ed 09/2011 : caiman.de

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spanien: La Alcazaba de Málaga
Eine Festung mit Blick aufs Meer
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


argentinien / brasilien: Gran Aventura Iguaçu
THOMAS MILZ
[art. 2]
uruguay: La Vela Puerca in Hamburg
Normalmente Anormal Tour 2011
ANDREAS DAUERER
[art. 3]
venezuela: Choroní / Puerto Colombia (Bildergalerie)
DIRK KLAIBER
[art. 4]
macht laune: Wortspiele und Lebensweisheiten
CAMILA UZQUIANO
[kol. 1]
amor: Doppelhochzeit im Reservat
NICO CZAJA
[kol. 2]
grenzfall: Von Adoclovo bis Raboqui Lobo
Auf Adressensuche in modernen Zeiten
THOMAS MILZ
[kol. 3]
lauschrausch: Saxofourte und Raúl Mannola
TORSTEN EßER
[kol. 4]




[art_1] Spanien: La Alcazaba de Málaga
Eine Festung mit Blick aufs Meer
 
Die Alcazaba von Málaga wurde im 11. und 12. Jahrhundert auf Befehl der arabischen Könige des Taifa-Reichs von Granada erbaut, zum Schutz dieses Küstenabschnitts und der Hafenbucht von Málaga. Sie ist – zusammen mit der Alcazaba von Almería – der größte Festungsbau aus der islamischen Epoche Spaniens. Interessanterweise gibt es bei ihren architektonischen Grundrissen kaum gerade Linien, sondern ihre Formen und der Verlauf ihrer Schutzmauern richten sich nach der Gestalt des Felsens, auf dem sie, hoch über der Altstadt von  Málaga thronend, errichtet sind.

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Die Alcazaba der andalusischen Hafenstadt ist eine gewaltige Militäranlage mit doppeltem, an einigen Stellen sogar dreifachem Ring aus Schutzmauern. Im Hochmittelalter war sie fast uneinnehmbar, trotzdem gelang es den maurischen Mönchskriegern der Almoraviden und Almohaden, Málaga einzunehmen und ihre arabischen Brüder zu beherrschen. Und im Jahr  1487 marschierten hier die Katholischen Könige ein und besetzten die Stadt und ihre Alcazaba nach einer langen und erfolgreichen Belagerung.

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Heute ist ihre militärische Funktion vergessen und die Alcazaba kann sich einer schöneren Aufgabe widmen: sie bietet sich an als "Balkon von Málaga". Denn die Aussicht von ihren Türmen und Mauern auf die Altstadt auf der einen und den Hafen und das Mittelmeer auf der anderen Seite ist wunderbar. Vor allem an Sonntagen kommen nicht nur Touristen, sondern auch zahlreiche  Malagueños, um von hier auf die Meeresbucht zu blicken.

Im Innern der Festung, im ersten Bezirk gleich hinter dem Eingangstor, kann man viele archäologische Funde aus der Römerzeit begutachten: Säulen, Schrifttafeln und Sarkophage mit lateinischen Inschriften. Im innersten und gleichzeitig am höchsten gelegenen Komplex der Burg befinden sich die Innenhöfe und Säle des Königspalasts.

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Obwohl man dort die typischen Details eines muslimischen Palastes wie Portale mit Hufeisenbögen, Fenstergitter aus Stuck oder Holz und Gipsdekoration mit Sternen und floralen und geometrischen Mustern sowie Patios mit Brunnen und kleinen Gärten entdecken kann, fehlt ein wenig die Patina der Authentizität.

Der gesamte Palastkomplex zeichnet sich aus durch Schönheit und Harmonie, aber die Alcazaba von Málaga präsentiert sich doch sehr rekonstruiert und weniger authentisch als die drei großen Königspaläste islamischer Architektur in Spanien (Mudéjarstil ist auch islamischer Stil): die Alhambra von Granada, der Alcázar von Sevilla und die Alfajería von Zaragoza.

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Die ersten Rekonstruktionen datieren bereits vom Ende des 15. Jahrhunderts, kurz nach der Reconquista. Während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts mussten große Teile der Türme und Mauern und besonders der Palasträume der Alcazaba rekonstruiert werden, denn Jahrhundert lang waren sie geplündert worden und schon halb verfallen.

Aber Authentizität hin oder her – die Räume und Patios der Burg von Málaga laden ein zum Spazieren und Meditieren und geben immer noch eine gute Vorstellung von der einst größten Festungsanlage des islamischen Spanien.

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Dazu tragen auch die Karten, Tafeln, Architekturmodelle und hervorragenden didaktischen Erklärungen bei, die im Informationssaal der Alcazaba präsentiert werden. Auch für alle, die sich nicht unbedingt für mittelalterliche islamische Architektur begeistern, ist ein Aufstieg zur  Alcazaba lohnenswert, und sei es nur, um die spektakuläre Aussicht und interessante Perspektive zu genießen. Die Alcazaba ist wie eine Krone über Malagas Altstadt, die sich im blauen Spiegel des Mittelmeers anblickt.

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Text + Fotos: Berthold Volberg




Volberg, Berthold
Sevilla - Stadt der Wunder
Porträt der andalusischen Kunstmetropole mit großem Bild- und Textteil zur Semana Santa

(Nora) ISBN: 978-3-86557-186-1
Paperback
328 S. - 16 x 25 cm

[druckversion ed 09/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]






[art_1] Argentinien / Brasilien: Gran Aventura Iguaçu
 
Die Nichte will die Wasserfälle sehen und gegen Besuch aus Deutschland und dessen Wünsche hat man keine Einwände zu machen. Wieso auch, Iguaçu ist auch bei fünftem oder sechstem Besuch noch wunderschön und aufregend. Wir fliegen also hin, ins Dreiländereck Brasilien - Argentinien - Paraguay, wobei das frühe Aufstehen nicht ohne Reklamationen seitens des Besuches abläuft. Aber normal. Im Landeanflug auf Iguaçu geht es kurz über paraguayisches Gebiet, wobei mein brasilianisches Handy mit nicht zu verachtender Lautstärke eine Welle von "Willkommen in Paraguay"-SMS abfeuert. Strafender Blick der Stewardess.

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Das online gebuchte Hostel ist sensationell, ein traumhafter Campingplatz, der auch über nette Doppelzimmer verfügt. Sehr zu empfehlen, daher folgt der Link am Ende der Geschichte. Internet gibt es auch, weshalb die 14-jährige Nichte gleich erst mal per Facebook ihre Landung in Iguaçu an die Welt verkünden muss. Als ich dränge, los zu ziehen, da wir nur den heutigen Nachmittag und den morgigen Tag haben um alles anzuschauen, folgt eine ausführliche Diskussion über große Müdigkeit aufgrund frühen Aufstehens. Der Onkel spielt seine Autorität aus und man zieht los. Vier Stunden, das reicht perfekt für die brasilianische Seite der Wasserfälle.

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Auf unserem Fußmarsch durch den Park hinab zu den Fällen lauern uns die ersten Schwärme von Quatis auf, wilde Nasenbären, die es auf alles Essbare abgesehen haben. Wild kreischend flieht die Nichte vor dem ungewöhnlichen Wesen. Es geht weiter hinab in die Schlucht. Auf der anderen Seite sehen wir die argentinischen Fälle, die weiß dampfend in die Tiefe fallen. Von Brasilien aus gelangt man über eine Brücke weit hinein in die Schlucht. Atem beraubender Blick über die Wasserkante, Dampf überall, die Kameralinse ständig nass. Aber die Nichte hat Spaß, die Fotos werden gut, was will man mehr?

Allerdings sind wir pitschnass und der Wind lässt uns trotz blauem Himmel und Sonnenschein frösteln. Unerklärlicher Weise haben die Restaurants schon um 16 Uhr geschlossen, obwohl uns doch um 17 Uhr der Hunger quält... zurück ins nahe gelegene Hostel (noch ein Vorteil) und ab an den Pool (noch ein Vorteil), wo wir leckere Hamburger mit Caipi für Onkel und Erdbeermilchshake für Nichte serviert bekommen (noch ein Vorteil). Via Facebook muss die Welt noch schnell über den ersten Tag an den Wasserfällen informiert werden ("Schminke vor lauter Wasser verlaufen!"). WLAN im Hostel, noch ein Vorteil. (Ach ja?). Wie gesagt, der Link folgt gleich. Der Herbergschef informiert uns über eine Reisegruppe, die morgen früh vom Hostel aus nach Argentinien aufbricht. Ich trage uns in die Liste ein.

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Am nächsten Morgen folgen Proteste ob des nochmaligen frühen Aufstehens mitten in den Ferien (8:45 Uhr, immerhin...). Um 9 Uhr geht es dann los, über den Grenzfluss und in die argentinischen Wälder. "Gran Aventura Iguaçu" würde ich gerne machen, eine Tour mit dem LKW durch die Wälder plus anschließender Fahrt mit dem Boot bis unter die Wasserfälle. "Mir wird schlecht bei Bootsfahrten", so der jugendliche Einwand. Ich buche trotzdem. Und - Volltreffer! Die Fahrt auf dem LKW kommt sehr gut an, schließlich fahren wir bequem durch den tollen Wald. Laufen wäre bestimmt nicht so toll gewesen...

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Dann die Bootsfahrt. Schlecht wird ihr nicht. Dafür schreit sie vor Freude bei jeder Dusche unter den hart vom Himmel kommenden Wassermassen. Viel zu schnell ist der Spaß vorbei. Wir sind wieder pitschnass, aber das gehört halt dazu. Zu Fuß geht es weiter entlang der sich über Kilometer durch den Urwald ziehenden Wasserfälle. Spektakulär! Nur die dank des Wassers verlaufene Schminke und die ständig unsere Lunchpakete attackierenden Nasenbären sind Grund für Beschwerden. 

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Die Zeit rast dahin, wir müssen uns sputen um noch zum "Teufelsrachen" zu gelangen, dem sensationellen Abschluss eines jeden Iguaçu-Besuchs. Es dampft und kracht, wenn die Wasser des Iguaçu-Flusses über die halbrunde Kante nach unten gelangen. Der Tag geht zu Ende, "gut dass wir einen ganzen Tag für die argentinische Seite hatten", gibt der stets altkluge und besserwisserische Onkel von sich. Hunger und Müdigkeit breiten sich jetzt ungehemmt aus. Im Bus zurück nach Brasilien wird geschlafen. So verpasst man noch die heldenhafte Aktion des Onkels, der den liegen gebliebenen koreanischen Transporter wieder flott macht. "Wieso ist Dein Gesicht voller Öl" ist der einzige Kommentar.

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Zurück im Hostel / am Pool / gibt es wieder Hamburger mit Caipi / Erdbeermilchshake / Facebook und dann ab in die Federn. Am nächsten Morgen geht es früh los, zurück per Flieger nach São Paulo. "Schon wieder früh aufstehen, und das sollen Ferien sein..." Immerhin gibt es am Flughafen WLAN. Brave New World? Gran Aventura Iguaçu!

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Text +
Fotos +
Durchblick:
Thomas Milz

Ach ja, der Link: http://www.paudimar.com.br/

[druckversion ed 09/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien / brasilien]






[art_3] Uruguay: La Vela Puerca in Hamburg
Normalmente Anormal Tour 2011
 
Zum gefühlten 20. Male beehren die Jungs aus Uruguay die deutschen Zuhörer. Im Interview verraten Santi und Ale, wie die neue Scheibe werden wird und was sie an Deutschland schätzen.

Erst mal Herzlichen Glückwunsch zum Sieg der Copa America.
Santi: Ach ja, stimmt, wir haben ja die Copa gewonnen. Danke. Aber der eigentliche Experte in Sachen Fußball ist Ale.

Und, was sagt der dazu?
Ale: Ja, jetzt sind wir Rekordmeister in Südamerika. Kaum zu glauben, oder? 15 Mal haben wir den Pott geholt. Das ist kein schlechter Wert für ein so kleines Land.

Ja, das stimmt. War es denn vorherzusehen? Schließlich war die Konkurrenz mit Brasilien und Argentinien schier übermächtig.
Ale: Nun ja, es war schon ein wenig überraschend. Aber wir sind schließlich auch WM-Vierter geworden, vor Brasilien oder Argentinien. Aber im Gegensatz zu diesen Nationen können wir Elfmeterschießen und haben eine Mannschaft und kein Konglomerat an Einzelspielern.

Und wie handhabt Ihr das im Tourbus? Seid Ihr auch eine Mannschaft oder eher Einzelspieler?
Santi: Ja, wir funktionieren natürlich als Gemeinschaft, aber jeder während der Tour nimmt sich auch jeder mal eine Auszeit von den Anderen. Das wird natürlich respektiert.
Ale: Was uns außerdem zusammenhält, ist die Musik. Wir haben zwar jeder auf der Bühne unsere Funktion als Musiker, aber ein jeder bringt sich auch während der Enstehung der einzelnen Lieder mit ein.

Apropos: Da kam ja schon länger nichts mehr Neues von Euch!
Ale: Richtig. Aber wir sind jetzt schon mit den Aufnahmen für das fünfte Album fertig. Das liegt derzeit beim Produzenten, der uns täglich mit den neuen Stücken per Mail füttert.
Santi: Das gibt dann immer eine riesige Diskussion, wie die Lieder am Ende wirklich klingen sollen. Aber letztendlich beschließen wir das, wie es in einer Familie üblich ist, einstimmig. Nun ja, fast, jedenfalls.

Wo habt Ihr das Album denn aufgenommen?
Ale: In der Nähe von Montevideo. Wir haben uns einen alten Hof für vier Monate gemietet, ein Studio dort aufgebaut und alles eingespielt. Das war eine tolle Erfahrung.
Santi: Ja, wir wollten einfach mal weg aus der Stadt und in Ruhe arbeiten. Und wenn man so dicht und lang aufeinanderhockt, entstehen ja nicht nur Ideen, sondern auch Konfrontationen, aber auch das anschließende gemeinsame Bier, das Asado, wunderbar. Wir konnten und haben uns auf das Wesentliche konzentrieren.

Wie wird das neue Album werden?
Santi: Es wird ein Doppelalbum. 12 Songs auf der ersten und 6 auf der zweiten CD. Das erste sehr rockero, das zweite ruhig, ohne Schlagzeug, dafür mit Cello und Violine. Also etwas ganz anderes.

Und warum noch mehr Rock als El Impulso?
Ale: Wir wollten jetzt einfach mal eine Scheibe machen, die uns Spaß macht. Vor allem auch auf der Bühne.
Santi: Das heißt jetzt nicht, dass uns El Impulso keine Freude macht, wenn wir Lieder daraus spielen. Aber es macht einfach mehr Spaß, die Lieder der neuen Platte zu spielen. Es wird ein Chorizo de Rock werden. Gitarre, Schlagzeug, Bass, ein paar Bläser und jede Menge Energie.
Ale: Auch die Texte sind positiver und nicht so düster wie auf der letzten Scheibe. Das liegt unter anderem daran, dass Cebolla, der zweite Sänger, mehr positive Lyrics beigetragen hat.

Und immer wieder kommt ihr nach Deutschland.
Ale: Wir spielen sicherlich schon das 15. oder 16. Mal hier in Deutschland. Das hat sich so eingeschliffen und wir freuen uns immer auf die tolle Organisation.

Inzwischen seid Ihr ja auch hier fast schon berühmt.
Santi: Es ist immer unterschiedlich. Mal spielen wir vor 50 Leuten, mal vor 400. Für uns ist das alles auch Eigenpromotion, weil wir ja hier nichts haben. Wir sind immer noch unabhängig mit unserem eigenen Label, haben aber noch nicht das Geld, um richtig die Werbetrommel zu rühren.
Ale: Aber wir haben schon sowas wie eine feste Fangemeinde aus Uruguayos und Argentinos, die hier leben und ein bisschen heimatliche Klängen hören möchten.

Sehr Ihr was von Deutschland?
Santi: Nicht wirklich. Klar, wir gehen an freien Tagen auch mal spazieren, aber hier ist die Tour dafür eigentlich zu straff organisiert. In Lateinamerika spielen wir nicht jeden Tag, sondern gerade Mal am Wochenende.

Was ist der Hauptunterschied zwischen Konzerten hier und drüben?
Ale: Na, das Publikum ist natürlich kleiner hier. Aber es macht sehr viel Spaß mal wieder vor kleinem Publikum zu spielen.
Santi: Und drüben flippen die Leute mehr aus. Sie springen, sie tanzen, sie singen mit. Manchmal auch zu wild. Da sind die Deutschen dann doch eher brav. Da können wir auch die ganz harten Sachen spielen ohne das was passiert.

Also stimmt der Stereotyp vom kalten Deutschen?
Ale: Naja, es gibt auch hier die ganze Palette, wie überall anders auch. Aber auffallend ist die Pünktlichkeit. Gerade auf der Tour. Da ist alles einfach derart durchgeplant, das würde in Uruguay nie funktionieren. (grinst).
Santi: Ja, aber eigentlich bewegen wir uns in einem ziemlich lässigen Kreis. Alle, die mit Musik zu tun haben, sind überwiegend entspannte Leute.

Kommt Ihr eigentlich kulinarisch auf Eure kosten? Mate und Asado haben wir ja nur bedingt hier...
Santi: Ach, Mate haben wir in rauen Mengen dabei und zu Essen gibt's hier doch von allem etwas. Die Bandbreite, gerade auch der internationalen Küche, das gefällt mir. Für mich gibt's gar keine wirklich deutsche Speise.
Ale: Für mich schon. Aber die ist flüssig. Das Deutsche Bier ist einfach unschlagbar gut.

Text + Fotos:
Andreas Dauerer

Von La Vela Puerca sind erschienen:
Normalmente Anormal (2010)
El Impulso (2007)
A Contraluz (2005)
La Vela Puerca (2003)
De Bichos Y Flores (2002)

[druckversion ed 09/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: uruguay]





[art_4] Venezuela: Choroní / Puerto Colombia (Bildergalerie)
 
Die Playa Grande in Puerto Colombia, meist das eigentliche Ziel, wenn Reisende von Choroní sprechen, ist einer dieser traumhaften Strände, an dem die Palmen bis ans Wasser grenzen und ein müdes Winken ausreicht, um Kaltgetränke zu erhalten. Unter der Woche ist der Strand menschenleer, am Wochenende recht voll und vor allem zu Ostern, Karneval und Weihnachten super voll, aber immer noch reizvoll, wenn man ein Zimmer vorgebucht hat.

Puerto Colombia besitzt einen kleinen natürlichen Hafen für die Holz- und Fieberglasboote der Fischer des Dorfes. Diese nutzen ihre Boote gleichwohl zum Fischen als auch zum Transport von Einheimischen oder Touristen zu einem der Nachbarstrände oder -dörfer. Im Ortskern gibt es eine Reihe Restaurants mit exzellenten Meeresfrüchten und am Hafen die Kneipe Lucho - alles wunderbare Orte, um bei Cuba Libre die Reise durch Venezuela zu beginnen oder erlebte Abenteuer Revue passieren zu lassen.

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Bilder: Dirk Klaiber, Sönke Schönauer und Casa Vieja Mérida

[druckversion ed 09/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: venezuela]





[kol_1] Macht Laune: Wortspiele und Lebensweisheiten
 
Da sitze ich letzte Woche mit einer richtig netten Salvadoreña am Tresen und pflege interkulturellen Kontakt, als sie mir erzählt, dass dieser Laden eigentlich gar nicht so gut wäre. Schließlich wäre sie hier erst letzte Woche richtig "über den Tisch geschlagen" worden. Kurzes Aufhorchen meinerseits und anschließende Bitte um Wiederholung. Keine Chance! Es folgt ein: "Sie haben mich übers Ohr gezogen", getoppt von "Aber heute will ich noch mal ein Auge zuquetschen".



Ich frage nach, ob sie denn ein Fan von Redewendungen sei. Sie bejaht und beginnt mit der Aufzählung einer Auswahl von "Sprüchen aus der Heimat":

Original: Camarón que duerme se lo lleva la corriente
Wortwörtlich: Obacht! Die schlafende Krabbe reißt die Flut mit sich
Sinngemäß: Holzauge, sei wachsam!

Original: El comal dije a la olla: Estás tilosa
Wortwörtlich: Sagt die Pfanne (speziell zur Tortillazubereitung) zum Topf: Bist Du aber rußig
Sinngemäß: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen

Original: Vieja gallina da buen caldo
Wortwörtlich: Alte Hennen geben eine gute Suppe
Sinngemäß: Reife Frauen haben mehr Erfahrung

Original: Come frijoles y erruta pollo
Wortwörtlich: Er isst Bohnen und rülpst Huhn
Sinngemäß: Angeber!

Original: El que va a Sevilla pierde su silla
Wortwörtlich: Wer nach Sevilla geht, verliert seinen Stuhl
Sinngemäß: Aufgestanden, Platz vergangen

Original: Mejor llegar a tiempo que ser invitado
Wortwörtlich: Besser pünktlich als eingeladen sein
Sinngemäß: Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muß sehen, was übrig bleibt (Formalitäten spielen keine Rolle).



Original: Bebamos, bebamos hasta que nos emborrachemos
Y si mañana nos morimos
Qué gran verga que nos pusimos
Wortwörtlich: Wir trinken, wir trinken bis wir betrunken sind
Und wenn wir morgen sterben
Welchen großen Schwanz haben wir uns gesteckt
Sinngemäß: ...und wenn wir sterben, war es trotzdem geil

Original: Sólo la puntita mi amor
Wortwörtlich: Nur die Spitze der Spitze, mein Schatz
Sinngemäß: Sexgelüste und Notlüge

Original: El burro hablando de orejas
Wortwörtlich: Der Esel spricht von Ohren
Sinngemäß: Na, das sagt ja der Richtige

Original: Está para el tigre
Wortwörtlich: Ist für den Tiger
Sinngemäß: Ist für die Katz

Original: Lo que no mata, en gorda!
Pero en la panza es torba!
Wortwörtlich: Alles, was Dich nicht umbringt, macht Dich dick!
Aber im Magen rumort es trotzdem!
Sinngemäß: Essen an Straßenständen bringt Dich nicht um, doch die Toilette wird zum besten Freund

Original: Se comio un soldado y no le quitó las botas
Wortwörtlich: Er aß einen Soldaten ohne ihm die Stiefel auszuziehen
Sinngemäß: Er hat gepupst



Original: El que al mundo vino
Y no probó el vino
A qué putas vino
Wortwörtlich: Der auf die Welt kam
Und nicht hat den Wein gekostet
(3. Zeile zensiert)
Sinngemäß: ...was zum Teufel will er hier

Text: Camila Uzquiano
Fotos: Frank Sippach

[druckversion ed 09/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]





[kol_2] Amor: Doppelhochzeit im Reservat
 
Der Häuptling persönlich hatte mich eingeladen. Die Schwester des Häuptlings persönlich regte an, die Hochzeit doch wegen der Hitze zu verschieben; ich nickte, lächelte, schwitzte und dachte, dass es heute auch nicht wärmer als an den anderen unerträglich warmen Tagen war. Sonst dachte ich nicht viel; ich war jetzt schon eine ganze Weile im Reservat und hatte mich daran gewöhnt, der meist freundlich geduldete Außenseiter zu sein, viele Dinge nicht recht zu verstehen und die Geschehnisse um mich herum zu beobachten, ohne viel zu denken.



Die Familien der Brautleute saßen fein gekleidet auf einer Mauer bei der Dorfschule aufgereiht, ich stand etwas verlottert daneben. Dies nicht aus Nachlässigkeit oder bösem Willen, sondern weil ich keine feine Kleidung ins Reservat mitgebracht hatte und obendrein schon seit Tagen mehr oder minder ungeduscht weite Strecken über staubige Wege von einem indianischen Anführer zum nächsten gewandert war, um sie alle von der Nützlichkeit des Projektes, für das ich arbeitete und stand, zu überzeugen.

Der überdachte, weiß geflieste Vorplatz der Schule war bereits hergerichtet worden; Stühle standen dort in Reih und Glied und warteten auf Hintern, ein improvisierter Altar an der Stirnseite, eine Pracht von Papiergirlanden und Luftballons unter der Decke. Zeit verging. Die Indianer, ich und die Stühle harrten aus. Wir gingen hinunter zur Schule, wir setzten uns auf unsere Plätze.

Mehr Zeit verging. Die Indianer und ich harrten aus; die Stühle waren jetzt zufrieden, nehme ich an. Schließlich, endlich, rumpelte der weiße Pickup mit dem Paar auf der Ladefläche die Schotterpiste vom Haus der Eltern der Braut hinauf; Köpfe drehten sich, ein Raunen ging durch die Sitzreihen – doch abrupt kam der Wagen zum Stehen, kaum dass er den Lehmplatz im Dorfzentrum erreicht hatte. Die Fahrertür öffnete sich, der Häuptling persönlich stürzte heraus und eilte auf mich zu. "Ah, da bist du ja. Also, ich möchte, dass du so von vorne filmst, wie sie aus dem Wagen steigen. Dann lässt du sie an dir vorbeigehen, ungefähr hier, und dann folgst du ihnen von hinten bis zum Altar. Und dann möchte ich, dass du während der Zeremonie die Gesichter filmst, und dann die Hände, wenn sie die Ringe tauschen, und dann..." Ich besitze eine Videokamera. Der Häuptling persönlich nicht. Wär schön, wenn du zur Hochzeit meines Neffen kämst, hatte er gesagt. Kannst auch deine Kamera mitbringen, hatte er gesagt.



Er klopfte mir jovial auf die Schulter, eilte ebenso geschwind zum Auto zurück, wie er auf mich zugeeilt war, stieg ein, schloss die Tür, machte ein festliches Gesicht und gab mir ein Zeichen: Los! Ich tat, wie mir geheißen. Warum auch nicht, man bekommt nicht alle Tage die Gelegenheit, eine indianische Hochzeit zu filmen, umso seltener mit offiziellem Segen der Obrigkeit.

Der Pfarrer kam leider nicht – die Braut war ihm zu jung, mit einer solchen Unchristlichkeit wollte er nichts zu tun haben. Weil aber in den Augen der Indianer eine Hochzeit "nach dem Buch", wie sie es nannten, unentbehrlich war, musste der Vertreter der Indianerbehörde, übrigens ein Verwandter des Häuptlings persönlich, die Trauung vollziehen. Dabei stand ihm ein Bruder des Häuptlings zur Seite, der den liturgischen Teil des Gottesdienstes übernahm - über ihn sagte man mir, dass er ein sehr aktives Mitglied der örtlichen Neupfingstler-Gemeinde sei und sich daher in diesen Dingen auskenne.

Es tönte romantische Musik aus dem mitgebrachten kleinen Kassettenrecorder. Der Häuptling und seine Schwester ließen es sich nicht nehmen, nicht kurze Reden zu halten, den Kindern wurde die Zeremonie zu lang, und sie begannen, sich mit Luftballons zu bewerfen und Girlanden herunterzureißen. Ich bekam nicht viel von dem mit, was um mich herum geschah, weil ich ständig mit meiner Kamera zwischen den Leuten hin- und herlief – vorgeblich, um filmen zu können, was ich filmen sollte, aber auch, weil ich froh war, überhaupt eine Rolle zugewiesen bekommen zu haben; so konnte ich mich irgendwie nützlich und nicht völlig fehl am Platz fühlen.



Schließlich kam der Punkt, auf den alle gewartet hatten: Ihr dürft euch jetzt küssen. Sie küssten sich, und in der Tat, das war schön anzusehen – ich hatte nicht einmal richtig bemerkt, dass die beiden ein wirklich schönes Paar waren.

Als das Ritual sich dann in allgemeines Geplauder auflöste und ich die Kamera beiseite legen konnte, lernte ich Olinda kennen – die gewiss hübscheste Indianerin im Dorf, die obendrein genauso hieß wie die wohl hübscheste Stadt in Brasilien, in der ich obendrein mal gelebt hatte. Olinda hatte vor ein paar Jahren einen Ethnologen kennen und lieben gelernt, der wie ich mit einem Projekt ins Reservat gekommen war. Aus dem Projekt ist er rausgeflogen, inzwischen wohnt er mit ihr im Reservat, sieht täglich nach den Bananen und streitet sich ständig mit ihren Verwandten herum (unter ihnen der Häuptling persönlich), die finden, dass ein Weißer nicht mit einer Indianerin zu leben habe, und schon gar nicht im Indianerland. Ein beeindruckendes Was-wäre-wenn-Szenario, das mich eine ganze Weile beschäftigte (inzwischen bin ich wieder in Deutschland, soviel dazu).

So plauderte ich also vor mich hin und dachte, ich wäre aus meiner Pflicht entlassen, als der Häuptling begann, die Gäste in Autos zu laden, um sie zur nächsten Etappe der Festlichkeit zu bringen.



Beim Haus der Eltern des Bräutigams verschwand die feine christliche Hochzeitsgesellschaft einer nach dem anderen, um einer nach dem anderen durch eine feine indianische Hochzeitsgesellschaft ersetzt zu werden: Die Gäste und das junge Paar hatten sich der weißen Kleider und schwarzen Anzüge entledigt und trugen jetzt Baströcke, Kopfschmuck und Körperbemalung. Den prächtigsten Federschmuck von allen trug der Häuptling, und er war es, der das Ritual leitete, das auf einer Lichtung in einem nahe gelegenen Waldstück stattfand.

Mit dem wirkmächtigen Rauch aus seiner riesigen Tabakpfeife zog er einen Kreis um die Feiernden, während die Brautleute sich getrennt voneinander in kleine Hütten aus Bananenblättern zurückziehen mussten. Es wurde gemeinsam gesungen und Toré getanzt. Ich filmte, und Olindas Mann, der Kollege, der nicht länger ein Kollege, aber auch kein richtiger Indianer war, fotografierte. Manchmal bildeten wir uns aus Versehen gegenseitig ab, und dann tauschten wir wissende, augenzwinkernde Blicke – zwei, die irgendwie etwas gemeinsam haben und doch fast gar nichts.



Zum Abschluss des Rituals wurden Braut und Bräutigam von ihren Trauzeugen aus der Abgeschiedenheit ihrer Hütten befreit und knieten sich in den Kreis, zusammen mit dem Häuptling und seiner Schwester. Sie teilten und aßen den Beju, einen Gebäckfladen aus Maniok und Kokos, und der Häuptling schenkte Kauim aus, zuerst für das Paar, dann für alle, aus einer großen Coca-Cola-Flasche aus Plastik.

Mich nahm er beiseite. "Das ist unser indigenes Getränk, wie Bier!", sagte er nicht ohne Stolz. "Es besteht aus Maniok, Zuckerrohrsaft, Honig und zwei Sachen, die ich dir nicht sagen darf." Er schenkte mir einen großzügigen Becher ein. "Hm, lecker!", sagte ich. "Hm, komisch", dachte ich. "Blubb, blubb", antwortete mein Magen. Nur Augenblicke später musste ich auf die Toilette. Selten hatte ein Nahrungsmittel so schnell den vielfach gewundenen Weg durch mich hindurch gefunden, selten wollte es so dringend wieder aus mir heraus.

Über dem Waldstück war es inzwischen dunkel geworden. Jemand hatte vereinzelte Sterne und einen fast vollen Mond an den dunkelblauen Himmel geheftet, die Hitze des Tages war jetzt woanders. Schwache Lampen am Haus der Eltern des Bräutigams warfen warmgelbes Licht auf die Kinder, die wohlerzogen in einer Reihe vor der Terrasse standen, um ihre Teller mit Stücken vom Hochzeitskuchen zu füllen.



Für den Rest des Abends war ich der Bursche, der gefilmt hat. Hier, los, noch ein Stück Kuchen für den Burschen, der gefilmt hat! Hier, der Bursche der gefilmt hat, soll noch einen Becher Kauim kriegen! Und noch einen! Und noch einen! "Hm, lecker!", sagte ich. "Hm, lecker!", dachte ich. Meinem Magen hörte ich schon nicht mehr zu.

Text + Fotos: Nico Czaja

[druckversion ed 09/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: amor]





[kol_3] Grenzfall: Von Adoclovo bis Raboqui Lobo
Auf Adressensuche in modernen Zeiten
 
Laut der zahlreichen Rechnungen, die ich leider in regelmäßigen Abständen erhalte, wohne ich in der Rua Haddock Lobo, im schönen Stadtteil Cerqueira César, im noch schöneren São Paulo. Wobei die Haddock Lobo eigentlich keine besonders unbekannte Straße ist, kreuzt sie doch die Rua Oscar Freire, eine der angeblich zehn schicksten Einkaufsstraßen der Welt, und die Avenida Paulista, Sao Paulos Postkartenmeile.



Taxifahrer kennen meine Straße, das ist kein Problem. Und normalerweise haben die freundlichen Telefonstimmen der noch freundlicheren Call-Center, die heutzutage in Ermangelung physischer Präsenz echter Läden die Welt lenken, auch nie Probleme, die Straße samt ihrer richtigen Schreibweise in ihrem Computer zu finden. Schließlich hat die Haddock Lobo ihre eigene Postleitzahl, was bedeutet, dass die Call-Center-Mitarbeiter stets nur diese eingeben müssen, um sofort auf meine Straße samt ihrer etwas seltsamen (zumindest für Brasilianer... !?) Schreibweise zu stoßen. 

Deshalb: keinerlei Problem bei der Zustellung meiner Rechnungen. Vielleicht wurde ich an dieser Stelle etwas übermütig... Auf jeden Fall beschloss ich, bei meiner ziemlich großen und äußerst modernen Handyfirma meinen seit Jahren auf eine alte Adresse laufenden Mobilfunkvertrag adressentechnisch zu ändern, so dass die Rechnungen im aktuellen Briefkasten ankommen könnten. Mehrere Besuche in verschiedenen Filialen des Handyriesen führten jedoch stets zur selben Aussage des Verkaufspersonals: Adressänderungen nur über die Hotline.

Die besagte Hotline erreicht man über ein Telefon, das in einer Filiale auf der viel befahrenen Avenida Paulista einfach so an der Wand hängt. Nahe der stets offenen Eingangstür. Während also draußen gefühlte Millionen von Kraftfahrzeugen vorbei rauschen, versucht man der Stimme am anderen Ende der Leitung die neue Wohnadresse mitzuteilen. Man buchstabiert, H-A-D-D-O-C-K-L-O-B-O, flucht, fleht die unbekannte Stimme an, doch einfach die Postleitzahl in ihren Computer einzugeben, dann würde der Straßenname samt richtiger Schreibweise erscheinen.

Wenige Tage später trudelt die erste Rechnung über Umwege, an den neuen Wohnort adressiert, ein: Rua Certeza Acesa, Stadtteil Adoclovo (!), statt Rua Haddock Lobo, Stadtteil Cerqueira César. – Die neuartige Lautschriftvariante ADOCLOVO für HADDOCK LOBO dürfte dabei Linguisten für Forschungsprojekte interessieren. – Die Bankangestellte, der ich die erste Rechnung samt der neuen Adresse als Nachweis meines Wohnsitzes versprochen hatte, schaute mich am nächsten Tag nur etwas bedröppelt an. "Weder die Straße noch der Stadtteil existieren und es besteht keinerlei Übereinstimmung mit der angegebenen Postleitzahl." Akzeptieren könne sie das fragwürdige Blatt Papier daher nicht als Wohnungsnachweis.

Mehrere Monate und noch mehrere gebrüllte Anrufe über besagte Hotline später schaffte ich es, wenigstens den Stadtteil zu korrigieren. "Cerqueira César" steht nun auf den Rechnungen, welch Fortschritt. Dafür lautet die Straße nun "Rua Raboqui Lobo". – Teil 2 der Linguistik-Feldforschung über die Lautschriftvarianten des Wortes Haddock. – Bewundern darf man zudem die Kompetenz der brasilianischen Postangestellten, die besagte Lautschriftvarianten ohne Probleme verstehen und korrekt zustellen können.



Erstaunlich auch, was danach geschah. Trotz all der Frustrationen wagte ich es, bei besagter Handyfirma ein Internet-Modem zu erwerben, zu zahlen auf monatlicher Rechnungsbasis. "Ihre Adresse haben wir ja registriert", so der freundliche Verkäufer. "Ist das so?", war mein leicht zynisch gemeinter Kommentar. Mehr nicht. Ich wollte mich überraschen lassen. Seltsamerweise kam die Rechnung eine Woche später mit der vollkommen korrekten Adress-Schreibweise an. Wieso, ist mir schleierhaft. Aber die Bankangestellte freute sich und akzeptierte die Modemrechnung finally als meinen Wohnungsnachweis. Manche Dinge zwischen Himmel und Erde, so mein Dad, versteht man einfach nicht. Muss man auch gar nicht, Hauptsache, es klappt halt irgendwie.

Text + Fotos : Thomas Milz

[druckversion ed 09/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]






[kol_4] Lauschrausch: Saxofourte und Raúl Mannola
 
Saxofourte
Tango Affairs
36music
Saxophonquartette gibt es einige, aber nur wenige besitzen ein so breites Repertoire wie Saxofourte – von Bach bis Afrika. Auf "Tango Affairs" geht es nun nach Argentinien, dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Folklore, Jazz und Klassik / Neuer Musik auf ihrer Reise vom klassischen zum modernen Tango.

Saxofourte
Tango Affairs
36music

Es beginnt mit dem international bekannten Tangoklassiker "El Choclo", der in dieser wunderbaren Interpretation wie ein Stück Barockmusik daherkommt. Auf den Klassiker folgt der Sprung in die Moderne: "Quartetttango", vom in München lebenden argentinischen Gitarristen Luis Borda, klingt teilweise wie Neue Musik. Borda hat diesen Titel, ebenso wie der ägyptische Komponist Basha ("Tangofourte"), extra für das Quartett geschrieben. Dann geht es zurück nach Argentinien mit einer "Milonga" vom Komponisten Alberto Ginastera, der auch in seinen klassischen Stücken häufig die Rhythmen der argentinischen Folklore verwendete.

Vier Gedichte von Jorge Luís Borges über den Tango bzw. aus seinem Werk "El Tango" ergänzen die Musik, mehrheitlich eingebettet in Astor Piazzollas ursprünglich 14- hier 7-teilige Suite "The rough dancer and the cyclical night", die eine Brücke zwischen Tango und klassischer Musik schlägt. Sollte jemand dabei an Marlon Brando denken, liegt es daran, dass dessen deutsche Synchronstimme, Christian Schult, sie spricht. Weitere Stücke Piazzollas interpretiert das Quartett auf hohem Niveau, "Libertango" darf – wie auf fast jeder Tangoproduktion europäischer Künstler - auch hier nicht fehlen (gleiches gilt für das Discépolo-Zitat); aber auf vier Saxophonen gespielt, entfaltet das Stück neuen Charme. So wie dieses spannende Album mit einem DER Klassiker des Tango begonnen hat, so endet es auch, nämlich mit "La cumparsita".


Raúl Mannola
Inner Visions of Flamenco
Bujio Records / galileo mc
Der in Brasilien geborene, in Finnland aufgewachsene und heute in Madrid lebende Gitarrist Raúl Mannola entdeckte irgendwann seine Liebe zum Flamenco und hat es auf diesem Gebiet zum Meister gebracht. Doch wie schon seine Biographie vermuten lässt, konnte er sich nicht mit der reinen Interpretation vorhandenen Materials zufrieden geben, sondern musste etwas Neues erschaffen, so wie es vor ihm schon Paco de Lucia u.a. taten. Auf "Inner Visions" fusioniert er nun Flamenco mit Jazz- und Rockklängen – und Instrumenten.

Raúl Mannola
Inner Visions of Flamenco
Bujio Records / galileo mc

Herausgekommen ist ein energiegeladenes Album in großer Besetzung, auf dem vor allem Raoul Björkenheims Spiel der elektrischen Gitarre begeistert. In "Ese gitano bueno" oder "Bastet" zaubert er auf diesem untypischen Flamencoinstrument wunderbare Melodien, teils im rasanten Dialog mit den Schritten der Tänzerin Aylin Bayaz. Aber auch Mannolas Spiel der 12saitigen Gitarre klingt frisch und ungewöhnlich, ebenso die Flöte von Juan Carlos Aracil. Sieben Tracks, die weit über die Grenzen des Genres hinausgehen, aber seinen Kern bewahren.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 09/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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