten hier in der Seele weh. Und mir auch und das wollen wir nicht. Nochmals einatmen. Und ausatmen. So, vorbereitet? Na, dann raus damit: "No gracias!" Wunderbar, wir habens geschafft und können den Blick nach vorne richten.

Der Geschäftsmann dort drüben in seinem grauen Anzug und den zu kurzen Hosenbeinen. Kannst Du den sehen? Frisch rasiert, Krawatte ein wenig fleckig, aber der Mann wirkt ausgeruht. Knapp 30 und arbeitet wohl in einer Bank oder Versicherung. Der hat heute Nachmittag sicherlich ein Meeting. In seiner Tasche erahnen wir den Laptop, wenngleich wir nicht sicher sein können. Nur die besseren Firmen können den Angestellten einen Rechner zur Verfügung stellen, den sie immer bei sich haben dürfen. Insgeheim wünschen wir ihm alles Gute auf seinem beruflichen Werdegang. Er ist ja auch noch jung. Wie Du und ich. Und er ist ein Teil der Stadt, ein Teil der Straße, die er täglich frühmorgens hinauf- und dann wieder hinabmarschiert. Der Lebensrhythmus ist intakt. Und dann atmen wir wieder gemeinsam ein... und aus. Nicht nachlässig werden, denn nur entspannt können wir das zunehmende Knäuel aus Menschen meistern. Es wird lauter. Hörst Du das? Schritte, Murren, entferntes Hupen, Gelächter, Begrüßungen, Small Talk. Alles findet auf engstem Raume statt. Die Stadt nimmt uns ein. Auch sie scheint ein- und auszuatmen. Täglich, wie wir. Ein und aus. Und noch einmal. Ein... und aus... Wunderbar. Lavalle, Tucumán, Viamonte. Ich hoffe, Deine Augen sind weit geöffnet und du bist hellwach, so dass wir die Kreuzung an der Córdoba gefahrlos meistern können? Denn auch wenn es Ampeln gibt, so geht jeder dann, wenn er es für richtig hält. Bereit? Gut, dann noch einmal kühlen Kopf bewahren, Haltung aufrecht und mit Konzentration zum nächsten Absatz.

Gewonnen! Die schwarz gelben Taxis fahren Tag und Nacht und genau zwischen zweien sind wir hindurchgehuscht. Na, war ja auch nicht weiter schwer, da viele andere das Gleiche getan haben. Nun aber wieder im Einklang mit dem städtischen Morgenrhythmus in Richtung Plaza San Martín.

Und auch die ersten Straßenmusiker sind schon da. Was sie singen brauchen wir nicht zu verstehen, aber verlangsamen wir trotzdem ein wenig den Schritt und hören ihnen im Vorübergehen zu. Gitarre, Bass und Schlagzeug. So einfach. Sie werden wohl bis in den frühen Nachmittag spielen und dann mit ein paar Münzen nach Hause gehen, wenn sie eines haben sollten. Viele Musiker spielen auf den Straßen Buenos Aires, aber nur die wenigsten wissen, wie es ihnen wirklich geht... Durchatmen, die Musik gibt den Takt schon ganz gut vor. Und bloß nicht von den übrigen Menschen hier anstecken lassen, die schon hektisch auf- und abrennen. Das einzige, was die wohlhabenden Leute und potentiellen Einkäufer hier nicht besitzen, ist das kostbare Gut Zeit. Obwohl sie es sich eigentlich leisten könnten, rennen sie wie aufgescheucht durch die Gegend. Nicht mit uns!

Wir gehen langsam weiter, an sämtlichen Zeitungsständen vorbei, die uns - wenn überhaupt - erst später interessieren. Momentan fühlen wir uns gut mit dem, was wir haben. Und die Gerüche! Da an der Ecke rechts zur Paraguay, da gibt es die leckeren Empanadas mit all den wunderbaren Füllungen.

Ich mag ja die Jamón y Queso sehr gerne. Oder die einfache Carne. Hmmmm... tief einatmen... und aus... und ein... Aber was ist das jetzt? Da mischt sich doch unter diese herrlichen Düfte auch ein wenig Moschus, oder? Wohl von dem älteren Herrn mit grau meliertem Haar, der gerade an uns vorbei gelaufen ist. Und der Geruch von Leder. Kein Wunder, wir sind ja schon auf den letzten Metern unseres Weges. Die Straße zwischen Paraguay und dem Plaza San Martín ist gesäumt von zahlreichen Ledergeschäften aller Preisklassen. Sicherlich kann man da auch was für die Daheimgebliebenen erstehen. Oder für einen selbst...

Aber jetzt noch nicht. Nicht stehen bleiben. Langsam die letzten Meter bis zur Plaza. Ich kann das Reiterstandbild vom guten alten José San Martín schon erahnen. Und da bellen auch schon die Hunde. Siehst Du sie da hinten in dem Park unter den Bäumen? Nichts Ungewöhnliches, denn die berufstätigen Hundehalter vertrauen tagsüber ihre Hunde nicht selten Hundeausführern an, die es mittlerweile in immer größerer Anzahl in der Stadt gibt. Und ein beliebter Treffpunkt scheint die Plaza hier zu sein, wo sich die Hunde austoben können in einem abgezäunten Bereich. War wohl mal als Kinderspielplatz gedacht; jetzt ist er eben für die Hunde da. So, hier rechts an den Hunden und deren Teilzeitherrchen vorbei, ein gemütliches "Buen día" und schon blicken wir zufrieden hinunter zum Retiro. Wir bleiben stehen. Holen noch einmal tief Luft und hören uns beim Atmen zu, während wir den unzähligen Autos und Bussen zusehen, die da um jede Lücke zu kämpfen scheinen.



Toll, Du hast mit mir den ganzen Weg geschafft. Bis hierhin. Ich glaube, Du hattest das auch nötig, denn jetzt kann ich Dich entspannt in den Tag entlassen und Dir alles Gute wünschen. Bis zum nächsten Mal.

Text: Andreas Dauerer
Fotos: Thomas Milz / Andreas Dauerer





[kol_1] Grenzfall: Alle reden vom Postkolonialismus
Wir sprechen über die Post

Haben Sie auch schon einmal versucht, sich Ihre deutsche Tageszeitung nach Spanien nachsenden zu lassen? Klar, das klingt jetzt ein bisschen muffig und spießig: Reisende Weltenbürger lesen schließlich die einheimische Tagespresse, El País beim café con leche, die Marca zu Tapas und Bier. Falls man auf Reisen wirklich Heimatinfos benötigt, gibt es, der modernen Technik sei Dank, seit einem Jahrzehnt das Internet. Außerdem hat jede zweite Ramblas und wirklich jeder Badeort am Meer mindestens einen Kiosk, der neben dem britischen Daily Mirror und De Telegraaf aus Amsterdam auch Zeitungen aus Alemania im Sortiment hat.

Dennoch, es gibt Situationen - etwa: längere Arbeitsaufenthalte, den Bundesligasaisonstart oder spannende Wahlkämpfe -, in denen man sich über hintergründige Analysen und Kommentare aus der Heimat durchaus freuen würde. Hierfür reichen Bild oder Handelsblatt, die Standardausrüstung der meisten spanischen Kioske, für Menschen, die gerne Zeitung lesen, nicht aus.

Hier frustrieren auch die kurzen Besuche in verrauchten Internetcafes eher, als dass sie das Informationsbedürfnis ausreichend und anhaltend stillen würden.

Hat man sich also aller Zweifel zum Trotz dafür entschieden, das heimatliche Zeitungs-Abo mit ins Ausland zu nehmen, stellt sich zunächst die Kostenfrage. Die diversen Verlage haben nämlich unterschiedliche Tarife. Das Spannweitenvolumen für regelmäßiges Nachsenden reicht von 50 zusätzlichen Cent (Süddeutsche) bis hin zu 1 Euro 50 (FAZ) pro Ausgabe. Hinzu kommt, dass man ein- und denselben funktionstüchtigen Briefkasten benötigt, da die Ausgaben per Post von einem Druckzentrum aus Südfrankreich versandt werden. Und strenggenommen ist dies der Umstand, der Probleme bereitet.

Unsere spanische Briefträgerin jedenfalls ist nett, jung und einsilbig. Jeden Tag eilt sie mit drahtigen Stechschritten durch das Dorf.

Jeden Tag hören wir sie erwartungsgespannt pünktlich um halb zwei Uhr nachmittags unsere Straße hinauf kommen. Unsere Zeitung allerdings hat sie meist, schätzungsweise an 4 von 5 Tagen, nicht dabei.

Waren wir am Anfang tatsächlich ein bisschen traurig darüber und haben dem Verlag enttäuschte Lesermails geschrieben, hat sich dies inzwischen zu einem - im Wortsinn - running gag entwickelt. Sobald sie uns auf der Terrasse sitzen sieht, ruft sie bereits: "No periódico!" Wir winken ihr dann freundlich zu, zucken mit den Schultern und lesen weiter El Pais.

Auch wenn es heute möglich ist, sich die Welt mit all ihren komplexen Geschehnissen auf die Atomsekunde genau auf den Bildschirm zu holen (selbst in den verlorensten Winkel der Zivilisation; man benötigt dafür einzig eine Funkverbindung), bereitet es dagegen offenbar immer noch Schwierigkeiten, ein Bündel bedrucktes Papier täglich von A nach B zu senden. Auch wenn letzteres für technische Laien zunächst als einfacher zu bewerkstelligen klingt. - Allerdings wurde unsere anfängliche Sehnsucht nach etwas im Prinzip recht Schlichtem und Trivialen: nämlich nach trockenen, manchmal wegen des Windes schwierig fassbaren Papier rasch überdeckt von einer Zufriedenheit, die gerade mit den Unzulänglichkeiten der modernen Distribution sympathisierte. So globalisiert läuft das dann alles also doch noch nicht!

So brachte auch die anfangs energische, bald recht laxe Ursachenforschung wenig zu Tage: Der Verlag schwört auf sein südfranzösisches Druckerzentrum und schiebt den schwarzen Peter der spanischen Post zu. Die Post erklärt in bestechender Logik, dass sie ausschließlich das am Morgen austeilen könne, was sie in der Nacht zuvor erhalten habe.

Letztlich ist es gleich, wo die Zeitung im Bermudadreieck zwischen deutschem Verlag, französischem Druckzentrum und spanischer Post auf der Strecke bleibt. Und: vielleicht war unser Vorhaben wirklich ein bisschen muffig und spießig. Jedenfalls können auch wir als lange unbelehrbare Fans deutscher Zeitungslektüre uns nun einem berechtigten und nicht besonders originellen Tipp anschließen: Zeitung in den Urlaub nachsenden lassen? Das empfiehlt sich wirklich nicht! Es ist teuer und der Versandt ist undurchsichtig. Man lernt zwar Sprache und Land, in dem man sich aufhält, ein wenig besser kennen, etwa in den Gesprächen mit netten Postboten.

Ausgerechnet das aber ließe sich natürlich auch anders und besser bewerkstelligen, etwa eben indem man doch einfach die ortsansässige Zeitung liest, sich über Zapatero statt über Merkel ärgert und den Saisonstart des FC Barcelona statt den des FC Köln begleitet. Auch die spanische Wettervorhersage ist letztlich gewinnbringender ...

Bei aller Entspanntheit - schließlich scheint die Sonne 14 Stunden am Tag -, werden wir unserer Briefträgerin bestimmt auch morgen wieder einen stummen Schrei hinterherschicken, wenn sie an uns vorbei mit leeren Händen über die Holperstraße zum Plaza Mayor rennt. Es ist eine Frage, die sie nicht beantworten kann, die sich aber dennoch stellt: Wo bitte bleibt die Post im Zeitalter des Postkolonialismus?

Text: Michael Schlieben / Anne Grüttner
Fotos: Michael Schlieben / Anne Grüttner / Torsten Eßer





[kol_2] Macht Laune: Kurzangebunden durch die Maquiné Höhle

"Sieht tief aus..." Der Touristenführer leuchtet mit seiner Taschenlampe in die Wasserpfütze. Dabei hat er die Augen hinter den dicken Brillengläsern derart weit aufgerissen, als ob er gerade einen Horrorfilm sehen würde. Und beinahe flüsternd fügt er hinzu: "...isses aber nicht."

Die Bewohner des Bundesstaates Minas Gerais haben in Rest-Brasilien den durchaus zweifelhaften Ruf, nicht besonders gesprächig zu sein. Aber das ist hier nicht das Problem. Er scheint vielmehr darauf bedacht zu sein, seine Wörter möglichst sparsam einzusetzen. Wer weiß, vielleicht hat er ja vor kurzem erst eine wissenschaftliche Studie darüber gelesen, wie viele Wörter ein Mensch durchschnittlich in seinem Leben von sich gibt.

Und da kam ihm plötzlich der Gedanke, jeden Tag einen Haufen Wörter einzusparen, um damit automatisch seine Lebenserwartung nach oben zu schrauben.

"Er hat diese Führung wohl schon tausendmal gemacht, und jetzt ist es ihm ein Graus, vollständige Sätze von sich zu geben", versucht sich einer unserer Gruppe an des Rätsels Lösung. Und als ob er es gehört hätte, klopft sich unser Touri-Führer auf den kleinen Bauch. "Warm hier, und hohe Luftfeuchtigkeit – durch die Höhle wandern hält in Form!"

Wir folgen ihm durch die sieben zum Teil riesigen Höhlenkammern, die zusammen eine Ausdehnung von über 200 Metern haben und durch weitere 440 Meter Gänge miteinander verbunden sind. Die elektrische und teils bunte Beleuchtung beschwört ein irreales Szenarium herauf, übertrieben prächtig und doch manchmal furchteinflößend. "Zurzeit wenig Wasser!" Der Boden ist vollkommen glatt, was höchste Aufmerksamkeit erfordert, will man nicht ausrutschen. Ab und zu tun sich kleine Öffnungen im Boden auf, in die unser Führer mit seiner Taschenlampen hineinleuchtet. "Wasser fließt hier ab," erklärt er lächelnd. "Kinder sind schon reingeklettert, aber nicht bis zum Boden. Zu eng!"

Er lächelt uns an. "Sieht wie kleines Loch aus... isses aber nicht!"

Wir sind die einzigen Touristen in der Höhle, und wir nutzen diese privilegierte Situation aus, um das Echo mit allerlei sinnlosem Geschrei auszutesten. "Schwiegermutter mit Bart", erklärt der Führer und leuchtet auf eine kopfförmige Steinformation an der Decke. "Sogar Gott bestraft Schwiegermütter!" Er lacht über seinen eigenen Witz. Um uns herum wimmelt es nur so von Stalagmiten und Stalaktiten, die durch das durch das Gestein sickernde Wasser gebildet wurden.

Wir kommen in die Hauptkammer der Höhle. Das Tropftstein-Spektakel verschlägt einem den Atem. Die Maquiné-Höhle gilt als eine der schönsten der Welt.

Wer das Glück hat, sie zu besuchen, versteht warum: "Meinerseits muss ich gestehen, dass meine Augen niemals etwas ähnlich Schönes und Großartiges im Reich von Natur und Kunst erblickt haben." Mit solchen Worten preiste der Däne Peter Wilhelm Lund die Pracht der Höhle.

Der Wissenschaftler betrat sie 1836 während seiner Expedition zur Kartografisierung der Höhlen von Minas Gerais. Angeblich soll er sogar in der Höhle genächtigt haben. "Lunds Bett", der Führer deutet auf eine kleine Einbuchtung in der Höhlenwand, die wie geschaffen für eine geruhsame Nachtruhe erscheint.

Die Maquiné-Höhle wurde 11 Jahre vor Lunds Ankunft von Joaquim Maria do Maquiné, dem Eigentümer der umliegenden Ländereien, entdeckt. Aber erst durch die wissenschaftlichen Publikationen des studierfreudigen Dänen wurde sie bekannt. Lund und sein aus europäischen Wissenschaftlern bestehendes Team registrierten insgesamt 106 Höhlen entlang des Rio das Velhas in Minas Gerais.

Es war der zum Flusssystem des Rio das Velhas gehörende Ribeirão do Onça, der die Kammern der Höhle erschuf.

Eine Arbeit von Jahrtausenden und Jahrmillionen, und bis zum heutigen Tag weiß man nicht, wieweit die Höhle in das Gestein hinein reicht. "Geht bis Brasília ... vielleicht", spaßt unser Führer. Weitergehen ist jedoch strengstens untersagt. "Gase! Explosionsgefahr!! Erstickungstod!!!"

Wir kehren um. Eine Menge zerbrochene und verschmutzte Formationen entlang des Weges. "Berühren verboten", warnt unser Führer. Aber mehr als 100 Jahre Tourismus haben ihre Spuren hinterlassen. "Brechen was ab, nehmens mit," beschwert er sich. "Wenig Hirn!"

Er dreht sich um und geht dem Ausgang entgegen, einer kleinen Öffnung im Fels. Deshalb wurde die Höhle erst vor 180 Jahren entdeckt. Von außen sieht das Ganze aus wie nichts weiter als ein kleines Loch im Fels. Isses aber nicht!

Info
Die Maquiné-Höhle liegt in der Nähe der Stadt Cordisburgo in Minas Gerais. Zu erreichen ist sie über die Bundesstraße BR 40, zwischen Belo Horizonte und Brasília, etwa 120 Kilometer von Belo Horizonte entfernt.

Text + Fotos: Thomas Milz





[kol_3] Pancho: Was mein Taco über dich verrät

Die Psyche eines Menschen offenbart sich im Kochtopf. Vergleichbar wird sie durch Alltägliches und Weitverbreitetes; etwa durch Spaghetti: Typ Eiernudel oder Nudelohne / Typ Öl ins Wasser oder nicht / Typ al dente oder durch / Typ Gabel oder Gabel und Löffel.

Neulich brach der Sommer über meine wetterfesten Nudelvariationen herein. Leichte Kost verlangte daraufhin der Magen.

Tortellini, Bavette und Lasagneblätter noch nicht gänzlich im Schrank verstaut, zogen bereits marokkanisches Taboulé, japanisches Sushi und thailändische Tom Yum in einen kurzen aber heftigen Günstlingsstreit in meine Töpfe. Leider aber macht das vielseitig kulinarische Angebot das Leben nicht leichter.

Jenseits der 30°C dann war der internationale Speisendisput beigelegt. Wie schon 2003, dem ersten Jahrtausendsommer des frischen Jahrtausends, dem noch viele folgen mögen, zeigte sich die mexikanische Küche beeindruckend mächtig und hitzebeständig. Und so zeichnete sich schon im Juni ab, dass der Sommer 2006 von Chili, Guacamole und Maismehl geprägt sein würde.

In der heißen Jahreszeit, die sich in Deutschland alle drei bis vier Jahre zu etablieren versucht, wird der Spaghettikonsum nun immer rarer und Hobbyanalytiker, nicht nur diejenigen, die adäquate Rubriken in Frauenzeitschriften betreuen, kehren zurück zu Altbewährtem, befragen Kaffeesatz und Kristallkugel oder brechen auf zu neuen Ufern so wie wir und beobachten Verhaltensweisen beim Verzehr von Tacos.

Taco-Typen
Um 11.23 Uhr ist Proband 1 aus dem Schlaf erwacht. Proband 2 wischt den Boden. Proband 3 sonnt sich bei einer Tasse schönen Kaffee im Ostflügel und Proband 4 quält der Hunger.

Setting: In der Pfanne erhitzte und mit Käse beträufelte Maisfladen, wie sie in fast jedem Supermarkt erhältlich sind, bilden die Basis. Bereit als Füllung zu brillieren, stehen Avocadocreme, Fajítas (Schnitzel in Streife geschnitten), eingelegte Jalapeños (Chilischoten der gedrosselt scharfen Sorte) und eine Soße aus pürierten Tomaten, einer kleingehackten Zwiebel, reichlich Koriander, frischem Chili und Salz zur Verfügung. Beobachten wollen wir weniger das Füllen als die verschiedenen Falttechniken und den ersten Biss.

Typisierung: Anhand der Verhaltensweisen der 4 Taco-Probanden konnten 3 Typen bestimmt werden: Typ Rolle / Typ Tasche / Typ TexMex

Typ Rolle: archaische Rolltechnik
Wie einst der Azteke am Tacostand (wir sind der Quelle auf der Spur) wird der belegte Maisfladen ohne Umschweife gerollt und und zum Mund geführt. Diese niedrigste bekannte Entwicklungsstufe ist Zeichen animalischer Futter-Gier, welche heute häufig auf ein Heranwachsen in kinderreichen Familien schließen lässt, aber auch Ehrlichkeit symbolisiert, da der Taco an beiden Enden offen ist und sein Esser somit aller Welt signalisiert: seht ruhig her, ich habe nichts zu verbergen.

Darüber hinaus ist der Taco angehalten, in dem Moment, indem er den ersten Biss empfängt, feucht fröhlich in alle Richtungen den Saft der Tomaten zu verspritzen, was die pure Lebensfreude des Typ Rolle widerspiegelt.

Typ Tasche: gleichlange Seiten adrett gefaltet
Durch die ausgefeilte Falttechnik erregt der Taco Aufmerksamkeit. Außenstehende können ihre Blick nicht abwenden, sie möchten ergründen, was sich hinter der Fassade abspielt: setzt sich die Komposition der Ordnung auch jenseits der teigigen Umhüllung fort? Ihre Neugier aber bleibt unbefriedigt, da Typ Tasche einerseits geheimnisvoll mit seiner Umgebung spielt, anderseits jedoch um seine Prüderie weiß und durch Faltkunst und bedachte Haltegriffe keine Einblicke in die Tasche gewährt.

Verstärkt wird das Spiel um Aufmerksamkeit und Verhüllung durch Gestik und Mimik, die der erste Biss in den Taco auslöst.

Verträumt gleitet der Kopf in den Nacken und der Blick, der sich hinter den geschlossenen Lidern nur erahnen lässt, erweckt den Eindruck, der Genießer habe die höchste Genussstufe erreicht. Leider aber wird er die Rezeptur der nur ihm bekannten Füllmischung hüten bis in alle Ewigkeit.

Typ TexMex: gerollt und einseitig geschlossen
Vor dem Rollen wird der Maisfladen leicht eingeschlagen. Im Idealfall kann diese technisch ausgereifte Variante zu einer 100-prozentigen Konservierung der Tomatensoße innerhalb des Tacos führen. Das kleckerfreie Verspeisen bedarf nur einer Hand. Die zweite Hand befindet sich weder am Taco noch kommt sie als Tropfauffangvorrichtung zum Einsatz.

Leicht geöffnet und einfach so im Raum drapiert, liegt ihre Funktionalität einzig in der Unterstreichung des souveränen Auftritts des Typ TexMex.

Kommt sie allerdings zu aufdringlich zum Einsatz, so erweckt die schlabberfreie Präsentation schnell den Eindruck, es handle sich beim TacoImGriffhaber um Mamas Liebling. In Kennerrunden muss sich der Typ TexMex zudem vor Entlarvung fürchten: Er mag zwar mexikoliebend sein, war aber noch nie vor Ort, wo diese Technik als westlich ordnungsliebend gelten und bestenfalls belächelt werden würde. Tacos kennt er nur aus Desperado, doch leider kommen in diesem Film keine Tacos zum Einsatz.

Text + Fotos: Dirk Klaiber





[kol_4] Lauschrausch: Die neue Welt des Tango

La Chicana
Canción llorada
galileo mc 014


La Chicana schaffen einen neuen Tango-Sound: Die Stimme von Sängerin Lola erinnert streckenweise an Chavela Vargas, wenn sie die oft zynischen, surrealen (La foto del escarabajo) oder zeitgemäßen Texte (Farandulera) von Bandleader Acho Estol interpretiert; die Instrumentierung entspricht zwar der Tradition, aber die Musiker durchbrechen häufig die bekannten Rhythmusmuster.

"Canción llorada" präsentiert eine Auswahl der besten Stücke der ersten beiden Alben sowie neue Kompositionen, bislang unveröffentlichte Versionen der Lieblingsstücke der Band sowie einige Tangoklassiker. Interessant: ihre Version von Tom Waits "Frank’s wild years".


Tango Crash
Otra Sanata
galileo mc 013

Weniger Jazz, mehr Elektronik und mehr Tango; das ist die Kurzzusammenfassung des neuen Albums von Tango Crash. Daniel Almada und Martin Iannaccone haben sich während vieler Live-Konzerte auf die Traditionen des Tango zurückbesonnen und dabei die Vereinbarkeit mit der elektronischen Musik perfektioniert. Auf "Otra Sanata" sorgt der argentinische Bandoneonist Marcelo Nisinman mit seinem virtuosen Spiel für die Annäherung an den Tango, während der Schlagzeuger Gregor Hilbe Daniel Almada bei der elektronischen Bearbeitung der Samples und Aufnahmen unterstützt hat.

Die Stücke sind so abwechslungsreich wie auf dem Vorgängeralbum und für die Fusion von Elektronik und Tango sicher wegweisend.



Fernando Samalea
Fan
LAL/ galileo mc

Der argentinische Schlagzeuger und Bandoneonist Fernando Samalea wählt einen anderen Weg: Sein Album "Fan" ist eine Art Soundtrack für einen noch nicht gedrehten Film, dessen Protagonist sich auf der Suche nach seiner verlorenen Liebe befindet. Die Musik hat kaum etwas mit Tango zu tun, das Bandoneon erklingt nur als besonderer Farbtupfer zwischen elektronischen Rock-, Pop- und Ambientklängen.

Begleitet wird Samalea dabei von einigen der großen Musiker der argentinischen Rockszene wie Gustavo Cerati und Charly Garcia. Sehr entspannt!


Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon.de






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