caiman.de 01/2011

[kol_1] Grenzfall: Der Mann mit der silbernen Maske
Lucha Libre, ein mexikanisches Phänomen.
 
Einen echten Luchador sollte ich kennen lernen. Einen der großen Helden des Landes, der nie ohne seine Maske aus dem Haus geht. Ein Kämpfer, der in einer Arena mit Händen und Füßen gegen seine Gegner um Ruhm und Ehre kämpft. Mit Teresa und Karlsson, meinen Kommilitonen, wollte ich mich bei "Master Terror" zu Hause treffen, um anschließend mit ihm zusammen zur Arena zu fahren. Karlsson hieß in Wirklichkeit Nestor, aber so ganz ohne Hals und wegen seines dicken runden Kopfes sah er aus wie Karlsson vom Dach. Karlsson kannte Master Terror privat und hatte uns das Treffen organisiert. Aber bevor er uns Zutritt zu seinem Haus gewährte, wollte Master Terror zumindest mich noch einmal kennen lernen.

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Karlsson gab mir Terrors Messenger-Kontakt und ich war ganz aufgeregt, einen echten Luchador kennen zu lernen. Wir schrieben ein bisschen, ich fragte woher er komme und wie lange er schon im Ring stehe und er fragte, ob er mir mal ein paar Orte in der Stadt zeigen solle und ob ich gerne mit ihm tanzen gehen würde. Nach 1,5 Stunden fing er an, zu jammern, dass er keine Freundin habe und ich wimmelte ihn ab.

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Am nächsten Tag treffen wir uns bei Master Terror zu Hause. Wir sitzen im Wohnzimmer und seine Eltern und Geschwister, mit denen Master Terror lebt, stellen sich uns vor. Das Wohnzimmer ist überladen mit Heiligenbildchen, Kreuzen und Fotos von seiner kleinen Schwester im Prinzessinenkleid. Dazwischen sitzt ein breitschultriger Mann in frisch gebügelten Hosen und mit Krawatte: Master Terror. Dazu trägt er eine glitzernde silbern-schwarze Maske, durch die man nur ein Auge und eine Mundhälfte erkennen kann. Master Terror erzählt uns von seinen Erfolgen, er zeigt uns zwei Zeitschriften, in denen er schon abgebildet wurde. Als wir uns auf den Weg zum Kampf machen wollen, umarmen und segnen Master Terrors Eltern ihren Sohn. Mitkommen wollen sie nicht. "Wir sind nur froh, wenn er gesund wiederkommt."

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Wir verlassen das Haus, quetschen uns in das Auto von Karlssons Freund und fahren zur Arena, einer kleinen Halle mit kahlen, weißen Wänden und einem Wellblechdach, in dem ein paar Klappstühle um eine Art Boxring gestellt wurden. Gekonnt winkt Master Terror uns an der Kasse vorbei und in die Arena hinein. Er nimmt Teresa mit in den Ring, zeigt ihr ein paar Tricks, die sie an ihm anwendet. Als sich die Bar und die Klappstühle füllen, verschwindet Master Terror und wir suchen uns unsere Plätze.

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Das Publikum jubelt. Besonders die stark geschminkten Frauen feuern ihre Favoriten an. Untersetzte Männer brüllen, springen auf, machen ihrem Ärger Luft. Ein paar Kinder kriegen das Grinsen nicht mehr aus ihrem Gesicht, nachdem sie mit ihrem Liebling abklatschen konnten. Je schmerzverzerrter die Gesichter der Luchadores, umso heftiger der Jubel der Zuschauer. Als der erste Luchador während des Kampfes aus dem Ring fällt, oute ich mich als Neuling: ich springe zur Seite und rücke mit meinem Stuhl soweit es geht nach hinten. Alle anderen kommen näher und brüllen lauter als zuvor.

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In der Pause tanzt der Sohn eines Luchadors im Ganzkörperkostüm zu Musik von Michael Jacksons. Sein Vater nimmt ihn, ebenfalls in voller Tracht, beim Finale auf die Schultern.

Master Terror und sein Mitstreiter kämpfen ganz am Schluss gegen ein ebenfalls aus zwei Kämpfern bestehendes Team. Alle vier posieren zuvor noch im Ring für ihre Fans. In eine schwarze Lackunterhose und ein Unterhemd gewickelt, attackiert Master Terror dann seinen Gegner. Er klettert auf die Ecke des Rings, springt mit voller Wucht auf ihn drauf, zieht ihn an sich, knallt ihn kopfüber wieder auf den Boden und scheint ihm die Beine herauszureißen und die Finger abzubeißen. Es wirkt, als gäbe es in diesem Kampf keinerlei Regeln, doch falsch gedacht.

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Das Regelwerk ist sogar sehr kompliziert. Es fängt schon mit der Unterscheidung zwischen technischen und brutalen Kämpfern an. Karlsson versucht, mir die Regeln zu erklären, doch in diesem Moment geht Master Terror genau vor meinen Füßen zu Boden, er hat den Kampf verloren. Sein Gegner triezt ihn noch etwas, dann feiert er seinen Sieg. Es folgt die traditionelle Das-nächste-Mal-kriegen-wir-euch-Rede vom Verliererteam und die Zuschauer verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind.

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Mit einem "echten" Kampf in einer großen Arena habe das noch nichts zu tun, versichert Karlsson mir. Doch in seinem Gesicht erkenne ich das aufgedrehte Grinsen. Mich hat an diesem Tag das Lucha-Fieber nicht gepackt. Und auch schwitzend in Lederunterhose finde ich Master Terror nicht anziehender, als im Anzug auf der elterlichen Couch. Aber jedermann fühlt, dass in der Arena ein anderer Wind weht. Auch kleinere Luchadores wie Master Terror und seine Gegner werden dort als Helden gefeiert.

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Sein Geld verdient Master Terror zwar als Bäcker, aber seine Fans verdient er sich in Lackunterhose und Maske im Ring. Bis heute kenne ich weder seinen richtigen Namen noch sein Gesicht und ich frage mich, ob er auch maskiert mit mir tanzen gegangen wäre.

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Text + Fotos: Annika Wachter

[druckversion ed 01/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]

Die Autorin auf Tour – absolut lesens- und schauenswert!
Annika & Roberto sind mit dem Fahrrad nach Süd-Ost Asien unterwegs
Ihren Blog zum Trip "Tasting Travels – tasting the cultures of the world" findet ihr unter:
www.tastingtravels.com