caiman.de 01/2010

[art_1] Brasilien: Der grüne Lula
 
Verdutzt rieb sich so mancher die Augen. Da galt Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva Ende 2009 doch plötzlich als neue grüne Leitfigur zur Rettung des Weltklimas. Für all diejenigen, die in den letzten sieben Jahren Lulas Umweltpolitik - oder das was darunter verstanden wurde - aus der Nähe verfolgten, kommt Lulas "Klimawandel" nun doch etwas überraschend.

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Natürlich ist Lula ein mit allen politischen Wassern gewaschener Fuchs, der stets weiß in welche Richtung der Zeitgeist gerade strebt. Und so nutzte er geschickt den in Kopenhagen entstandenen Hype um das Zauberwort "Nachhaltige Entwicklung", mit dem man auf der Weltbühne sogar daheim umstrittene Staudammprojekte als Investitionen in den Umweltschutz verkaufen kann.

Wirklich neu ist das alles natürlich nicht. Schließlich gibt es grüne Bewegungen in Europa bereits seit Ende der 70er Jahre und auch in Brasilien ringen ach so viele NGOs seit Jahren um das Überleben der Biotope. Nur bei Brasiliens politischer Elite war das Thema bisher noch nicht angekommen. Dann aber zeigte sich Lula bei einer improvisierten Pressekonferenz wenige Wochen vor der COP-15 in Kopenhagen plötzlich kämpferisch. "Was meinen Sie, wieso wir die Initiative ergriffen und konkrete Zahlen auf den Tisch gelegt haben?", fragte er die Journalisten am Rande des Welternährungsgipfels in Rom. "Damit wir diejenigen in die Pflicht nehmen können, die meinen, Brasilien stets eine Lektion erteilen zu dürfen." Wenige Tage zuvor hatte Lula einen Plan zur Reduzierung von Brasiliens Treibhausgasemissionen auf den Tisch gelegt. Um gut 40% werde man 2020 unter den eigentlich zu erwartenden Emissionen liegen und zudem die Abholzungszahlen des Amazonasurwaldes um 80% nach unten drücken.

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Lange hatten Umweltschützer dafür gekämpft, dass Brasiliens Regierung endlich eine freiwillige Verpflichtung zur Reduktion des CO2-Ausstoßes vorlegen würde. Als Annex II Land des Kyoto-Protokolls dürfte man eigentlich munter weiter Emissionen ausstoßen. Aber offenbar genießt Lula seine neue Rolle als neuer Hoffnungsfigur für die Rettung des weltweiten Klimas. Und in dieser Rolle trat er auch bei der Klimakonferenz in Kopenhagen auf. Zwar kannte man ihn bisher bereits als Fürsprecher der armen Entwicklungsländer der südlichen Hemisphäre und Mahner einer gerechteren Welthandelspolitik, aber niemals als grünen Politiker. Doch angesichts des enttäuschenden Auftretens anderer führender Politiker in Kopenhagen muss man Lula für seine Kehrtwende einfach Respekt zollen. Egal aus welchen Motiven sie erfolgte, in Brasilien stand er in seinen nun schon sieben Amtsjahren bei Umweltschützern stets am Pranger.

Wirtschaftswachstum um jeden Preis, massive Förderung der expansiven Landwirtschaft, selbst in bedrohten Biomen wie dem Amazonasregenwald und der Cerrado-Savanne, rücksichtsloser Ausbau der Infrastruktur im Dienste der Exportpolitik und umstrittene Staudammprojekte für die energiehungrige Industrie. Und ohne zu zögern, kippte die Regierung ein Gesetz zur Einführung der strengen EU-Norm für Dieseltreibstoff und lässt die Brasilianer weiterhin die dreckigsten Dieselabgase der Welt einatmen. Erschöpft von den endlosen regierungsinternen Kämpfen gegen ihre wirtschaftsfreundlichen Kabinettskollegen warf Lulas Umweltministerin Marina Silva, von vielen als "Lulas grünes Feigenblatt" bemitleidet, Anfang 2008 das Handtuch und kehrte der Regierung den Rücken. Zuvor hatte Lula den wirtschaftsliberalen Harvardprofessor Mangabeira Unger ein Papier zur langfristigen Entwicklung der Amazonasregion ausarbeiten lassen. Amazonien sei ja schließlich kein Heiligtum, das unberührt bleiben müsse, kommentierte Lula damals. Die Menschen dort hätten genauso das Recht an den Segnungen des modernen Lebens teilzunehmen wie alle anderen Menschen des Planeten auch, so der Präsident.

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Nun sollen neue Straßen in den Urwald geschlagen werden und riesige Staudämme Strom für Millionen produzieren. Vielleicht hatte Marina Silva aber auch erkannt, dass sie außerhalb der Regierung mehr ausrichten kann. Mitte des Jahres schockte sie ihre Partei, Lulas regierende PT (Partido dos Trabalhadores - Arbeiterpartei) mit ihrem Austritt und dem Wechsel zu den Grünen (PV - Partido Verde). Im August kündigte sie zudem an, bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2010 für die Oppositionspartei ins Rennen gehen zu wollen. Ein spürbarer Ruck durchlief Brasilien. Gilt Marina Silva in Brasilien doch als die letzte aufrechte und authentische Politikerin, eine nahezu mythische Figur mit einer fast noch bewegenderen Lebensgeschichte als der unter ärmsten Bedingungen aufgewachsene Lula.

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Aufgewachsen im Urwald in einer Familie von Kautschukzapfern, als Kind von Nonnen vor dem Hepatitistod gerettet, Aktivistin der katholischen Kirche und Mitstreiterin des 1988 ermordeten Urwaldschützers Chico Mendes - das ist Marina Silva. Bei Lulas PT schrillten die Alarmglocken. Die eigene Kandidatin, Kanzleramtschefin und Lula-Vertraute Dilma Rousseff, von Lula zur Kandidatur genötigt, schwächelte in den Meinungsumfragen. Und grün war bei ihr höchstens mal der Hosenanzug. Bis zu 50% der klassischen PT-Wähler könnten statt Dilma nun Marina Silva wählen, alarmierten Meinungsumfragen. Und auch die Presse entdeckte plötzlich den Umweltschutz als neues Wahlkampfthema. Seit Marina Silvas Antritt als Präsidentschaftskandidatin im August schafften es Umweltthemen geschlagene neunmal in die Hauptschlagzeile der beiden größten Tageszeitungen Brasiliens. In den ersten "Marina-freien" acht Monaten des Jahres war das gerade mal ein einziges Mal der Fall. So doziert Lulas Kandidatin Dilma neuerdings über CO2-Ausstoß und Erderwärmung, wenn auch noch ein wenig hölzern. Aber immerhin ist die grüne Welle endlich auch in Brasiliens Politik angekommen. Bleibt nur zu hoffen, dass den Worten nun auch Taten folgen werden.

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 01/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]