ed 06/2013 : caiman.de

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spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Siebte Etappe: Eine Brücke für Europa - Puente la Reina und Estella
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


brasilien: Die Copa im Land des Fußballs!
THOMAS MILZ
[art. 2]
spanien: Cap de Creus (Bildergalerie Teil 1)
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[art. 3]
peru: Lima – 2150, ungefähr
NIL THRABY
[art. 4]
grenzfall: Siroco Andaluz vs. Saaz Damm
Zwei fürs Fest?
DIRK KLAIBER
[kol. 1]
amor: Wortspiele und Lebensweisheiten (Teil 12)
CAMILA UZQUIANO
[kol. 2]
macht laune: Auf Spurensuche in Sachen Liebe
Peter Theisens Buch "Liebe in Zeiten der Cola"
THOMAS MILZ
[kol. 3]
erlesen: Rap, Reggaetón, and Revolution in Havana
TORSTEN EßER
[kol. 4]


[art_1] Spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Etappen [12] [11] [10] [9] [8] [7] [6] [5] [4] [3] [2] [1]
Siebte Etappe: Eine Brücke für Europa - Puente la Reina und Estella
 
22. August 2012. Nachdem wir morgens um 11 Uhr das Heiligtum der wunderbaren Kapelle von Eunate hinter uns gelassen haben, marschieren wir zügig durch üppige Weinfelder die vier Kilometer nach Puente la Reina. Und hier ist schlagartig Schluss mit der arkadischen Pilger-Einsamkeit. Die Hauptstraße von Puente la Reina (es ist eigentlich die einzige) präsentiert sich zur Mittagszeit wie Mallorca ohne Strand: eine Bar- und Restaurant-Straße voller Touristen (oder Pilger, die aussehen wie Touristen). "Oh, da sind wir jetzt wohl auf der Pilger-Autobahn gelandet", entfährt es Cayetana. Die Calle Mayor bietet ein quirliges Bild mit dem Titel "Pilger aller Länder vereinigt euch". Während vor einer halben Stunde nur eine einsame Gestalt vor uns ging, demonstrieren die bunten Menschenmassen, die jetzt in der Brückenstadt Mittagspause machen, eindrucksvoll das Motto des am Ortseingang stolz verkündenden Plakates "Puente la Reina – Donde el Camino se hace uno". Hier mündet unser einsamer aragonesischer Weg (und auch alle anderen) in den in Saint-Jean/ Roncesvalles beginnenden "Camino Francés", den gewaltigen Hauptweg, der seit Jahrhunderten vor allem von französischen, spanischen und deutschen Pilgern begangen wird. (Den Camino Aragonés wählten Pilger aus Italien und der Provence, die über Toulouse ankamen, als Anfangsvariante).

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Links neben dem Plakat liegt die erste sakrale Sehenswürdigkeit, die Iglesia del Crucifijo – inmitten eines Bohnenfeldes. Mit diesen Feldfrüchten sollten wir später noch massiv konfrontiert werden. Aber wir wollen noch nicht ans Essen denken. Wir sind Pilger, da gehen Gebete vor (oder "mystische Momente", wie Cayetana es nennt). Also betreten wir die spätromanische Kirche. Das kleine Gotteshaus ist innen sehr schlicht, ein berühmtes, 800 Jahre altes Kreuz aus dem Rheinland ist fast der einzige Schmuck. "Ist das alles?", flüstert mir Cayetana enttäuscht zu. Ich erinnere sie daran, dass die Kapelle von Eunate innen genauso schmucklos war und sie vor gerade einmal zwei Stunden zum Weinen gebracht habe. "Ja, einmal pro Tag reicht aber auch!", erwidert sie gereizt und nicht mehr im Flüsterton, dreht sich um und verlässt fluchtartig die Kirche.

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Vergeblich versuche ich, mich auf meine Meditation zu konzentrieren, bevor ich ihr zehn Minuten später nach draußen folge. Ich dachte, ich müsste sie suchen, deshalb bin ich überrascht, dass sie nur ein paar Meter vor dem Portal steht und friedlich in den Himmel starrt. Ich folge ihrem Blick, dabei höre ich ihre Worte: "Schau mal, das Düsenjäger-Kreuz…" Eine typisch theologisch unkorrekte Cayetana-Formulierung. Sie meint das spektakuläre Kreuz, das von den Kondensstreifen zweier Flugzeuge für ein paar Momente an den Himmel gemalt wurde, bevor es wieder verschwindet. Wir betrachten das vergängliche Kunstwerk, das sich bald im unendlichen Blau auflöst.

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Im Ortszentrum wartet dann die Iglesia de Santiago, schon von weitem sichtbar durch ihren mächtigen Turm aus dem 18. Jahrhundert. Dieser Tempel trifft viel eher Cayetanas andalusischen Geschmack: innen beeindrucken die pompösen vergoldeten Hochaltäre, filigrane gotische Gewölbe, aber auch einsame, effektvoll beleuchtete Heiligenstatuen. Eine Fülle von Inspirationen für mystische Momente.

Zurück im grellen Sonnenlicht nähern wir uns der Hauptattraktion des Ortes, der namengebenden Brücke, ohne die diese Pilgerstadt gar nicht entstanden wäre. Sie ist die berühmteste Brücke des Jakobsweges und überspannt seit dem 11. Jahrhundert in fünf romanischen Bögen den Río Arga, der davor ein beträchtliches Hindernis für die Pilger darstellte. Wir betreten sie durch einen mittelalterlichen Torbogen. Die "Brücke der Königin" erfüllt nicht nur eine wichtige Funktion, sie besticht auch durch perfekte Form und gilt als eine der schönsten Brücken Europas, eine "Königin der Brücken", über die sich seit Jahrhunderten ein Pilgerstrom gen Westen wälzt. Als wir auf der anderen Seite sind und schon weitergehen wollen, macht sich plötzlich heftiges Hungergefühl bemerkbar. Also zurück zur Hauptstraße von Puente la Reina, wo wir trotz der inzwischen 40° Grad statt Salat lieber Bohneneintopf als Vorspeise bestellen. Wenig später kommt die Köchin und platziert einen riesigen Topf vor uns, wirft die Kelle hinein und konstatiert im charmanten Befehlston: "Pilger! Ihr braucht Kalorien! Also vom Bohneneintopf könnt ihr essen so viel ihr wollt, es kostet eh das Gleiche, ob ihr nun zwei oder sechs Teller nehmt… "

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Der Eintopf ist sehr kalorienreich, denn außer Bohnen enthält er Schinken und Öl. Und er ist sehr lecker, wir langen mit je drei Tellern ordentlich zu, so dass wir schon satt sind, als die Hauptspeise (Fisch und eine Flasche eiskalter Rosé) gebracht wird. Wir beschließen, die großzügige Köchin in unsere Gebete einzuschließen, als wir uns satt und müde vom Essen erheben, um beschwert weiter zu marschieren.

Nach einer halben Stunde gemütlichen Wanderns über einen Feldweg erhebt sich vor uns der vielleicht steilste Hang, über den uns der Camino bisher führte. Und die Rahmenbedingungen zu seiner Besteigung sind alles andere als ideal: es ist vier Uhr nachmittags, mit wieder mal 40° Grad die heißeste Stunde des Tages, und ein ganzer Bohneneintopf und eine halbe Flasche Rosé wirken auch nicht gerade beschleunigend. Cayetana lässt sich am Wegesrand ins Gras fallen. "Da steig ich jetzt nicht hoch und auch in einer halben Stunde nicht! Ich bleib erstmal hier sitzen." Diesmal meint sie es ernst. Halb gereizt und halb belustigt wage ich ihre Verweigerung zu kommentieren: "Das ist nun mal der Weg. Was erwartest Du? Soll ich diesen Hügel für Dich abtragen?" "Das wäre doch ein Anfang", kontert sie trotzig, muss dann aber auch grinsen. Ich lasse mich resigniert neben sie ins Gras sinken. Schweigend starren wir den bösen Hügel an, als ob unsere Blicke ihn wegschmelzen könnten.

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Doch irgendwann raffen wir uns auf und nehmen den höllischen Aufstieg in Angriff. Hinter dem Hügel sehen wir den Kirchturm von Mañeru. Eigentlich wollten wir heute noch weiter gehen bis Lorca, aber ein Blick aus vor Schweiß brennenden Augen reicht zum stummen Einverständnis. Wir bleiben hier, und das war eine gute Entscheidung, denn die Herberge von Mañeru ist eine Oase der Entspannung. Wir verbringen den Abend auf der Terrasse. Und nachts träumt Cayetana, wie sie mit einem göttlichen Schwert aus Licht einen Berg vor ihr zerschneidet und ebenen Weges mitten hindurch geht.

23. August 2012: Diesmal schaffen wir wieder den Aufbruch um 6.00 Uhr kurz vor Sonnenaufgang. Wir verlassen Mañeru und unser heutiges Ziel ist viel versprechend: Estella la Bella (Estella, die Schöne). Über ausgedehnte Feldwege mit Zypressen erreichen wir um 8.00 Uhr den romantischen Ort Cirauqui, wo uns ein altes Pilgerkreuz und die imposante Dorfkirche beeindrucken (leider geschlossen).

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Kurz hinter Cirauqui liegt uns plötzlich die ganze Welt zu Füßen. Ein aus zahllosen Steinen von unbekannten Händen geschaffenes Kunstwerk, Cayetana nennt es "Die Welt im Feld". Etwas unvollendet, denn ganz richtig bemerkt sie, ein klein wenig schadenfroh, dass die beiden Weltmächte der Zukunft, China und Indien, komplett fehlen. Überhaupt scheinen sich viele Santiago-Pilger Gedanken über das Schicksal der Welt zu machen. Unterwegs entdeckt man oft in Bäume eingeritzte Botschaften und philosophische Graffiti: Fragen und Weisheiten aller Art. Auf einer Brücke entdecken wir plakativ ausgelegt zwei zum Umdenken auffordernde Broschüren. Auf der ersten steht ein dunkler Mensch vor einer leuchtenden Erdkugel, über der die Frage gestellt wird "Podrá sobrevivir este Mundo?" (Kann diese Welt überleben?).

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Daneben (als Antwort?) ein paradiesisches Idyll mit lachenden Bauern unter dem Titel "Pronto acabará el sufrimiento" (Bald wird alles Leid ein Ende haben). "Genau, ab jetzt keine steilen Aufstiege mehr", kommentiert Cayetana im Vorbeigehen. Als wir nach Lorca kommen, sind wir kurz in Versuchung, hier zu bleiben, denn die Pilgerherberge sieht aus wie aus dem Bilderbuch: mit Santiago-Kachelbild und Weinfass über dem Portal.

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Aber wir wollen weiter nach Estella (la Bella), wo wir zur Mittagszeit ankommen. Wenig später ist es zunächst vorbei mit der Euphorie. Nachdem wir vor dem (wegen Restaurierung) geschlossenen Portal der wichtigsten Kirche Estellas, San Pedro de la Rúa, vergeblich gehofft haben, dass es sich von Zauberhand öffnen könnte, warten wir in einem Restaurant auf unser Essen. Das lässt nicht nur lange auf sich warten, es ist auch das Unverschämteste, was man uns auf dem ganzen Camino vorzusetzen wagte. Eine ensalada mixta, dabei besteht die Kreation aus eilig zusammengeworfenen Salatblättern mit ein paar einsamen Tomatenhälften und einem halben Ei als Krönung. "Siehst Du hier irgendwo Salatsoße?", fragt Cayetana beim Umwälzen ihres Salatberges. Nein, die einzige Flüssigkeit, die von den Blättern tropft, ist Wasser. Mit dem Kommentar "Salat ohne Soße ist Schneckenfraß", erhebt sich Cayetana und verlässt entschlossen das Lokal.

Auf dem Weg zur nächsten Kirche muss ich mir ihre Vorwürfe anhören, weil ich für das stehen gelassene Mittagsmahl trotzdem bezahlt habe. Ein Seitenblick auf meine Begleiterin zeigt mir ihren gefürchteten "Ich-bin-mit-der-ganzen-Welt-im-Krieg" Gesichtsausdruck.

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Streitlustig lässt sie die Bemerkung fallen, dass es um die Zukunft der Kirche also nicht so gut aussehen würde. Dazu muss man erklären, dass wir in den wichtigsten Kirchen entlang unseres Camino jeweils für ein besonderes Ziel bitten wollten und ich hatte vorgeschlagen, in der dem heiligen Petrus (als erstem Papst) geweihten Kirche in Estella für die Zukunft der Kirche zu beten. Dass San Pedro nun komplett geschlossen war, machte ein Gebet an dieser Stelle unmöglich – und meine kleine Rebellin wertet dies in ihrer apokalyptischen Stimmung als schlechtes Omen für die ganze Kirche.

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Auch San Miguel, die zweite Hauptkirche Estellas, macht es dem Pilger nicht leicht. Es gilt eine sehr hohe Treppe in den Himmel zu erklimmen und als wir keuchend oben ankommen, erwartet uns auch dieser Tempel mit verschlossenen Türen. Wie in Zeitlupe schleichen wir über die Treppe wieder nach unten. Natürlich sind wir müde und haben Hunger, aber alle Restaurants sind jetzt bis zum Abend geschlossen. Die Füße schmerzen, der Rucksack wird bleischwer und die glühende Siesta-Sonne ergießt sich wie ein zäher Brei durch die Straßen. Cayetana hat ein moralisches Tief, auch ein Schokoladeneis kann sie nicht besänftigen.

Frustriert spielt sie Fußball mit einer leeren Cola-Dose, die sie scheppernd gegen eine Hauswand voller Graffiti knallt und steigert sich in eine wütende Anti-Estella-Stimmung hinein: "Pah, was sind die Leute hier alle unfreundlich! Ist es unsere Schuld, dass wir kein Baskisch können?" Dabei fällt ihr Blick auf eins der Graffiti, das eine durchgestrichene spanische Flagge zeigt, ein häufiges Dekorationsmotiv in Estella. "Und wieso müssen wir hier bleiben, wenn sowieso alle Kirchen zu sind?"

"BUEN CAMINO!" – Wir zucken zusammen vor Schreck, als völlig unerwartet in der trägen Siesta-Stimmung ein Einheimischer mittleren Alters uns diesen Segenswunsch in der engen Gasse enthusiastisch entgegen brüllt. "Na, der hat aber jetzt die Ehre von Estella gerettet", wage ich vorzuschlagen.

Cayetana zuckt nur mit den Schultern und scheint noch nicht recht überzeugt. Am Abend jedoch wird die Ehre Estellas wieder hergestellt. Zuerst öffnet die majestätische Kirche San Miguel ihre Pforten und wir nehmen an einer schönen Pilgermesse teil (und bitten dann im Tempel des Erzengels für die Zukunft der Kirche und für einen besseren Papst – diese Bitte ist offenbar erstaunlich schnell erhört worden!).
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Danach haben wir auch noch gastronomisches Glück und entdecken durch Zufall eines der besten und authentischsten Restaurants der Stadt: Katxetas. Spätestens beim Genuss der baskischen Quarktorte hat sich auch Cayetana wieder mit Estella versöhnt.

Nachts träume ich von einem Gang über eine endlos lange Brücke, auf der rechts und links alle Flaggen Europas flattern – die spanische und die baskische einträchtig nebeneinander. Von weitem sieht man jenseits der Brücke eine hohe, erleuchtete Treppe und darüber die Türme der Kathedrale von Santiago. Zwischen den Türmen leuchtet ein Kreis aus zwölf Sternen am nachtblauen Himmel. Europa geht immer noch über die Brücke, die der heilige Domingo im 11. Jahrhundert erbaut hat, auf dem Weg zur Kathedrale auf dem Sternenfeld.

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Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
www.puentelareina-gares.es
www.turismonavarra.es
http://de.wikipedia.org/wiki/Estella-Lizarra

Etappe Eunate über Puente la Reina nach Mañeru: ca. 12 Km, Etappe Mañeru nach Estella: 18 Km

Unterkunft in Puente la Reina:
Private Pilgerherberge "Santiago Apóstol", auf der anderen Seite der Brücke ca. 500 Meter außerhalb, Tel. 948-340220: groß und komplett: Waschmaschine, Trockner, Internet, Pool und Campingplatz, Bar und Restaurant. Übernachtung 8 Euro.

Verpflegung in Puente la Reina:
In der Calle Mayor bieten viele Restaurants mittags und abends Pilger- Menüs für 10-12 Euro an

Unterkunft in Mañeru:
Private Pilgerherberge Lurgorri, C. Esperanza 5, Tel. 619-265679: sehr empfehlenswert, klein und gemütlich, gute Bäder, schöne Terrasse, eine Oase mit sehr freundlichem Herbergsvater. Übernachtung 10 Euro mit Frühstück

Unterkunft in Estella:
Pilgerherberge ANFAS, C. Cordeleros 7, am Ortseingang rechts, Tel. 948-554551, betrieben vom Verein zur Unterstützung geistig behinderter Menschen, die hier im Herbergsbetrieb beschäftigt und damit integriert werden, Küchenbenutzung möglich, Waschmaschine, Internet. Übern. 7 Euro

Verpflegung in Estella:
Auf keinen Fall: "Aljama" – chaotische und überforderte Bedienung, völlig überteuert, hier gab es das schlechteste Essen des ganzen Camino
Sehr empfehlenswert dagegen: "Katxetas", Calle Estudio de Gramática N° 2, Tel. 948-550010: u.a. typisch baskische Gerichte, gut sind der "Bacalao Ajoarriero" (Knoblauch-Kabeljau) und die Quarktorte zum Dessert, guter Hauswein, zudem zu empfehlen: Fleisch (v.a. Lamm) und Fisch vom Grill. www.restaurantekatxetas.es

Kirchen:
Iglesia del Crucifijo, Puente la Reina: Am Ortseingang links, geöffnet: täglich ca. 9.00 – 20.00
Iglesia de Santiago, Puente la Reina: In der Calle Mayor im Ortszentrum, geöffnet: Mo. – Sa. 10.00 – 13.30 und 17.00 – 20.00, Sonntags 8.45 – 14.00)
Iglesia de Mañeru: Die monumentale Kirche ist nur abends zur Messe geöffnet, ca. 18.00 – 20.00
Iglesia San Pedro de la Rúa, Estella: z.Z. noch wg. Restaurierung geschlossen, ansonsten geöffnet: nur für Führungen um 12.00 und 16.00, ca. 3 Euro Gebühr, keine individuelle Besichtigung
Iglesia de San Miguel, Estella: Geöffnet nur abends vor und nach der Messe, ca. 18.00 – 20.30

[druckversion ed 06/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Brasil: Die Copa im Land des Fußballs!
 
Endlich rollt der Ball. Die Copa ist da! Okay, es ist bloß der ConFedCup, aber immerhin rollt der Ball im Fußballland Brasilien.
 
Ich war gerade dabei, die Koffer für die Reise nach Rio zu packen, als mich die Überraschung vor den Kopf stieß. Das Testspiel zwischen Brasilien und Englang abgesagt? Das Gigantentreffen im mythischen Maracanã und das drei Tage vor Anpfiff? Die Engländer waren gerade an der Copacabana als man es ihnen mitteilte. "Kein Problem, spielen wir halt hier am Strand." Englischer Humor, das kennt man ja.
 


Was war geschehen? Nun, eine Richterin hatte eine einstweilige Verfügung erlassen. Das Stadion sei noch in der Bauphase , noch nicht ausgerichtet für ein Spiel mit 80.000 Fans. Wie bitte? Ende April war ich ja persönlich bei der Eröffnung des Maracanã dabei (der caiman berichtete), und jetzt, fünf Wochen später, baut man immer noch dran rum?
 
Doch alles wurde gut. Ich weiß nicht wie, warum und wann, aber fünf Stunden später hatte dieselbe Richterin dann doch grünes Licht gegeben und die eigene Verfügung wieder aufgehoben. Was man in Monaten des Schuftens nicht hinbekam, war in fünf Stunden erledigt: das Stadion fertig! Man ist ja schließlich nicht ohne Grund das Land des Fußballs, right? Also alles okay.
 
Dante und Luiz Gustavo vom glorreichen Bayern-Team sind auch schon in Rio eingetroffen. Gerade noch rechtzeitig bevor man sie von der ConFed-Liste gestrichen hätte. Denn die beiden wollten vor der Copa erst mal eine andere Copa spielen, den DFB-Pokal. Da sie aber nicht gleichzeitig in Berlin UND in Rio sein können, mussten sie Bayern verlassen, um auf der Reservebank der mindestens ebenso glorreichen Seleção Platz zu nehmen.
 
Bevor der ConFed los geht, gibt's noch ein weiteres Freundschaftsspiel gegen Frankreich. Dann geht's richtig los, ab dem 15. Juni wird's ernst. Der alte Fuchs Scolari hat Ganso, Pato, Luis Fabiano, Ronaldinho und Kaká erst gar nicht eingeladen. Am ungerechtesten war jedoch, den alten Hasen Zé Roberto nicht mitzunehmen, der mit seinen fast 40 Jahren immer noch schneller und besser ist als so mancher Jungspund.



Dafür haben wir Neymar, den neuen König von Spanien. Ups, von Catalunya mein ich natürlich… Wird spannend sein zu sehen, was er unter Wettkampfbedingungen gegen Teams wie Spanien und Italien leisten kann. Und spannend wird die Frage, ob die neuen, glorreichen Stadien den Test bestehen werden. Letzte Woche brach ja das Dach des Fonte Nova Stadion in Salvador unter den Regenmassen zusammen – zumindest schoss das Wasser durch ein Riss in der Decke.

Wer seine Tickets für den ConFed abholen wollte, brauchte Nerven aus Stahl. Dabei hatte man ja im Internet extra einen Service eingerichtet, bei dem man den Abholtag mit genauer Uhrzeit erfahren konnte. Leider erhielten viele Käufer erst einen Termin NACH dem betreffenden Spiel genannt. Denen geht natürlich gerade die Hutschnur hoch und runter… Selbst Du, FIFA? Brauchst Du etwa auch einen Tritt in den Allerwertesten?

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 06/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]





[art_3] Spanien: Cap de Creus (Bildergalerie Teil 1)
 
Wenns mit dem Sommer mal wieder ein wenig länger dauert, klick ich mich tagelang durch Bildergalerien vergangener Urlaube. An manche Orte zieht es mich immer wieder zurück. So auch ans Cap de Creus, eine unfassbar betörende Mittelmeer-Halbinsel an der französischen Grenze gelegen, wo jedes Stimmungstief verweht.

Im ersten Teil findest du ein paar Bilder vom Cap selbst und der vom Wind gepeitschten Landschaft drum herum...

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Fotos: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 06/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_4] Peru: Lima – 2150, ungefähr
 
Meine Rettung war meine dunkle Hautfarbe und eine seltsame Frau mit Namen Erika. Ohne sie hätte ich diese Reise wohl kaum überlebt. Dabei hatte alles so angenehm angefangen. Eines Morgens kam die Chefin in meine Zelle und sagte zu mir: "Clark, ich bin sehr zufrieden mit Ihnen! Sie haben sich einen Urlaub verdient. Die nächsten zehn Tage will ich Sie hier nicht sehen. Spannen Sie mal richtig aus, machen Sie einen Kurztrip oder was immer Ihnen Spaß bereitet."

In dem Reisebüro an der Ecke gab es ein Sonderangebot: 10 Tage alte Kulturen Amerikas. Peru und die Inkas. Nun ist Peru, wie der Rest der Länder südlich der Grenze USA-Mexiko, Touristensperrgebiet. Seit der letzten, der Großen Weltwirtschaftsreform, in der vom Traum einer gesamtheitlich zivilisierten Welt endlich Abschied genommen wurde und in der im wesentlichen beschlossen wurde, die ärmsten Länder sich selbst zu überlassen, ist Südamerika sowie weite Teile Asiens für den Besuch gesperrt. Aber mein Reiseagent hatte ein Programm aufgetan, das echtes Abenteuer versprach: eine sichere Sache, aber mit dem Geruch nach ein bisschen Gefahr.

Alles begann wie versprochen. Von Washington aus nahm die Reisegruppe einen Spezialjet, der nach allzu langweiligen zwei Stunden auf dem Spezialflughafen in Lima landete. Ein bisschen störte die Präsenz der Rednecks, aber es war ja nur zu unserem Schutz. Einreiseformalitäten waren erfreulicherweise nicht mehr nötig, seit die USA die Nationalrechte Perus aberkannt hatte. So konnten wir ungestört vom Jet aus in unser Glasmobil steigen, das uns eine perfekte Sicht unter Panzerglas erlaubte. Die Agentur hatte mir versichert, dass das Glas unzerstörbar wäre. Nicht dass die Peruaner noch Waffen hätten, erläuterte schmunzelnd der Verkäufer, das haben wir schon vor einiger Zeit erledigt, aber man weiß ja nie. Und wir wollen schließlich nicht, dass unseren Kunden etwas passiert!

Trotzdem war es ein mulmiges Gefühl, als wir auf die ersten Eingeborenen stießen. Sie waren schrecklich schmutzig und dürr. Ein paar warfen sich vor unser Mobil, aber die eingebauten Wasserwerfer wurden leicht mit ihnen fertig. Die Hauswände waren beschmiert mit hässlichen Sprüchen, in deren Mehrheit das Wort ‚Amerika’ und irgendein Schimpfwort vorkamen. Ich hörte meine Nachbarin sagen: "Ich wusste gar nicht, dass die hier auch schreiben können!" Tatsächlich war auch ich überrascht, hatte ich doch noch in den Ohren, wie meine Erdkundelehrerin uns die Grenzen der zivilisierten Welt erklärte und was dahinter lag. Der Transfer zum Hotel außerhalb der hässlichen und heruntergekommenen Stadt Lima verlief reibungslos, auch wenn uns allen ein bisschen die Haare zu Berge standen, wenn wir die brennenden Müllhaufen und die darum gescharten Leute sahen. Mehr als einmal hörte ich erschrockene Ausrufe. Unsere Multimediakameras surrten ohne Ende.

Das Hotel war erstklassig, ebenso wie der Empfang. Das Gelände war bestens gegen Peruaner abgeschirmt, erklärte uns der Führer, der uns die nächsten zehn Tage begleiten sollte; dachten wir jedenfalls. Er versicherte uns, dass kein Mensch in der Lage wäre, lebendig die Mauern des Hotels zu übersteigen und noch viel weniger den Gürtel der intelligenten Minen zu durchqueren. Wir könnten beruhigt schlafen. No problem. Er schärfte uns allerdings ein, die Sicherheitszone des Hotels nicht zu verlassen, da die Minen, fügte er achselzuckend hinzu, leider immer noch nicht zwischen einem Amerikaner und einem Peruaner unterscheiden könnten. Obwohl sie intelligent hießen. Vereinzeltes Gelächter der Gruppe. Ich unterhielt mich mittlerweile mit einer hübschen Blondine aus Oregon, einer Spezialistin in Geruchsdesign. Ich ließ mir erklären, was genau das sei, ohne eigentlich Interesse daran zu haben. Der Führer sprach indes weiter über die große Zeit der Inkakulturen; er erwähnte auch, dass die wichtigen Ruinen geräumt worden waren, kurz nach der Weltwirtschaftsreform, um das kulturelle Erbe zu sichern. Peruaner waren seitdem in einer Sicherheitszone von fünf Kilometern rund um die Ruinen nicht zugelassen. Einige Dörfer hatten geräumt werden müssen, aber dafür, so der Führer, sei der Zerstörung der Ruinen Einhalt geboten worden. Teams von amerikanischen Spezialisten arbeiteten seitdem konstant an der Rekonstruktion der originalen Städte und Siedlungen, und auf unserer Reise würden wir Gelegenheit haben, einige echte Inkastädte zu besuchen. Mit Originalinkas (Schauspieler, natürlich), die uns in ihre Zeit zurückholen würden. Immerhin über 600 Jahre her. Wir würden Gelegenheit haben zu erleben, wie der Inka und seine Ñusta in Cuzco gelebt haben. Die koloniale Stadt war in den 30ern dieses Jahrhunderts geschleift worden, um der alten Pracht wieder ihre Geltung zu verschaffen. Dort würden wir auch die prachtvolle Krönungszeremonie erleben und einem Menschenopfer beiwohnen. Letzteres sei natürlich gestellt, fügte der Führer lüstern grinsend hinzu. Mehr wolle er uns heute nicht verraten, denn erstens warte das Essen und zweitens sei Spannung doch die halbe Miete. Verhaltenes Klatschen der Reisenden.

Das Essen war erstaunlich normal. Die Hamburger in Peru schmecken fast so wie bei uns, obwohl sie anders heißen. Ich konnte mir den komplizierten Namen nicht merken. Einige von uns fragten den Führer, ob das Essen auch sicher sei und ob es denn nichts von zu Hause gäbe. Er versicherte, dass die Lebensmittel einer ständigen Kontrolle unterliegen und so wenig wie irgend möglich mit Eingeborenen in Kontakt kämen. Und dass die Herrschaften ruhig mal die Reise auch durch den Gaumen genießen sollten. Das Bier war kalt; meine Nachbarin leider auch. Ich kam an diesem Abend keinen Schritt weiter. Vielleicht hatte sie gemerkt, dass mich das Thema Geruchsdesign nur nebensächlich interessierte.

Am nächsten Morgen ärgerte ich mich mit der Dusche herum, weil sie gerade mal 38°C heißes Wasser produzierte. Ich hasse das! Mein Wasser muss morgens mindestens 42°C haben, damit ich in Schwung komme. Ich rief bei der Rezeption an, aber sie waren nicht in der Lage, mein Problem zu beheben. Wahrscheinlich wird man so, wenn man hier länger ist: ein bisschen langsam im Service.

Nach dem Frühstück (die Blonde hatte sich ostentativ an einen anderen Tisch gesetzt) ging es dann los in unserem Glasmobil. Und was wir dort aus unseren Fenstern sehen konnten, war schon eine Reise wert. Nach der Reform, als Amerika endgültig und offiziell zur weltweit herrschenden Nation erklärt wurde, haben wir die Agrikultur in die halbgesicherten Gebiete rund um Europa verlegt. Das war ein ökonomisch sehr sinnvoller Schritt, denn unsere eigenen Bauern waren viel zu teuer geworden. Und der Boden viel zu kostbar, um darauf Kartoffeln anzubauen. Bei einer stetigen Wachstumsrate der Bevölkerung von 10%, wo sollten wir mit den ganzen Leuten hin? Und in den halbgesicherten Zonen waren sie auch glücklich, denn so hatten sie einen riesigen Absatzmarkt. Außerdem wurden Gemüse und Fleisch so billig, dass unser Armutsproblem, das wir noch fast bis Mitte letzten Jahrhunderts hatten, gelöst wurde.

Aber es war schon interessant, Landwirtschaft einmal mit eigenen Augen zu sehen. Ochsen kannte ich ja noch aus dem Zoo, aber einen Pflug nur noch aus dem Geschichtsbuch. Wir sahen auch Leute auf Eseln reiten, den Boden hacken, Mangos ernten. Der Führer erklärte uns alles, während wir an den Feldern lautlos entlang fuhren. Die Leute sahen von ihrer Arbeit auf und ihre Augen waren leer. Irgendwie so unmenschlich leer. Ich versuchte, mit meiner Banknachbarin ein Gespräch darüber zu führen, aber sie konnte für die Menschen kein Interesse aufbringen. Das einzige, was sie faszinierte, waren Esel, Maultiere und Hunde in freier Wildbahn.

In Cuzco verbrachten wir zwei ganze Tage. Sehr interessant, muss ich sagen. Wir wurden vom Inka persönlich begrüßt. Ein sehr zivilisierter Mensch, der übrigens auch ein ausgezeichnetes Englisch sprach. Seine Frau, die sich Ñusta nennen ließ, war sehr hübsch, aber nur wenig gesprächig. Die Stadt bestand aus beeindruckenden Bauten. Ich wollte zwar nicht glauben, dass die fein geschliffenen Steine, die fugenlos aneinandergefügt waren, ohne Hilfe eines Lasers hergestellt worden waren, aber abgesehen davon, war die Szenerie phantastisch ebenso wie die Krönungszeremonie. Der Mantel aus Papageienfedern, den der Inka trug und die Brustplatten aus echtem Gold. Prachtvoll!

Etwas allerdings empörte uns alle: bei dem Festmahl nach der Krönung wollte man uns doch glatt im Ofen gebratenes Meerschweinchen vorsetzen! Sie nannten das cuy und eine Spezialität der Inkas. Unter der Gruppe brach helle Empörung aus. Ein Professor für Anthropologie, der mit seiner Gattin diese Reise wohl aus wissenschaftlichem Interesse unternommen hatte, wies entrüstet darauf hin, dass man schließlich heute auch keinen Dreck mehr fräße wie die frühen Menschenkulturen. Der Protest der gesamten Gruppe führte schließlich dazu, dass die Reiseleitung die Teller mit den abscheulichen Tierchen wieder abräumte und uns echte peruanische Spaghetti servieren ließ. Die waren in Ordnung, obwohl ich eine Menge Ketchup darauf geben musste.

Wir kamen erst spät ins Bett, weil das Menschenopfer, das wir nach dem Abendessen sehen sollten, sich aus irgendeinem Grunde verzögerte. So ist das eben auf Abenteuerreisen, versuchte ich mich bei der Eselsliebhaberin, da ist nicht alles so perfekt wie sonst. Im Bett versuchte ich sie mit Meerschweinchenpiepen aufzulockern, aber das fand sie gar nicht komisch.

Am zweiten Tag fuhren wir nach Macchu Pichu. Dort erwartete uns die Ñusta, denn – so wurde uns erklärt – Macchu Pichu galt als die geheime Stadt der Frauen. Die Umgebung war beeindruckend. In einem kleinen Tal inmitten der Anden gelegen, von schneebedeckten Gipfeln umringt. Das Sauerstoffgerät störte ein bisschen, aber man hatte uns erklärt, dass man sich – nicht wie in Cuzco – dazu entschlossen hatte, keine Glaskuppel über die Stadt zu bauen, da die Sonnenauf- und -untergänge sonst in ihrer Pracht beeinträchtigt worden wären. Und tatsächlich war der Sonnenuntergang, den wir – begleitet von einigen Initiationsriten der jungen Frauen des Inka – sahen, sehr bemerkenswert. Die Frauen kreischten ein bisschen bei der expliziten Darstellung, aber ich beruhigte meine Eselsliebhaberin und Meerschweingeräuschhasserin damit, dass das ja alles Vergangenheit war und nur noch für uns Touristen gemachte wurde. Und dass sie froh sein solle, nicht hier geboren zu sein.

Ich weiß nicht, woher zum Teufel sie Dynamit gehabt haben könnten. Es ist mir unbegreiflich, denn schließlich liegt schon seit über hundert Jahren ein Waffenembargo auf dem gesamten südlichen Kontinent. Aber sie hatten es irgendwoher und sie haben es benutzt. Ich hatte zu Hause noch etwas von den terroristischen Banden in Peru gehört, ich weiß nicht mehr von wem. Aber von Übergriffen auf Reisegruppen? Das war unerhört. Natürlich hatten wir bewaffnete Begleitung für den Fall der Fälle, aber niemand konnte mit einem Attentat rechnen. Vielleicht hätte der Fahrer schneller schalten müssen, als er das fremde Auto auf der amerikanischen Straße sah. Wie auch immer.

Wir waren die Nacht über gefahren: direkt von Macchu Pichu zurück nach Lima, denn dort stand das einzige annehmbare Hotel. Über die Herberge in Cuzco habe ich bisher geschwiegen, aber nur weil das Teil der Abmachung mit meinem Reisebüro ist. Schließlich haben sie teuer dafür bezahlt.

Es passierte kurz nachdem wir in Lima eingefahren waren. Wir hatten auf dem Weg einige Protestler gesehen, die uns wütend anschrieen. Ihre Ähnlichkeit mit Affen ließ mich über die Gegner der Theorie Darwins nachdenken. Immerhin die Hälfte der Amerikaner, hatte ich neulich gelesen, glauben nicht an die Theorie der Evolution. Dabei reichte doch eine einzige Reise nach Peru, um das mehr als offensichtlich zu machen. Der missing link, dachte ich lächelnd, als ich ein schönes und wahrscheinlich besonders laut brüllendes Exemplar ausmachte.

Der Kleinlaster kam von links. Ich hatte ihn nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen und in dem Bruchteil des Augenblicks bis zur Explosion blieb nicht genügend Zeit, um mich darüber zu wundern, dass auf einer kreuzungslosen Straße ein Auto von links kommen kann.

Über die nächsten paar Stunden kann ich kaum Auskunft geben. Es gab einen fürchterlichen Krach, etwas fiel mir auf den Kopf, ich flog in hohem Bogen durch die Gegend und danach weiß ich gar nichts mehr. Als ich erwachte, war es dunkel, und ich lag verborgen hinter einem verbeulten Stück Metall, das mir die Sicht nahm. Und wohl auch den Terroristen die Sicht genommen hatte, denn ich war bis auf ein paar Beulen unverletzt geblieben. Als ich vorsichtig hinter dem Stück Metall hervorblickte, sah ich auf ein brennendes Feuer und eine Menschenmenge. Ich sah auch einige von unserer Reisegruppe gefesselt am Boden sitzen. Später sind alle freigekommen, gegen ein saftiges Lösegeld, versteht sich, aber das konnte ich in diesem Moment nicht wissen.

Um die Wahrheit zu sagen, mir sank das Herz in die Hose. Die Gruppe, die um meine Mitreisenden herumstand, sprach eine unverständliche Sprache, nur entfernt mit unserem Spanisch verwandt. Sie sahen furchterregend aus. Ich entdeckte weder den Fahrer, noch den Führer, noch unsere bewaffneten Begleiter. Ich hörte eine helle Stimme kreischen: "Meinen Ehering nicht", und dann eine saftige Ohrfeige klatschen. Leises Weinen.

Ich musste einen Weg finden, von hier zu verschwinden. Jeden Augenblick konnten sie mich entdecken, und dann würde es mir nicht besser ergehen als der armen Gruppe. Gott sei Dank lag die Stadt fast völlig im Dunkeln. Außer dem Feuer ein paar Schritte von mir entfernt, konnte ich in der Ferne einige Lichtpunkte sehen, die sicherlich von ähnlichen Lichtquellen stammten. Der Rest aber lag in schwarzer Nacht.

Die größte Gefahr war jetzt, von dem nahen Feuer beleuchtet zu werden, während ich davon robbte. Ich warf mir einen alten und stinkigen Fetzen über, der weiß der Himmel woher kam und kroch los. Ich wusste zwar nicht wohin, aber das war im Moment zweitrangig. Erst mal weg und dann weitersehen. Die einzigen beiden Punkte der Stadt, an denen ich sicher sein würde, waren das Hotel und der Flughafen. Aber wie dort hinkommen?

Das Glück ist mit den Tüchtigen, sagt man. Und ich hatte in dieser Nacht gleich mehrfach Glück. Zuerst ließ mich das Schicksal dem Feuer entkommen. Ich war noch dazu in die richtige Richtung gerobbt, denn bald entdeckte ich die Bresche in der hohen, weißen Mauer, die die amerikanische Straße von dem Rest Limas abschotten sollte. Und die kein echtes Hindernis darstellte.

Ich hielt mich im Schatten der Mauer auf der anderen Seite und fürchtete nichts mehr, als irgendjemandem zu begegnen. Und dabei sollte die Begegnung, die sich jetzt gleich ereignen würde, mir das Leben retten.

Ich hielt den stinkigen Lappen fest um mich gewickelt, aber sowohl die Beine als auch vor allem meine neuen Nikes, die ich extra für die Reise gekauft hatte, würden mich sofort an die Eingeborenen verraten. Meine Tarnung war also alles andere als perfekt, aber ich musste es versuchen. Ich dachte angestrengt darüber nach, wie ich wohl zum Hotel finden sollte, als ich an der gegenüberliegenden Hauswand einen Schatten ausmachte, der sich in meine Richtung bewegte. Sofort verharrte ich in meiner Bewegung, versuchte die alte Taktik, die man mir für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich jemals einer Schlange begegnen sollte, beigebracht hatte: nicht bewegen. Keinen Muskel.

Leider war der Schatten nicht der einer Schlange: sie war schneller über mir, als ich auch nur mit dem Lid hätte zucken können. Und bevor ich Cheesecake sagen konnte, hatte ich ein Messer an meiner Kehle. "Lauf oder stirb!", sagte eine weibliche Stimme in verständlichem Spanisch. Ich versuchte es mit einem: "Ok."

Sie sprang einen halben Schritt von mir weg, das Messer immer noch auf mich gerichtet: "Wer oder was bist Du?", fragte sie in noch verständlicherem Englisch. Ich war meinerseits überrascht, schaltete aber schnell: dies war meine Chance, wenn ich denn eine hätte. "Ich bin ein amerikanischer Tourist. Unser Glasmobil ist von Terroristen überfallen worden, und ich bin der einzige, der entkommen ist. Bitte lass mich gehen!"

Sie schaute mich zweifelnd an, aber das Messer sank um einige Zentimeter nach unten. "Ja, ich habe von dem Überfall gehört", sagte sie mich nachdenklich anblickend. "Lima ist eine sehr gefährliche Stadt. Wo willst du hin?", fügte sie nach einem Moment des Schweigens hinzu. Ich hatte in der Zwischenzeit in Gedanken schon meine Dollar gezählt, denn ich war davon überzeugt, meine Freiheit mit ein paar Scheinen erkaufen zu können. Aber sie erwähnte das Geld nicht einmal. "Alleine überlebst du keine zehn Minuten auf den Straßen hier. Ich wohne nicht weit weg. Komm erst mal mit, dann sehen wir weiter."

Ich wusste nicht recht, was ich machen sollte. Mit einer Eingeborenen nach Hause gehen? Andererseits hatte sie vermutlich recht, ich würde keine Chance haben auf den Straßen Limas. Und wenn sie mir eine Falle stellen wollte, um mich umzubringen, dann hätte sie einfach nur zustechen müssen, als sich ihr Messer noch an meiner Kehle befand. Ich nickte. Sie warf mir ihren Poncho über und hieß mich, hinter ihr zu laufen und um keinen Preis den Mund aufzumachen, geschehe, was geschehe.

Doch auf dem Weg zu ihr begegneten wir niemandem. Ein oder zweimal hatte ich den Eindruck, dass wir beobachtet würden, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Bei ihr zuhause erfuhr ich, dass sie Erika hieß und dass sie kein Telefon besaß. Sie lachte laut, als ich sie fragte. "Mein Urgroßvater hatte noch eines, erzählte mir mein Vater immer, wenn er melancholischer Stimmung war." Ich fragte nicht, was mit ihrem Vater geschehen war. Sie hatte die Fensterläden geschlossen, bevor sie die Öllampen angezündet hatte, die ein eigenartig flackerndes Licht auf die Wände warfen. Ich blickte mich um, aber in Wirklichkeit war nicht viel zu sehen außer den Rissen im Gemäuer. Ein hölzerner Hocker und ein wackelnder Stuhl standen um einen alten Tisch herum. Die Tischdecke war grau vom vielen Waschen. In einem kurzen Moment der Entspannung vermisste ich meine Kamera: das wäre ein explosives Material zu Hause! Ein echtes Haus einer Eingeborenen! National Geographic würde gutes Geld dafür zahlen. Dann stürzte die Wirklichkeit wieder auf mich ein. "Hör zu, ich muss zu dem amerikanischen Hotel oder zum Flughafen für Touristen", sagte ich. Erika blickte mich an. "Das ist sehr gefährlich. Vielleicht sogar unmöglich. Man kommt von außen nicht einmal in die Nähe."

"Egal, irgendwie muss ich dahin. Oder an ein Telefon." Ich konnte immer noch nicht glauben, dass es hier kein Telefon geben sollte. Vielleicht hatte sie keines, aber die Geschichte von ihrem Urgroßvater konnte ich ihr unmöglich abnehmen. Jeder Mensch hat Telefon.

"Es ist sehr gefährlich", wiederholte sie nachdenklich, "und alleine schaffst du das niemals. Hier in Lima ist es selbst für einen von uns schwer zu überleben. An der nächsten Ecke nehmen sie dich hoch, wenn sie merken, dass du ein Gringo bist." "Dann hilf mir. Bitte!", fügte ich hinzu. "Warum sollte ich meine Haut für dich riskieren?" Ich überlegte, ob ich das Thema Dollars riskieren sollte. Sicherlich würde sie alles für ein paar Scheine, vielleicht sogar für ein paar Münzen machen. Aber bevor ich etwas sagen konnte, sprach sie schon weiter.

"Ich werde dir helfen. Du musst wissen, dass nicht nur du, sondern auch ich mein Leben dabei riskiere. Und dass ich nicht weiß, ob wir es schaffen können. Ich kann dich nur bis zum Rande der Touristensperrzone bringen. Danach musst du selber einen Weg hineinfinden. Mich würden sie sofort erschießen, wenn ich versuchen würde, dort einzudringen. Und jetzt, nach dem Überfall noch eher."

"Aber das hat seinen Preis." Sie blickte mich einen Moment aus ihren tiefbraunen Augen an. "Du musst mir ein Visum verschaffen. Du musst allen erzählen, dass ich es war, die dich hier herausgebracht hat. Dass ich dich gerettet habe und dass ich Englisch spreche. Dass ich Zahnärztin bin und dass ich in Amerika leben will. Du musst alles daran setzen, dass ich ein Visum bekomme, versprichst du mir das?" Ich versprach es ihr natürlich. Das und noch viel mehr hätte ich ihr versprochen. Einen Haufen Gold, ein Königreich, wenn es sie gefreut hätte. Was hatte ich zu verlieren? "Ich muss dir vertrauen, so wie du mir vertrauen musst." Sie dachte einen Moment lang nach: "Kann ich dir vertrauen?"

Ich versicherte, alles Menschenmögliche zu unternehmen, damit sie ihr Visum bekäme. Ich gab vor, Freunde bei der Einwanderungsbehörde zu besitzen, darauf zählend, dass sie nicht wusste, dass die Einwanderungsbehörde schon in meiner Jugend aus dem einfachen Grund abgeschafft worden war, weil es keine Einwanderung mehr gab. Sie schluckte es nicht nur, sondern freute sich sogar sichtlich. Ich gab vor, dass ich kein Problem mit ihrer Einreise sähe, wenn ich erst mal zurück zu Hause wäre und die Geschichte dort erzählen könnte.

Wir brachen noch in derselben Nacht auf. Ein unidentifizierbares Getränk, das sie irreführenderweise Kaffee nannte, lehnte ich dankend ab. Sie wirkte angespannt, aber zufrieden mit mir, und ich tat alles, um diesen Eindruck zu verstärken. Sie bat mich, ihr von Amerika zu erzählen, aber ich wusste nicht recht, was ich ihr erzählen sollte. Ich war noch nie jemandem begegnet, der nicht alle Folgen von „Fünf Teufel und George“ mindestens dreimal gesehen hatte: was erzählt man da? Sie hatte damit kein Problem: das sollte ich bald merken.

In ihrem Schrank suchte sie eine unauffällige (will sagen: dreckige, verschlissene und abgrundhässliche) Jacke heraus, die ich anziehen sollte. Die Hosen, die sie mir gab, waren genauso „unauffällig“ und dazu noch zu klein. Sie gab mir einen Strick aus irgendeinem Naturmaterial: den sollte ich als Gürtel benutzen. Alleine meine Schuhe waren ein Problem. Die neonfarbigen Nikes würden sicherlich sofort auffallen und zu einer gründlichen Untersuchung, mit einiger Wahrscheinlichkeit unter Zuhilfenahme eines Messers, einladen. Nach reiflicher Überlegung schlug sie mir vor, barfuss zu gehen. Ich lehnte natürlich ab: das würde meine Socken kaputt machen. Sie erklärte mir, dass sie „mit nackten Füßen“ gemeint hatte. Ich war entsetzt. Sie hieß mich die Schuhe und Strümpfe ausziehen, und als sie meine Füße sah, lachte sie laut. "Nein, das wird auch nichts: deine Füße leuchten ja noch heller als deine Schuhe!"

Zuletzt packte sie meine Schuhe in ein paar alte Lumpen, schnürte diese oben an meinem Knöchel zusammen, und wir waren beide zufrieden. "Kein Wort, unter keinen Umständen! Gut, dass dein Gesicht nicht so weiß wie deine Füße ist. Zieh dir diesen Chullo über, das wird deine Züge ein wenig verstecken." Sie reichte mir eine bunte Mütze, die oben spitz zulief und an den Seiten noch zwei hässliche Ohrklappen aufwies. Aber meine Widerstandskraft war längst gebrochen.

Als ich mich im Spiegel anschaute, erschrak ich zutiefst: ich sah wirklich fast aus wie einer von ihnen: genauso heruntergekommen, genauso dreckig, genauso hässlich angezogen. Die Präsenz meiner Schuhe unter den Lumpen beruhigte mich ungemein: wenigstens wusste ich so, dass ich anders war. Ich hebe dieses Paar Schuhe auch heute noch liebevoll auf, obwohl sie völlig aus der Mode geraten sind, und meine Kinder immer über mich lachen. Doch dieses Paar Nikes hat mich in jener dunklen Nacht Mensch sein lassen und anders als die, die da auf der Straße herumlungerten.

"Wenn uns jemand anhält, siehst du zu, dass kein Licht auf dich fällt. Ich werde sagen, dass du ein Freund aus der Sierra bist und dass Du nicht sprechen kannst. Die Leute aus der Sierra haben hier zwar keinen guten Ruf, aber man ist bereit zu glauben, dass sie ein bisschen komisch sind und dass sie nicht reden. Sowieso kein Spanisch. In den Bergen spricht man eine eigene Sprache, wusstest du das?" Ich nickte nur, um das Gespräch abzukürzen. Was interessierte mich die Sprache des Hochlandes?

Die ersten paar Straßen lief alles gut. Wir begegneten keinem Menschen, und ich war froh drum. Erika hatte mir für den Notfall noch ein Messer in die Hand gedrückt, und das hielt ich fest von meiner Faust umschlossen in der Tasche. Sie hatte mir gesagt, dass ich es nur im äußersten Notfall ziehen sollte, denn mit großer Sicherheit würde mein Gegenüber besser damit umzugehen wissen, aber ich war entschlossen, dem ersten, der mich genauer angucken würde, den Stahl so tief in die Brust zu rammen, wie ich nur irgendwie konnte.

Wir bewegten uns langsam aber stetig die Straßen entlang. Erika hatte sich bei mir eingehakt, weil das – wie sie sagte – am unauffälligsten wäre. Ich war überrascht, dass sie keinen unangenehmen Geruch ausströmte: ich hatte mir die Leute, an denen wir vorbeigefahren waren, immer von einer Art unangenehmen Geruchshülle umgeben vorgestellt.

Der Gebrauch von Englisch auf der Straße war auch zu gefährlich. Sie sprach leise in Spanisch auf mich ein, und zu meiner Verwunderung verstand ich viel mehr, als ich gedacht hätte. Und als mir lieb war. Denn Erika wurde nicht müde, mir von dem einzigen zu erzählen, was ich am liebsten ganz schnell vergessen wollte: von ihrem Land.

"Es begann alles mit dem Krieg gegen Afghanistan oder wenn du willst mit den Attentaten auf die Zwillingstürme in New York. Der Krieg, der sich bald ausweitete, brachte kaum die erwarteten Resultate. Das bestärkte die Stimmen, die schon seit langem gesagt hatten, dass man diese armen Staaten einfach aushungern sollte. Und aus diesem Gedanken erwachte mit Hilfe einiger neuer technologischer Entwicklungen eine neue politische Strömung, die erst die Vereinigten Staaten, dann aber auch Australien und Japan ergriff: die Lösung der Weltprobleme war endlich da! Sie war so simpel wie genial: man koppelt einfach zwei Drittel der Weltbevölkerung ab und überlässt sie sich selbst. Keine Spendenaktionen mehr, keine Bilder hungernder Kinder, keine Alphabetisierungskampagnen. Keine Umschuldung mehr, keine Kredite von der Weltbank. Die unterentwickelte Welt wurde geschlossen. In Peru haben wir länger als andere ausgehalten. Zu dem Zeitpunkt im Jahre 2030, als die Große Weltwirtschaftsreform durchgeführt wurde, ging es Peru gar nicht so schlecht. Wir hatten seit 2001 eine konstante demokratische Regierung, die Maßnahmen zur Bildung der Landbevölkerung waren in vollem Gange und die Rate derjenigen, die unter einem Dollar pro Tag verdienten, nahm ständig ab."

"Unsere Regierung hat volle fünf Jahre ausgehalten: ich weiß nicht, wie. Erst als Banditenhorden ganze Städte überfielen, gaben sie auf. Geld wurde nicht mehr gedruckt, und wir kehrten zur uralten Tauschwirtschaft zurück: ich gebe dir eine Rinderhälfte, du gibst mir einen Zentner Kartoffeln."

Erika erzählte ihre Geschichte so leicht und ohne jeglichen Vorwurf, dass es mir leicht fiel, nicht hinzuhören. Ich war ganz auf das Geschehen auf der Straße konzentriert. Keine Menschenseele war dort zu sehen, nur vereinzelt flackerte in der Ferne, zu sehen durch eine der leeren Straßenschluchten, ein Feuerschein. Sie sprach indes scheinbar unbeschwert weiter.

"Das System funktioniert aber nur solange, wie jeder etwas beisteuern kann, was direkt verwertbar ist. Aber nachdem wir keinen Import mehr hatten und damit zum Beispiel kein Benzin und dadurch wiederum die Autos überflüssig wurden, was sollte ein Automechaniker, ein Busfahrer da tauschen? Der Hunger war der Ursprung der bewaffneten Banden."

"Obwohl eigentlich die ersten, die die Folgen der Großen Wirtschaftsreform zu spüren bekamen, die Kinder waren. Die Schulen wurden geschlossen, denn die Lehrer mussten sich etwas suchen, was ihren knurrenden Magen beruhigte. Die werdenden Mütter wurden immer dürrer, von den Neugeborenen starb bald ein Drittel: schlimmer als zu Zeiten der Inka, sagt man. Bald breiteten sich Seuchen aus, denn der Müll wurde nicht mehr abgeholt."

"Es gab einige Initiativen, die öffentliche Ordnung trotz allem aufrecht zu erhalten. In Ayacucho, in der Sierra, gab es eine Organisation von Freiwilligen, die sich Esperanza nannte und versuchte, die grundlegenden Dienste auf freiwilliger Basis aufrecht zu erhalten. Sie erinnerten sich an die alten Traditionen aus den Zeiten, bevor die Spanier kamen. Die Angehörigen dieser Organisation betrachteten sich als Ayllu, als Gemeinschaft, und verrichteten neben ihrer normalen Arbeit gemeinsame Aufgaben."

"Die bewaffneten Banden waren es, die diese kleinen Versuche, trotz allem zu überleben, zerstörten. Einige Zeit kehrte Peru zur Leibeigenschaft zurück: Banditen kamen erst in die Dörfer, später sogar in die Städte und holten sich, was sie brauchten. Arbeiter, die ihre Felder bestellen, Frauen für ihre Küchen und Betten. Und das Schlimmste ist, dass die Leute sich daran gewöhnt haben. Immerhin, sagen sie, haben wir hier zu essen und müssen nicht hungern."

Ich hatte eine Bewegung am Ende der Straße gesehen und drückte Erikas Arm. Sie schaute überrascht zu mir, und einen Moment hatte ich den Eindruck, sie dächte, ich hätte ihr von ihrer Geschichte, der ich nur mit halbem Ohr zugehört hatte, bewegt den Arm gedrückt. Mein ängstlicher Gesichtsausdruck aber belehrte sie eines Besseren. Als sie die Schatten entdeckte, spannte sich ihr ganzer Körper an. Ich hätte mich gerne in eine Ecke verdrückt, aber es gab keine. Unerreichbar weit, 30 Meter vor uns, war ein Hauseingang. Aber wer wusste, was uns dahinter erwarten würde. Ich klammerte mich an das Messer als wäre es ein Stück Treibholz und ich ein Ertrinkender.

Sie hatten uns schnell umringt. Ein Bande von vielleicht zehn Halbwüchsigen und Kindern. Ich wollte mich schon etwas beruhigen, aber ich spürte, dass Erika sich nicht entspannte, sondern ihre Angst sogar wuchs. Ich zog mir die Mütze noch ein Stück tiefer ins Gesicht. Sie unterhielten sich in einer Sprache, von der ich nur Fetzen verstand. Es klang wie das, was die Terroristen gesprochen hatten. Ich verstand, dass die Kinder Alkohol wollten; sie stanken schon so entsetzlich danach. Erika versuchte, ihre Stimme ruhig und bestimmt klingen zu lassen. Sie verlangten auch zu wissen, wer ich sei. Das fehlende Licht, meine Hautfarbe, der ihren nicht unähnlich, und die Geschichte, die ich vermeinte Erika erzählen zu hören, ließ sie ihre Aufmerksamkeit von mir abwenden.

Dann verlangten sie in forderndem Ton etwas von Erika. Als sie verneinte, sprangen blitzende Messer aus ihren Hosentaschen. Mein Arm zuckte bereits, aber Erika, vielleicht meine Bewegung ahnend, war schneller und hielt mein Handgelenk eisern auf der Höhe meiner Jackentasche. Mein Messer war nicht einmal zum Vorschein gekommen. Sie sagte leise zu mir: "Warte hier", und verschwand mit den Älteren in dem Hauseingang. Die Jüngsten, vielleicht gerade mal fünf oder sechs Jahre alt, leisteten mir mit gezückten Messern und grimmigen Gesichtern Gesellschaft, während ich wartete. Ich versuchte, mir meine Chancen auszurechnen, wenn ich einfach losrannte, aber ich wusste ja noch nicht einmal wohin.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie zurückkam. Die Kleinen hatten sich inzwischen mehr als genug über mich und meine vermeintliche Taubheit lustig gemacht. Das verstand ich auch ohne die Worte zu erkennen. Erikas Augen waren leicht gerötet, als wenn sie geweint hätte.

Die Bande ließ uns passieren, und ich spürte plötzlich einen starken Drang, mich zu übergeben. Erika zerrte mich davon, in die Nacht hinein. Und sie fuhr an der Stelle fort, an der sie aufgehört hatte, so als ob nichts passiert wäre.

"Armut ist so viel mehr, als nur kein Geld zu haben, weißt du. Hunger ist schlimm, aber Hoffnungslosigkeit ist so viel schlimmer. Und die Verblödung. Wenn deine einzige Sorge ist, woher du heute zu Essen bekommst, dann denkst du nur noch daran. Alles andere ist dir egal. Als die Spanier hier ankamen, beherrschten die Inka ein Reich, wie nur wenige es jemals zu solcher Größe gebracht haben. Cuzco war zu diesem Zeitpunkt viel größer als Rom, London, Paris oder Madrid. Man hatte schon gelernt so zu bauen, dass bei einem Erdbeben die Häuser stehen blieben. Es gab frischen Fisch am Hofe des Inka und das, obwohl die Küste Hunderte von Kilometern entfernt ist.

Aber das alles haben wir vergessen. Unsere Gesellschaft heute ist soviel primitiver als die Gesellschaft vor 500 Jahren. Weil wir unsere Stärken vergessen haben, weil der Hunger uns alle Gedanken nimmt, weil wir nur um das nackte Überleben kämpfen."

"Damals, nach der Großen Wirtschaftsreform haben wir noch eine Zeit lang von den paar Touristen leben können. Die Amerikaner blieben eigentlich sofort weg und schon das brachte Armut, aber ein paar Jahre lang kamen noch einige verwegene Europäer nach Peru, damals als Cuzco noch stand und noch von Peruanern bewohnt war. Aber als auch die wegblieben, da war es um Peru geschehen."

"Was wollten die Kinder von dir?", versuchte ich ihren Monolog zu unterbrechen. "Das ist meine Sache. Du denk nur daran, dass ich das alles für dich mache und dass du versprochen hast, mir ein Visum zu besorgen. Das weißt du doch noch?" Ich nickte eifrig. Auch wenn Erika mir keine Angst mehr einflößte, wusste ich, dass sie meine einzige Hoffnung war, hier wieder herauszukommen. Und außerdem hatte sie gleich mir ein Messer in der Tasche, und ich war sicher, dass sie es besser benutzen konnte als ich.

Wir schritten nun forscher aus. Es mochte vielleicht drei Uhr morgens sein und es war bitterkalt. Ich sehnte mich nach meiner heißen Dusche, wie ich mich selten nach etwas gesehnt hatte. "Es ist nicht mehr weit bis zur Sperrzone", sagte sie unvermittelt und auf Englisch.

"Ich muss schneller erzählen. Mitten in der Misere aber hat es immer Leute wie meinen Großvater und meinen Vater gegeben, die daran glaubten, dass wir es irgendwie schaffen können. Sie waren es mit ihren Freunden, die heimliche Zirkel abhielten und ihre Kinder und all diejenigen, die abends ein paar Stunden verschwinden konnten, unterrichteten. Daher spreche ich Englisch und deswegen bin ich Zahnärztin. Hast du geglaubt, hier in Peru würde irgend jemand einen Zahnarzt besuchen?" Sie lachte leise und bitter. "Es ist lange her, dass die Leute sich den Luxus leisten konnten, sich um ihre Zähne zu kümmern." Auf einmal zeigte sie in die Ferne: "Siehst du den hellen Schein? Das ist die verbotene Zone. Wir kommen näher."

"Sie formten eine Art Geheimbund, der versuchte, das Wissen im Land zu halten. Zu dem Bund gehören all die Berufe, die längst verschwunden sind: Rechtsanwälte, Ärzte, Naturwissenschaftler, sogar Philosophen und Sprachwissenschaftler. Wir haben es geschafft, dieses Wissen über ein Jahrhundert zu retten und sogar zu vertiefen. Was wir heute über die antiken Kulturen wissen, geht weit über das hinaus, was in den Büchern steht. Jedenfalls in den paar, die wir noch haben", fügte sie ein wenig verschämt hinzu. Die Lichter in der Ferne wurden immer deutlicher als hohe Scheinwerfertürme sichtbar. "Warum willst du dann nicht hier bleiben?", fragte ich sie, den Blick fest auf die sich nähernden Scheinwerfer gerichtet.

Sie zögerte ein wenig mit der Antwort. "Weil ich nicht mehr kann. Früher, als ich noch jünger war, träumte ich davon, nach Amerika zu gehen und kofferweise Bücher zu kaufen, an der besten Universität gleichzeitig mehrere Fächer zu studieren und dann mit all diesen Schätzen nach Peru zurückzukehren. Ich träumte von einem Neuanfang und davon, dass ich mit meinen Freunden wieder eine Regierung bilden würde, nach über hundert Jahren die erste. Aber ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr hungern, nicht mehr mein Elend ertragen und erst recht nicht das der anderen. Ich kann nicht mehr die Straßen entlang gehen und vor den kleinen Teufeln wegrennen, die entweder dein Leben oder deine", hier kam ein Wort, das ich nicht verstand, "wollen. Ich will mich einmal ohne Hunger und ohne Angst auf der Straße bewegen können und ich will die Chance haben, meine Künste als Zahnärztin zu beweisen. Ich will nach vorne schauen können, ohne sehen zu müssen, dass meine Mitmenschen immer mehr nach hinten verschwinden. Oh, bitte, ich muss nach Amerika. Du denkst doch an dein Versprechen? Du wirst allen sagen, dass ich dich gerettet habe, nicht wahr?"

Ich versicherte ihr, dass ich, kaum im Hotel angekommen, bereits anfangen würde von ihr zu sprechen. Vielleicht konnte sie meinen ironischen Unterton merken – obwohl es doch heißt, dass die einfachen Völker die Ironie nicht kennen – jedenfalls schaute sie mich merkwürdig an. "Unsere Vorfahren, die Inka, besaßen statt der Zehn Gebote der Christen nur drei. Aber wer diese drei nicht einhielt, der war es nicht würdig, ein Mensch unter Menschen zu sein, und dementsprechend wurde gehandelt. Das erste Gebot ist: Du sollst nicht faul sein, das zweite: Du sollst nicht töten und das dritte: Du sollst nicht lügen." Wir waren fast bei den Scheinwerfern angekommen. Ein großes weißes Tor erschien am Ende der Straße, von dem gleißenden Licht eigentümlich unwirklich beleuchtet. Es sah fast wie ein Gefängnistor aus, und doch erschien es mir wie das Tor zum Paradies.

Aber in dem Augenblick, als wir das Ende der Odyssee erblickten, hörten wir auch ein Geschrei hinter uns. Eifrige Füße kleiner, wilder Menschen waren mit einem Mal hinter uns. Die Bande war uns gefolgt, offenbar ahnend, dass etwas mit mir faul war. Erika schrie: "Lauf! Lauf um dein Leben. Ich halte sie auf. Und vergiss mich nicht! Sag ihnen, dass ich es war, die dich gerettet hat! Lauf! Lauf!" Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich nahm meine Beine in die Hand und rannte, was meine Lunge hergab. Während ich die letzten Meter zum Tor zurücklegte, hoffte ich inständig, dass die Videoanlage funktionieren würde. Hinter mir hörte ich Geschrei, aber ich drehte mich nicht um.

Schon wenige Meter vor dem weißen Ungetüm, fing ich an zu rufen. Ich schlug auf das Tor ein, aber es öffnete sich nicht. Da riss ich meine Verkleidung von mir, schmiss die vermaledeite Mütze in den Dreck, rupfte mir die Lumpen von den Füssen. Da endlich schwang das Tor auf. Ich ließ das Kriegsgeschrei hinter mir. "Ich hätte fast nicht geöffnet, Sir. Mit der Bande Wilder da draußen vor dem Tor, da hätte ich bestimmt nicht geöffnet. Zumal wir doch dachten, dass die ganze Gruppe von den Terroristen festgehalten wird. Wenn ich Ihre Nikes nicht gesehen hätte, Sir, ich hätte ganz sicher nicht geöffnet."

Ich habe meinen Job gekündigt. Ganz zum Leidwesen meiner Chefin, die mir einen wirklich schönen Abschied gab. Mit köstlichem Essen, französischem Champagner und allem Drum und Dran. Ein sehr bewegender Moment. Aber mit dem Geld, das ich durch den Prozess gegen meine Reiseagentur und den Tantiemen für die Veröffentlichung meines Buches: Lima – 2150, ungefähr (ich hatte wirklich Glück mit dem Ghostwriter) verdient habe, kann ich bequem leben. Natürlich habe ich ein paar Dinge geändert: Erika ist in meinem Buch männlich und heißt George oder so ähnlich. Auch vom Visum ist selbstverständlicherweise nicht die Rede. Ein paar Dollars übernehmen dessen Rolle in meinem Bestseller.

Ich denke nicht gerne an sie. Manchmal erinnere ich mich sogar an ihre letzten Worte und dann brauche ich immer eine schöne, heiße Dusche.

Text: Nil Thraby

[druckversion ed 06/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: peru]




[kol_1] Grenzfall: Siroco Andaluz vs. Saaz Damm
Zwei fürs Fest?
 
Vorm Gesetz hat er schon, wie der Einladung zu entnehmen war. Die enge Familie war anwesend. Zumindest die der Braut. Und die recht ausführlich. Mehr fällt mir dazu nicht ein, weil mehr stand da nicht. Ach doch: Die besten müssen immer als erste gehen. Und das mit 44. Liebes Brautpaar, in diesem Sinne...

Mir kullern ein paar Tränchen und das zur Mittagszeit an einem fast normalen Arbeitstag. Grenzenlos euphorische Tränchen verlangen nach einem dem Anlass gebührenden Tröpfchen.

Die Wahl fällt auf einen Traditionshopfen, einen Hopfen aus der Region Saaz in Tschechien. Kultiviert seit über 1000 Jahren! Weiter ist dem Etikett zu entnehmen: Das Resultat ist dieses (katalanische) Bier, mit nur 3,5% Alkohol, mit dem Aroma und dem sanften Geschmack der Liebe... Entschuldigung, aber welch ein Anlass! ... dem leichten Geschmack des aromatischen Hopfens aus Saaz.

Die Verkostung hält, was das Etikett verspricht: Leicht, etwas zitronig, bisweilen fast spritzig, ohne Geschmack im Abgang und ohne Nachgeschmack. Guter Durstlöscher. Solide.

Was schenkt man einem, dem man schon alles geschenkt hat?
Die Pata Negra zur Standesamtlichen hängt erst zur Hälfte verzehrt in der Garage und sogar die Flasche venezolanischen Rums ist noch unangetastet. Da dachte ich mir, lese ich mich mal durch die Schinkenregion. Der unvergessliche Film Jamón Jamón wandert natürlich als erstes in die Tüte. Dann widme ich mich einigen Nächten Uli Wächter und seinem Krimi mit Capitán Centuron – Siroco Andaluz.

Hella aus Hamburg lebt seit ein paar Monaten in dem touristischen Küstenort San Pedro. Ihr Vater wohnt nicht weit entfernt ebenfalls in Andalusien. In Deutschland zurück gelassen hat sie ihren Mann und zwei Kinder. Auf Seite 2 des Prologs bricht ihr ein, bis zur letzten Seite des Buches nicht entlarvter, Mann beim Sex das Genick.

Siroco Andaluz. Ein Krimi mit Capitán Centuron
Autor: Uli Wächter
Taschenbuch: 346 Seiten
Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform (19. Oktober 2012)
ISBN-10: 1480027774 ISBN-13: 978-1480027770
http://sirocoandaluz.com/

Capitán Centuron, kurz Cent, trifft während seiner Ermittlung immer wieder auf Schwierigkeiten. Zu Beginn ist ein Siroco, ein unerträglich heißer Wind, der hohe Temperaturschwankungen auf kleinstem Raum mit sich bringt, Schuld an dem nicht exakt zu bestimmenden Todeszeitpunkt. Dann pfeifen ihn die Vorgesetzten aus den Metropolen Marbella und Granada zurück. Schließlich erfährt er vom LKA Berlin, dass sowohl Hellas dunkelhäutiger Mann, der in Hamburg von Rechtsradikalen ins Koma getreten wurde, während er 50.000 Dollar in bar bei sich trug, wie auch ihr französischer Liebhaber für die deutschen Kriminalbeamten als verdeckte Ermittler tätig sind. Der Franzose fällt damit als Hauptverdächtiger aus und weitere Deutsche und Schweden rücken in den Kreis der potentiellen Täter.

So einfach lässt sich Cent allerdings nicht beeindrucken. Er ermittelt nicht nur weiter, sondern bringt auch noch den Bürgermeister San Pedros zu Fall, indem er dessen Großkorruptionsprojekte an die Presse liefert.

Der Tod Hellas scheint ungesühnt zu bleiben. Fehlen Cent und seinem attraktiven Kollegen Gomez doch die Beweise, den Mörder hinter Gitter zu bringen. Doch noch ist der Kriminalroman ein paar letzte Zeilen lang.

Fazit: Als Geschenk zur Hochzeit taugen weder das leichte spanische Bier Saaz Damm noch der Siroco Andaluz. Es handelt sich zwar um eine in sich schlüssige Kriminalgeschichte, Stellenweise spannend, aber insgesamt ist es doch recht trockene Kost, der vor allem Sprachwitz fehlt. An dieser Stelle soll daher die Hochzeit durch alt Bekanntes gerettet werden: Unbedingt in den Hochzeitssack gehören neben Jamón Jamón die vier Krimis von Robert Wilson: Der Blinde von Sevilla / Die Toten von Santa Clara / Die Maske des Bösen / Andalusisches Requiem.

Text + Foto Saaz: Dirk Klaiber
Foto Siroco Andaluz: amazon

[druckversion ed 06/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]





[kol_2] Amor: Wortspiele und Lebensweisheiten (Teil 12)
 
Original: Todo tiene remedio, menos la muerte.
Wortwörtlich: Alles lässt sich heilen, nur der Tod nicht.
Sinngemäß: Für jedes Problem gibt es eine Lösung, nur für den Tod nicht.



Original: Perro que ladra no muerde.
Wortwörtlich: Hund, der bellt, beißt nicht.
Sinngemäß: Bellende Hunde beißen nicht.

Original: Flores contentan pero no alimentan.
Wortwörtlich: Blumen machen glücklich, aber nicht satt.
Sinngemäß: Von Schönheit allein wird niemand satt.

Original: Para que el vino sepa a vino, se ha de beber con un amigo..
Wortwörtlich: Damit der Wein wie Wein schmeckt, muss man ihn mit einem Freund trinken.
Sinngemäß: Es feiert sich besser mit Freunden.

Original: Quien espera desespera.
Wortwörtlich: Wer abwartet, verzweifelt.
Sinngemäß: Das Hoffen und Harren macht manchen zum Narren.

Original: Del dicho al hecho hay mucho trecho.
Wortwörtlich: Vom Gesagten zum Getanen ist es ein weiter Weg.
Sinngemäß: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

Original: Unos nacen con estrella y otros estrellados.
Wortwörtlich: Die einen werden unter einem glücklichen Stern geboren und die anderen scheitern.
Sinngemäß: Glückskind, Pechvogel

Original: No hay atajo sin trabajo.
Wortwörtlich: Keine Abkürzung ohne Arbeit.
Sinngemäß: Ohne Fleiss kein Preis.



Original: Se agarra antes a un mentiroso que a un cojo.
Wortwörtlich: Man fängt eher einen Lügner als einen Einbeinigen.
Sinngemäß: Lügen haben kurze Beine.

Text: Camila Uzquiano
Fotos: Dirk Klaiber

Und weitere Wortspiele und Weisheiten:
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 1
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 2
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 3
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 4
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 5
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 6
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 7
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 8
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 9
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 10
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 11

[druckversion ed 06/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: amor]





[kol_3] Macht Laune: Auf Spurensuche in Sachen Liebe
Peter Theisens Buch "Liebe in Zeiten der Cola"
 
"Cola schmeckt überall gleich. Aber wie ist es mit der Liebe?" Diese Frage stellte sich Peter Theisen und beschloss, ihr nachzugehen. Eine halbjährliche Weltreise brachte den Journalisten und Single nach Georgien, Sansibar, Samoa und Kolumbien. Nach dem Liebesfrust in der Heimat wollte er sich einfach mal umgucken, wie denn Mann und Frau in anderen Teilen unserer Welt so zur Liebe stehen, welche Rituale sie dabei pflegen und wie, warum und mit wem man sich denn so vor den Traualtar traut.

Liebe in Zeiten der Cola: Von Brautraub bis Online-Dating. Eine Weltreise zu den verrücktesten Liebesritualen
Autor: Peter Theisen
Taschenbuch: 320 Seiten
Verlag: Ullstein eBooks (12. April 2013)
ISBN-10: 3864930138 ISBN-13: 978-3864930133

Herausgekommen ist ein spannender Wälzer über Brautraub, Online-Dating und die freie Liebe in der Südsee. Und über die Untreue von Mann und Frau in Kolumbien.

Schade dass es die ewige, bis zum Tod dauernde Liebe nicht mehr gäbe, lamentiert gleich zu Beginn des mit "Ohne Titten kein Paradies?" betit(t)elten Kapitels über Kolumbien eine Hotelbesitzerin in Cali. Die liest "Die Liebe in den Zeiten der Cholera", das Meisterwerk über die Unmöglichkeit der Liebe.

Theisen hat es ebenfalls im Reisegepäck, gesteht er. Er sei "auf Spurensuche in Sachen Liebe" erklärt er errötend einer hübschen Kolumbianerin, ohne uns jedoch wissen zu lassen, ob es bei ihr oder ihm oder idealerweise beiden gleichzeitig dann auch gefunkt hat. Dafür ist der Autor einfach zu diskret – und wissenschaftlich fokussiert. Wers glaubt?

Immerhin hat Kolumbien ja den Ruf, die schönsten Frauen Lateinamerikas hervorgebracht zu haben. Ob das der Liebe wohl dienlich oder eher abträglich ist? Um das heraus zu bekommen, scheut Theisen nicht einmal vor einem "rein wissenschaftlichen" Besuch in einem Motel zurück. Nur um Bedrückendes herauszufinden: "Treue existiert nicht in diesem Land" – ausgerechnet von einer bezaubernden Frau muss er das erfahren. Frauen wie Männer gingen fleißig fremd, wobei das den Männern im Macholand Kolumbien noch verziehen, den Frauen aber vorgeworfen würde.

Mehr darüber erfährt der Autor später durch die Lektüre des Buches "Sin tetas no hay paraiso", was ihm die Mann-Frau-Beziehungen in Kolumbien erklärt und uns den Titel des Kapitels. Theisen bereist auf seiner Spurensuche in Sachen Liebe neben Cali auch Medellín, Cartagena und Bogotá. Entstanden ist ein spannender Einblick in die kolumbianische Gesellschaft.

Wer nicht wie ich das Vergnügen hat, mit dem Autor jedes Jahr durch die Welt reisen zu dürfen und somit die Erkenntnisse in Sachen Liebe aus erster Hand zu erfahren, wer zudem schon immer wissen wollte, warum Frauen mit langen Nasen besonders toll sind, wie das Matriachat auf Sumatra abläuft und was Felix Magath in Samoa macht, der kommt um "Liebe in Zeiten der Cola" nicht herum.

Empfohlen sei hier außerdem ein interesantes Interview des Autors auf WDR 5:
http://gffstream-4.vo.llnwd.net/c1/m/1368009994/radio/redezeit/wdr5_redezeit_20130508.mp3

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 06/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]





[kol_4] Erlesen: Rap, Reggaetón, and Revolution in Havana
 
Spärlich bekleidete Mädchen auf dem Cover, basslastige Musik und sexistische Texte, das sind die Kennzeichen vieler Reggaetón-Produktionen. Diese in den 1990er Jahren in Panama, New York und Puerto Rico erfundene, aus spanischsprachigem Reggae, Dancehall, Hiphop, Merengue, Salsa u.a. karibischen Rhythmen zusammengemischte Dancefloor-Musik, erreichte zu Beginn des neuen Jahrtausends auch Kuba (in Deutschland gelangte im Jahr 2005 mit Gasolina von Daddy Yankee erstmals ein Reggaetón in die Charts). Denn trotz der US-Blockade orientierten sich die Kubaner immer an den neusten (musikalischen) Entwicklungen in der Karibik und in den USA, wie Geoffrey Baker, Senior Lecturer für Musik an der Universität London, schreibt. Er untersucht in Buena Vista in the Club. Rap, Reggaetón, and Revolution in Havana (Duke University Press, 2011) die Geschichte dieser Musik in Kuba, ihre Bedeutung für die Jugendlichen und die Kulturpolitik, sowie ihren Konkurrenzkampf mit dem kubanischen Hiphop.

Zunächst spielte aber nicht die (kulturelle) Hauptstadt Havanna die führende Rolle in der Adaption des Reggaetón, sondern das rund 1.000 km entfernte Santiago de Cuba, da dort durch die Nähe zu Jamaika und die Ferne von Havanna ausländische Radio- und TV-Sender gut empfangen werden können. Außerdem ist im Osten Kubas der Boden für "schwarze" Musik fruchtbarer, da ein Großteil der Bevölkerung, historisch bedingt, auf haitianische Wurzeln zurückblicken kann. Einmal in Kuba angekommen wurde der Reggaetón begierig aufgenommen, denn die Texte und die rhythmische Musik kommen der sexuell aufgeladenen Stimmung bei vielen Parties ebenso entgegen, wie der anzügliche Tanz, perreo genannt (von span. perro = Hund): junge Kubaner haben nur sehr wenige Möglichkeiten ihre Freizeit zu gestalten. Baker sieht zudem im "new materialism" einen Grund für das ab dem Jahr 2002 grassierende Reggaetón-Fieber. Dieser konnte ... nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Blocks - durch die schrittweise Öffnung der Insel ab den 1990er Jahren für Touristen und ausländische Konsumprodukte entstehen, vor allem unter Jugendlichen, die die Zustände vor der Revolution nicht kannten und mit dem Status Quo unzufrieden waren. In kürzester Zeit wurde der Reggaetón auch zu einem (kleinen) Wirtschaftsfaktor, denn einige reguetoneros hatten schnell Erfolg - auch im Ausland (Karibik) - und wurden von der im Jahr 2002 gegründeten, staatlichen Agencia Cubana de Rap gefördert, da sie meistens aus der Hiphop-Szene stammten. Schnell entbrannte daraufhin eine Diskussion um die Kommerzialisierung der Musik, was zu einer Spaltung der Szene führte, in reguetoneros und "wahre" Rapper: "...rap has been utterly overshadowed first by timba (Cuban salsa) and then by reggaetón...", schreibt Baker (S. 20), und weist weiterhin auf einen wichtigen Punkt hin: "...yet these forms of commercial popular music [...] have received considerably less attention from overseas. [...] The enthusiasm for rap and lack of curiosity about reggaetón..." waren ein Antrieb für seine Studie, die er während vieler Besuche in Kuba von einem neutralen Standpunkt aus geschrieben hat, denn er ist kein "hip hop head" (S. 26).

Geoffrey Baker
Rap, Reggaetón, and Revolution in Havana
Duke University Press Books

Baker beschreibt den Konflikt zwischen reguetoneros und Rappern und wendet sich dann dem Hiphop zu, der Ende der 1980er Jahre via Radio und TV aus Miami nach Kuba gelangt war und dort während der período especial (Spezialperiode in Friedenszeiten, ein Euphemismus für die katastrophale Unterversorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen zu Beginn der 90er Jahre) zur Blüte gelangte, weil die jugendlichen Rapper so ihren Frust über die neu entstehende Zweiklassengesellschaft artikulieren konnten. Er stellt zu Recht die Frage, was den kubanischen Hiphop so interessant oder zumindest interessanter als brasilianischen oder französischen macht? Es ist die Beziehung zum eigenen Staat und gleichzeitig zu den USA. Baker beschäftigt sich intensiv mit der Verbindung der kubanischen Hiphopper zu den schwarzen Bürgerrechtlern in den USA (denn auf Kuba lebt im Exil die U.S.-Bürgerrechtlerin Assata Shakur) und dem U.S.-Hiphop. Er stellt die historische Kontinuität in den (kulturellen) Beziehungen zwischen beiden Ländern dar, die erst durch die Revolution von 1959 unterbrochen wurde (S. 69ff.) und schildert wie "the music of the enemy" erst abgelehnt und dann vom Staat vereinnahmt wurde. Denn zunächst erging es dem Rap nicht anders als zuvor dem Jazz und dem Rock: Es gab keine Auftrittsmöglichkeiten und erst recht keinen Zugang zu den staatlichen Aufnahmestudios und Medien. Trotzdem kursierten überall selbstproduzierte Tapes mit kubanischem Rap. Irgendwann bemerkten die Behörden, dass sich auch diese Musik nicht eindämmen ließ, und versuchten sie zu kanalisieren. Von da an handelte es sich, laut Kulturministerium, um einen authentischen Ausdruck kubanischer Kultur. Die Nationalisierung des Rap ist vor allem einzelnen reformistischen Funktionären, allen voran Kulturminister Abel Prieto, zu verdanken. Er, ein bekennender Beatles-Fan, der auch hinter der Aufstellung einer John-Lennon-Statue in Havanna im Jahr 2000 stand, unterstützte die Rapper und gründete die Agencia Cubana de Rap, die Material und Geld zur Verfügung stellte, allerdings eher schmal ausgestattet und auch nur für ausgesuchte Künstler (nach künstlerischen und politischen Kriterien). Zu dem seit 1995 existierenden Hiphop-Festival in Alamar, das die Agencia Cubana de Rap bis 2005 förderte, wurden sogar vereinzelt U.S.-Rapper eingeladen, was nicht einfach war, denn auch die USA blockieren durch Reisebestimmungen den künstlerischen Austausch. So dürfen U.S.-Künstler nur selten nach Kuba reisen, kubanische Künstler -je nach politischer Großwetterlage- selten oder gar nicht in die USA einreisen. Der texanische Musikprofessor Robin Moore schreibt dazu: "Cuba may be the only country in the world to be treated [by the U.S.] in this extreme fashion".

Das Verhältnis zwischen Rappern und Staat blieb gespannt, denn in den Texte wurden oft die sozialen Verhältnisse kritisiert oder einzelnen Helden der Revolution, Baker gibt dazu einige Beispiele (S. 49ff.). Andererseits wäre es bis Anfang der 1990er Jahre in Kuba unmöglich gewesen einen Text über eine Prostituierte zu rappen, wie es die Gruppe Primera Base 1997 tat. Der Aufstieg des Reggaetón, die Spannungen innerhalb der Hiphop-Szene und mit den staatlichen Stellen führten schließlich im Jahr 2005 zum Ende des einzigen offiziellen Hiphop-Festivals und zu einer Schwächung dieser Musik. Mit dem Erfolg des Hiphop-Duos Los Aldeanos, dessen Karriere Baker intensiv begleitet hat, seit dem Jahr 2007, erfuhr sie noch mal einen kurzen Aufschwung. Aber Mitte 2009 erhielt das Duo wegen seiner Texte und seiner stark antirevolutionären Äußerungen in ausländischen Medien ein Auftrittsverbot, womit eine weitere Diskreditierung der gesamten Hiphop-Szene verbunden war. Die Sanktionen wurden zwar im Jahr 2010 widerrufen, aber selbst nach der staatlichen "Rehabilitierung" des Hiphop blieb es schwierig, da z.B. die Medien einer eigenen Politik folgen und diese Musik nach wie vor weitestgehend missachten. Baker hat während seiner Aufenthalte viele Interviews geführt und stellt diese Entwicklungen sehr kenntnisreich dar. Er kommt zu dem Schluss, dass nicht nur der Staat verantwortlich ist für den Niedergang der Hiphop-Szene, sondern auch die internationale Entwicklung, in der der Hiphop als Musikrichtung und Sprachrohr an Einfluss verloren hat. Auch war der Hiphop nicht stark genug in der kubanischen Gesellschaft verankert, seine Botschaften zu schwach, um mehr zu sein als eine Musik der Jugend. Die Rapper begriffen sich zeitweise als die "Che Guevaras of global hiphop" (S. 346), doch das war eine Illusion, die vor allem von außen befeuert wurde.

Heute wird weniger Rap produziert, doch dank der sich verbreitenden neuen Technologien - Internet, mp3 etc. - gibt es trotzdem mehr Hörer (auch international). Der Hiphop ist nun einfach ein weiterer Stil auf der Insel der Musik, ein Schicksal, das auch den Reggaetón ereilen wird! Revolutionär - wie der Untertitel des Buches suggerieren könnte - waren beide Musikstile nicht, denn die meisten Rapper erkannten schnell, dass es besser war, sich mit den Institutionen zu arrangieren, der Reggaetón hatte ohnehin keine politischen Ambitionen. Abgesehen davon hat es seit 1959 in Kuba keine Revolutionen mehr gegeben, weder in der Musik noch in der Politik, es gibt nur Reformen und selbst die bezeichnen die meisten Kubaner als "Kosmetik".

Ein besonderer Verdienst von Baker ist: Er zeigt immer wieder auf, wie die Phänomene "Reggaetón" und "Hiphop" von ausländischen Beobachtern und Forschern aus Unkenntnis oder Sensationslust vereinfacht und/oder übertrieben dargestellt werden/wurden: "foreign visions helped to construct local realities" (S. 343). So beschäftigten sich z.B. Forscher mit den Aussagen und vermeintlichen Auswirkungen des Songs "Tengo" der Gruppe Hermanos de Causa ohne zu hinterfragen, ob dieser den Jugendlichen in Havanna bekannt war, was nämlich kaum der Fall war, da er in New York produziert worden war und nicht auf Tapes kursierte. Den Akademikern gefiel aber, dass er auf Versen des Poeten Nicolás Guillén basierte und kubanische Musikelemente enthielt (S. 291). Ausländer haben übrigens auch die ersten CDs mit kubanischem Hiphop produziert, um ihn international zu vermarkten, und das Subgenre Cubatón promotet (das Schweizer Label Atena Music), eine Mischung aus Reggaetón und Timba. Und kubanische Elemente in der Hiphop-Musik werden häufiger von im Ausland lebenden Interpreten - z.B. der in Paris erfolgreichen Hiphop-Band Orishas - benutzt, als von Bands in Havanna. Geoffrey Bakers Studie ist ein detail- und kenntnisreiches Buch (dem ein separates Tonträgerverzeichnis noch gut getan hätte) über die Musikszene in Havanna, das eine Lücke in der Musikforschung zu Kuba schließt.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 06/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: erlesen]





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