caiman.de 01/2012

[kol_2] Grenzfall: Mach’s nur einmal - Macchu Picchu
 
Es gibt Dinge, die sollte man einfach nur einmal im Leben erleben wollen. Weil sie eine unglaubliche Magie versprühen, die man partout nicht wiederholen kann. Tut man es dennoch, ist die Enttäuschung vorprogrammiert.

Wer nach Peru reist, kommt nicht umhin, dass er täglich an die einstige Hochkultur der Inkas erinnert wird. Zu viele Zeugnisse, Striche in der Erde und andere mehr oder weniger gut erhaltene Bauwerke sind es, mit denen man auf dem Weg von Lima in Richtung Cusco, der einstigen Hauptstadt des Inkareichs, konfrontiert wird.

Und nach Cusco muss der gemeine Tourist so unbedingt, wie der Amerikaner nach Neuschwanstein muss; auch um zu dokumentieren, dass er tatsächlich im Land gewesen ist. Kein Machu Picchu, kein wirklicher Perubesuch, ganz einfach.

[zoom]

Davon kann man halten was man will, aber die Ruinen, von deren Existenz die Bauern im Umland schon immer wussten und die Hiram Bingham 1911 so medienwirksam - und damit auch für den späteren Massentourismus - neu entdeckte, sind nun einmal etwas ganz Spezielles. Besonders, weil die Stadt in ihrer Blütezeit etwa 1000 Menschen autark versorgen konnte. Besonders, weil man nie Beweise für die verschiedenen Theorien der Forschung gefunden hat, dass dort zu seiner Zeit tatsächlich ein wertvolles Heiligtum versteckt und/oder verehrt wurde. Besonders, weil man die Ruinen auf dem Bergrücken auch heute noch von unten im Urubambatal kaum ausmachen kann. Und weil die Stadt einfach nur schön ist, eingebettet in diese wunderbar friedliche Landschaft, und jedem Besucher magische Momente beschert, wenn er sie zum ersten Male vor Augen hat.

Ich war aufgeregt wie ein kleiner Junge. Das Valle Sagrado hatten wir hinter uns gebracht, sämtliche Ruinen auf dem Wege erklettert und angeschaut und uns den Höhepunkt für später aufgehoben: Machu Picchu. Jene Ruinen auf dem immer grünen Hügel, die sogar schon für eine Kaffeewerbung herhalten mussten. Die letzte Station war also Aguas Calientes, das wir von Ollantaytambo aus mit dem einheimischen Zug am Spätnachmittag erreichen wollten. Mit etwas Verhandlungsgeschick war das kein Problem und auch wenn in der letzten Siedlung vor Machu Picchu kein Tageslicht mehr herrschte, fühlte ich mich seltsam glücklich. Eine Bleibe ist immer schnell gefunden und selbst in der Unterkunft, die man getrost als Loch klassifizieren hätte können, mit klammer Bettdecke und Schimmel an der Decke, konnte ich wunderbar einschlafen. In mir wurde das Entdeckergen freigesetzt. Den Inka-Trail wollte ich nicht machen, denn man konnte ihn selbst zu meiner Zeit, so um 2002, nicht mehr alleine gehen, sondern musste sich einer geführten Tour anschließen.

Jetzt gleicht der Weg eher einer Müllhalde, ist ausgetrampelt und wenn man Pech mit der Gruppe hat, vergeht einem wahrscheinlich nicht nur der Entdeckergeist.

[zoom]

Obendrein ist es auch komisch, dass man an den Ruinen selbst erst um 8 Uhr morgens ankommt, die Sonne also bereits am Himmel steht und die Touristen mit ihren Bussen immerfort eintrudeln.

Um 5 Uhr war Aufstehen angesagt. Schließlich wollten wir zu den ersten gehören, die den Sonnenaufgang oben auf den Ruinen erlebten. Eine Stunde quält man sich dann den Berg hinauf. Quälen deshalb, weil man weitgehend auf einer Treppe nach oben muss, die man extra für die Wanderer errichtet hat. Doch zu so früher Stunde wird man belohnt. Es sind nur sehr wenige Gleichgesinnte auf der Strecke, man muss nicht für das Ticket anstehen und das satte Eintrittsgeld von 25 Dollar (mit Studentenrabatt) ist einem spätestens dann egal, wenn man die ersten Schritte in Richtung Ruinen geht. Sie nehmen einem den Atem, man muss sich setzen und die Szenerie auf sich wirken lassen. Pünktlich taucht die Sonne die ersten Steine in weiches, gelbbraunes Licht und vertreibt den zarten Nebel, der sie nachts zuweilen umhüllt.

Mit jedem weiteren Strahl, der über die Mauern kriecht, zieht diese Ruinenstadt einen mehr in ihren Bann. Sie ist so friedlich und ruhig und mit einer sonderbaren Magie ausgestattet, die einem das Herz erwärmt.

[zoom]

Welches Geheimnis mögen die Inkaherrscher und ihr Volk hier oben wirklich gehütet haben? Wie mögen sie gelebt haben, wie geliebt?

Erst, wenn es zu viele bunte Punkte werden, die unten auf dem Hauptplatz die grünen Flächen bevölkern, wird man aus seinen Gedanken gerissen. Höchste Zeit, sich selbst die Ruinen noch einmal genauer anzusehen und den obligatorischen Rundgang zu machen. Man riecht noch den Schweiß an den Steinen, die die Inkas ohne Rad auf über 2800 Meter hinaufgeschleppt haben, nur um diese wunderbare Stadt zu errichten, die sogar ein eigenes Wassersystem besaß. Man will nicht weg, guckt zu allen Seiten ins Tal hinab, lässt sich nieder, isst eine Kleinigkeit, die man eingepackt hat und fragt später den Wärter, ob man nicht doch für kleines Geld am Tor weiter oben, jenem Punkt, wo die Leute auf dem Inkatrail zum ersten Mal die Ruinen sehen, übernachten kann, was dieser freilich mit einem Kopfschütteln quittiert. Nachdem man dann die Summe erhöht hat und er einem recht bestimmt zu verstehen gibt, dass hier nichts zu machen ist, geht man irgendwann bei Sonnenuntergang wieder hinunter. Und in einem bleibt das wunderbare Gefühl, etwas ganz Besonderes erlebt zu haben, ohne dass das ein Außenstehender verstehen würde. Auf Fotos zu Hause schwelgt man dann ein bisschen, aber die erlebbare Erinnerung ist fest in Herz und Hirn verankert. Ein wunderbarer Zustand.

Drei Jahre später bin ich wieder da. Aguas Calientes ist einen Tick touristischer geworden, ich etwas älter, die Begleitung ist eine andere, aber der Rest ist nahezu identisch.

[zoom]

Das Hotel hat noch mehr Schimmel an der Decke, die Türen schließen nicht richtig, irgendwo krabbeln noch zwei Kakerlaken über den Boden und die Bettdecke ist noch immer klamm. Aber bereits die Anreise war eine andere: Auf den einheimischen Zug in Ollantaytambo kommt man nicht mehr, allen Überredungskünsten zum Trotz. Jetzt kann man nur noch mit dem Touristenzug mitfahren, zahlt aber den gleichen Preis, als wäre man vom knapp 90 Kilometer entfernten Cusco losgefahren. In Aguas Calientes kann man noch immer nichts machen außer trinken und essen und bei den Indios ein paar Artesanías erwerben, die es auch sonst überall in Peru gibt. Ich schlafe erneut hervorragend, was diesmal jedoch vor allem auf das Bier Cusqueña zurückzuführen ist. Aber der Entdeckergeist funktioniert erneut. Um fünf möchte ich aufstehen, aber meine Begleitung ist kaum wach zu kriegen. Es dauert über eine halbe Stunde, bis sie sich überhaupt aus dem Bett herausgeschält hat und als wir erst auf der Strecke sind, bemerke ich allzu schnell, wie uns die Sonne wärmt. Zwar sind wir auf den Treppenstufen noch weitgehend allein, aber fast bei jeder Straßenüberquerung müssen wir den stinken Bussen Vorfahrt einräumen, die sich mit überwiegend grauhaarigen Touristen nach oben quälen. Am Eingang angekommen, dürfen wir dann auch erst einmal Schlange stehen, um die knapp 100 Dollar abzudrücken, um die heilige Stätte begehen zu dürfen. Überall sehe ich Funktionsklamotten, überdimensionierte Sonnenhüte und weiße Socken in Sandalen.

Als wir uns endlich den Weg auf den klassischen Panoramapunkt unterhalb des Wachhauses gebahnt haben und uns setzen, muss man nach dem saftigen Grün des Hauptplatzes schon suchen, denn die Touristen schieben sich wie eine Kolonne Ameisen vor und zurück und man hat das Gefühl, dass der ganze Berg bereits leicht schwankt.

Natürlich machen wir einen Rundgang. Oder versuchen es zumindest. Anstehen und Drängeln bei der Intihuatana-Sonnenuhr, schnelles Foto, am Haupt- und Drei-Fenster-Tempel das gleiche Bild. Auch im Königstempel samt Grab sind wir umringt von lärmenden Touristengruppen, die wild durcheinanderreden.

[zoom]

Beim Tempel des Kondors habe ich längst schon meine Kamera tief in meiner Tasche vergraben. Die Lust ein paar nette Bilder für die Nachwelt zu machen, ist mir gehörig vergangen. Der einzige Lichtblick beschränkt sich darauf, vom Handwerkerviertel über die vielen Terrassen ins Urubambatal hinabzublicken. Selbst einen Aufstieg auf den berühmten Huayna Picchu erwäge ich kurz, lasse den Gedanken aber so schnell wieder fallen, wie er gekommen ist, als ich die bunte Schlange schon mit bloßem Auge erkennen kann, die sich mühevoll hinaufmüht. Alle Magie war verflogen. Und sie kam auch nicht mehr zurück, so sehr ich es auch versucht habe.

Eine kleine Pause oben am Friedhof, aber dann kamen schon im Rücken die enthusiastischen Leute des Inkatrails, die sich offenbar so viele Geschichten lauthals um die Ohren schreien mussten, dass sie sogar von einem der Wärter etwas verächtlich angesehen wurden.

Und so haben wir schon am Mittag Abschied genommen und uns von einem Bus mitnehmen lassen. Noch heute fragen wir uns, wie der kleine Indio im Inkagewand es geschafft hat, den Bus bei jeder Kurve wieder abzufangen und uns einen gewiss uralten Quechua-Gruß immer wieder aufs Neue lauthals entgegen zu schleudern.

[zoom]

In jedem Falle gab’s einen Geldregen, so angetan war die Busgesellschaft von diesem kleinen Eingeborenen. Wahrscheinlich aber hat er uns nur verflucht und uns ein Nimmerwiedersehen gewünscht. Schließlich ist der Berg noch immer heilig, wenngleich er touristisch ausgeschlachtet wird und weit mehr Besucher auf den Ruinen rumturnen, als es die Wissenschafter für sinnvoll halten. Von den unzähligen geheimen Gängen unter den alten Mauern, sind viele schon eingestürzt und irgendwann werden es zu viele Menschen sein, die die Ruinen täglich besuchen wollen.

Mittlerweile zahlt man über 125 Dollar Eintritt, der Staat verdient gut daran und erwog zwischendurch sogar, ob man nicht eine Seilbahn zu den Ruinen hinaufbauen sollte. Das wäre doch sehr bequem und lukrativ.

Erst einmal ist dieses Vorhaben jedoch gestoppt worden und auch die Besucherzahlen wurden beschränkt - und es sind trotzdem noch zu viele pro Tag.

[zoom]

Eines Tages wird der Berg sich wehren, da sind sich die Bewohner der Region einig. Bis es soweit ist, büßt er jeden Tag aufs Neue von seiner Magie ein. Zumindest für all diejenigen, die ihn zum zweiten Male bestiegen haben.


Text + Fotos: Andreas Dauerer

[druckversion ed 01/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]