caiman.de 03/2011
[art_4] Bolivien: Der Berg und der Teufel 46.000 und acht Millionen - diesen zwei Zahlen wohnt die Tragik von Potosí inne. Zu der auf 4.100 Metern gelegenen Stadt führen vor allem holprige Straßen, die sich durch die surreale Marslandschaft des südlichen bolivianischen Hochlandes winden. Doch man sieht aus unserem Bus nur wenig von den sonderbaren Felsformationen, denn in der Nacht ist feiner Schnee gefallen, der die karge Gesteinsebene überzieht. Das flüchtige Weiß kann nicht verstecken, dass Potosí nicht so recht in diese menschenfeindliche Umgebung passen will. Wie Ruinen liegen einige tausend kantige Häuser auf der Bergschulter des Cerro Rico, jenem steil in den Himmel ragenden Berg, der Potosís Schicksal geprägt und seine Existenz erst bedingt hat. Hier entdeckten spanische Schürfer im 16. Jahrhundert reiche Silbervorkommen. Im 18. und 19. Jahrhundert dann soll Potosí die größte Stadt der Welt gewesen sein, bedeutender als London oder Paris. In dieser Epoche wurden 46.000 Tonnen des glitzernden Edelmetalls aus dem Berginneren gehauen, das in der Folge vor allem spanische Thronsäle verzierte.
Ans Tageslicht geschafft wurde das Silber von indigenen Zwangsarbeitern, die von den Spaniern wie Sklaven in den Bergwerken verheizt wurden - in zwanzig Stunden langen Arbeitsschichten und mit der Auflage, sechs Monate lang den Berg nicht zu verlassen. Im Laufe der Jahrhunderte hat der Cerro Rico angeblich das Leben von etwa acht Millionen Minenarbeitern gefordert. Man könnte auch sagen: an jeder Tonne Potosí-Silber klebte das Blut von über 170 Menschen. Obwohl die Silberadern irgendwann im 19. Jahrhundert versiegt sind, wird auch heute noch nach Zink, Kupfer und anderen Metallen gegraben. Den Berg durchziehen mittlerweile über 500 Schächte, die teilweise über einen Kilometer ins Innere führen. Für Touristen ist es eine der Hauptattraktionen, sich für einen halben Tag durch eines der Bergwerke führen zu lassen. Auch wir schließen uns einer Tour an, die in unserem Hostal angeboten wird. Am nächsten Morgen geht es los und jeder von uns wird mit einer Pseudo-Minenausrüstung ausgestattet, das heißt mit Stirnlampe, Minenhelm, Wasser abweisender Jacke und Gummistiefeln. Mit Blick auf die dunkle Öffnung eines der Stollen lernen wir das Einmal-Eins für Bergleute: 1. Immer wenn wir uns den Kopf stoßen, "Bajo" nach hinten rufen. 2. Dem Tio huldigen. Der Tio ist eine teufelsartige Kreatur, die für die Bergleute Hoffnung und Schicksal verkörpert. Er geht auf einen Trick der Spanier zurück und stammt aus Zeiten, als sich Widerstand unter den Minenarbeitern regte. In dem Wissen, dass die indigenen Bolivianos in allem eine Gottheit sehen, um deren Gunst sie bangen, brachten die Spanier eine Statue nach Potosí. Sie sollte über das Schicksal der Bergarbeiter wachen.
Ein Großteil unserer Gruppe lacht über diese Erzählungen. Die Stimmung ändert sich erst, als wir die ersten 50 Meter durch knöcheltiefes Schlammwasser in den Schacht waten. Schon nach wenigen Schritten verschluckt die klaustrophobische Dunkelheit die Späße, unsere Stirnlampen werfen einen milchigen Schein auf Wasser und Stein. Wir bekommen eine erste Ahnung davon, was es heißt, hier Tag für Tag zu arbeiten. Dieses Schicksal trifft nach wie vor etwa 10.000 Bolivianer, lässt uns unser Guide wissen. Ob darunter auch Kinder sind, will er uns aber nicht sagen.
Wir hören aber, dass er zumindest das Schicksal von Basilio positiv beeinflusst hat: er ist mittlerweile der mit Abstand gefragteste Minen-Führer in Potosí. Doch auch die Filmbilder konnten uns nur unzureichend auf die bizarre Welt im Inneren des Berges vorbereiten, in die wir auf unserer Tour hinabsteigen. An den Decken des eineinhalb Meter hohen Stollens wachsen organisch anmutende Mineralien, Schwefel durchdringt die Luft. Bald darauf fangen wir an zu schwitzen, denn je tiefer man in den Berg vordringt, desto wärmer wird es. Ab und zu hört man ein unverständliches, gerufenes Kommando und aus dem Dunkel kommt ein krächzender Wagen geschossen - wehe dem, der seinen Körper nicht schnell genug an die Wand presst. Plötzlich erschüttert ein dumpfer Knall den Stollen. Unser indigener Guide grinst lediglich und wedelt Kaugummi kauend mit einer Dynamit-Stange,, was uns daran erinnern soll, dass andernorts im Berg gerade gesprengt wird. Nachdem wir über einige Leitern hinab gekraxelt sind, stehen wir vor einem drei Meter tiefen Loch. Darin kauert ein junger Mann, der mit einer Spitzhacke den Fels bearbeitet. Sein Alter will er uns nicht sagen. Er könnte zwanzig sein. Oder vierzehn.
Einer der jungen Briten fragt, ob er seine Arbeit genießt. Zum ersten Mal auf der Reise sind wir dankbar für die Sprachbarriere zwischen Touristen und Einheimischen und danken unserem Guide, dass er diese Frage nicht übersetzen will. Als wir nach zwei Stunden wieder ins Freie treten, reißt uns das Tageslicht aus dem Albtraum. Zurück bleibt bittere Gewissheit, unter was für Bedingungen Menschen heute noch arbeiten müssen und das Bewusstsein, privilegiert zu sein, ein Leben wählen zu können, das mit keiner Hölle in Kontakt steht. Es bleibt die Hoffnung, dass die bolivianische Regierung die ohnehin wenig ergiebigen Grabungen bald aussetzt, da in den kommenden Jahren mit einem Zusammensacken des Cerro Ricos zu rechnen ist. Mit der Stilllegung würden aber tausende Minenarbeiter ihre Arbeit verlieren. Und wie manche selbst sagen, würden sie lieber in den Tiefen des Berges verschüttet werden; ist die Arbeit in den Stollen doch das Einzige, was sie je gelernt haben. Text + Fotos: Robert Gast [druckversion ed 03/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: bolivien] |