caiman.de 04/2013
[art_2] Chile: Treffen auf dem Zentralfriedhof
"Hey, DER ist berühmt!" Ich hätte mit dem Mann mit den schwarzen Locken und dem schwarzen Umhang nichts anfangen können, aber zum Glück hatte meine Begleitung ihn direkt gespottet. Chiles wichtigster Singer / Songwriter steht vor uns, Manuel García, mitten auf dem Zentralfriedhof von Santiago. Weiter hinten Politprominenz, sogar ein ehemaliger Präsident Chiles ist dabei. Wir sind in eine Gedenkveranstaltung für Tucapel Jimenez geraten, einen Gewerkschaftsführer, der vor 31 Jahren von Pinochets Schergen ermordet worden war. Tucapel hatte sich damals als Taxifahrer etwas dazuverdient. Eines Tages dann waren ein paar Männer in sein Taxi eingestiegen und mit ihm eine relativ lange Strecke gefahren. Als sie aus dem Taxi ausstiegen, war Tucapel tot. Manuel García wartet hinter ein paar Grabsteinen auf seinen ersten Auftritt bei der Gedenkveranstaltung. Dann beginnt er mit seinem Lied "Témpera": Difícil pensar sin hablar difícil hacerse un lugar en los labios, al toro si no es por los cuernos, difícil llevarlo arrastrando al infierno.
Difícil tocar la guitarra si el papel mural se desprende por nada difícil hacer el amor sin sentir que nos agarramos de una tabla, si la vida es como un naufragio que sea feliz el que pase remando... Angehörige von Tucapel geben Zeugnis über die Diktaturzeit ab, reden über noch nicht verheilte Wunden und ungesühnte Verbrechen. Reden aber auch von einem Neuanfang, von Hoffnung. Bewegende Erinnerungen daran, dass sich dieses Jahr zum 40. Mal der Putsch Pinochets gegen Allende jährt. Unter den Teilnehmern an jenem Morgen ist auch die Witwe des Sängers Víctor Jara. Einen Tag nach dem Putsch nahmen ihn die Militärs fest. Als erstes brachen sie ihm die Hände, damit er niemals wieder Gitarre spielen würde. Dann forderten sie ihn auf, zu singen. Während er zum letzten Mal seine Stimme erhob, durchsiebten ihn die Kugeln eines Maschinengewehrs. 44 Einschüsse zählte man später in seinem geschundenen Leichnam. Manuel García kommt noch einmal zurück auf die Bühne, alleine mit seiner Gitarre. Und spielt "Gangrejo azul": El mar se va enojar se va a comer su pez las piedras va a morder con rabia hasta el final no quedará un volcán ni un pájaro esta vez Nach einem Moment der Stille schließt er die Veranstaltung mit "Viejo Comunista". Die Menge zerstreut sich schweigend: Un viejo que fuera comunista se sienta a fumar la tarde entera. Mientras buena lluvia cae afuera con voz desnuda el viejo piensa… Text + Fotos: Thomas Milz [druckversion ed 04/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: chile] |