caiman.de 05/2010

[kol_1] Grenzfall: 12 Stunden Madrid
Inzwischen kann ich Eyjafjallajökull fehlerfrei aussprechen
 
Fünf von zehn Tagen der Reise durch Zentralamerika war Eyjafjallajökull kein Begriff für mich. Ich wusste ja noch nicht mal, dass Island neben einem marodierenden Bankwesen auch noch einen potenziell aschespeienden Vulkan besitzt. Gleich zwei Mal binnen eines Jahres also kommt dieses kleine Land auf die Titelseiten der Presse. Was zuvor im Fernsehen bei CNN oder BBC noch fernen Dokumentationscharakter hatte, ist am Madrider Airport Ruben Barajas allzu schnell in harte Realität umgeschlagen. Weil der Luftraum über Europa weitgehend geschlossen bleibt, geht ganz einfach gar nichts mehr. Inzwischen kann ich Eyjafjallajökull fehlerfrei aussprechen. Nun ja, zumindest beinahe.



Direkt nach dem zehnstündigen Flug aus dem pulsierenden Panama City reiht man sich direkt nach der Ankunft in Madrid, Ruben Barajas brav in die Schlange ein, um am Schalter über das weitere Vorgehen informiert zu werden. 15 Minuten, eine halbe Stunde, schließlich ist die Stunde voll und man noch immer nicht an der Reihe. In der Zwischenzeit schafft es die spanische Iberia nicht, das Personal so aufzustocken, dass eine vernünftige Betreuung der Passagiere möglich ist. Kein Gruppieren von Passagieren, die offensichtlich die gleichen Flugziele haben. Nur einige wenige Fluggäste nehmen das dann selbst in die Hand. Vorne am Schalter angekommen, wird man lediglich auf die weiteren Schalter im Check-In-Bereich verwiesen. "Es ist einfach unglaublich", schimpft eine sichtlich erschöpfte Engländerin, die nach London Heathrow muss. "Man erhält nicht eine brauchbare Info. Alles muss man sich erfragen, niemand kümmert sich um irgendetwas. Das ist schon sehr ernüchternd", so die 31-jährige weiter.

Anderen Fluggästen geht es ähnlich. Gabriela und Sergio aus Uruguay wollen nach Deutschland und stecken jetzt in einer der unzähligen Schlangen fest. Den Start ihrer Europareise haben sich die beiden etwas anders vorgestellt. "Wir sollten jetzt schon in München sein, stattdessen verfrachten sie uns in den Bus nach Frankfurt", lautet ihr Kommentar. Weitere Busse fahren nach Paris und Brüssel. Ein junger Argentinier will nach Berlin und steht ebenso brav in der Schlange. Er lacht. "Was bleibt denn anderes übrig? Ich hab schon gefragt, ob es irgendeine Kompensation gibt, aber da stellt sich die Airline stur. Von Frankfurt aus muss ich selbst schauen, wie ich nach Berlin komme. Bleibe ich in Madrid, muss ich die Kosten für Hotel und Essen selber bezahlen. Dann doch lieber weiter.",



Ich will nicht mit dem Bus nach Deutschland fahren, egal wohin. 30 Stunden in einem gewöhnlichen Bus ist nicht das, wovon ich geträumt habe. In Bolivien wäre das was anderes, aber mit Überschreiten gewisser Staatsgebiete steigt die eigene Bequemlichkeit nicht selten überproportional. Ich lasse mich erschöpft noch auf irgendeine Liste für einen Flug gen München am nächsten Nachmittag setzen und tue das, was ich schon längst hätte tun sollen: Ich steige in die Metro und fahre in die Innenstadt.

Draußen wird es bereits dunkel und ich muss daran denken, dass ich noch nie in Madrid gewesen bin. Lateinamerika kenne ich nun wirklich gut, Spanien mit Ausnahme von Barcelona - wobei das die Katalanen ja auch wieder anders sehen - ist ein unbeschriebenes Blatt. Bewaffnet mit meinem Krimskrams, einigen Hotellisten und einem rudimentären Stadtplan fahre ich gen Sonne. "Sol" wird mir als Zentrum genannt und nach einem halben Tag des Rumstehens am Flughafen täte ein bisschen Sonne wirklich gut. Auf dem Weg dorthin muss ich drei Mal umsteigen und durchforste die Listen. Vergebene Liebesmühe. Gibt es etwas Abtörnenderes als sich um halb 11 Uhr nachts noch ein Hotel aus einer Liste herauszupicken? Eben. Beim Hinausgehen gen Sonne frage ich kurzerhand zwei junge Madrilenen. Bereitwillig geben sie mir Ratschläge und sie kennen sich erstaunlich gut aus. "Wir arbeiten im Tourismus", erklärt Ana lächelnd.

So schnell wie ich mir das vorgestellt habe, stehe ich in einer schicken Hotellobby, gebe meine Kreditkarte ab und bin seltsam glücklich. Dann aber meldet sich mein Bauch und der will mit mir hinaus in die milde Nacht. "La Latina" wird mir von José dem Nachtportier empfohlen. "Da gibt's viele Tapasbars und man kann gepflegt Wein oder Bier trinken." Nachtportiers scheinen ein geschultes Auge für ihre Klientel zu haben. Ich gehe durch die Nacht und in Richtung der Straßen Cava Baja und Grafal. Ein klein wenig Sightseeing darf natürlich nicht fehlen. Wie ferngesteuert komme ich tatsächlich am Plaza Mayor vorbei und dort versucht man natürlich gerne, einen Gestrandeten in eines der Restaurants zu locken. Lachend lehne ich ab, erfreue mich daran, dass mitten unter der Woche in Madrid um halb 12 noch einiges auf den Beinen ist und biege nach zweimaligem Nachfragen in die Cava Baja ein.



Wer wie ich noch nie in der spanischen Hauptstadt war und die Nacht liebt, der muss hierher. Das wird mir klar, als ich links und rechts schon auf den ersten 20 Metern fast ebenso viele kleine Bars und Spelunken sehe - eine einladender als die andere. Ich lasse mich treiben, gehe vorbei an La Concha, La Chata, Tomás, Casa Lucas und etlichen anderen. Ich entscheide mich für das Tempranillo und habe Mühe, überhaupt an die Theke zu kommen. Eine Menge Leute tummeln sich hier. Aber die Madrilenen sind ein geduldiges Volk und schneller als ich es mir hätte erträumen lassen, stehe ich an der Theke, drei Tapas-Teller vor mir und ein Gläschen Wein. Solo Vino Español steht auf einem Schild direkt am mächtigen Weinregal. Wenn ich das nächste Mal nach Madrid kommen sollte, werde ich mich durch das Regal testen, das ist sicher. In dieser Nacht jedoch ist daran nicht zu denken. So voll es auch beim Betreten in der kleinen Bar war, so schnell wollen die Spanier wohl unter der Woche auch wieder ins Bett. Ehe ich den letzten Bissen genossen habe, bin ich quasi allein. Nur der Batista und ein Kellner leisten mir Gesellschaft, sind aber nicht sonderlich erfreut, als ich noch ein Glas Wein ordern möchte.

Lange halte ich mich am Weinglas nicht fest, dann hat mich die Abendluft wieder. So lebhaft es auf dem Hinweg zugegangen sein mag, so hochgeklappt erscheinen mir jetzt die Bürgersteige. Die Stadt scheint ausgestorben. Wo ist sie nur, diese nie endend wollende Lebensfreude, die Herzlichkeit, das Liebenswerte? Oder reicht ein zweistündiger Aufenthalt in einer Tapas-Bar hierfür nicht aus? Immerhin, die paar Stunden am nächsten Morgen, ehe ich erneut zum Flughafen muss, habe ich für einen kleinen Stadtrundgang genutzt. Keine Frage, ich werde wohl bald wiederkommen müssen, um mir ein umfassenderes Bild von den Leuten und Madrid zu machen. Denn eins ist klar: Die (Innen-)Stadt hat Charme und kann sich durchaus sehen lassen.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

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