brasilien: Maria Fumaça und das Spanferkel
Einblicke in das koloniale Tiradentes
THOMAS MILZ
[art. 1]
lateinamerika: Papst gesucht
BERTHOLD VOLBERG
[art. 2]
brasilien: Olinda - Oh! Schöne Lage für ein Städtchen
NICO CZAJA
[art. 3]
uruguay: La Vela Puerca
ANDREAS DAUERER
[art. 4]
grenzfall: Kunstwerke oder sakrale Kitschobjekte
Jesuskinder in Spanien und Lateinamerika
BERTHOLD VOLBERG
[kol. 1]
amor: Die Estrada Real – dem Reichtum auf der Spur
THOMAS MILZ
[kol. 2]
lauschrausch: Weltmusikmesse Womex II
TORSTEN EßER
[kol. 3]
macht laune: Rum-Gespiele mit einheitlichen Ortsschildern
DIRK KLAIBER
[kol. 4]





[art_1] Brasil: Maria Fumaça und das Spanferkel - Einblicke in das koloniale Tiradentes

Aus weit aufgerissenen Augen starren die Frauen auf die Straße hinaus, ihre in bunte Kleider gehüllten Körper auf die Fensterbretter gelehnt. Sie scheinen zu träumen, doch wenn man ihnen näher kommt, entdeckt man ihre wahre Natur: sie sind aus Holz geschnitzt, und in der ganzen Stadt begegnet man dem neuesten Trend in Sachen Mitbringsel. Im Stadtzentrum, wenn man die Gegend um den zentralen Platz, den Largo das Forras denn so nennen möchte, finden sich zahlreiche kleinere Geschäfte, die dieses und ähnliches Kunsthandwerk anbieten.


Ganz im Gegensatz zu den Frauen aus Holz hat das Spanferkel schon lange seine Augen geschlossen. Mit einem eigens gebastelten Handgrillgerät gibt Chefkoch Dr. Luiz Ney dem bereits einige Stunden über dem Feuer gebratenen Spanferkel den letzten Schliff. "Die Haut muss Blasen werfen, knusprig werden, aber man muss vorsichtig sein, damit das Spanferkel nicht verbrennt."

Von allen Seiten drängen sich die schaulustigen Besucher der Villa Paolucci um das sich unter der Hitze krümmende Ferkel. "Leitão a pururuca" nennt Dr. Luiz Ney seine Spezialität. Eigentlich Arzt von Beruf, lässt er es sich nicht nehmen, jedes Wochenende den Gästen seiner opulenten Pousada dieses extravagante kulinarische Spektakel zu servieren.

Die Pousada, eigentlich eine fürstliche Fazenda aus vergangenen Tagen, grenzt direkt an das kleine Städtchen Tiradentes mit seinen nicht einmal 6.000 Einwohnern. Im Hintergrund richtet sich die beindruckende Gebirgswand der Serra de São José auf, und das Haupthaus der Fazenda ist umringt von 800.000 Quadratmetern reinster Mata Atlântica, dem dichten Regenwald der brasilianischen Küstenregion.

Ob die düsteren Figuren des nur einige Minuten entfernt gelegenen São José Springbrunnens aus dem Jahre 1749 ihre Augen geöffnet haben oder nicht, kann nicht wirklich geklärt werden. Aus ihren Mündern entspringt ein weiter Wasserstrahl, an dem sich die Kinder des Städtchens nach einer deftigen Partie Querfeldeinfußballs erfrischen. Der Springbrunnen soll São José de Botas darstellen, doch niemand kann sagen, wer das war oder sein soll. Einige Meter weiter plätschert das Wasser des kleinen Flusses Santo Antônio daher, und Familien picknicken auf den Wiesen rund um den idyllischen Springbrunnen.


Nur einige hundert Meter weiter steht das Haus des Padre Toledo, in dem sich einst die Verschwörer der ersten brasilianischen Unabhängigkeitsbewegung trafen, um ihre Pläne für eine Loslösung Brasiliens von Portugal zu schmieden. Das war 1788, und heute beherbergt das Haus ein Museum, in dem 250 Jahre alte Möbel einen Eindruck von früheren Wohlwelten vermitteln. So sehen wir das Bett von Carlos Correia de Toledo e Mello, so des Padres vollständiger prunkvoller Name, in dem er wohl in den Jahren zwischen 1777 und 1789 geschlafen hat.

Ein Blick durch die reich verzierten Fenster des Hauses verrät, dass draußen auf den Straßen Tiradentes ein brasilianischer Fernsehsender eine Telenovela vor historischer Kulisse dreht. Überall stehen Technikwagen herum, und böse schimpfen die Touristen auf die moderne Technik, die ihnen die schönsten 18. Jahrhundert-Postkartenmotive verstellt.

Draußen vor der Stadt führt eine Brücke über den Rio das Mortes hinaus zur Bahnstation. Von hier aus fährt am Wochenende zweimal täglich der kleine Zug ins 12 Kilometer entfernt gelegene São João del-Rei ab. Um die Lokomotive, "Maria Fumaça", "Dampfmaria" genannt, drängeln sich die Schaulustigen. Die rumpelige Fahrt mit rauschenden 20 Stundenkilometern an grünen Wiesen zu Füßen der Serra de São José vorbei und dem Rio das Mortes entlang dauert 35 Minuten.

Vor der Station in Tiradentes wartet ein Ochsenwagen, "boi-taxi" genannt, auf Fahrgäste, die es nicht ganz so eilig haben. Während der eine Ochse ganz interessiert daherkommt und vergeblich versucht, das Objektiv der Kamera abzulecken, döst sein Kumpel mit geschlossenen Augen selig vor sich hin.


Ob den beiden wohl bewusst ist, dass ihre kleine Stadt nach Brasiliens Nationalhelden Nummer 1 benannt ist, dem hier im Jahre 1746 geborenen Joaquim José da Silva Xavier, genannt "Tiradentes", der "Zahnzieher", da er in der portugiesischen Kolonialarmee als Zahnarzt tätig war. Ihm zu Ehren erhielt die kleine Stadt nach Abschaffung des Kaiserreichs und Ausrufung der Republik im Jahre 1889 den Namen ihres berühmtesten Sohnes.

Dabei war Tiradentes, will man der jüngeren Geschichtsforschung glauben, gar keine der führenden Persönlichkeiten der Verschwörung von Minas Gerais, die 1789 versuchte, Brasiliens Unabhängigkeit von Portugal zu erzwingen. Eher sieht es so aus, als ob die wirklichen Drahtzieher der Verschwörung den geistig nicht wirklich fitten Tiradentes ans Messer geliefert haben, um den eigenen Kopf zu retten.

Fakt ist jedenfalls, dass Tiradentes der einzige Verschwörer war, der für seinen Verrat an der portugiesischen Krone mit dem Leben bezahlen musste. Während die eigentlichen Köpfe der Verschwörung einige Jahre Zwangsverbannung in Afrika absaßen, teilte man Tiradentes Körper vor den Augen der versammelten Volksmasse von Rio de Janeiro in vier ungleiche Teile.


Wie den beiden berühmten Bildern "Tiradentes esquartejado", "Tiradentes gevierteilt" von Pedro Américo, und "Martírio de Tiradentes", "Das Martyrium von Tiradentes" von Aurélio de Figueiredo zu entnehmen ist, handelte es sich dabei um folgende Körperteile: der Oberkörper samt Armen, dem linken Bein, dem rechten Bein und schließlich dem völlig losgelösten Kopf. So sehen wir einen von den bösen Besatzern Brasiliens hingerichteten Tiradentes, der sein Leben hingab, um sein Volk zu befreien - näher kann man Jesus gar nicht mehr kommen.

Tiradentes Augen sind geschlossen, so wie die des Ochsen. Wovon er wohl träumt?

Text + Fotos: Thomas Milz






[art_2] Lateinamerika: Papst gesucht

Der Heilige Geist hat geschlafen. Tief und fest. Oder er wurde beim Ausrufen des Votums in die finsterste Ecke der Sixtinischen Kapelle gedrängt – vom Geist der Feigheit. Anders lässt sich nicht erklären, dass ausgerechnet der Name Ratzinger auf mindestens zwei Dritteln der Stimmzettel geschrieben stand, die unter den Posaunen des "Jüngsten Gerichts" von Michelangelo verlesen wurden.

Kardinal Ratzinger: der eiskalte Dogmen-Technokrat und Pharisäer, der Hohepriester der Inquisition, der Lichtjahre entfernt ist vom Geist christlicher (Nächsten-) Liebe, weil für ihn unter den drei theologalen Tugenden stets nur der Glaube zählte, den er mit unerbittlicher Härte gegen alle "Unreinheiten" verteidigte. Von Liebe oder vom Beispiel des "Guten Hirten" war dabei nichts zu spüren.

Und er war und ist Lichtjahre entfernt von über zwei Dritteln seiner Herde: den ca. 1,3 Milliarden Katholiken. Er ist ein Papst – wenn überhaupt – für die Belange Europas, ein Papst der reichen, alten und müden Kirche. Seine Wahl ist eine Ohrfeige für den katholischen Kontinent Lateinamerika, ebenso wie für die Kirche Afrikas. Und sie bedeutet eine indirekte Verhöhnung aller Frauen, die für ihn nur Christen zweiter Klasse sind.

Mit großem Mißtrauen, teilweise mit offener Verärgerung, ist die Wahl Ratzingers in weiten Teilen der Kirche Lateinamerikas aufgenommen worden. Allzu frisch ist die Erinnerung an die vatikanische Doppelmoral Ratzingerscher Prägung bei der Definition der politischen Rolle der Kirche. Während in Polen die Solidarnosc-Aktivisten ermuntert wurden, mit Papstbildern in der Hand gegen das kommunistische Regime zu demonstrieren und die polnische Kirche keineswegs zu politischer Neutralität angehalten war, erstickte Ratzinger fast gleichzeitig jede politische Äußerung der Befreiungstheologie in Lateinamerika im Keim und verhängte altgedienten Priestern wie Ernesto Cardenal und Leonardo Boff "Maulkörbe".

Während das Papsttum gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts entscheidend zum Fall des Kommunismus beigetragen hat – und dies war zweifellos ein persönlicher Verdienst von Papst Johannes Paul II. – haben weder er noch sein Nachfolger Ratzinger dem Hauptfeind der Kirche, dem entfesselten Kapitalismus, die Stirn geboten. Und Ratzingers Wahl beweist, dass die Führung der (noch) größten Glaubensgemeinschaft der Welt den Schritt ins dritte Jahrtausend eindeutig verpasst hat. Ratzinger bedeutet Rückschritt. Und vielleicht sogar erneute Kirchenspaltung. Denn Lateinamerika, Heimat von weit mehr als der Hälfte aller Katholiken, wird es sich nicht mehr lange bieten lassen, durch Verlautbarungen aus dem fernen Vatikanspalast bevormundet zu werden. Als ob Rom noch der Mittelpunkt der Welt wäre! Ratzingers Pontifikat wird weiterhin römisch-europäischen Zentralismus bedeuten. Man kann es auch klerikalen Kolonialismus nennen, was von ihm und all den überflüssigen, obskuren Kurienkardinälen im vatikanischen Elfenbeinturm an Regeln für die Weltkirche ersonnen wird. Mit salbungsvollen theologischen Floskeln betreibt der Vatikan nur mühsam verhüllte Machtpolitik zur Stärkung der römischen Zentralmacht und ihrer Pfründe. Wie weit hat sich dieses bürokratische Konstrukt von der Botschaft Christi entfernt!

Es scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein, einen Gegenpapst auszurufen – dort, wo das Herz der katholischen Christenheit schlägt: in Salvador da Bahía, dem "schwarzen Rom" der größten katholischen Nation Brasilien oder in Congonhas do Campo oder in Guadalupe (Mexiko), wo alljährlich mehr Menschen hin pilgern als zum Petersdom.



Congonhas:
Das Santuário de Bom Jesus de Matosinhos

Denn abgehoben in seinem römischen Elfenbeinturm sieht Ratzinger alias Benedikt XVI. nichts vom alltäglichen Elend der Favelas von Río de Janeiro, Lima, Mexiko und Bogotá oder vom Kampf landloser Tagelöhner um ein paar Hektar Ackerland. Dort stehen nur – verlassen, ja teilweise gar bekämpft von Rom – mutige Priester und Nonnen Lateinamerikas. Seite an Seite mit den Armen trotzen sie lokalen Großgrundbesitzern und ihren Privatarmeen sowie der vielköpfigen Hydra des globalisierten Großkapitals. Wie wird der zukünftige Papst dem Drängen der Verzweifelten begegnen? Wohl wie der vergangene Pontifex Maximus: mit Schweigen. Denn wieso haben Johannes Paul II. und Ratzinger nicht die Mörder von Erzbischof Romero in San Salvador angeklagt – obwohl das ganze Land sie kannte und sie dort noch immer mehr oder weniger regieren? Wieso hat das Papsttum nicht seine Allmacht eingesetzt, um entseelte Verbrecher gegen die Menschlichkeit wie den Saravia-Clan in El Salvador und seinen Schlächter D`Aubuisson oder Pinochet in Chile oder General Videla in Argentinien zu exkommunizieren, statt sie mit Staatsbesuchen indirekt zu ehren? Gewiss ist das Reich der Kirche nicht von dieser Welt, aber die Heilige Kommunion in Hände von Diktatoren zu legen, die vom Blut Tausender befleckt sind, ist durch keine theologische Spitzfindigkeit mehr zu rechtfertigen.

Während sich auch der neue Papst wie schon zu seinen Kardinalszeiten immer wieder gern und ungefragt zu Wort melden wird, wenn es um so "elementare" Fragen wie die Beischlaf-Gewohnheiten und sexuellen Vorlieben seiner Schäflein und Hirten geht, wird das päpstliche Schweigen wohl in den wahren Schicksalsfragen der Menschheit, vor allem in außereuropäischen Gebieten seine Fortsetzung finden. In Afrika zum Beispiel muss Benedikt XVI. auch keine Aidswaisen in den Arm nehmen – es sei denn demnächst für ein publikumswirksames Foto. Ein Hauptgrund, warum es diese vergessenen Kinder einer verlorenen Generation überhaupt gibt: der unheilige Vater Benedikt XVI. wird, wie vor ihm Ratzinger, die Aids-Katastrophe eiskalt ignorieren, Kondome verdammen und damit dem Todesvirus alle Tore öffnen.

Es bleibt also zu befürchten, dass Benedikt XVI. die Bürokratisierung des Glaubens weiterhin vorantreiben, dass während seiner Regierungszeit die frauenverachtende, obskure Sekte des Opus Dei (welch eine Hybris des krankhaften Gründers, schnödes Menschenwerk als Werk Gottes zu bezeichnen!) sich weiter wie eine Pest ausbreiten wird und dass zu den wirklich elementaren Problemen der fernen Peripherie in Lateinamerika (Massenarmut, Aids, Globalisierungsfolgen) im Vatikanspalast bequem geschwiegen wird, um die größten Kirchensteuer-Zahler nicht zu verschrecken.

Aber schon erhebt sich wahre Erleuchtung gegen den realitätsfernen Imperator aus dem hochmütigen Rom. Siehe, der lateinamerikanische Luther naht! Heiliger Geist, erwache!

Text: Berthold Volberg
Foto: Thomas Milz






[art_3] Brasilien: Olinda - Oh! Schöne Lage für ein Städtchen

Dem Namen Olindas, so weiß ein jeder Olindenser zu berichten, liegt eine Geschichte zugrunde: Als der Portugiese Duarte Coelho sich mit seinen Männern Mitte des sechzehnten Jahrhunderts auf der Suche nach einem geeigneten Ort für seine Hauptstadt durch den Regenwald seiner neu gegründeten Kapitanie Pernambuco schlug, fand er sich unvermittelt auf der Kuppe eines Hügels wieder, zu dessen Füßen sich ein phantastisches Panorama bot: Der Wald reichte bis an den leuchtend weißen Strand, der sich von Nord nach Süd zog, so weit das Auge blickte, in sanftem Bogen eine große Bucht umschließend.

Das Meer so grün und klar, der Himmel so blau und weit, alles gewiß um so beeindruckender nach der halben Ewigkeit, die sich Coelho und sein kleiner Trupp mit der Machete durch die dichte Vegetation hatten kämpfen müssen - kurz gesagt, der sonst so nüchterne Portugiese wurde vom Anblick übermannt und seufzte lyrisch bewegt: "O schöne Lage für ein Städtchen!".


Geblieben ist "O schöne", auf portugiesisch Olinda.

Ich weiß nicht, ob die Geschichte stimmt, doch man kann diesem romantisch-verklärten Gründungsmythos zumindest eines zur Last legen: Die Indianer, die erst einmal in brutalen Kämpfen von diesem Hügel, den Coelho sich für sein friedliches Städtchen auserkoren hatte, vertrieben werden mussten, kommen nicht darin vor. Ungeachtet dessen lässt sich jedoch nicht leugnen, dass das erste, was ich dachte, als ich ein paar hundert Jahre nach dem Gründervater vom selben Hügel blickte, eine ähnliche Richtung nahm: So eine Aussicht hatte sich mir noch nirgendwo geboten.

Wäre ich also Coelho im sechzehnten Jahrhundert gewesen, und hätte es zu diesem Zeitpunkt einen Geschichtsschreiber in der Nähe gegeben, mit einem gewissen Talent dafür, die Fakten in eine der Erhabenheit der Geschichtsschreibung angemessene Form zu bringen, hieße die Stadt heute genauso.

Der Wald ist inzwischen ein bisschen weniger dicht, der Strand ein bisschen weniger weiß und das Meer ein bisschen weniger klar, aber Olinda hat auch in der Gegenwart einen Charme, der sich auf der Welt nicht leicht ein zweites Mal finden lässt.

Die Stadt ist eine weit ausgedehnte Metropole mit 350.000 Einwohnern, aber der historische Kern Olindas ist recht klein, fast wie ein Dorf inmitten einer Großstadt. Die "Cidade Alta", die Oberstadt, ist alt, eine der ältesten Brasiliens, und diese alte Dame auf dem Hügel hat schon einiges Kommen und Gehen der verschiedensten Gestalten gesehen.

Bald nach der Gründung der Stadt wurde in der Umgebung in großem Maßstab Zuckerrohr gepflanzt. Ein kleines Stück weiter südlich in der Bucht von Olinda fanden sich exzellente Bedingungen für einen Hafen: Mehrere Flussmündungen und ein natürliches Becken, rundum geschützt von Riffen, auf portugiesisch arrecifes. Man errichtete ein paar Hütten und einen Steg, um von dort aus den Zucker ins Mutterland, nach Portugal, zu verschiffen. Es dauerte nicht lange, und man sprach von diesem kleinen Ort, der noch kaum den Namen Siedlung verdiente, als Recife.

So lebten in Olinda die reichen Zuckerbarone, die sich gegenseitig im Errichten von Kirchen und im Ausrichten von Festen zu übertreffen versuchten, während auf ihren Plantagen Sklaven die Arbeit machten. In Recife hingegen, das schnell wuchs, wanderten immer mehr Händler aus Portugal ein, die sich um den Export aus der inzwischen blühenden Hafenstadt kümmerten. Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts waren Olinda und Recife die reichsten Städte Brasiliens, mit Ausnahme vielleicht von Salvador da Bahia, der damaligen Hauptstadt des Landes. Pernambuco galt als eine der teuersten Gegenden der Welt.

1624 dann begann die Offensive der Holländer im Nordosten Brasiliens, die ebenfalls einen kolonialen Fuß in die Tür bekommen wollten, und es dauerte dreißig Jahre, bis es den Portugiesen gelang, sie zur Kapitulation zu zwingen - und auch dann nur, weil den holländischen Invasoren die finanziellen Mittel ausgingen.


Im Verlauf der Auseinandersetzungen wurde Olinda mit seinen vielen katholischen Kirchen von den einfallenden Protestanten fast vollständig nieder gebrannt. Als sie später die Herrschaft über Pernambuco besaßen, bemühten sie sich jedoch um den Wiederaufbau und sogar die Erweiterung der Stadt.

Auch nach dieser Zeit blieb Olinda der Sitz der politischen Macht, doch war das an Einwohnern zahlreichere Recife wirtschaftlich an Olinda vorbeigezogen. Dies führte dazu, dass die Recifenser zunehmend unzufriedener mit der Situation wurden, und so kam es zu Beginn des 18. Jahrhunderts zum Aufstand der Bewohner der Hafenstadt gegen die herrschenden Zuckeraristokraten Olindas. Die Kämpfe blieben lange unentschieden, bis die portugiesische Krone militärisch eingriff, den Krieg entschied, den Olindensern einen großen Teil ihrer Privilegien nahm und diese an die Bewohner Recifes übertrug.

Von diesem Zeitpunkt an verlor Olinda mehr und mehr an Bedeutung; die wichtigen Dinge spielten sich jetzt in der Hafenstadt ab, die einst nur ein Steg und ein paar Hütten im Schatten des Hügels mit den schönen Häusern, den reichen Leuten und der hübschen Aussicht gewesen war.

Den schönen Häuser, so sorgfältig wieder aufgebaut nach dem Brand von 1631, wurde nicht mehr die Pflege zu teil, die ihnen gebührte; die reichen Leute wollten nicht mehr auf einem Hügel wohnen, abgeschnitten vom wirklichen Leben; die hübsche Aussicht war stur und blieb, aber wurde von niemandem mehr beachtet, außer von ein paar Mönchen, die nach wie vor das Kopfsteinpflaster der steilen Straßen hinauf- und hinabwanderten.

Erst zweihundert Jahre später, als es in Mode kam, mit der Familie einen Ausflug an den Strand zu machen, widmete man der alten Schönheit wieder Aufmerksamkeit: Während zu kolonialen Zeiten die Strände Olindas hauptsächlich benutzt worden waren, um dort Müll zu vergraben oder auch den einen oder anderen Sklaven, der bei der Arbeit gestorben war, bevölkerten jetzt die Recifenser die palmenüberschatteten Sandstreifen und picknickten, damals in noch wenig freizügigen Badeanzügen, unter spitzenbehangenen Sonnenschirmchen.

Bis jedoch die Stadt auch über Recife hinaus als lohnendes Reiseziel bekannt wurde, sollte noch einmal viel Zeit vergehen. Aber wie Olinda sich heutzutage gibt, muss für einen zweiten Artikel aufgespart bleiben - zwischen zwei Artikeln allerdings vergeht nur ein Monat, Gott sei Dank.

Text: Nico Czaja
Fotos: Katrin Sperling + Nico Czaja





[art_4] Uruguay: La Vela Puerca

In Argentinien spielte La Vela Puerca mit so namhaften Bands wie Bersuit und den Fabulosos Cadillacs und machte sich in den letzten Jahren einen Namen in ganz Lateinamerika und darüber hinaus. Jede ihrer drei Platten hat mittlerweile mindestens Gold geholt! Im Zuge ihrer vierten Europatournee sprach Andreas Dauerer mit Sebastián Teysera (el enano), dem Kopf der uruguayer Band La Vela Puerca.


Eure Bandgeschichte liest sich wie eine Verkettung glücklicher Zufälle. War das wirklich so - auch die Sache mit dem Bandwettbewerb - oder gab es zuvor schon Bestrebungen Musiker zu werden?

Die Band hätte mich beinahe umgebracht, weil ich die Kassette eingeschickt habe mit der wir später auch den Wettbewerb gewonnen haben. Was ich eingeschickt habe, war ein Mitschnitt von unserem ersten Konzert Weihnachten 1995. In der Bar eines Freundes im Barrio Punta Carretas in Montevideo haben wir 30 Minuten gespielt und dieses Konzert haben wir aufgenommen, um es eventuell Neffen und Nichten zu zeigen. Ohne der Band einzuweihen, habe ich drei Stücke daraus an den Bandwettbewerb geschickt. Das Schlimme war, dass es sich um eine wirkliche grauenhafte Aufnahme handelte. Der Sound war echt schlecht, schließlich war es unser erstes Konzert. Und als die Band davon erfahren hat, hätten sie mich am liebsten umgebracht, klar oder? Aber gut, letzten Endes haben wir ja gewonnen!

Von der Jury war vorgesehen, dass unter den 250 Einsendungen, die 20 besten im Fernsehen auftreten und ein Stück Playback zum Besten geben sollten. Aber wir konnten das nicht machen, weil unsere Aufnahme so schlecht war (er lacht). Deshalb mussten wir erst einmal einen Song neu einspielen, ehe wir auftreten konnten.

Wie lange spielen La Vela Puerca schon zusammen?

Unser Bassist Nicolás, Santi, einer der Gitarristen, und ich spielten zuvor etwa schon fünf Jahre zusammen. Ohne Namen und ohne jegliche Ambitionen. Wir waren Freunde und spielten einfach zum Spaß. Erst als wir uns entschieden, uns mit der Band einen Namen zu machen, haben wir versucht neue Leute zu finden: Rafa, der zweite Gitarrist zum Beispiel, der Schwager von Nicolás und Cebolla, der Freund einer Schwester. Insgesamt sind wir eine große Familie. Irgendwann waren wir dann zu acht und ab diesem Zeitpunkt ging alles sehr schnell, denn schon ein halbes Jahr später nahmen wir mit "Deskarado" unsere erste Platte auf.

Für die CD Deskarado bekamt ihr gleich Gold in Uruguay? Wie war das in anderen Ländern?

In Uruguay wurde sie sofort vergoldet, später in L.A. aber mit einigen kleinen Veränderungen neu abgemischt. Es sind zwar die gleichen Lieder, aber neu eingespielt und sie heißt dann auch La Vela Puerca. Inzwischen hat sie Tripel Platin gewonnen, aber es leben ja auch nur drei Millionen Menschen in Uruguay (lacht).

Woher kommt der Bandname?

Santi arbeitete einen Sommer lang in einem Restaurant am Strand und sein Chef gab ihm den Spitznamen La Vela (das Segel). Daraus wurde dann irgendwann La Vela Puerca und dies übernahmen wir später für die Band.

Mittlerweile zählt La Vela Puerca zu den erfolgreichsten Bands in Uruguay und Argentinien. Gibt es einen Hauptverantwortlichen für diesen Erfolg? Wer schreibt die Texte und komponiert die Musik?

Ich reiste noch vor den Aufnahmen zur ersten Platte drei Monate lang durch Europa, unter anderem auch durch Deutschland. Zu dieser Zeit existierte La Vela Puerca in Montevideo bereits. Als ich dann zurückkam, hatte ich eine Menge Lieder im Gepäck und wir begannen gemeinsam an den diesen Songs zu arbeiten. Allerdings war keiner von uns wirklich ein Studiomusiker - heute zwar auch nicht, aber immerhin mit zehn Jahren mehr Erfahrung (lacht). Ich hatte zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon alle Arrangements im Kopf; also den Basslauf, die Stimme etc. Allerdings beeinflussen mich die anderen während den Proben. Inzwischen singe ich aber nur noch.

Habt Ihr irgendwelche musikalischen Vorbilder?

Ja, natürlich. Viele. Allerdings haben wir uns musikalisch nicht so sehr beeinflussen lassen. Wir achten eher darauf, was andere Bands auf der Bühne machen. The Clash zum Beispiel, die machen eine gute Show. Bei ihnen gibt es keine Distanz zwischen Bühne und Publikum. Das finden wir gut, schließlich wollen wir gemeinsam feiern!

Auf eurer ersten Tour durch Deutschland spieltet ihr als Vorgruppe der Ärzte...

Nein, nein, das war schon unsere vierte Tour durch Deutschland. Die erste haben wir 2003 unternommen, als wir in Europa unser zweites Album "De Bichos Y Flores" vorgestellt haben. Damals haben wir in 60 Tagen 56 Konzerte gegeben. Es war das erste Mal, dass wir wirklich getourt sind. Es war eine wirklich verrückte Erfahrung. Zuvor spielten wir ja in Montevideo vor 30.000 Menschen und einen Monat später in Deutschland vor 30 bis 50! Aber das war normal.

Wer stellte den Kontakt zu den Ärzten her?

Tja, das war Zufall. Wir lernten einen Bassisten in Berlin kennen, der den Tourmanager der Ärzte und auch der Toten Hosen kannte. Als er erfuhr, dass die Ärzte gerne in Lateinamerika auftreten würden, brachte er uns ins Spiel und so begann alles. Den Ärzten gefiel unsere Scheibe und wir spielten als Vorband im letzten Jahr in Deutschland. In Uruguay und Argentinien haben wir dann zusammen sechs Konzerte gegeben.

Was gefällt dir an Deutschland?

Bier. Vor allem Weißbier. Und die Frauen, die sind sehr hübsch; vor allem die Augen gefallen mir und sie besitzen einen Reiz über das körperliche hinaus. Die deutsche Frau ist sehr interessant und gut informiert, sie hat eine Meinung zu vielen Dingen und sagt, was sie denkt oder will.

Wie fühlt Ihr Euch, wenn ihr mit acht Mann auf Tour seid und beinahe jede Nacht spielt?

Am schlimmsten sind die ersten Wochen. Da bist Du müde und hast Probleme mit der Stimme. Aber es ist auch lustig. Wir lernen viele neue Leute kennen und haben auch einige neue Freunde gewonnen. Und das sind die Dinge, die das Tourleben ausmachen, die nicht mehr zur Routine gehören. Wir sind Freunde und erst in zweiter Linie Bandmitglieder. Deshalb bleiben unsere Diskussionen meist freundschaftlich und drehen sich nicht so sehr um die Arbeit.

Meinst du, dass eure Auftritte in Österreich, Schweiz, Holland, Dänemark und Schweden Auswirkungen auf die Plattenverkäufe haben?

Darüber denken wir kaum nach. Zudem haben wir darauf keinen Einfluss. Wir fordern und verlangen eigentlich nichts von der Tour. Wir wollen sie einfach mit Freude leben. Am 10. Mai geht es wieder zurück nach Uruguay und wir werden dort ein großes Konzert geben, um unsere neue Platte zu präsentieren. Und am 7. Juni geht es dann wieder zurück nach Europa, wo wir auf ein paar Festivals wie Hurricane und Southside spielen werden. Wir freuen uns schon sehr, auf das, was da alles auf uns zukommen wird.

Vielen Dank für das Interview und viel Glück heute Abend!

Es war mir eine Freude.

Text: Andreas Dauerer
Fotos: amazon.de







[kol_1] Grenzfall: Kunstwerke oder sakrale Kitschobjekte: Jesuskinder in Spanien und Lateinamerika

Es gab sie immer schon, seit den ersten weihnachtlichen Krippenszenen, die von Künstlern in römischen Katakomben oder frühchristlichen Mosaiken geschaffen wurden: kleine Jesuskinder zwischen Maria und Josef. In der Bildhauerei, die sich der christlichen Ikonographie widmete, standen sie lange im Schatten der großen Skulpturen. Auch während der Romanik und Gotik tauchten Jesuskinder fast nur als Krippenfiguren in Weihnachtsszenerien und kaum als Einzelskulpturen auf. Dies sollte sich in der Renaissance ändern, als man zunächst in Italien, dann in Flandern und Spanien begann, das Christkind als isolierte Figur in den Mittelpunkt der Verehrung zu stellen.

In alle Regionen des spanischen Weltreichs exportiert bzw. dort als dominierendes Vorbild kopiert, entstand in Sevilla am Übergang zwischen Spätrenaissance und Frühbarock ein besonderer Typus des isoliert stehenden Jesuskindes, das den gläubigen Betrachtern in der Pose eines erwachsenen Herrschers gegenüber steht. Die genialen Sevillaner Bildhauer Jerónimo Hernández (Renaissance) und Juan Martínez Montañés, Juan de Mesa sowie Pedro Roldán (Barock) schufen nicht nur berühmte und kunsthistorisch einflussreiche Christusskulpturen und Marienstatuen, die heute in den Kirchen und Museen von Sevilla bis Lima und von Madrid bis Manila zu finden sind, sondern auch Jesuskinder. Letztere wurden von der Kunstkritik lange kaum beachtet und es eilte ihnen der Ruf von religiösem "Kindchenschema-Kitsch" voraus – oft unter dem Eindruck späterer Massenproduktion, die mit Kunst wirklich nichts mehr zu tun hatte.

Frühbarockes Jesuskind
Quelle: Foto von Arenas aus dem Buch von
José Hernández Díaz: "Martínez Montañés",
publiziert in der Reihe "Arte Hispalense",
Band Nr. 10, Sevilla 1992, 3.Auflage

Aber Martínez Montañés, Juan de Mesa und Jerónimo Hernández gelang ein künstlerischer Spagat, der schwer zu erreichen war und von dem spätere Nachahmer weit entfernt blieben. Zum einen stellten sie realistisch das Kindliche dar, zum anderen verliehen sie dem Gotteskind ein majestätisches Charisma, eine Aura des Sakralen, die durchscheinen ließ, dass hier kein gewöhnliches Kind wegen seiner Niedlichkeit, sondern der künftige Erlöser dargestellt werden sollte. Der Prototyp dieses Jesuskinds in Herrscherpose ist die 1607 von Martínez Montañés aus Zedernholz geschnitzte Statue, die bis heute in der an die Sevillaner Kathedrale angebaute Sagrario-Kirche steht. Diese Figur des Göttlichen Kindes empfängt den Betrachter, als ob es ihn umarmen wolle und trotz der kindlichen Züge spiegelt sich in seinem Gesicht ein hoheitsvoller Ernst, der schon seine Berufung zur Rettung der Welt und die Passion des Erlösers andeuten soll. Nur das gelockte Haar mit der feschen Stirnlocke – ein Markenzeichen der Skulpturen von Martínez Montañés – mag ein Zugeständnis an das Kindchenschema sein.

Egal, ob sie nun dem persönlichen Geschmack des Betrachters entsprechen oder nicht: die Jesuskinder von Martínez Montañés oder Jerónimo Hernández sind bedeutende Kunstwerke mit theologischer Aussage – selbst wenn ihre Wirkung durch die spanische Obsession, allen nackten Statuen aufwändig bestickte, aber oft kitschige Kleider anzuziehen, beeinträchtigt wird.

Spätbarockes Jesuskind
im Museum der Schönen Künste in Sevilla


Schon in der Epoche jener Künstler entwickelte sich das "Niño Jesús" zum Verkaufsschlager. Es ist überliefert, dass bereits das Werk von Martínez Montañés so populär wurde, dass der Meister einen Bleiabguss anfertigte, um Kopien davon herstellen zu können. Im Spätbarock und Rokoko wurde das Jesuskind dann schnell vom Kunstobjekt zum Kaufobjekt für die Massen. Während die genannten Barockmeister der Sevillaner Bildhauerschule sich bei ihrer Darstellung des göttlichen Kindes noch von künstlerischen Ambitionen und theologischen Gedanken leiten ließen, verkam die Herstellung von Jesuskindern - auch aufgrund der enorm gestiegenen Nachfrage – im Verlauf des 18. Jahrhunderts zur anspruchslosen Serienproduktion. Diese Schöpfungen wollten keine theologischen Aussagen mehr vermitteln und von einer Aura des Sakralen entfernten sie sich immer mehr. Sie sollten hauptsächlich die Kassen ihrer "Schöpfer" klingeln lassen und orientierten sich daher gnadenlos am Massengeschmack; und der verlangte Kindchenschema: niedlich musste es sein, das Jesuskindlein! Ein gutes Beispiel für diese bewusst inszenierte Niedlichkeit, die natürlich immer wieder die Grenzen zum Kitsch locker überspringen konnte, ist das mit neckischem Röckchen und Krönchen geschmückte und auf allen Vieren krabbelnde "Niño Jesús" im Museum der Kathedrale von Lima, das in der Epoche des Rokoko entstand (18. Jahrhundert). Dieses schnuckelige Krabbelbaby hat außer der Krone nichts Sakrales mehr in seiner Optik aufzuweisen.

Rokoko Jesuskind
im Museum der Kathedrale in Lima

War es vorher der Künstler, der Maßstäbe setzte und seine Vision vom kindlichen Gottessohn zu vermitteln suchte, so war es jetzt umgekehrt: die Käufer diktierten, wie Jesuskinder auszusehen hatten und dem Profit des massenhaften Absatzes beugte sich der individuelle Ausdruck des Bildhauers, bis die Objekte immer geklonter aussahen. Die Jesuskind-Produktion wurde zunehmend dekadenter und degradierte die kleinen Statuetten aus Serienanfertigung oft zu Kitschobjekten, die besonders in der Biedermeier-Ära des 19. und im Neobarock des 20. Jahrhunderts komplett kunstfrei daherkommen. Einige waren als andachtsfördernde Kommunionsgeschenke oder als Dekoration für die Zimmeraltäre alleinstehender alter Damen entworfen worden. Diese verhätschelten die Jesuspüppchen als Ersatz für fehlende Enkel. Ein paar der "abschreckendsten" Beispiele aus dem 20. Jahrhundert sollen hier präsentiert werden. Das Niño Jesús war nun nicht mehr nur in Kirchen als Objekt religiöser Verehrung zu finden, sondern hielt seinen Einzug als Spielzeug in Kinderzimmern und wurde integriert als dubioses Schmuckelement in Schaufenster-Dekorationen oder in neobarocker Popkunst.

Jesuskind
in einem Schaufenster in Sevilla

Hand in Hand mit der Dekadenz des künstlerischen Ausdrucks war auch ein Niedergang der Materialwahl zu beobachten. Hatten Martínez Montañés und seine Zeitgenossen noch in steinhartes Zedernholz gemeißelt, das die Jahrhunderte überdauern sollte, wurde später wertloseres und weniger haltbares Rohmaterial wie Gips, Ton, Wachs oder – Plastik verwendet. Und noch eines haben die Jesuskinder des 20. Jahrhunderts gemeinsam: sie wurden immer farbenprächtiger.

Besonders wenn man aus einem protestantischen Land des nüchternen Nordens kommt, hat Lateinamerika im Reich der Jesuskinder ein paar besonders bunte Überraschungen zu bieten. Wenn man z.B. in der kolumbianischen Hauptstadt Santa Fe de Bogotá die Kirche San Diego betritt, wird man schon direkt hinter der Eingangstür empfangen von einer farbenfrohen Vision, die beim Besucher eine eher unfromme Fassungslosigkeit auslöst. Da wird man begrüßt von einem Christkind im quietschrosa Gewand, das mit leicht debilem Gesichtsausdruck auf einer Wolke schwebt. Nicht so recht dazu passen will die Siegerpose mit hoch erhobenen Armen und die mit Goldschrift in den Sockel eingravierte Verkündung "Yo Reinaré" (Ich werde herrschen!). Man ist hin und her gerissen zwischen ungläubigem Staunen und mühsam unterdrücktem Lachreiz. Wer nun glaubt, hier schon den Gipfel des Kitsches erklommen zu haben, kann einige hundert Kilometer weiter südlich eines Besseren belehrt werden.

Jesuskind in Siegerpose
in der Kirche San Diego in Bogotá

Denn im unüberschaubaren Reich der Jesuskinder sind immer Steigerungen möglich, um das Publikum in ungeahnte Verzückung zu versetzen. In der ansonsten grandiosen barocken Klosterkirche La Merced in Cuzco wartet ein Niño Jesús, bei dessen Anblick selbst der Frömmste kaum noch ernst bleiben kann. Illuminiert von einem Kranz aus Neonlicht (!) liegt es da mit hellblauem Strampelhöschen und Schnuller, sein pausbackiges Gesicht schenkt dem Betrachter ein saftiges Baby-Lächeln. Auch die glitzernde Krone kann nicht darüber hinweg täuschen, dass dieser Wonneproppen in einer Puppenstube besser aufgehoben wäre als in einer Kirche.

Jesuskind mit Strampler
im Kloster La Merced/Cuzco


Doch weshalb sollte man über den Niedergang der Kunst am Beispiel des Jesuskinds lamentieren? Letztlich zeigt sich hier auch so exemplarisch wie in kaum einem anderem Bereich die demokratische Popularisierung der Kunst. Das Volk hat entschieden, wie es seine Jesuskinder haben will und der Verlust des künstlerischen Werts wird durch den enorm gesteigerten Unterhaltungswert ausgeglichen. Deshalb wollen wir auch keine Zweifel aufkommen lassen: egal, ob kleines Kunstwerk oder kitschig - wir lieben Jesuskinder!

Madonna mit Jesuskind
in der Kapelle der Stierkampfarena in Sevilla


Text: Berthold Volberg
Fotos: Berthold Volberg

Literaturempfehlung:
Zur Lektüre über Jesuskinder, die noch Kunst waren:
José Hernández Díaz: "Martínez Montañés", publiziert in der Reihe "Arte Hispalense", Band Nr. 10, Sevilla 1992, 3.Auflage, publiziert von Excma. Diputación Provincial de Sevilla






[kol_2] Helden Brasiliens: Die Estrada Real – dem Reichtum auf der Spur

Mehr als 1.400 Kilometer Staub- und Steinwege verbanden einst die Gold- und Diamantenminen des Hinterlandes mit der Küste und ihren Häfen, von denen aus große Teile des gewonnenen Reichtums das Land verließen, um auf der anderen Seite des atlantischen Meeres Kriege zwischen den europäischen Nationen und die Industrialisierung des alten Kontinentes zu finanzieren. "Estrada Real", "Königlicher Weg", nennt sich diese Route seit den Zeiten der Eroberung des brasilianischen Landesinneren, den Zeiten der Entdeckung sagenhafter Gold- und Edelsteinvorkommen zu Beginn der Epoche der "Minas Gerais", der Region der "Allgemeinen Minen".



Die weißen Eroberer nutzten, will man genau sein, eigentlich die gleichen Trampelpfade wie die ins Landesinnere wandernden Ureinwohner. Große Teile der Estrada Real wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts von afrikanischen Sklaven mit Steinen gepflastert. Die Route besteht aus einem alten Weg und einem etwas neueren, "caminho velho" und "caminho novo" genannt. Beide treffen in Ouro Preto zusammen, der ehemaligen Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais, um von dort aus weiter Richtung Norden zu verlaufen, dem "caminho dos diamantes", dem Weg der Diamanten, hoch bis Diamantina folgend.

Der alte Weg
Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts begannen alle Reisen ins Landesinnere von Minas Gerais in São Paulo, wobei die Reise nicht weniger als zwei Monate dauerte. 1699 öffnete Garcia Rodrigues Pais einen Weg, der Rio de Janeiro über die Hafenstadt Paraty mit der Minenregion verband. Über ihn schmolz die Reisezeit auf etwa zwei Wochen zusammen.

Paraty
Der alte Weg beginnt in Paraty, einem noch heute ruhig-gemütlich in einer Meeresbucht gelegenem Örtchen zu Füßen des Serra do Mar-Gebirges. Die Bucht bildet einen idealen natürlichen Hafen, wie geschaffen um hier Schiffe beladen mit in der Kolonie benötigten Waren zu entladen oder die in den Minenregionen geförderten Reichtümer zu verschiffen. Vom 16. bis Anfang des 18. Jahrhunderts war Paraty Anfangs- und Endpunkt aller Reisen in die Minenregion, die heute den Bundesstaat Minas Gerais bildet. Das erste Hindernis einer jeden Reise bildeten die bis zu 1.000 Meter hohen Berge der Serra do Mar, die eine mit dichter Vegetation bedeckte natürliche Mauer bilden.

Ist dieses Hindernis erst einmal überwunden, geht die Reise weiter durch die Hochebene São Paulos in Richtung der Gebirgskette Serra da Mantiqueira, wo heute noch die beiden kolonialen Städte São João del-Rei und Tiradentes viele Touristen anlocken.

Man weiß nicht genau, welche der zahlreichen Expeditionen, die in jenen Jahren die Gegend der Serra da Mantiqueira und die Flusstäler des Rio das Mortes und des Rio da Velha durchzogen, als erste auf Gold stieß: vielleicht die von Borba Gato im Jahre 1693. Mit Sicherheit kann aber gesagt werden, dass in den Jahren 1698 und 1699 die ersten großen Mengen an Gold entdeckt wurden.

Man schätzt, dass zwischen 1700 und 1799 insgesamt 840 Tonnen der Erde von Minas entrungen wurden, und dass sich alleine zwischen 1700 und 1720 mehr als 150.000 Menschen in die Minenregionen aufmachten, mehr als 100.000 davon afrikanische Sklaven. Für ganz Brasilien schätzt man die Einwohnerzahl um das Jahr 1700 auf gerade mal 350.000. Da ein großer Teil von ihnen schlagartig die Fazendas und Städte verließ, um in Minas nach Gold zu suchen, blieben nicht genug Arbeitskräfte übrig, um die Lebensmittelversorgung der Kolonie aufrecht zu erhalten. So kam es zu langen Hungerperioden, gewalttätigen Auseinandersetzungen und sogar zu kleinen Kriegen zwischen den verschiedenen ums Überleben ringenden Abenteurergruppen.

São João del-Rei und Tiradentes
São João del-Rei und Tiradentes verfügen über ein immenses historisches Erbe. Und mit dem historischen Zug, der beide Städte über eine 12 Kilometer lange Eisenbahnstrecke verbindet, verwandelt sich die Region in ein lebendes Freiluft-Museum für Eisenbahnfreaks. Am Ende des 17. Jahrhunderts kam der Paulistano Tomé Portes D`el Rey in diese Gegend und gründete die erste Ansiedlung, die im Jahre 1713 die Stadtrechte zugesprochen bekam. Ein paar Kilometer außerhalb von São João del-Rei, genauer gesagt auf der Fazenda Pombal, wurde im Jahre 1746 Brasiliens erster Freiheitskämpfer Joaquim José da Silva Xavier geboren, der später unter dem Namen Tiradentes berühmt und zum Nationalhelden erklärt wurde.

Die kleine Ansiedlung außerhalb von São João rund um die Fazenda Pombal erhielt 1889 nach dem Ende des Kaiserreiches und mit Ausrufung der Republik den Namen Tiradentes.

Noch heute zeugen zahlreiche Häuser in São João von der reichsten Phase des Barocks in Minas, wie die Kirche des Heiligen Franz von Assisi aus dem Jahre 1774, ein Werk des portugiesischen Baumeisters Francisco de Lima Cerqueira und des Bildhauergenies Antônio Francisco Lisboa – "Aleijadinho", "Krüppelchen", genannt. An zahlreichen Orten entlang der Estrada Real hat das "Krüppelchen" Spuren seiner Meisterschaft hinterlassen.

Congonhas do Campo
Die 1734 gegründete Stadt wurde durch die 12 Aposteln von Aleijadinho berühmt, die dieser zur Verzierung der Kirche Bom Jesus de Matosinhos anfertigte. Aleijadinho schuf die 12 Figuren zwischen 1800 und 1805, wenige Jahre vor seinem Tod. Diese schmücken den Vorhof der 1757 errichteten Kirche, während die Basilika mit Gemälden von Meister Athayde verziert ist. Neben den 12 Propheten hat Aleijadinho auch die 66 Figuren des Leidensweges Cristi geschaffen (1796 bis 1799). 1983 wurde Congonhas von der UNESCO zum Weltkulturmonument erklärt.

Der neue Weg
Im Jahr 1710 wurde der neue Weg geöffnet. Zu Beginn der Reise musste die Guanabarabucht von Rio de Janeiro per Schiff überquert werden, um von Magé aus den Aufstieg in die Serra do Mar zu beginnen. Der Weg führte über das heutige Petrópolis bis nach Paraíba do Sul.

Von dort aus ging es weiter über die Hochebene des Sertão M ineiro bis nach Ouro Preto und seiner Nachbarstadt Mariana, wo der alte und der neue Weg sich trafen.

Ouro Preto und Mariana
In der Nähe des Rio Tripuí gab es die größten Goldfunde überhaupt. Hier errichtete man innerhalb weniger Jahre die für einige Zeit reichste und größte Stadt der südlichen Hämesphäre. Und hier formierte sich auch zum ersten mal organisierter Widerstand gegen die portugiesische Krone und die von ihr auferlegte Abgabenlast, Brasiliens erste Unabhängigkeitsbewegung, die jedoch schnell scheitern sollte. Inspiriert von der französischen und nordamerikanischen Revolution, erhoben die reichsten Bürger der Stadt die Fahne der Unabhängigkeit. Die Episode endete mit Tiradentes Hinrichtung am 21. April 1792, dem Tag, an dem er gevierteilt wurde. Die Stadt, die reich ist an meisterhaften Kunstwerken Aleijadinhos und Meister Athaydes, wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

Das hier gefundene Gold war von einer schwarzen Schicht aus Eisenoxid umgeben, das der Stadt den Namen Ouro Preto, Schwarzes Gold, einbrachte. Mit der Ankunft des Eroberers Antônio Dias am 24 Juni 1698 begann hier der größte Goldrausch in der Geschichte Lateinamerikas. In wenigen Jahren verwandelte sich der Ort in ein einzigartiges barockes Gesamtkunstwerk. 1823, ein Jahr nach der Unabhängigkeit Brasiliens von Portugal, wurde Ouro Preto zur Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais erklärt.


Der Weg der Diamanten
1727 verbreitete sich rasend schnell die Nachricht, dass in der Region des Alto do Vale um den Fluss Jequitinhonha, an einem Ort namens Arraial do Tijuco bei Serro Frio, Diamanten gefunden wurden. Die Steine waren so wundervoll, dass der portugiesische König D. João V. sofort einige Exemplare dem heiligen Vater in Rom zukommen ließ. Bis dahin waren Diamanten von solch hervorragender Qualität nur im weit entfernten Asien gefunden worden. Die Krone erklärte daraufhin die Förderung der Diamanten zum alleinigen Monopol des portugiesischen Königs. Allein zwischen 1740 und 1770 wurden 1.666.569 Karat gefördert, was den internationalen Diamantenpreis um 75% fallen ließ. Bis 1810 wurden insgesamt 3 Millionen Karat gefördert. Arraial do Tijuco heißt heute Diamantina und ist seit 1999 Weltkulturerbe der UNESCO.

In Diamantina endet die Estrada Real, die heute zu den ausgefeiltesten Tourismusprojekten ganz Brasiliens zählt. Mit massiver Unterstützung der in Minas Gerais ansässigen FIAT-Werke investiert die Regierung von Minas kräftig, um den einstigen Abenteurerpfad in eine anziehende Touristenroute zu verwandeln.


Aufgrund der überragenden landschaftlichen Reize und des einmaligen kolonialen Erbes hat die Estrada Real alle Chancen, ein echter Erfolg zu werden. 200 Jahre nach dem Ende des Gold- und Diamantenbooms ist man auf der Estrada Real noch einmal dem Reichtum hinterher.

Text + Fotos: Thomas Milz





[kol_3] Lauschrausch: Weltmusikmesse Womex II

Die monatliche Kolumne zu Musik aus Lateinamerika, der Karibik, Spanien und Portugal. Hier findet ihr Folklore, Latinjazz, Rock und Elektroakustik neben Speedmetal, Funk und Kammermusik. Ob Tango, Kaseko, Guajira, Flamenco, Fado, Axé, Punta oder die Mischung aus allem, hier kommt es auf den Prüfstand. Vorgehört und serviert von Torsten Eßer.

Aus Brasilien und Deutschland kommen die Musiker der Gruppe Cloaca. João Guimarães zeichnet verantwortlich für die meisten Texte auf "Composto Energético" (Artists Own). Sie sind meist ebenso experimentell wie die Mischung der Musik aus traditioneller Perkussion, manchmal Nina-Hagen-ähnlichen Gesängen, Bossa, MPB, Jazz und Poparrangerments, die sich alle zu einer spannenden neuen Mixtur vereinen. Bebel Gilberto legt mit ihrem zweiten Album (Ziriguiboom), das schlicht ihren Namen trägt, eine wunderschöne Mischung entspannter Lieder vor. Eine sparsame Instrumentierung mit einigen elektronischen Tupfern sowie ihre samtene Stimme sorgen für ein Wohlgefühl, egal ob es sich um eine englischsprachige langsame Bossa-Nummer handelt (All around) oder den fröhlichen, auch tanzbaren Lobgesang an den Gott Xango (Aganjú).

Ein gelungenes Album unter Mitwirkung von Stars wie João Donato, Carlinhos Brown und dem Produzenten Marius de Vries. Bebels Landsmann, der Countertenor Fênix, präsentiert auf seinem Album "Marfim" (Traumton) ebenfalls gut gemachte Rock-/Poprmusik.

Fetzige und tanzbare Stücke wie die beiden Einsteiger "Cara a tapa" (eine Coverversion von "They say vision") oder "Chá de Maca" ziehen den Hörer sofort in die CD hinein und lassen fast vergessen, dass es sich bei dieser androgynen Stimme um einen Sänger handelt. Aber es gibt auch langsame Titel, die sich mit der unvermeidlichen saudade und der nordöstlichen Heimat von Fênix - Pernambuco - befassen.

Weiter geht's nach Mexiko. Lila Downs vermischt auf "Una Sangre" (Peregrina) wie schon auf ihren vorherigen Produktionen Elemente verschiedener Religionen - katholische Gebete, indigene Riten - mit Instrumenten und Rhythmen mexikanischer/lateinamerikanischer Popularmusik, modernen Instrumenten und aktuellen Themen, gesungen auf Spanisch, verschiedenen indigenen Sprachen und Englisch.

Es beginnt mit einem flotten Liedchen und afro-mexikanischen Klängen von der Küste Oaxacas, geht dann aber direkt zu ernsten Themen über: "Dignificada" ist gewidmet den Frauen der Welt, hier in Person von Digna Ochoa, einer 2001 ermordeten Menschenrechtsanwältin. Auch zwei weltbekannte Standards fanden ihren Weg auf das neue Album: "La Bamba" in einer Version mit dem traditionellen Text und sparsamer Instrumentierung sowie "La Cucaracha", das von einem Hendrix-ähnlichen Gitarrenriff eingeleitet wird, Eine interessante Interpretation des Liedes, das ursprünglich aus den Zeiten der mexikanischen Revolution stammt und die US-Soldaten und ihren Marihuana-Konsum beschreibt.

Direkt an Mexiko grenzt Belize. In diesem kleinen Land gibt es nur ein bekanntes Platten-Label: Stonetree-Records. Dort sind zwei neue Alben erschienen: "The Grandmaster" von Leroy Young mischt Garífuna-Musik mit Rap. Ein interessanter Versuch, der aber am einschläfernden Sprechgesang und der Eintönigkeit vieler Stücke scheitert. Sein Labelkollege Aurelio Martinez kommt mit seinem puntarock, also punta und paranda plus moderne Instrumente und Texte, viel besser rüber. Selbst die traditionellen Titel wirken auf "Garífuna Soul" frisch und fröhlich.

Von Belize ist es kulturell und geographisch nur ein Sprung in die Karibik. Dort sind die Rhythmen und Tänze Merengue und Salsa zuhause. Das unter Tanzfans schon bekannte Hamburger Label Danza y Movimiento (und sein Sublabel Via Cancun) hat zwei neue Sampler mit dieser Musik auf den Markt gebracht: "Salsa Brava", aus der bewährten Vamos!-Reihe und "Merengue from New York".

Bei beiden CDs stammen die Interpreten bzw. Titel aus dem Big Apple, von der riesigen Latino-Gemeinde dort. Musik für die Hüften!

Das niederländische Label Otrabanda widmet sich u.a. aktuellen und historischen Aufnahmen karibischer Musik, vor allem aus Curaçao: Sänger Oswin Chin Behilia trägt auf "Bendishon disfrasá" seine schönen Balladen in der Kreolensprache Papiamento vor, ebenso wie das Conjunto Cristal oder das Sexteto Gressmann, deren Aufnahmen aus den 1950er Jahren auf der Sammlung "Riba Dempel" aufgrund der Tonqualität eher etwas für Sammler sind.

Die Gruppe Serenada singt auf "Flor di amor" u.a. auch historische Titel in Papiamento, arrangiert sie aber zeitgemäß.

Reggae- und Calypso-Sounds beschert uns die CD "Hifi-Calypso" (Exil), die der Franzose Karl Zéro mit Bob Marleys ehemaliger Begleitband, den Wailers, eingespielt hat.

Eigentlich Komiker von Beruf, beweist der Sänger, dass sich diese Musik sehr gut mit Humor verträgt, vor allem bei Coverversionen wie "Coconut woman" oder "man smart" von Harry Belafonte.

Aus Kuba kommt Felix Baloy: Der sonero hat schon in vielen bekannten Formationen der Insel gesungen, darunter Orquesta Elio Reve, Son 14, Adalberto Alvarez y su son und Afro Cuban All Stars, bevor er unter eigenem Namen Alben einspielte.

Das aktuelle Album "Un poquito de fé" (Tumi) präsentiert neben sones auch Boleros, alles schön arrangiert, auch tanzbar, und mit einigen bekannten Gastmusikern wie Tata Güines oder Amado Valdés.

Musik aus mehreren Ländern des lateinamerikanischen Kontinents findet sich auf dem Sampler "Music from the Chocolate Lands" aus dem Hause Putumayo/Exil. Die wie immer sehr liebevoll mit Bildern und Informationen ausgestattete CD präsentiert neben Künstlern aus afrikanischen und asiatischen Kakaoanbauländern, Interpreten aus Brasilien, Belize, Peru und Kuba. Tolle Musik zur Tasse heißer Schokolade!

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon.de






[kol_4] Macht Laune: Rum-Gespiele mit einheitlichen Ortsschildern

Man stelle sich vor, man sei mit dem Auto unterwegs durch Deutschland und erreiche Dresden. Auf dem Orteingangsschild der Gemeinde stände Willkommen in Rotkäppchen Sekt Dresden. Undenkbar!

Nicht so in dem Land, das Deutschland liebevoll in Anlehnung an den großen katholischen Mönchsorden auch DomRep nennt.

Jedenfalls haben sich die Machthabenden der Dominikaner - gemeint sind die Bewohner dieses Landes, nicht die Mönche - gedacht, wenn unserer Name bereits phonetisch verunstaltet im Viele-Touris-bringenden Ausland kursiert, dann wollen wir intern wenigstens Gewinn damit erzielen.


Und so kam es, dass die dominikanische Regierung die Lizenz zur Betafelung aller Ortschilder, aller „Halten Sie diesen Platz sauber“-Schilder und
aller „Hier findet ein Event statt“-Schilder einer der drei großen Rumfabrikanten zusprach: Namentlich Brugal.

Willkommen in Brugal Santo Domingo. Willkommen in Brugal Dominikanische Republik. Willkommen in Brugal DomRep. Brugal klingt doch ein bisschen wie DomRep, oder?

Die Maßnahme der Schilderbewerbung hat aber abgesehen vom Angriff auf die akustische Ästhetik durchaus einen Sinn, den man spätestens dann begreift, wenn der Leihwagen bestiegen ist und aus der Stadt gelenkt werden soll. Denn ohne Brugal kein Wegweiser.

Text + Fotos: Dirk Klaiber






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