caiman.de 08/2009

[art_4] Kuba: Roberto Fonsecas afrokubanisches Herz

Der 34jährige Roberto Fonseca gehört zur Garde der jungen kubanischen Jazzpianisten, die seit einigen Jahren die Musikwelt mit ungewöhnlichen Klängen und Experimenten bereichern. Torsten Eßer sprach mit ihm in Köln anlässlich seines neuen Albums "Akokan" (Herz)

Auf dem Cover deiner neuen CD sticht das rot-weiße Armband hervor, die Farben von changó. Und auch der Titel - Akokan - ist ein Wort aus der Yoruba-Sprache. Was bedeutet die santería für Dich und deine Musik?
Das Armband trage ich, weil ich ein "Sohn" changós bin, denn ich bin auch ein santero. Und, wie Du ja weißt, die afrokubanische Musik hat eine unglaublich rhythmische Kraft und viel Ausdrucksstärke. Das alles habe ich auf sehr persönliche Weise in meine Musik eingebaut. Ich wollte so auf meine Wurzeln verweisen. Alle fragen zuerst, was "Akokan" bedeutet, und so fangen die Leute an, meine Welt zu entdecken. Darum ist das Cover schwarz-weiß gehalten und nur das, was meine Kultur repräsentiert, wird farblich abgesetzt. Dieses Album präsentiert sehr stark mein privates Leben zu dem natürlich auch die Musik gehört.

Roberto Fonseca
Akokan
Enja 9534-2
http://www.robertofonseca.com/

Und bist Du als "Sohn" changós auch schon babalao (Priester)?
Nein, ich möchte es aber werden und bin auf dem Weg, aber das dauert und hängt nicht nur von mir ab.

Stammst Du aus einer religiösen Familie? Viele Jahrzehnte war es auf Kuba ja nicht gerade angesagt, sich religiös zu betätigen?
Das hat sich sehr geändert, heute praktizieren viele Menschen ihre Religion ganz öffentlich. Und die santería war ohnehin immer schon enorm stark. Was mir nicht gefällt ist, dass die afrokubanischen Religionen so populär geworden sind, dass sich mit ihnen Geld verdienen lässt, und so vieles, was intim bleiben sollte, nach außen dringt. Bestimmte, sehr geheime Rituale, wurden sogar gefilmt. Das gefällt mir nicht, das ist respektlos.

Im Gegensatz zu früheren Alben verwendest Du seltener afrokubanische Rhythmen…
Es gibt viele Wege, seine Wurzeln zu verarbeiten. Es muss nicht immer so sein, wie alle es erwarten. Ein afrokubanischer Musiker muss nicht immer eine batá-Trommel erklingen lassen. Um zu zeigen, dass ich Kubaner bin, muss ich nicht Zigarre rauchen. Ich lasse gewisse Dinge sehr intim einfließen, entgegen der öffentlichen Erwartungshaltung.

Das Stück "Siete Potencias" klingt sehr spirituell. Basiert es auf einer Idee von Dir oder von deiner Gastsängerin Mayra Andrade?
Von mir. In Kuba kennen wir die sieben Energien, die uns beschützen; ebenfalls ein Teil der afrokubanischen Religion. Mayra Andrade stammt von den Kap Verden, ebenfalls sehr folkloristisch orientierten Inseln. Und mir gefiel ihre Musik, ihr Gesang und so bat ich sie um einen Text. Wir unterhielten uns über meine Inspiration hinsichtlich der Melodie und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Die zweite wichtige Inspiration scheint deine Familie zu sein. Ihr sind einige Stücke gewidmet?
Meine Familie hat mich bei allem, was ich getan habe, immer unterstützt. Sowohl lobend als auch mahnend, wenn ich mal wieder Mist gebaut hatte. Vor allem meinem Vater und meinen Brüdern verdanke ich meine Karriere und bin deswegen heute hier.

Gab es mal Zweifel?
Na klar, als Jugendlicher verstehst du manchmal nicht, warum du üben sollst, während alle anderen am Strand liegen. Dieses Opfer ist groß. Und dann ist es gut, wenn dich die Familie unterstützt und dir gut zuredet. Dafür bin ich heute dankbar.

Eine weitere Widmung gilt der Modemarke "agnes b". Was hat das mit Musik zu tun?
Mode und Musik, beides sind Kunstformen. Die Erscheinung eines Musikers ist wichtig, denke ich. Musik, vor allem in der Konzertsituation, ist ein Gesamtkonzept: Musik, Lichter, Sound, die Bühne und eben auch die Mode, alles gehört dazu. Ich hatte das Glück, dass dieses Label mich als "Model" auswählte, nachdem sie mich während eines Konzerts mit Ibrahim Ferrer in Südfrankreich gesehen hatten, und ich fühle mich in ihren Sachen extrem gut.

Nun hast Du Ibrahim schon mal erwähnt. Wie wichtig war die Zusammenarbeit mit dem Buena Vista Social Club (BVSC) für deine Karriere und deine Musik?
Tatsächlich war sie für meine musikalische Entwicklung wichtiger als für meine Karriere. Na klar hat mich Ibrahim gefördert, aber musikalisch lernte ich die traditionelle kubanische Musik viel besser verstehen, sie zu leben. Ich konnte von den Musikern lernen, die die traditionelle Musik mit geprägt hatten. Ich war der letzte junge Musiker, der das Glück hatte, mit ihnen zu arbeiten und zu spielen.

Da fällt mir ein anderer Name ein. Hatte Emiliano Salvador Einfluss auf deine Musik?
Ja, sehr, denn mein Standpunkt zum Latin-Jazz ist ein wenig anders als bei den meisten Kubanern, weswegen "Akokan" ja auch anders klingt. Und das war bei Emilianos Klavierspiel auch so, weswegen er ein Vorbild für mich war. Ein weiterer kubanischer Pianist, der für mich wichtig ist, war Lilí Martínez, der in der Band von Arsenio Rodríguez gespielt hat. Die beiden habe ich bewundert.

Auf deinen ersten Alben hast Du viel Synthesizer gespielt, nun gar nicht mehr!
Weil ich auf der Suche nach meinen Wurzeln bin und auf der Suche nach dem puren, natürlichen Klang. Ich benutzte auch heute noch manchmal einen Synthesizer auf der Bühne. Es eröffnen sich viele Möglichkeiten durch ihn, aber der warme Klang "echter" Instrumente wird vom Publikum mehr geschätzt.

Manchmal "singst" Du wie Keith Jarrett. Ist das Zufall?
Nein. Jarrett ist einer der größten Pianisten auf dieser Welt und außerdem war die erste Jazzaufnahme, die ich gehört habe, von ihm. Diese Cassette habe ich heute noch Zuhause. Das war wie eine Offenbarung, ich dachte, was macht der denn da mit seiner Stimme. Ich merkte durch seine spontanen Gesangsausbrüche, dass er sehr genoss, was er tat. Es gibt Musiker, die darauf achten, dass bei einer Aufnahme kein Geräusch entsteht, ihm ist das egal. Das zeigt, dass für ihn die Musik das Allerwichtigste ist.

Und es kommt der lateinamerikanischen Musikerseele entgegen...
Ja, genau.

...wie auch bei Glenn Gould...
Der war einfach unglaublich. Als ich Student war, spielte mir meine Lehrerin die Goldberg-Variationen vor. Danach wollte ich kein Klavier mehr spielen, denn ich dachte, das werde ich im Leben nicht erreichen. Aber dann wurde ich psychologisch behandelt und kehrte ans Klavier zurück (lacht!).

Der Titel "El ritmo de tus hombros" klingt für mich wie eine afrikanische Ritualmusik, kaum nach Kuba!
Ich habe dabei weder an das eine noch an das andere gedacht. Mir ging es darum mich zu entspannen, ausgelassen zu sein. Darum ist das Klavierspiel auch so freaky. Da wir in Kuba natürlich so stark von afrikanischen Rhythmen geprägt sind und ich mich auch damit beschäftige, liegt dein Gedanke nahe.

Viele Gedanken zu deinen Stücken sind ernst, manchmal fast traurig. Das ist man von Kubanern nicht gewohnt. Weniger Freude, mehr Reflektion...
Das kommt von meiner Spiritualität. Und auch daher, weil mein Weg bis hierhin nicht immer leicht war, denn viele Leute missgönnen einem den Erfolg. Das ist ja normal, aber manchmal sehr enttäuschend, wenn es sich um vermeintliche Freunde handelt. Auch im BVSC haben mir - dem Jüngsten - einige den Erfolg nicht gegönnt. Erfolgreich zu sein macht einsam, darum sind einige Lieder denen gewidmet, die immer an mich geglaubt haben, und so klingt manches wohl eher nachdenklich. Wie z.B. "La flor que no cuidé"; bei diesem Titel weiß jeder sofort, dass eine Blume, die man nicht hegt, eingeht. Das ist denjenigen gewidmet, die mich in einem bestimmten Moment gebraucht haben, in dem ich dann nicht - rechtzeitig - da sein konnte, oder umgekehrt.

"Lento y despacio" ist wohl eine ironische Anspielung darauf, dass viele Europäer die Lateinamerikaner für langsam halten...
(lacht!) Das ist ein interessanter Gedanke, daran habe ich aber nicht gedacht. Ich wollte nur ein wenig Spaß machen. Wenn jemand den Titel liest, bereitet er sich auf eine Ballade oder Ähnliches vor... und dann kommt der agressive Rhythmus, diese Vorstellung fand ich lustig.

Raul Midón singt auf "Akokan" den Titel "Eeveryone deserves a second chance". Gilt das für Jeden?
Ja, auf jeden Fall.

Auch für Fidel Castro?
Ja, ... na ja, ... jeder macht Fehler. Für manche sind das dann auch Fehler, für andere eben nicht. Aber auf Tourneen über Politik zu sprechen ist nicht gut, denn wenn du nicht vor Ort bist, weißt du nicht genau, was Zuhause passiert. Im Grunde genommen ist es egal, in welchem Land man aufwächst, denn man muss ohnehin für das kämpfen, was man möchte, so hat man es mir beigebracht. Manche denken, dass sie schnell reich werden, wenn sie in ein anderes Land ziehen, aber das ist natürlich Unsinn. Wenn du eine gute Ausbildung hast, hart arbeitest und eine klare Vorstellung davon, was du willst, schaffst du es auch, denn es kommt immer der Moment der Wahrheit, egal wo du bist.

Chucho Valdés hat mal gesagt, dass man, um kubanische Musik spielen zu können, in Kuba leben muss, zumindest die meiste Zeit!
Ja, dort lade ich meine Batterien auf und erhole mich. Dann gehe ich auf Tournee und entlade mich bei meinen Auftritten.

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon

[druckversion ed 08/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: kuba]