ed 01/2011 : caiman.de

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brasilien: BOPE - Die Musketiere von Rio de Janeiro
THOMAS MILZ
[art. 1]
druckversion:

[gesamte ausgabe]


spanien: Antequera - Der Felsen der Verliebten
BERTHOLD VOLBERG
[art. 2]
peru: Ayacucho und seine Vergangenheit
ROBERT GAST
[art. 3]
spanien: Manifesta 8 - Murcia/Cartagena (Bildergalerie)
DIRK KLAIBER
[art. 4]
grenzfall: Der Mann mit der silbernen Maske
Lucha Libre, ein mexikanisches Phänomen
ANNIKA WACHTER
[kol. 1]
pancho: Das Geheimnis des Cajuína-Saftes
THOMAS MILZ
[kol. 2]
macht laune: Kulinarisches Jahreswechsel-Dilemma
Blauer Koch an Guasacaca
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[kol. 3]
lauschrausch: Xiomara / Harold López-Nussa Trio
TORSTEN EßER
[kol. 4]




[art_1] Brasilien: BOPE – Die Musketiere von Rio de Janeiro
 
Im Volksmund galten sie als Schlächter, die ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in die Favelas Rio de Janeiros eindringen, wild um sich schießen und dann mit ihrer Beute in Form von beschlagnahmten Drogen abziehen, nur um diese dann auf eigene Rechnung wieder zu verkaufen. Genauso korrupt wie der Rest der Polizei von Rio de Janeiro, nur brutaler und besser bewaffnet, so urteilte man über Rios Spezialtruppe BOPE. Als Brasiliens Filmemacher Jose Padilha ihnen mit TROPA DE ELITE 2007 ein Denkmal setzte, wussten viele nicht, ob sie die harten Kerle rund um ihren Boss, Capitão Nascimento, als furchtlose Gesetzeshüter bewundern oder als Faschisten verurteilen sollten. Doch diese Zeiten sind endgültig vorbei.

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Seit 2008 stürmt BOPE eine Favela nach der anderen, um dann Befriedungstrupps der regulären Polizei nachrücken zu lassen. UPP nennt sich das Model, Peace Keeper ohne blaue Helme, dafür mit der Lizenz zum Töten. Die Bevölkerung heißt die Polizeikräfte, allen voran die Jungs vom BOPE, stets euphorisch willkommen. Weiß man doch seit Padilhas Film, den die meisten übrigens als illegal gebrannte DVD gesehen haben, dass in den schwarzen Uniformen Männer mit Anstand, Moral und einer einzigen Mission stecken: das ihrer Meinung nach Richtige zu tun. Abweichler werden dabei schonungslos im Selbstreinigungsverfahren aus der Truppe entfernt. Männer mit Prinzipien, inmitten einer prinzipienlosen Welt. Männer mit Anstand inmitten einer anstandslosen Gesellschaft. Selbstlose Helden, die ihr Leben für Werte aufs Spiel setzen, die andere nie kannten. Wahre Musketiere inmitten eines postmodernen Endzeit-Szenarios.

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In 2010 erreichte der BOPE-Hype bisher unvorstellbare Höhen. Zuerst stürmte die Truppe mit TROPA DE ELITE 2 Brasiliens Kinos und brach dabei mit bisher 11 Millionen Zuschauern sämtliche Rekorde der nationalen Kinogeschichte. Dieses Mal geht Capitao Nascimento nicht den Drogenbossen, sondern den korrupten Politikern eigenhändig an den Kragen. "Der Feind ist nun ein anderer", so der Untertitel des Epos. Zu den Leinwandbildern gesellten sich rasch die Nachrichtenbilder der News-Channel. Auf ihnen stürmte BOPE Ende 2010 ein Drogen-Hauptquartier nach dem anderen, darunter den "Complexo do Alemão", gerne auch als das Herz und Hirn von Rios Drogenhandel bezeichnet. Kino- und Nachrichtenbilder vermischten sich, waren kaum noch auseinander zu halten. Die Realität überholte die Fiktion, meinten Beobachter. Und tatsächlich hätte wohl kein Regisseur die Flucht des Comando Vermelho aus der Vila Cruzeiro besser inszenieren können als die Hubschrauberkameras von TV Globe es taten.

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Nun sind sie Helden, die BOPE-Jungs. Retter des Vaterlandes, die letzten Aufrichtigen und Capitao Nascimento Vorbild für all diejenigen, die von konventioneller Konfliktlösung schon lange die Nase voll haben. Ob er TROPA DE ELITE 3 drehen werde, wurde Jose Padilha gefragt. Er wisse es noch nicht. Wahrscheinlich möchte er erst einmal in aller Ruhe beobachten, was die Realität noch so alles aus dem Hut zaubert.

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 01/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]





[art_2] Spanien: Antequera - Der Felsen der Verliebten
 
Vor den Toren der romantischen Kleinstadt Antequera in Andalusien liegt ein Felsen, der als Gipfel der Romantik eigentlich ein Pilgerort für Liebende aus aller Welt sein müsste. Und das nicht nur deshalb, weil dieser enorme, 880 Meter hohe, Felsblock sehr dekorativ vor dem Stadtpanorama posiert - so als hätten ihn moderne Stadtplaner dorthin gebaut. Nein, schon seit Ewigkeiten grüsst diese Kalksteinformation alle Reisenden, die sich von Nordwesten her Antequera nähern.

Dieser "Felsen der Verliebten" hat seinen Namen auch nicht daher, weil im Sommer die Liebespaare aus Antequera sich hier zu heißen Klettertouren verabreden würden, sondern weil eine alte Legende ihn zum Mekka von unglücklich Verliebten und unerfüllbaren Sehnsüchten gemacht hat. Die Legende aus dem frühen 15. Jahrhundert erzählt die Geschichte von Tello und Tagzona - nichts weniger als das leidenschaftlichste Liebesdrama aller Zeiten.



Es begab sich in der Epoche der Kleinkriege und Grenzscharmützel zwischen Christen und Mauren, als Antequera noch zum muslimischen Königreich Granada gehörte, dass der christliche Ritter Tello in maurische Gefangenschaft geriet und in einen Kerker geworfen wurde. Die neugierige maurische Prinzessin Tagzona, Tochter des Kommandanten, machte einen Rundgang, um die neu angekommenen Gefangenen zu besichtigen. Und als sich im Dämmerlicht des Kerkers die Blicke der Beiden trafen, war es Liebe auf den ersten Blick. Wie sie sich ansonsten verständigten, ob Tello arabisch oder Tagzona kastilisch sprach, ist nicht bekannt. Jedenfalls befreite die Prinzessin eines nachts heimlich ihren Ritter und dem Liebespaar gelang die Flucht. Am nächsten Morgen wurde diese bemerkt und der wutentbrannte Vater Tagzonas ließ sie von einem Trupp Bogenschützen verfolgen. Damals war eine christlich-muslimische Liebesbeziehung für die Eltern nicht zu akzeptieren.

Als die Liebenden Tello und Tagzona an das Felsmassiv gelangten, beschlossen sie, empor zu klettern, in der Hoffnung, dass die Reiter ihnen dorthin nicht folgen können würden. Doch sie hatten die Reichweite der Bogenschützen unterschätzt. Als sie auf dem weitgehend unbewachsenen Fels entdeckt und umzingelt waren, kletterten sie immer höher, während die Pfeile ihrer Verfolger dicht neben ihnen durch die Luft sausten. Schließlich standen sie am höchsten Punkt des Felsens vor dem Abgrund.
Es schien nur zwei Möglichkeiten zu geben: entweder von Pfeilen durchbohrt zu werden oder sich zu ergeben, gefangen genommen und für immer getrennt zu werden. Sie entschieden sich für den dritten Weg - ein tiefer Blick in die Augen, ein endloser Kuss - dann sprangen Tello und Tagzona in enger Umarmung aus 880 Metern Höhe in den gemeinsamen Liebestod.



"Romeo und Julia" gleicht dagegen einer seiten Romanze. Hätte Shakespeare statt der italienischen Vorlage diese andalusische Version bedingungsloser Liebe über Feindesgrenzen hinweg gekannt, würden Romantiker aller Länder schon seit Jahrhunderten nicht nach Verona, sondern nach Antequera pilgern.

Dabei war die Legende im 15. Jahrhundert zumindest in Spanien bekannt und populär, wie uns ein Eintrag im Bordbuch des Kolumbus beweist, der über einen Felsen auf der neu entdeckten Insel Hispaniola notiert, er sähe ähnlich aus wie der Felsen der Verliebten bei Antequera.

Ob dieser dramatische Hügel nun wirklich aussieht (so behaupten viele Beschreibungen) wie das liegende, zum Himmel schauende Gesicht eines Menschen, hängt wohl von dem Vorstellungsvermögen jedes einzelnen Betrachters ab.

Die Legende vom Felsen der Verliebten hat jedenfalls zahllose spanischsprachige Gedichte und Theaterstücke inspiriert; auch der große Cervantes präsentiert im fünften Kapitel seines "Don Quijote" eine sehr ähnliche Geschichte - allerdings mit glücklichem Ende.

Und so ist bis heute in Antequera ein beliebtes Thema für Schulaufsätze oder Literatur-Wettbewerbe das Verfassen von alternativen (und meist glücklichen) Ausgängen für diese pathetische Liebesgeschichte. Viele suchen die Inspiration für ihre Legenden der Leidenschaft in unmittelbarer Nähe von Antequera.

Im Tourismus-Büro von Antequera wurde ich jedoch gewarnt, dass eine Besteigung des Felsens verboten sei und dass die Guardia Civil manchmal Kontrollgänge durchführen würde, um ungebetene Besucher, Dichter am Rande des Wahnsinns (und potentielle Selbstmörder) vom Gipfel fern zu halten. Vielleicht will man aber auch einfach nur vorbereitet sein auf den erhofften Ansturm der Romantiker.



Letztendlich kann man sich aber damit trösten, dass dieser Felsen von weitem schöner anmutet als direkt davor stehend. Den schönsten Blick auf den spektakulären Kalksteinfelsen hat man von der Alcazaba und von der hoch gelegenen Gasse Nina de Antequera hinter der Alcazaba, sowohl bei Sonnenaufgang als auch in der Abenddämmerung, wenn er im Licht der untergehenden Sonne rötlich schimmert.

Text + Foto: Berthold Volberg

Sehenswertes:
Anfahrt mit dem Zug nach Antequera
Von Málaga (Fahrt dauert ca. 30 Minuten)
Von Sevilla (knapp 2 Stunden)
Von Madrid (mit dem AVE, 3 Stunden)

Monumente
Alcazaba von Antequera:
Öffnungszeiten: Di.-Fr. 10.30-14.00 und 16.00-18.00, Sa. + So. 11.30-14.00,
Eintritt Frei (Mo. geschlossen)

Dólmenes (Grabtempel)
Öffnungszeiten: Di.-Sa. 9.30-18.00, So. 9.30-14.30, Mo. geschlossen
Eintritt Frei

Museo Municipal
Öffnungszeiten: (z.Z. wg. Restaurierung geschlossen)

Ausflug in den Naturpark "El Torcal"
Ein Taxi (außer Leihwagen oder Fahrrad die einzige Möglichkeit) zur spektakulären Berglandschaft des Naturparks "El Torcal" (ca. 20 Kilometer gen Süden) kostet 40,- € und man startet am besten von der Stierkampfarena an der Puerta de Estepa aus.


Empfehlungen:

Hostal Colón
C. Infante Don Fernando 29-31, Tel. ++34-952840010
Sehr schönes altes Hotel in bester Lage mit einfachen, sehr preisgünstigen Zimmern und sehr freundlichem und hilfsbereitem Empfang.

Hostal + Restaurante Plaza San Sebastián
Plaza San Sebastián 4; Tel. ++34-952844239
Email: informacion@hotelplazasansebastian.com
www.hotelplazasansebastian.com

Restaurante La Giralda
C. Mesones 8-10, Tel ++34-952845860
Email: lagiralda@conexanet.com
www.conexanet.com/lagiralda
Geöffnet 12 Uhr-16 Uhr und 20 Uhr-23.30 Uhr, montags geschlossen
Schönes Restaurant mit sehr netter Bedienung
Spezialitäten: Lammfleisch, rotes Fleisch vom Grill und Wild; Crepes und "Delicatessens" (köstliche kleine Überraschungen); gute Weinkarte

Restaurante la Giralda
Hostal Colon

Meson Juan Manuel
C. San Agustin 1, Tel. ++34- 952843484,
geöffnet 13 Uhr-17 Uhr und 20 Uhr-24 Uhr,
Rustikales Ambiente, mittags ein leckeres und großzügiges Tagesmenü,
Spezialiäten: Geflügel, "Porra Antequerana" (die hiesige Version des "Salmorejo", eine Art cremiges "de luxe Gazpacho"), Fleisch vom Grill

El Angelote
C. Encarnación"/ Ecke "Coso Viejo", Tel. ++34-952703465
Edles Restaurant der gehobenen Preisklasse, untergebracht in altem Palast,
breit gefächerte Spezialitätenangebot und Weinkarte

Cafetería La Mandrágora
Plaza Las Descalzas 1, Tel. ++34-952845743
Email: elpadrinodemenga@hotmail.com
Eine Tapas-Bar / Cafetería für vorwiegend junges, teils alternatives Publikum, mit leckeren + sehr preisgünstigen Tapas + Kuchen + Crepes und mit sehr geschmackvoller Musik-Berieselung (Flamenco, Jazz, Blues).

Quellen:

"El Angelote”- Periodico turistico de Antequera, Nr. 4 (2010)
"Comarca de Antequera - más cerca de tí" (Guía de profesionales 2010)

[druckversion ed 01/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_3] Peru: Ayacucho und seine Vergangenheit
 
"Hier muss man großes Vertrauen in Leute haben, die man nicht kennt", meint meine Begleiterin während ich mit einem bangen Gefühl im Magen in den Abgrund jenseits der Fensterscheibe des Busses schaute. Vor etwa zwei Stunden ist die asphaltierte Straße von Huancayo nach Ayacucho zur steinigen Piste geworden, die in einen Berghang oberhalb eines Canyons gemeißelt ist. Alle paar Kilometer sind Kreuze am Fahrbahnrand aufgestellt, die uns daran erinnern, dass wir uns auf einer der gefährlichsten Routen des peruanischen Hochlands befinden.

Doch bisher wurde keine Leitplanke installiert und so trennt uns nur die umsichtige Fahrweise des chofers in Verbindung mit ausbleibendem Gegenverkehr von größeren Panikattacken. Ziemlich durchgeschüttelt kommen wir eine Reifenpanne sowie einen halben Tag später wohlbehalten in Ayacucho (150.000 Einwohner) an.

Ayacucho entpuppt sich als gemütliches Andenstädtchen, dessen Bewohner uns ähnlich freundlich-unaufdringlich begegnen wie die Huancayos. Aber im Gegensatz zu Huancayo sind die Straßen Ayacuchos mit Vergangenheit gepflastert. So wurde die Region im Laufe der Jahrhunderte mehrfach an die Oberfläche der peruanischen Nationalgeschichte geschwemmt – und hat manche Narbe davongetragen, die man in Anbetracht der Freundlichkeit der Bewohner nicht vermuten würde.

1. Zu Zeiten, als Europa im dunklen Mittelalter verharrte, war die Region rund um Ayacucho Sitz einer Hochkultur. Die Wari errichteten zwischen 500 und 1100 nach Christus ein Imperium, das zu seiner Blütezeit zwei Drittel der Fläche des heutigen Perus umfasste.

Wenn die Überlieferungen wahr sind, war der Antrieb der Wari nicht Größenwahn, sondern das Bestreben, neue Märkte für ihre Produkte zu erschließen. Ihre 50.000 Einwohner große Hauptstadt hatte der Händlerstamm auf einer Bergschulter einige Kilometer vom heutigen Ayacucho entfernt errichtet.

Heutzutage ist von der Wari-Hauptstadt nur noch ein 1.500 Hektar großes von Mauerresten, die im Laufe der Jahrhunderte von Kakteen überwachsen und vom Wüstenwind erodiert wurden, übersätes Gebiet übrig geblieben. Beim Spaziergang durch die Ruinen fühlt man sich dennoch in die damalige Zeit zurückversetzt. Für einen kurzen Moment konnte ich mir vorstellen, wie hier einst eine pulsierende Handelsmetropole dem rauen Hochlandklima trotzte.

2. Nicht unweit der Wari-Ruinen, am Rande des kleinen Dörfchens Quinua, wurde ein weiteres Stück peruanischer Geschichte geschrieben. Auf einem Hügelkamm, der das Tal von Ayacucho überblickt, besiegten im Jahr 1824 5.000 Peruaner 8.000 Royalisten und besiegelten damit die Unabhängigkeit Perus vom spanischen Imperium.

Ein 40 Meter hoher Obelisk erinnert an die Schlacht, die sich wie kaum eine andere ins peruanische Nationalgedächtnis eingebrannt hat. Auf dem ehemaligen Schlachtfeld durchstreift der Wind vertrocknetes Gras und Kinder lassen Drachen steigen. Auch hier konnte ich mir  ausmalen, wie an dieser Stelle einst gelitten und getötet wurde. Viele Peruaner scheinen sich zu dem Denkmal hingezogen zu fühlen – die Stätte war von einheimischen Touristen regelrecht überlaufen.



3. Das letzte geschichtsträchtige Kapitel Ayacuchos liegt nicht mal drei Jahrzehnte zurück. Die maoistischen Guerillas des Leuchtenden Pfades überzogen in den 80er Jahren (nach dem Ende der Militärdiktatur und der Etablierung einer demokratischen Regierung) die zentrale Andenregion mit einer blutigen Terrorkampagne. Anfang der 90er Jahre weitete sie sich auf ganz Peru aus. Ihren Ursprung nahm der bürgerkriegsähnliche Konflikt in Ayacucho, dessen Umland auch einen Großteil der über 60.000 Opfer zu beklagen hatte. Die Schuld ist hierbei nicht alleine den Rebellen zuzuschieben, denn die 1982 ausgesandte Armee wütete auf der Suche nach Guerillas mindestens genauso schlimm, besonders unter der indigenen Bevölkerung. Bis zur Verhaftung der Führungsriege des Sendero Luminoso im Jahr 1992 wurden Provinz-Politiker ermordet, Hilfsprojekte zerstört, etliche Menschen verschleppt und gefoltert sowie ganze Dörfer ausgelöscht. Die Aufarbeitung dieser traumatisierenden Epoche hat erst in diesem Jahrtausend begonnen.

Initiierend dabei war unter anderem der von Witwen gegründete Anfasep-Verein (Asociacion Nacional de Familiares de Secuestrados Detenidos y Desaperacidos del Peru), der ein Museum in Ayacucho betreibt.

Einen sehr guten, obgleich etwas skurrilen Einblick gibt auch das Buch "Tod in den Anden" des peruanischen Literatur-Nobelpreisträgers Mario Vargas Llosa.

Obwohl wir zuvor schon mehrere Wochen in Peru unterwegs waren, bekamen wir erst durch diese "Geschichtsstunde" einen Einblick in die peruanische Seele. Es schien uns eine stolze Seele zu sein, die das Leid der Vergangenheit mit Fassung trägt, neben der lateinamerikanischen Gastfreundschaft aber auch einen Funken Skepsis in ihrem Inneren einschließt. Erst nach Ayacucho glaubten wir verstanden zu haben, weshalb das so ist.

Text + Fotos: Robert Gast

[druckversion ed 01/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: peru]





[art_4] Spanien: Manifesta 8 - Murcia / Cartagena (Bildergalerie)
 
Manifesta 8 / 09.10.2010 - 09.10.2010
Region Murcia im Dialog mit Nordafrika

Murcia
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Cartagena
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Fotos: Dirk Klaiber

[druckversion ed 01/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[kol_1] Grenzfall: Der Mann mit der silbernen Maske
Lucha Libre, ein mexikanisches Phänomen.
 
Einen echten Luchador sollte ich kennen lernen. Einen der großen Helden des Landes, der nie ohne seine Maske aus dem Haus geht. Ein Kämpfer, der in einer Arena mit Händen und Füßen gegen seine Gegner um Ruhm und Ehre kämpft. Mit Teresa und Karlsson, meinen Kommilitonen, wollte ich mich bei "Master Terror" zu Hause treffen, um anschließend mit ihm zusammen zur Arena zu fahren. Karlsson hieß in Wirklichkeit Nestor, aber so ganz ohne Hals und wegen seines dicken runden Kopfes sah er aus wie Karlsson vom Dach. Karlsson kannte Master Terror privat und hatte uns das Treffen organisiert. Aber bevor er uns Zutritt zu seinem Haus gewährte, wollte Master Terror zumindest mich noch einmal kennen lernen.

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Karlsson gab mir Terrors Messenger-Kontakt und ich war ganz aufgeregt, einen echten Luchador kennen zu lernen. Wir schrieben ein bisschen, ich fragte woher er komme und wie lange er schon im Ring stehe und er fragte, ob er mir mal ein paar Orte in der Stadt zeigen solle und ob ich gerne mit ihm tanzen gehen würde. Nach 1,5 Stunden fing er an, zu jammern, dass er keine Freundin habe und ich wimmelte ihn ab.

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Am nächsten Tag treffen wir uns bei Master Terror zu Hause. Wir sitzen im Wohnzimmer und seine Eltern und Geschwister, mit denen Master Terror lebt, stellen sich uns vor. Das Wohnzimmer ist überladen mit Heiligenbildchen, Kreuzen und Fotos von seiner kleinen Schwester im Prinzessinenkleid. Dazwischen sitzt ein breitschultriger Mann in frisch gebügelten Hosen und mit Krawatte: Master Terror. Dazu trägt er eine glitzernde silbern-schwarze Maske, durch die man nur ein Auge und eine Mundhälfte erkennen kann. Master Terror erzählt uns von seinen Erfolgen, er zeigt uns zwei Zeitschriften, in denen er schon abgebildet wurde. Als wir uns auf den Weg zum Kampf machen wollen, umarmen und segnen Master Terrors Eltern ihren Sohn. Mitkommen wollen sie nicht. "Wir sind nur froh, wenn er gesund wiederkommt."

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Wir verlassen das Haus, quetschen uns in das Auto von Karlssons Freund und fahren zur Arena, einer kleinen Halle mit kahlen, weißen Wänden und einem Wellblechdach, in dem ein paar Klappstühle um eine Art Boxring gestellt wurden. Gekonnt winkt Master Terror uns an der Kasse vorbei und in die Arena hinein. Er nimmt Teresa mit in den Ring, zeigt ihr ein paar Tricks, die sie an ihm anwendet. Als sich die Bar und die Klappstühle füllen, verschwindet Master Terror und wir suchen uns unsere Plätze.

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Das Publikum jubelt. Besonders die stark geschminkten Frauen feuern ihre Favoriten an. Untersetzte Männer brüllen, springen auf, machen ihrem Ärger Luft. Ein paar Kinder kriegen das Grinsen nicht mehr aus ihrem Gesicht, nachdem sie mit ihrem Liebling abklatschen konnten. Je schmerzverzerrter die Gesichter der Luchadores, umso heftiger der Jubel der Zuschauer. Als der erste Luchador während des Kampfes aus dem Ring fällt, oute ich mich als Neuling: ich springe zur Seite und rücke mit meinem Stuhl soweit es geht nach hinten. Alle anderen kommen näher und brüllen lauter als zuvor.

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In der Pause tanzt der Sohn eines Luchadors im Ganzkörperkostüm zu Musik von Michael Jacksons. Sein Vater nimmt ihn, ebenfalls in voller Tracht, beim Finale auf die Schultern.

Master Terror und sein Mitstreiter kämpfen ganz am Schluss gegen ein ebenfalls aus zwei Kämpfern bestehendes Team. Alle vier posieren zuvor noch im Ring für ihre Fans. In eine schwarze Lackunterhose und ein Unterhemd gewickelt, attackiert Master Terror dann seinen Gegner. Er klettert auf die Ecke des Rings, springt mit voller Wucht auf ihn drauf, zieht ihn an sich, knallt ihn kopfüber wieder auf den Boden und scheint ihm die Beine herauszureißen und die Finger abzubeißen. Es wirkt, als gäbe es in diesem Kampf keinerlei Regeln, doch falsch gedacht.

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Das Regelwerk ist sogar sehr kompliziert. Es fängt schon mit der Unterscheidung zwischen technischen und brutalen Kämpfern an. Karlsson versucht, mir die Regeln zu erklären, doch in diesem Moment geht Master Terror genau vor meinen Füßen zu Boden, er hat den Kampf verloren. Sein Gegner triezt ihn noch etwas, dann feiert er seinen Sieg. Es folgt die traditionelle Das-nächste-Mal-kriegen-wir-euch-Rede vom Verliererteam und die Zuschauer verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind.

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Mit einem "echten" Kampf in einer großen Arena habe das noch nichts zu tun, versichert Karlsson mir. Doch in seinem Gesicht erkenne ich das aufgedrehte Grinsen. Mich hat an diesem Tag das Lucha-Fieber nicht gepackt. Und auch schwitzend in Lederunterhose finde ich Master Terror nicht anziehender, als im Anzug auf der elterlichen Couch. Aber jedermann fühlt, dass in der Arena ein anderer Wind weht. Auch kleinere Luchadores wie Master Terror und seine Gegner werden dort als Helden gefeiert.

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Sein Geld verdient Master Terror zwar als Bäcker, aber seine Fans verdient er sich in Lackunterhose und Maske im Ring. Bis heute kenne ich weder seinen richtigen Namen noch sein Gesicht und ich frage mich, ob er auch maskiert mit mir tanzen gegangen wäre.

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Text + Fotos: Annika Wachter

[druckversion ed 01/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]

Die Autorin auf Tour – absolut lesens- und schauenswert!
Annika & Roberto sind mit dem Fahrrad nach Süd-Ost Asien unterwegs
Ihren Blog zum Trip "Tasting Travels – tasting the cultures of the world" findet ihr unter:
www.tastingtravels.com






[kol_2] Pancho: Das Geheimnis des Cajuina-Saftes
 
Es ist vollbracht! Eines der am besten gehüteten Geheimnisse ist endlich gelüftet – das Geheimnis des Cajuína-Saftes, dieses wunderbaren Getränks.



Bis in die ländlichen Ausläufer Teresinas waren wir vorgedrungen und litten unter der höllischen Hitze als eine 78-jährige Frau an unsere Türe klopfte und uns einen Eimer voller Caju-Äpfel schenkte. Oder sollte ich zum besseren Verständnis Cashew sagen? Der Caju-Apfel ist die Faust große Frucht, auf der die weltbekannte Cashew-Nuss sitzt. Nur zur Info.

"Wollt Ihr das Geheimnis des Cajuína-Saftes kennen lernen?", fragte uns die Dame, und so gingen wir mit ihr in jenen Hinterhof des Hauses ihrer Schwägerin, auf der anderen Seite jener Straße, die das kleine Dörfchen teilt.



An großen Tischen "sezierten“ die Arbeiterinnen und Arbeiter des Familienbetriebs Caju-Äpfel und drehten sie durch eine Art Fleischwolf. "120 Flaschen Saft produzieren wir in zwei Stunden", sagte der schwitzende Mann an der Fleischwolfmühle ohne aufzublicken. Die Schwägerin fing den ausgepressten Saft in einem Eimer auf. Später dann wird sie gut zwei Liter der Flüssigkeit mit Gelatine anrühren und danach erneut dem Eimer zuführen. "So wird der Saft gereinigt, was nötig ist bevor wir ihn erhitzen können", erklärte sie.



40 Minuten nach dem Erhitzen gießt die Schwägerin den Saft durch einen Filter aus Stoff, bevor er in kleine Flaschen abgefüllt und mit Kronenkorken verschlossen wird. Danach geht es ab ins Wärmebad, einer über einem Feuer stehenden Badewanne voller Wasser. Zwei Stunden lang müssen die Flaschen im heißen Bad verweilen, wobei das Wasser im Laufe dieses Prozesses nur 30 Minuten lang kochen darf. "Mit Hilfe der Hitze erreichen wir einen natürlichen Konservierungsprozess, der den Saft für zwei Jahre haltbar macht."



Während einer Caju-Ernte produziert die Familie auf diese Weise 700 Flaschen Cajuína. "Die Hälfte davon verschenken wir an Freunde und Verwandte, den Rest verkaufen wir zu 2,50 Reals die Flasche." Die 78-Jährige holt ein paar Flaschen aus dem Eisfach, damit wir das himmlische Getränk probieren können.



KÖSTLICH!

PS: Für all diejenigen, die keine Anhänger von Cajuína sind, haben wir ein tolles Mango-Eis-Rezept mitgebracht:

1 Dose gezuckerte Kondensmilch (Milchmädchen)
1 Becher Sahne
1 Glas Milch
1 Ei (ohne Eigelb)
3 Gläser Mango-Fruchtextrakt

Das Ganze im Mixer verrühren, ab in die Kühltruhe. Und viel Spaß beim Essen.

HIMMLISCH!

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 01/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: pancho]





[kol_3] Macht Laune: Kulinarisches Jahreswechsel-Dilemma
Blauer Koch an Guasacaca
 
Ich mach Was-A-Kack-A!
Was machst du?
Was-A-Kack-A - Was-A-Kack-A, Was-A-Kack-A!
Mmmmh. Ich weiß nicht, sollen wir nicht doch lieber eine andere Autorin anmailen, ob sie noch einen Beitrag in Petto hat?

Es ist die Artikel-Absage zur letzten Stunde, die den Redaktionsalltag belebt und nicht nur diesen. Noch sechs Stunden bis zu den Silvesterfeierlichkeiten, zu denen ich Kulinarisches in Form von Grillbeilage beisteuern soll. Zuvor soll der Neujahrscaiman - boah, uns gibt es jetzt 11 Jahre - die Weite des Netzes bis in den kleinsten Compi durchdringen.

Grillen?
Ja, was weiß ich denn... Ich brauche kein Grillen und auch keine Stehparty mit Schampus.

Und das macht die Ideenfindung zum Grillsubgutbeitrag nicht einfacher. Da kommt mir die kack Artikelabsage gerade recht, weil sie beflügelt und adrenalisiert bis die Gedanken bersten und in formvollendeten Ideenschüben die Koch- und Trinklust aus den tiefsten, eingestaubten Winkeln der Kack-Unlust - Stößchen 1, Palimpalim - in die sößchenrührenden Fingerspitzen katapultiert.

Mein Beitrag zur Silvestersause steht: Blauer Koch an Guasacaca - Stößchen 2, Palimpalim



Nimm in Maßen, was der Kühlschrank hergibt: Frühlingszwiebeln, Lauch und Paprika und brat sie kurz an. Dann ab damit in den Mixer. Dazu reife Avocado, Chili nach persönlichem Schärfeverlangen, etwas Mayonnaise, Salz und ein Schuss Wasser. Mixer starten. Fertig! Stößchen 3, Palimpalim. Palimpalim. Palimpalim.

Text + Foto: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 01/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]






[kol_4] Lauschrausch: Xiomara / Harold López-Nussa Trio
 
Xiomara
La voz
Chesky / inakustik
Die ersten Klänge auf "La voz" stammen von einer türkischen Harfe und führen den Hörer somit weit weg vom Herkunftsort dieser Musik – Kuba. Das Instrument begleitet die Sängerin Xiomara Laugart durch den Klassiker "La tarde". Und schnell wird klar, warum dieses Album "La voz" heißt, denn die variationsreiche, fast kristalline Stimme von Xiomara Laugart ist wirklich beeindruckend. Folgerichtig bleibt die Instrumentierung der weiteren Titel spärlich, aber abwechslungsreich. Von "El manisero" existieren tausend Versionen, diese hier, nur mit Harfe, Bass und Percussion instrumentiert, sticht positiv hervor. Das gilt auch für den Klassiker "Besame mucho", bei dem Xiomaras Stimme nur vom Bass begleitet wird.

Xiomara
La voz
Chesky / inakustik

Der Umzug von Havanna, wo sie bereits als sehr erfolgreiche Sängerin galt, nach New York, hat Xiomara Laugart gut getan. So konnte sie neue Eindrücke gewinnen, andere Musiker kennen lernen und so wunderbar reduzierte Versionen von sonst oftmals sehr überladenen Titeln präsentieren. Auch die beiden "jazzigen" Versionen von "Delirio" und "Son de la loma", nur begleitet vom dezenten Saxophonspiel Yosvani Terrys, sind ein Hörgenuss. In "gewohnter" Besetzung Piano-Gesang kommt nur "Como fue" daher, ein weiterer Titel aus dem "Cuban Songbook". Nun zahlt es sich aus, dass Xiomara in Kuba sowohl zeitgenössische als auch traditionelle Musik interpretiert hat. Ein weiterer Grund, warum sie im Jahr 2007 auf dem Broadway die Rolle von Celia Cruz im Musical "Celia Cruz, the Queen of Latin Music" spielen durfte.


Harold López-Nussa Trio
Herencia
World Village/ Harmonia Mundi
Die Reihe junger Piano-Talente aus Kuba reißt nicht ab. Nun schickt sich Harold López-Nussa an, sie fortzuführen. Nachdem er im Jahr 2005 den 1. Preis im Pianowettbewerb des renommierten Jazzfestivals von Montreux gewonnen hatte, begann man auch international auf ihn aufmerksam zu werden.

Mit "Herencia" liegt nun sein zweites internationales Album vor, diesmal im Trio mit dem Bassisten Felipe Cabrera und seinem Bruder, dem Schlagzeuger Ruy Adrian López-Nussa. Die Brüder stammen aus einer musikalischen Familie und bekamen den Jazz in die Wiege gelegt, u.a. von ihrem Onkel, dem Pianisten Ernán López-Nussa. Studiert aber hat Harold 13 Jahre klassisches Klavier und auch in der traditionellen kubanischen Musik fühlt er sich zuhause. Das ist ein riesiger musikalischer Vorteil vieler kubanischer Pianisten, die so den tumbao der Folklore mit der Präzision der Kunstmusik vereinen können. Und auch "Herencia" enthält neben Eigenkompositionen zwei kubanische Titel: "Los tres golpes" von Ignacio Cervantes und "Es más, te perdono" von Noel Nicola, bei dem Omara Portuondo als Gastsängerin auftritt.

Harold López-Nussa Trio
Herencia
World Village/ Harmonia Mundi

Die weiteren Titel wechseln zwischen Modern- und Latin-Jazz, wobei immer wieder auch López-Nussas Faszination für klassische Musik durchscheint. Als Zugabe gibt es eine entspannte Jazzversion von Eric Claptons "Tears in heaven".

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 01/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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