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[kol_2] Helden Brasiliens: Die Estrada Real – dem Reichtum auf der Spur

Mehr als 1.400 Kilometer Staub- und Steinwege verbanden einst die Gold- und Diamantenminen des Hinterlandes mit der Küste und ihren Häfen, von denen aus große Teile des gewonnenen Reichtums das Land verließen, um auf der anderen Seite des atlantischen Meeres Kriege zwischen den europäischen Nationen und die Industrialisierung des alten Kontinentes zu finanzieren. "Estrada Real", "Königlicher Weg", nennt sich diese Route seit den Zeiten der Eroberung des brasilianischen Landesinneren, den Zeiten der Entdeckung sagenhafter Gold- und Edelsteinvorkommen zu Beginn der Epoche der "Minas Gerais", der Region der "Allgemeinen Minen".



Die weißen Eroberer nutzten, will man genau sein, eigentlich die gleichen Trampelpfade wie die ins Landesinnere wandernden Ureinwohner. Große Teile der Estrada Real wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts von afrikanischen Sklaven mit Steinen gepflastert. Die Route besteht aus einem alten Weg und einem etwas neueren, "caminho velho" und "caminho novo" genannt. Beide treffen in Ouro Preto zusammen, der ehemaligen Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais, um von dort aus weiter Richtung Norden zu verlaufen, dem "caminho dos diamantes", dem Weg der Diamanten, hoch bis Diamantina folgend.

Der alte Weg
Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts begannen alle Reisen ins Landesinnere von Minas Gerais in São Paulo, wobei die Reise nicht weniger als zwei Monate dauerte. 1699 öffnete Garcia Rodrigues Pais einen Weg, der Rio de Janeiro über die Hafenstadt Paraty mit der Minenregion verband. Über ihn schmolz die Reisezeit auf etwa zwei Wochen zusammen.

Paraty
Der alte Weg beginnt in Paraty, einem noch heute ruhig-gemütlich in einer Meeresbucht gelegenem Örtchen zu Füßen des Serra do Mar-Gebirges. Die Bucht bildet einen idealen natürlichen Hafen, wie geschaffen um hier Schiffe beladen mit in der Kolonie benötigten Waren zu entladen oder die in den Minenregionen geförderten Reichtümer zu verschiffen. Vom 16. bis Anfang des 18. Jahrhunderts war Paraty Anfangs- und Endpunkt aller Reisen in die Minenregion, die heute den Bundesstaat Minas Gerais bildet. Das erste Hindernis einer jeden Reise bildeten die bis zu 1.000 Meter hohen Berge der Serra do Mar, die eine mit dichter Vegetation bedeckte natürliche Mauer bilden.

Ist dieses Hindernis erst einmal überwunden, geht die Reise weiter durch die Hochebene São Paulos in Richtung der Gebirgskette Serra da Mantiqueira, wo heute noch die beiden kolonialen Städte São João del-Rei und Tiradentes viele Touristen anlocken.

Man weiß nicht genau, welche der zahlreichen Expeditionen, die in jenen Jahren die Gegend der Serra da Mantiqueira und die Flusstäler des Rio das Mortes und des Rio da Velha durchzogen, als erste auf Gold stieß: vielleicht die von Borba Gato im Jahre 1693. Mit Sicherheit kann aber gesagt werden, dass in den Jahren 1698 und 1699 die ersten großen Mengen an Gold entdeckt wurden.

Man schätzt, dass zwischen 1700 und 1799 insgesamt 840 Tonnen der Erde von Minas entrungen wurden, und dass sich alleine zwischen 1700 und 1720 mehr als 150.000 Menschen in die Minenregionen aufmachten, mehr als 100.000 davon afrikanische Sklaven. Für ganz Brasilien schätzt man die Einwohnerzahl um das Jahr 1700 auf gerade mal 350.000. Da ein großer Teil von ihnen schlagartig die Fazendas und Städte verließ, um in Minas nach Gold zu suchen, blieben nicht genug Arbeitskräfte übrig, um die Lebensmittelversorgung der Kolonie aufrecht zu erhalten. So kam es zu langen Hungerperioden, gewalttätigen Auseinandersetzungen und sogar zu kleinen Kriegen zwischen den verschiedenen ums Überleben ringenden Abenteurergruppen.

São João del-Rei und Tiradentes
São João del-Rei und Tiradentes verfügen über ein immenses historisches Erbe. Und mit dem historischen Zug, der beide Städte über eine 12 Kilometer lange Eisenbahnstrecke verbindet, verwandelt sich die Region in ein lebendes Freiluft-Museum für Eisenbahnfreaks. Am Ende des 17. Jahrhunderts kam der Paulistano Tomé Portes D`el Rey in diese Gegend und gründete die erste Ansiedlung, die im Jahre 1713 die Stadtrechte zugesprochen bekam. Ein paar Kilometer außerhalb von São João del-Rei, genauer gesagt auf der Fazenda Pombal, wurde im Jahre 1746 Brasiliens erster Freiheitskämpfer Joaquim José da Silva Xavier geboren, der später unter dem Namen Tiradentes berühmt und zum Nationalhelden erklärt wurde.

Die kleine Ansiedlung außerhalb von São João rund um die Fazenda Pombal erhielt 1889 nach dem Ende des Kaiserreiches und mit Ausrufung der Republik den Namen Tiradentes.

Noch heute zeugen zahlreiche Häuser in São João von der reichsten Phase des Barocks in Minas, wie die Kirche des Heiligen Franz von Assisi aus dem Jahre 1774, ein Werk des portugiesischen Baumeisters Francisco de Lima Cerqueira und des Bildhauergenies Antônio Francisco Lisboa – "Aleijadinho", "Krüppelchen", genannt. An zahlreichen Orten entlang der Estrada Real hat das "Krüppelchen" Spuren seiner Meisterschaft hinterlassen.

Congonhas do Campo
Die 1734 gegründete Stadt wurde durch die 12 Aposteln von Aleijadinho berühmt, die dieser zur Verzierung der Kirche Bom Jesus de Matosinhos anfertigte. Aleijadinho schuf die 12 Figuren zwischen 1800 und 1805, wenige Jahre vor seinem Tod. Diese schmücken den Vorhof der 1757 errichteten Kirche, während die Basilika mit Gemälden von Meister Athayde verziert ist. Neben den 12 Propheten hat Aleijadinho auch die 66 Figuren des Leidensweges Cristi geschaffen (1796 bis 1799). 1983 wurde Congonhas von der UNESCO zum Weltkulturmonument erklärt.

Der neue Weg
Im Jahr 1710 wurde der neue Weg geöffnet. Zu Beginn der Reise musste die Guanabarabucht von Rio de Janeiro per Schiff überquert werden, um von Magé aus den Aufstieg in die Serra do Mar zu beginnen. Der Weg führte über das heutige Petrópolis bis nach Paraíba do Sul.

Von dort aus ging es weiter über die Hochebene des Sertão M ineiro bis nach Ouro Preto und seiner Nachbarstadt Mariana, wo der alte und der neue Weg sich trafen.

Ouro Preto und Mariana
In der Nähe des Rio Tripuí gab es die größten Goldfunde überhaupt. Hier errichtete man innerhalb weniger Jahre die für einige Zeit reichste und größte Stadt der südlichen Hämesphäre. Und hier formierte sich auch zum ersten mal organisierter Widerstand gegen die portugiesische Krone und die von ihr auferlegte Abgabenlast, Brasiliens erste Unabhängigkeitsbewegung, die jedoch schnell scheitern sollte. Inspiriert von der französischen und nordamerikanischen Revolution, erhoben die reichsten Bürger der Stadt die Fahne der Unabhängigkeit. Die Episode endete mit Tiradentes Hinrichtung am 21. April 1792, dem Tag, an dem er gevierteilt wurde. Die Stadt, die reich ist an meisterhaften Kunstwerken Aleijadinhos und Meister Athaydes, wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

Das hier gefundene Gold war von einer schwarzen Schicht aus Eisenoxid umgeben, das der Stadt den Namen Ouro Preto, Schwarzes Gold, einbrachte. Mit der Ankunft des Eroberers Antônio Dias am 24 Juni 1698 begann hier der größte Goldrausch in der Geschichte Lateinamerikas. In wenigen Jahren verwandelte sich der Ort in ein einzigartiges barockes Gesamtkunstwerk. 1823, ein Jahr nach der Unabhängigkeit Brasiliens von Portugal, wurde Ouro Preto zur Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais erklärt.


Der Weg der Diamanten
1727 verbreitete sich rasend schnell die Nachricht, dass in der Region des Alto do Vale um den Fluss Jequitinhonha, an einem Ort namens Arraial do Tijuco bei Serro Frio, Diamanten gefunden wurden. Die Steine waren so wundervoll, dass der portugiesische König D. João V. sofort einige Exemplare dem heiligen Vater in Rom zukommen ließ. Bis dahin waren Diamanten von solch hervorragender Qualität nur im weit entfernten Asien gefunden worden. Die Krone erklärte daraufhin die Förderung der Diamanten zum alleinigen Monopol des portugiesischen Königs. Allein zwischen 1740 und 1770 wurden 1.666.569 Karat gefördert, was den internationalen Diamantenpreis um 75% fallen ließ. Bis 1810 wurden insgesamt 3 Millionen Karat gefördert. Arraial do Tijuco heißt heute Diamantina und ist seit 1999 Weltkulturerbe der UNESCO.

In Diamantina endet die Estrada Real, die heute zu den ausgefeiltesten Tourismusprojekten ganz Brasiliens zählt. Mit massiver Unterstützung der in Minas Gerais ansässigen FIAT-Werke investiert die Regierung von Minas kräftig, um den einstigen Abenteurerpfad in eine anziehende Touristenroute zu verwandeln.


Aufgrund der überragenden landschaftlichen Reize und des einmaligen kolonialen Erbes hat die Estrada Real alle Chancen, ein echter Erfolg zu werden. 200 Jahre nach dem Ende des Gold- und Diamantenbooms ist man auf der Estrada Real noch einmal dem Reichtum hinterher.

Text + Fotos: Thomas Milz