mexiko: Salud! Auf das Leben: Lila Downs
Liebe, Leid und Tequila - Musik wie das Leben Frida Kahlos
LARS BORCHERT
[art. 1]
brasilien: Ballhunger
Fußball und Kino in Brasilien
THOMAS MILZ
[art. 2]
mexiko: Baja California
Tausend Meilen bis ans Ende der Welt
MARTIN ROSENSTOCK
[art. 3]
spanien: Eine Oase der Ruhe
Die Serra de l’Albera in Katalonien
TORSTEN EßER
[art. 4]
amor: Unter dem Regenbogen
Parada Gay in São Paulo 2006
THOMAS MILZ
[kol. 1]
erlesen: Galerie der Kanarischen Volksbräuche
Ángeles Violán Acevedo / Rafael Arozarena Doblado
BERTHOLD VOLBERG
[kol. 2]
grenzfall: Kataloniens Leinwände zur WM 2006
DIRK KLAIBER
[kol. 3]
macht laune: Ein bisschen Portugal im schwarzen Kontinent
ANDREAS DAUERER
[kol. 4]




[art_1] Mexiko: Salud! Auf das Leben: Lila Downs
Liebe, Leid und Tequila - Musik wie das Leben Frida Kahlos

"Lila, divina de mi alma y corazón. Con tu poderosa y cósmica voz haces vibrar el alma de quien tiene la suerte de poderte escuchar.” – "Lila, Göttliche meiner Seele und meines Herzens. Mit deiner gewaltigen und kosmischen Stimme lässt du die Seelen der Menschen erbeben, die das Glück haben, dich zu erleben." So bewundernd und blumig äußert sich eine Anhängerin der mexikanischen Sängerin Lila Downs in einem Internet-Fanchat. Die Verehrerin selbst stammt aus Tijuana, einer der Großstädte Mexikos direkt an der Grenze zu den USA gelegen. Die Millionen-Stadt ist nicht nur berühmt-berüchtigt für ihre Maquiladoras genannten Niedriglohnbetriebe, Prostitution in allen Ecken und dem ausufernden Drogenhandel. Vor allem versuchen von hier aus tagtäglich hunderte Latinos, illegal über die Grenze in die USA zu gelangen – in der Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben.



Vor diesem Hintergrund könnte die Verfasserin dieser Zeilen auch selbst zu den Menschen gehören, wie sie Lila Downs in ihren Liedern besingt. Darin geht es um die Identität der mexikanischen Indios, die menschliche Würde und um Menschen im Abseits. Lila Downs hat einen scharfen Blick für Leid, Ungerechtigkeit und politische Missstände. Dabei fühlt sie aus ganzem Herzen mit den Personen, die sie mit ihrer kräftigen, vollen Stimme würdigt. "Wir alle haben eine Verantwortung für unsere Mitmenschen", sagt sie im Gespräch mit Caiman.de. "Alle verdienen unseren Respekt, egal was sie sind und woher sie kommen."

Ihre neue CD heißt "La Cantina – Entre Copa y Copa …", was soviel bedeutet wie "Das Wirtshaus – Ein Glas nach dem anderen …". Darin besingt sie Frauen, die vor der Zwangsheirat fliehen und beim Table Dance enden, wie "La Teibolera". Oder einsame Mafiosi, die zwar Geld und Macht aber keine Freunde haben ("El Centenario"). Es geht also um Liebe, Leid und Tequila. Dabei ist ihre Musik alles andere als traurig. Es ist Tanzmusik, meist fest in dem Erbe lateinamerikanischer Rhythmen verankert. Aber immer wieder mit Anlehnungen an Rock, Jazz oder Reggae, wie die englische Version des Albumopeners "La cumbia del mole" zeigt. Die "canciones rancheras", die sie in "La Cantina" vor allem interpretiert, sind Volkslieder, die man gewöhnlich in mexikanischen Tanzbars hört. Die Ranchera ist mit dem portugiesischen Fado oder dem Blues vergleichbar: gefühlvoll, oft wehklagend und immer mit emotionalem Tiefgang. "Mein Leben war nie einfach", sagt Lila Downs. "Aber meine Mutter ist eine sehr demütige Frau. Von ihr habe ich gelernt, den Schmerz als das zu akzeptieren, was er ist: ein Teil unseres Lebens."

Lila Downs kennt das Leben auf beiden Seiten der mexikanisch-amerikanischen Grenze: Geboren 1968 als Ana Lila Downs Sanchez, Tochter eines Amerikaners mit schottischen Wurzeln, Allen Downs, und einer Mixteken-Indianerin namens Anita Sanchez wächst sie vornehmlich in der Provinz Oaxaca, aber auch in Minnesota und Südkalifornien auf. Sie studiert eine zeitlang Musik und Anthropologie an der Universität von Minnesota, macht eine Ausbildung zur Opernsängerin, die sie abbricht. Sie tingelt lieber durch die Gegend. Zeitweise wendet sie sich ganz vom Singen ab, um dann die Musik als Schlüssel zu ihrer indigenen Herkunft wieder zu entdecken. Anfang der 90er Jahre lernt sie den amerikanischen Musiker, Jongleur und Clown Paul Cohen kennen, mit dem sie auf der Straße, in Clubs und Hotels in Oaxaca und Philadelphia auftritt. Die beiden, auch privat ein Paar, entwickeln eine ganz neue Mischung aus indigenen Musikformen, mexikanischen Volksliedern, westlicher Musik und klassischem Gesang. Tourneen führen sie durch viele Länder Amerikas und Europas. Ihren internationalen Durchbruch hat Lila Downs durch die Mitwirkung in dem Oskar-gekrönten Film "Frida" über das Leben der Malerin Frida Kahlo. Für dessen Soundtrack steuerte sie einige Lieder bei. Dabei erinnert sie mit ihrem Äußeren selbst sehr an die berühmte Malerin: lange, dichte schwarze Haare, ausdrucksstarke, dunkle Augen sowie farbenfrohe, indianisch anmutende Kleidung.

Mit "La Cantina" beweist Lila Downs aufs Neue, dass sie neben ihrem unglaublichen Stimmumfang eine extrem wandelbare Stimme hat. Sie singt in mehreren Sprachen und interpretiert die Lieder stets ausgesprochen außergewöhnlich: mit Leidenschaft und Stolz, Witz, Aggression oder Melancholie und dennoch Zuversicht.

Die komplexen Arrangements ihrer Lieder erklärt sie damit, dass sie schon als kleines Mädchen am liebsten Jazz, insbesondere John Coltraine und Billie Holiday, gehört habe. Dabei scheinen Lila Downs Ausdrucksmöglichkeiten unbegrenzt und schließen auch die gehaucht-gesungene Verzweiflung ein, mit der Lhasa bekannt wurde. An anderen Stellen wiederum erinnert ihr Stil an Sade. Seien es neue Interpretationen von Liedern Woody Guthries, Eigenkompositionen oder Volkslieder wie "La Bamba" und "La Cucaracha", in ihren Liedern lässt Lila Downs die Musik Mexikos immer wieder in einem neuen Licht erstrahlen.

Experten für lateinamerikanische Musik erklären ihren Erfolg mit dem Dreiklang aus eingängigen Melodien, die – so komplex sie auch sein mögen – fast schon Ohrwurm-Format haben, den sehr eigenen, sozialkritischen Texten und der internationalen Popularität, die sie mit dem Frida-Film erreicht hat. Ihre Veröffentlichungen haben schon lange die Basis, um erfolgreich zu sein: Weltweite Konzerte, eine überaus professionelle Promotion, der Soundtrack zum Frida-Film, ein Grammy in der Kategorie Folk, all dies haben andere Künstler aus Mexiko nicht. Außerdem sorge auch ihr außergewöhnlicher Lebenslauf für große Aufmerksamkeit in der Weltmusik-Fangemeinde. Natürlich gibt es auch andere Sängerinnen in dieser Region, die ähnliche Crossover-Arrangements mit sozialkritischen Texten singen. Aber denen fehlt die interessante Lebensgeschichte und die äußere Ähnlichkeit mit Frida Kahlo.

Lila Downs ist sich der Wichtigkeit des Frida-Films für ihren internationalen Erfolg durchaus bewusst. "Er war eine Art Sprungbrett für mich", betont sie. Das war im Jahr 2002. Als sie 2000 auf der Expo in Hannover sang, seien nicht einmal hundert Leute zu ihrem Konzert gekommen. Sie habe viel und hart arbeiten müssen, um bekannt zu werden. Um das auszuhalten, habe ihr aber mehr als ein Hollywood-Film vor allem ihre Herkunft geholfen: "Ich bin Mixtekin", sagt sie, "wir geben nicht so schnell auf."

Text: Lars Borchert
Fotos: peregrinamusic.de

Tourdaten
02.07. Mannheim - Feuerwache
05.07. München - Tollwood Festival (mit Omara Portuondo)
06.07. Ludwigsburg - Schlossfestspiele
07.07. Loerrach - Stimmen Festival
08.07. Rudolstadt - TFF
10.07. Düsseldorf - ZAKK
12.07. Bregenz - Seelax
30.07. Bad Wildungen - Folk im Schloss
01.08. Frankfurt - Palmengarten





[art_2] Brasilien: Ballhunger
Fußball und Kino in Brasilien

Inmitten all des Trubels, die eine WM nun einmal im "Land des Fußballs" so mit sich bringt, findet Luiz Zanin Oricchio Zeit, geduldig Widmungen zu schreiben. Strategisch günstig hat er die Veröffentlichung seines Buches "Fome de Bola - Cinema e Futebol no Brasil" (Ballhunger - Kino und Fußball in Brasilien") platziert. Genau einen Tag, bevor Weltmeister Brasilien ins Geschehen im fernen Deutschland eingreift.

"Fußball und Kino sind seit Kindeszeiten meine großen Leidenschaften", sagt der Kultur- und Sportredakteur der Tageszeitung "Estado de São Paulo". "Seit vielen Jahren schreibe ich über Kino, und ebenso über Fußball. Warum also nicht beides zusammen bringen. So hatte ich wenigstens ne Menge Spaß."

Auf 500 Seiten beschreibt Luiz Zanin Oricchio die parallele Entwicklung der Geschichte des brasilianischen Fußballs und Films. Fast gleichzeitig sind beide am Zuckerhut eingetroffen. Der Fußball 1894, als ein gewisser Charles Miller, Brasilianer aus São Paulo mit englischer Abstammung, von einer Reise in das Land seiner Vorfahren zurückkam. Im Gepäck zwei Fußbälle, einen Stapel Trikots und ein Handbuch mit den wichtigsten Regeln. Nur zwei Jahre später, 1896, wurde in der Rua do Ouvidor in Rio de Janeiro der erste Prototyp einer Filmkamera den staunenden Passanten präsentiert. Seitdem haben die Brasilianer, genau wie Luiz, zwei große Leidenschaften: Filme gucken und kicken.

Doch passt denn beides auch zusammen? "Ich wollte einfach einmal untersuchen, welche Rolle der Fußball im brasilianischen Kino spielt. Mein Eindruck war der, dass sich das Kino nicht besonders um den Fußball gekümmert hat.

Dabei ist doch der Fußball die große Leidenschaft der Brasilianer. Wieso hat man ihn trotzdem so vernachlässigt?" Aus dieser Anfangsfrage erwuchs eine ausgedehnte Grabungstätigkeit.

Zu seinem Erstaunen fand er etwa 320 Filme, die sich um den Ball drehen. "Und ich bin mir sicher, dass es noch viel mehr gibt. Mit der Zeit werden sie wieder aus der Versenkung auftauchen ... Die ersten bewegten Bilder über Fußball in Brasilien datieren auf das Jahr 1907 oder 1908. Spiele wurden gefilmt, der Fußball wurde als gesellschaftliches Ereignis dargestellt. Und der erste Spielfilm wurde bereits 1931 gedreht. Also in den Anfangszeiten des Tonfilms."

Mit dem Aufstieg Brasiliens zur Fußball-Weltmacht Ende der 50er Jahre mehrten sich die Filme über die "Craques" der Seleção wie "O Rei Pelé" aus dem Jahre 1963, "Tostão, a Fera de Ouro" von 1970, "Pelé” (1970), "Isto é Pelé” (1974) und "Mané Garrincha” (1978). Aber auch tragische Helden wie "Barbosa” (1988), Brasiliens Torwart bei der WM 1950, kommen zu Wort. Ihm lastete man zeitlebens die 1:2 Niederlage gegen Uruguay im heimischen Maracanã-Stadion an. In Zukunft, so glaubt Luiz Zanin, wird es eher mehr Filme über Fußball geben.

"Die Tendenz geht dahin, dass der Fußball immer mehr Raum im brasilianischen Film einnimmt. Obwohl es ein großes Problem mit Fußballfilmen gibt: sie sind keine großen Kassenknüller. Und das nicht nur in Brasilien. In Europa ist es ähnlich."

Ein Beispiel dafür ist der Dokumentarfilm "Pelé Eterno" von Anibal Massaini. Mit großem Werbeaufwand 2004 in die brasilianischen Kinos gebracht, wollten gerade einmal 200.000 Besucher den größten Fußballer aller Zeiten auf der Leinwand kicken sehen. Symptomatisch für den Rohrkrepierer "Fußballfilm".

"Der Produzent Luiz Carlos Barreto hat mir das einmal so erklärt: Er versuchte, den Film "Garrincha - Alegria do Povo" (1962) ins Ausland zu verkaufen. Ein englischer Freund, dem er den Film verkaufen wollte, sagte ihm: Der typische Fußballfan arbeitet den ganzen Tag, kommt abends nach Hause, wo ihn seine Frau erwartet. Sie setzt ihm das Essen vor, und er macht das Radio an, um Fußballkommentare zu hören. Am Wochenende geht er ins Stadion, und danach geht er mit Freunden in den Pub, um Bier zu trinken und über das Spiel zu diskutieren."

"Alles, was sich die Frau im Leben wünscht, ist nichts über Fußball hören zu müssen. Denn Fußball ist ein Thema, das sie und ihren Ehemann trennt. Wenn der Ehemann sie dann mal ins Kino einlädt, will sie irgendetwas sehen, bloß keinen Film über Fußball. Und wenn ein Pärchen ins Kino geht, ist es normalerweise die Frau, die den Film aussucht."

Aber es scheint Hoffnung für die Männer und die Produzenten von Fußballfilmen zu geben, meint Luiz: "Mir ist aufgefallen, dass sich immer mehr Frauen für Fußball interessieren. Sie gehen ins Stadion, und wissen sogar was Abseits ist." Er kommt ins Stocken, grübelt kurz.

"Okay, sagen wir mal einige von ihnen wissen es. Oder sie kennen zumindest den Unterschied zwischen einem Einwurf und einer Ecke." Aber nicht nur in den Stadien scheint sich frauentechnisch etwas zu bewegen. Auch hinter den Kameras ist ein Umschwenken erkennbar.

"Es gibt eine Reihe von Regisseurinnen, die Filme über Fußball machen. Wie Leila Hipólito mit "Decisão" (1998). Oder "Berlinball" von Anna Azevedo über Marcelinho, der bei Hertha BSC Berlin spielt. Der Film wurde dieses Jahr in Berlin ausgezeichnet. Frauen, Fußball und Kino - das könnte zukünftig eine ganz neue Chance für den Fußball sein."

Und in bester Beckenbauermanier fügt Luiz lächelnd hinzu: "Schaun wir mal."

Text + Fotos: Thomas Milz

Luiz Zanin Oricchio, "Fome de Bola - Cinema e Futebol no Brasil”, 488 Seiten, Inklusive Photos und Interviews mit João Moreira Salles, Pelé, Anibal Massaini und Luiz Carlos Barreto, u. a.
Verlag Imprensa Oficial SP
ISBN 85-7060-453-X





[art_3] Mexiko: Baja California - Teil 1
Tausend Meilen bis ans Ende der Welt

Es gilt als der ultimative road trip: tausend Meilen auf der Carretera Transpeninsular von Tijuana nach Cabo San Lucas. Baja California, die mexikanische Halbinsel, ist eine Legende unter Zivilisationsmüden und Abenteuersuchenden. In weiten Teilen nahezu menschenleer, die Landschaft von bestechend karger Schönheit, zieht Baja vor allem diejenigen an, die dem gepflegten Schick des US-Staats Kalifornien für eine Weile den Rücken kehren möchten.

Doch Baja ist nicht nur Wildnis, es ist auch die Geburtsstätte Kaliforniens. Im Jahr 1697 gründeten Jesuiten-Patres an einem Streifen der Ostküste mit ausreichendem Süßwasser die Misión Nuestra Señora de Loreto. Loreto wurde das Modell für alle weiteren Missionssiedlungen, die sich schließlich entlang des Camino Real - der königlichen Straße - bis San Francisco an der amerikanischen Westküste aufreihten und das Land für die spanische Krone in Besitz nahmen.

Eine Reise durch Baja ist also nicht nur ein Abenteuer. Es ist auch eine Reise zu den Ursprüngen der beiden Staaten der Republik Mexiko Baja California Norte und Baja California Sur und des US-Staats California.

Ich bin früh aufgebrochen, und es ist noch Vormittag, als die Autobahn eine weite Linkskurve beschreibt und ich vor mir Hügel dicht bebaut mit unverputzten Häusern sehe. Über ihnen weht eine mexikanische Flagge von mythischen Proportionen. Ein Schild zeigt San Ysidro an, die letzte Ausfahrt diesseits der Grenze. Ich brauche noch eine mexikanische Autoversicherung und fahre ab.

San Ysidro fühlt sich schon nicht mehr an wie die USA. Die Menschen sprechen zumeist Spanisch, und in der Kasse des Kassierers an der Tankstelle, wo ich noch einmal billigen Sprit kaufe, sind ein paar Peso-Scheine. Schließlich finde ich die Versicherungsagentur und bezahle achtzig Dollar für die Garantie, das Land verlassen zu dürfen, sollte ich in Mexiko einen Unfall verschulden. Wieder auf dem highway 805 gibt es kein Zurück mehr. Freunde haben mich gewarnt: "Die Mexikaner fahren wie die Irren!", "Tijuana ist ein Alptraum!", "An der Grenze nehmen sie dir den Wagen auseinander!" Zumindest die Einreise ist kein Problem. Eine Kamera klickt, ein Grenzer winkt müde, Bienvenido a México. Ein Blick nach links zeigt jedoch, dass es bedeutend leichter ist, die erste Welt zu verlassen als sie zu betreten.

Die Blechkarawane nimmt kein Ende. Beamte der US-Einreisebehörde laufen mit Spürhunden die Reihen der Wagen ab, lassen die Kofferräume öffnen, befragen die Insassen. Tijuana ist der meistbenutzte Grenzübergang der Welt, die Wartezeit kann bis zu sechs Stunden betragen.

Auf Steinbecks Spuren
Man kann Tijuana nicht umfahren, aber man hat die Wahl, gratis zwanzig Jahre zu altern, während man sich durch den hupenden, chaotischen Verkehr der Innenstadt quält, oder US-$ 7.50 bzw. 80 Pesos für die vergleichsweise leere Mautstraße nach Ensenada zu zahlen. Letztere ist als ‘Scenic Route’ ausgeschildert, was schon zeigt, für welches Klientel dieses Teilstück der Carretera Transpeninsular bzw. Mex 1D in erster Linie gebaut wurde.
Die Maut ist gut angelegtes Geld, nicht nur weil sie die Initiation in den mexikanischen Straßenverkehr etwas gleitender gestaltet. Nach einer Viertelstunde Fahrt entlang des Grenzzaunes erreicht die Straße die Küste. Beim Anblick des Pazifiks südlich der mexikanischen Grenze rang sogar der spätere Nobelpreisträger John Steinbeck, der als Achtunddreißigjähriger an einer Expedition in die Gewässer um Baja teilnahm, nach Worten.

In seinem Buch The Log from the Sea of Cortez schreibt er: "Es [das Wasser] nimmt eine tief ultramarinblaue Färbung an - ein waschzuberartiges bläuendes Blau, intensiv und in die Tiefe dringend; die Fischer nennen es ‚Thunfischwasser’."

Zumindest diese beinahe unwirkliche Qualität des Ozeans hat sich seit 1940 nicht geändert. Der Kontrast des Blaus mit der von ocker- zu rostfarben changierenden Steilküste tut ein übriges. Ich möchte sofort anhalten, mich eine Weile auf einen Felsblock setzen und die Aussicht genießen. Doch an dieser Stelle gibt es dazu keine Gelegenheit, und so geht die Fahrt fürs erste weiter.

Bis Ensenada, etwa hundert Kilometer südlich der Grenze, ist Baja touristisch gut erschlossen. Ferienhaussiedlungen und Hotels, sowohl kleine Familienbetriebe als auch Bettenburgen mit bekannten Logos, reihen sich an die Carretera Transpeninsular. Die Tatsache erklärt sich zu einem erheblichen Teil aus der Diskrepanz zwischen einem reichen Land mit restriktiven Gesetzen und einem vergleichsweise armen Land, in dem viel erlaubt ist - vor allem dann, wenn in Dollars gezahlt wird. Ensenada war schon während des Jazz Age ein beliebtes Ziel für US-Bürger, die den Einschränkungen der Prohibition entfliehen wollten. Clark Gable, Carol Lombard und viele andere Stars der Goldenen Jahre Hollywoods feierten hier manche Party.

Heute ist es vor allem ein Mekka für Sportfischer, die dem Heilbutt, Thunfisch oder Barrakuda nachstellen. Es empfiehlt sich, eine Nacht in Ensenada zu verbringen und noch einmal alle Vorzüge der westlichen Zivilisation zu genießen, bevor man weiter nach Süden fährt.

Aber nicht vergessen: Dies ist Mexiko. Mir wird dieser Tatbestand in einer kleinen taqueria unweit meines Hotels schmerzhaft ins Bewusstsein gebracht. Ich schiebe mich auf einen Barhocker. Der ältere Mexikaner hinter dem Tresen trägt ein San Francisco Giants T-Shirt und eine Anaheim Angels Baseballmütze. Das ist in etwa so, als würde ich mit einem Bayern München Schal und einem Schalke Trikot herumlaufen, denke ich. Er sieht mich fragend an.
"Amigo?"
"Cuatro tacos de carnita asada y una Pacifico, por favor."
Das Bier steht sofort auf dem Tresen, zwei Pappteller mit je zwei Tortillas folgen eine Minute später. Ich weiß, was zu tun ist. Schließlich habe ich in den USA schon oft genug mexikanisch gegessen. Vorsichtig öffne ich das dünne Serviettenpapier, das um die Maisfladen gelegt ist. Aufgereiht auf dem Tresen stehen Tonschüsseln mit verschiedenen Sorten Salsa. Mit einem Löffel träufele ich die Chili-Sauce über das kleingeschnittene Rindfleisch und beiße in mein Abendessen. Schlagartig wird mir klar, dass Cal-Mex-food nicht dasselbe ist wie Mex-Mex-food. Ich schmecke gar nichts, statt dessen fühlt sich mein Mund seltsam taub an. Ich kaue und schlucke und habe plötzlich das Gefühl, dass ein Brocken glühender Lava auf meiner Zunge liegt. Vulkanische Dämpfe scheinen meine Nebenhöhlen hinaufzuziehen, und mit einem Schlag schwitze ich am ganzen Körper. Ich greife nach meinem Bier und sehe durch tränenverschleierte Augen, wie sich ein Grinsen auf dem Gesicht meines mexikanischen Baseball-Fans ausbreitet.

Er tippt mit einem Fingernagel gegen die Tonschüssel: "This is real salsa, amigo. Not gringo-salsa."
No kidding, buddy, denke ich, während ich mein Pacifico hinunterstürze.
Schließlich krächze ich: "Muy picante."
"Sí", bestätigt er, "muy bueno", und stellt mir schon mal vorsorglich ein zweites Bier auf den Tresen. Bei meinen restlichen Tacos halte ich mich an die milde Avocado-Sauce.

Ins wahre Baja
Kaum heraus aus Ensenada ist es vorbei mit der heilen Touristenwelt. Noch ein paar kleine, staubige Ortschaften, dann schlängelt sich die Carretera Transpeninsular einspurig und schlaglochübersät hinauf in die Ausläufer der Sierra de Juarez. Der Pazifik ist nicht mehr zu sehen, doch der Himmel sorgt dafür, dass das Blau dem Farbspektrum erhalten bleibt. Die Luft ist so klar, ich meine jenseits der langgezogenen Zirruswolken den Weltraum zu erahnen. Derselbe Westwind, der die Wolken zerschlissen hat, zerrt an meinem Wagen und erlaubt ein paar schwarzen Hühnergeiern, zopilote genannt, ohne einen Flügelschlag über die mit chaparral bewachsenen Hügel zu gleiten.

Vor mir fährt eine Gruppe älterer Herren auf Harley Davidsons mit US-Nummernschildern. Keiner von ihnen trägt einen Helm, obwohl alle paar Kilometer in einer engen Kurve ein kleines Kreuz am Straßenrand steht, oftmals mit einem verwelkten Strauß davor. Jenseits aller Vernunft liegt eine gewisse Folgerichtigkeit in dem Verhalten der gealterten easy riders: Dennis Hopper und Peter Fonda trugen auch keine Helme. Ich schalte den CD-Player aus und fühle, wie in der Stille alle Anspannung von mir abfällt.

Autofahren kann unter diesen Umständen geradezu therapeutisch sein, höhere Hirnfunktionen sind nicht notwendig. Nach einer Weile frage ich mich, ob sich so die japanischen Zen-Mönche fühlen, die stundenlang einen Kiesgarten rechen und dabei über die Frage meditieren, wie es sich anhört, mit einer Hand zu klatschen.

Um die Mittagszeit erreiche ich El Rosario, einen Ort von dreitausendfünfhundert Einwohnern, der in einer wasserreichen Senke liegt. Hier gilt es der örtlichen Pemex-Station einen Besuch abzustatten, denn die nächste Tankstelle ist zweihundert Kilometer entfernt. Der zweite unverzichtbare Stopp ist Mamá Espinosas Restaurant.

Nachdem die Carretera Transpeninsular 1973 vollendet wurde, entwickelte sich Mamá Espinosas kleines Hotel mit dem angegliederten Restaurant schnell zu einem beliebten Rastplatz. Die Wände des Restaurants sind geschmückt mit signierten Fotografien von unrasierten Männern, die vor einem Motorrad oder einem Geländewagen stehen und erschöpft in die Kamera lächeln. Der Staub auf ihren Gesichtern und Overalls zeigt, dass sie an einem der zahlreichen Overland-Rennen, wie etwa der Baja 500, teilgenommen haben. Mamá Espinosas Popularität kommt nicht von ungefähr: Das Essen ist ausgezeichnet, besonders die Rindfleischsuppe sollte man nicht auslassen, und zum Frühstück sind die huevos rancheros, Eier auf Tortillas mit Zwiebeln und Paprika, sehr zu empfehlen.

Von El Rosario aus schlägt die Straße einen weiten Bogen und durchquerte dabei die Desierto Central, einen der reizvollsten Abschnitte der Reise. Tausende Granitblöcke, manche von ihnen haushoch, dominieren die Landschaft. Teils stapeln sie sich zu Hügeln, so dass es aussieht, als seien sie erst vor kurzem vom Himmel gefallen. Dazwischen ragen die seltsam aussehenden, astlosen Cirios-Bäume in die Höhe. Und dann sind da natürlich noch die graugrünen Cardón-Kakteen, die mit bis zu fünfzehn Metern Höhe größte Kakteenart der Welt.

Ab und zu hockt ein Falke auf der Spitze eines besonders beeindruckenden Exemplars und blickt mit herrschaftlicher Miene über sein Reich, in dem nur das dünne Asphaltband die Anwesenheit von Menschen anzeigt.

Man sollte einfach mal am Straßenrand halten und ein bisschen in die Wüste hineingehen ("Aber aufgepasst, falls man das Rasseln einer cascabel, einer Klapperschlange, hört!"). Obwohl die Sonne vom Himmel brennt, sorgen der kühle Wind und die trockene Luft dafür, dass man so schnell nicht ins Schwitzen kommt, und wenn man erst einmal um einen der Granitblöcke herumgegangen ist und in jeder Richtung nur noch Einöde sieht, ist das 21. Jahrhundert schnell vergessen. Dann ist es leicht sich vorzustellen, wie sich die Spanischen Konquistadoren fühlten, als sie Mitte des 16. Jahrhunderts die Westküste Bajas hinaufsegelten und bei gelegentlichen Landgängen mit der Einsamkeit dieser Halbinsel konfrontiert wurden.

Text + Fotos: Martin Rosenstock





[art_4] Spanien: Eine Oase der Ruhe
Die Serra de l’Albera in Katalonien

Nebelschleier liegen über einem der "Estanys (Seen) de la Jonquera", das Schilfrohr wiegt sich im Wind. Obwohl nur 40 Minuten von den stark bevölkerten Stränden in Roses und Empuriabrava an der nördlichen Costa Brava entfernt, gleicht die Landschaft hier in der "Serra de l’Albera" eher dem schottischen Hochland. Die 25 Kilometer lange Bergkette bildet den östlichen Ausläufer der Pyrenäen, der sich zum Mittelmeer hinunterzieht, wo die Brandung mehrere Buchten in den Fels geformt hat. Hier liegen die kleinen Orte Llança und Colera sowie der Grenzort Portbou, bekannt durch das Denkmal für den deutsch-jüdischen Philosophen Walter Benjamin, der sich an diesem Ort 1940 auf der Flucht vor den Nazis und ihren spanischen Häschern das Leben nahm.

Seit dem Pyrenäenfrieden von 1659 verläuft hier die französisch-spanische Grenze, die gleichzeitig das katalanische Kultur- und Sprachgebiet teilt.

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Eingebettet zwischen den Gipfeln des Puig Neulós (1.257 m), des Puig dels Pastors (1.167 m) und des Puig Jorda (753 m) liegt das vom Katalanischen Parlament 1986 größtenteils zum Naturpark erklärte Gebiet von Albea. Der Park misst 4.200 ha und schließt zwei Naturschutzgebiete ein: eines zum Schutz der Buchen- und Eichenwälder in der Nähe des "Coll dels Emigrants". Das andere beherbergt am Oberlauf des Flüsschens von Valleta die letzte natürliche Population der mediterranen Landschildkröte in Spanien.

Die Seen von La Jonquera liegen außerhalb der offiziellen Grenzen des Naturparks aber innerhalb eines Landschaftsschutzgebietes, in dem ausgedehnte Spaziergänge durch eine wunderschöne Landschaft möglich sind, bei denen man selten auf andere Menschen trifft; eher schon auf Kuhherden, die mit großen Glocken behängt in der freien Natur weiden und im Frühjahr und Herbst auch auf viele Zugvögel, die hier Zwischenstation einlegen.

Da die "Serra de l’Albea" über niedrige Pässe verfügt, war sie schon immer ein Durchreise- und Siedlungsraum für verschiedene Völker. Davon zeugen u.a. die Überreste römischer Straßen. Die ältesten Spuren menschlicher Besiedlung reichen jedoch in die Jungsteinzeit zurück. Die von Granitgestein geprägte Landschaft beherbergt viele Zeugnisse der Megalithkultur.

Über das gesamte Gebiet verstreut finden sich Dolmen und Menhire, wie der Dolmen "Solar d’en Gibert" im Gebiet der Gemeinde Rabós.

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Hier hat man bei Ausgrabungen Scherben von Gefäßen, Teile einer goldenen Kette, grüne Schmucksteine und bearbeitete Schiefertafeln gefunden hat. Bevor wir tiefer in den Naturpark eindringen, machen wir einen Abstecher zur Burg von Requesens. Die letzten sechs oder zwölf Kilometer - je nachdem, ob man in Cantallops oder St. Climent losfährt – geht es über Sandpisten, die an manchen Stellen einem für die Stadt konstruierten PKW viel abverlangen. Die Ursprünge der Burg liegen im Dunkeln. Ein erster Bau stammt wohl aus dem 11. Jahrhundert. Die Burg an sich erinnert mit ihren verwinkelten Sälen und Gemächern an ein verwunschenes Märchenschloss, Überbleibsel einer Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführten Renovierung im verspielten Stil der Romantik. Leider hat man ihr im vergangenen Jahrhundert übel mitgespielt - zuletzt tobte sich eine Garnison Francos hier aus - so dass der Besucher heute nur noch ahnen kann, welcher Prunk hier einst zur Schau gestellt wurde. Aber schon die Aussicht über die Berge und die Ebene des Empordà lohnt die Fahrt.

Für Wanderer und Radfahrer empfiehlt sich eine detaillierte Karte des Parks von Albea, die im Informationszentrum in Esbolla oder im Touristenbüro von La Jonquera erhältlich ist. Es existieren auch kleine Faltblätter mit ausgearbeiteten Touren.

So z.B. von der Burg Requesens zum Kloster St. Quirze, von dort nach Colera oder Llança oder bis zum weiter entfernt liegenden Kloster St. Pere de Roda, einem der bedeutendsten romanischen Bauwerke des Empordà.

Das Benediktinerkloster St. Quirze de Colera ist eines von 30 romanischen und präromanischen Bauwerken in der Gegend. Im 8. Jahrhundert zum ersten Mal erwähnt, existieren seit 927 ausführliche Aufzeichnungen über die Geschichte des Klosters, das seinen Machtbereich bis zum 13. Jahrhundert stetig ausweiten konnte, im 14. Jahrhundert jedoch seinen Niedergang erlebte und seither verfiel. Heute sind noch Reste des Kreuzgangs, der Wirtschaftsgebäude und der Befestigungsanlagen zu sehen. Die 935 geweihte Basilika hingegen ist gut erhalten und wird in den kommenden Jahren restauriert. Auch die terrassenförmig angelegten Klostergärten sind teilweise noch erhalten. In den umliegenden Dörfern gibt es viele kleine Restaurants, in denen eine gute Küche geboten wird. Wenn es die gewählte Route erlaubt, empfehle ich jedoch das rustikale Lokal "Corral de St. Quirze" direkt neben dem romanischen Kloster: Auf dem großen Holzkohlengrill werden deftige katalanische Würste, Rippchen oder Steaks gegrillt und mit Pommes Frites oder anderen Beilagen serviert.

Flora und Fauna der Serra de l’Albea sind sehr abwechslungsreich, mischen sich hier doch für die Pyrenäen typische, eurosibirische mit mediterranen Arten. 297 Tier-, darunter 205 Vogelarten, und etwa 1.700 Pflanzenarten gilt es zu entdecken.

Verschiedene Eichen (in den niederen Zonen vor allem die wirtschaftlich genutzte Korkeiche), Ulmen, Stechpalmen, einige Nadelhölzer, Wildrosen, Ahorn und Kastanien sowie ein dichtes Unterholz bieten vielen Tieren Lebensraum: Neben Wildschwein und Dachs, Mardern, Wild- und Ginsterkatze, Steinadler und dem seltenen Rötelfalken kann der geübte Beobachter auch verschiedene Echsen- und Schlangenarten sehen sowie die schon erwähnte Landschildkröte (Testudo hermanni hermanni) und die ebenfalls bedrohte Sumpfschildkröte (Emys orbicularis). Beide Arten werden in einer Aufzuchtstation nahe dem Ort Garriguella gepflegt, um die natürliche Population zu stärken, denn immer wieder sammeln Spaziergänger trotz absolutem Verbot die Landschildkröten ein, vernichten Hunde und Ratten die Gelege oder die Jungtiere oder reduziert ein verheerender Waldbrand – wie im Jahre 1986 – einen Großteil des Bestandes. Die Sumpfschildkröte wird vor allem durch die Ausbreitung der nordamerikanischen Rotwangenschildkröte bedroht, deren Exemplare ob ihrer Größe von genervten Terrarienbesitzern ausgesetzt wurden und sich nun fleißig vermehren. In der Station, die auch besucht werden kann, kümmern sich zwei Pfleger um die Tiere und stehen für Fragen zur Verfügung. Einmal dort sollte man einen Blick in die nebenan stehende, kleine romanische Kirche "Mare de Déu" mit ihrem restaurierten Fresko werfen.

In den umliegenden Landschaftsschutzgebieten wird nach wie vor Landwirtschaft betrieben, hauptsächlich Wein- und Olivenanbau.

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Bei den Weinen mit dem Herkunftsprädikat "Empordà-Costa Brava" handelt es sich i.d.R. um junge Rotweine mit fruchtigem Charakter oder um milde Roséweine, die auch direkt vor Ort in verschiedenen Bodegas gekauft und probiert werden können. Daneben wird eine autochthone Rinderrasse, das Buchrind, welches ganzjährig unter freiem Himmel lebt und sich neben Gras hauptsächlich von Bucheckern ernährt, hier gehalten.

Im Sommer trocknen viele kleinere Gewässer in der Serra de l’Albera aus und die Trockenheit verwandelt große Teile des Gebietes in eine eintönige und heiße Landschaft. Darum sind Frühjahr und Herbst die besten Jahreszeiten für eine Wanderung durch diese großartige Landschaft.

Text: Torsten Eßer
Fotos: Torsten Eßer / Dirk Klaiber





[kol_1] Amor: Unter dem Regenbogen
Parada Gay in São Paulo 2006

17. Juni: Muskelbepackte Männer in engen Höschen, Travesties oben ohne. Ohren betäubende Beats dringen aus den 22 Themenwagen, und obwohl die lachende Sonne die Außentemperaturen gerade einmal auf 17 Grad hoch heizt, hat das ganze etwas von Strandparty. Die 10. "Parada Gay" in São Paulo hat gerufen, und über zwei Millionen Neugierige und Exhibitionisten sind dem Ruf gefolgt. Unter dem offiziellen Motto "Homophobie ist ein Verbrechen" zog der fünf Kilometer lange Buntstreifen über São Paulos Prachtmeile, die Avenida Paulista. Danach ging es die Rua da Consolação bis ins Stadtzentrum hinunter.


Mit etwa zwei Millionen Teilnehmern ist die "Parada Gay" mittlerweile weltweit die größte ihrer Art. Dabei hatte man 1997 ganz klein angefangen. Gerade einmal 2000 Aktivisten der Schwulenbewegung zogen damals durch das Zentrum der mit 20 Millionen Einwohnern drittgrößten Metropole der Welt. Musik dröhnte damals aus einem kleinen Lautsprecher, den man behelfsmäßig auf dem Dach eines weißen VW-Busses montiert hatte.



Seitdem hat sich das Spektakel zu einem erstklassigen Tourismusevent entwickelt. Gut 75 Millionen Euro wird das Ereignis wohl zusätzlich in die Kassen der Stadt spülen. Nur zu den Formel 1 Rennen kommen ähnlich viele Gäste. So sah man neben Trubeltouristen aus ganz Brasilien auch viele Aktivisten aus aller Herren Länder. Mittlerweile hat es sich weit über die Landesgrenzen Brasiliens herumgesprochen, was hier abgeht.


Geht es jedoch nach dem Willen der Stadtverwaltung, so soll die diesjährige Parade die letzte gewesen sein, die über die Prachtmeile der Avenida Paulista ziehen durfte. Die Avenida soll grundsätzlich für Kundgebungen jeglicher Art gesperrt werden. Schuld, so hört man während der Parade immer wieder, seien die Fans des Fußballklubs Corinthians, die im Dezember während einer spontanen Meisterschaftsfeier mal eben die Avenida kurz und klein geschlagen hatten.



Allerdings wirft man der Stadtverwaltung vor, die Parade wenn schon nicht ganz abschaffen, dann wenigstens an einen weniger attraktiven Platz verbannen zu wollen. Im Vorfeld der diesjährigen Parade war es so zu zahlreichen Unstimmigkeiten zwischen Organisatoren und der Stadtverwaltung gekommen, die angeblich die zugesagten Finanzmittel nicht bereitgestellt hatte. Auch um die Frage, wer die Kosten für die für die Verkehrsregelung eingesetzten städtischen Beamten übernehmen sollte, gab es Streit.


Die Teilnehmer ließen sich davon aber keinesfalls die gute Stimmung verderben. Nachdem die Parade am frühen Abend im Stadtzentrum zu Ende ging, öffneten zahlreiche Schwulendiskotheken und Bars ihre Tore. Drag Queens und DJs wetteiferten dabei um die Partygäste. Viele verlängerten die Party direkt bis Sonntagmittag, um dann Brasiliens zweites WM-Spiel gegen Australien zu schauen. Gefallen haben dürfte der Kick dabei aber wohl den wenigsten.

Text + Fotos: Thomas Milz





[kol_2] Erlesen: Galerie der Kanarischen Volksbräuche
Ángeles Violán Acevedo / Rafael Arozarena Doblado

Sehr farbenfroh präsentiert sich dieses Buch. Dieser erste Eindruck wird sich auf jeder Seite des "Naiven Führers durch kanarisches Brauchtum" (so der Untertitel) bestätigen. Sonnengelb leuchtet der Buchumschlag dem Leser entgegen und das Titelbild zeigt Frauen in traditioneller Tracht beim Legen der berühmten Blumenteppiche für die Fronleichnamsprozession in La Orotava.

Naive Malerei versetzt sicher nicht jeden in Entzücken. Aber dieser Führer durch naive Kunst der Kanaren ist auch nicht nur als Bilderbuch zu verstehen, sondern liefert in den Begleittexten und durch Auswahl der Motive ein breit gefächertes Hintergrundwissen, das Einblick in kuriose Besonderheiten des traditionellen Alltagslebens auf den Kanarischen Inseln und deren historische Wurzeln gibt.

Die Motive der kleinformatigen und knallbunten Gemälde von Ángeles Violán Acevedo sind neben der Darstellung von Volksfesten auf den Kanarischen Inseln auch Szenen aus dem Alltag und Arbeitsleben insbesondere der ländlichen Bevölkerung sowie traditioneller Berufe (Töpferinnen, Fischhändlerinnen, Milchfrauen).

Oft erzählen die Titel schon den Inhalt der Bilder. Eine Darstellung, die überschrieben wird mit den Worten "Mit meinem Liebsten unterm Mandelbaum" oder "Mein Bruder spielt mit Schiffchen in der Bananenplantage", bedarf eigentlich keines weiteren Kommentars. Aber manchmal scheinen sich die Bildkommentare des Dichters Rafael Arozarena Doblado der naiven Malkunst anzupassen. Im Text, der dem typisch kanarischen Landhaus gewidmet ist, schreibt er: "Die kanarische Frau ist glücklich mit diesem schlichten Heim. Feinfühlig und dankbar gegenüber dem fruchtbaren Boden schmückt sie das Haus mit kleinen Gärten oder Blumenbeeten, die der kanarischen Landschaft zusätzlichen Liebreiz verleihen..."

Es ist auffällig, dass die Künstlerin aus Teneriffa in ihren Bildern stets die Frauen in den Mittelpunkt rückt. Wenn vereinzelt Männer auftauchen, dann nur als "Nebendarsteller" oder Randfiguren. Zum einen bleiben diese Frauenbilder zwar durchaus im traditionellen Verständnis der Geschlechterrollen in der nach wie vor eher konservativen Gesellschaft der Kanarischen Inseln verhaftet. Ein Bild mit dem programmatischen Titel "Papa spielt Domino mit seinen Freunden und Mama gießt die Blumen" könnte manch moderne Feministin auf die Palme bringen. Zum anderen aber sind auch auf diesem Gemälde die Männer als schemenhafte Figuren an den Rand gedrängt, während die Frau als eigentlich Agierende im Zentrum thront. Ihr schönes Bild "Die universelle Frau" kommentiert die Künstlerin im Nachwort: "Viele Generationen lang war die Frau, obzwar dem Mann kulturell untergeordnet, der Pfeiler, an dem das Leben zusammenlief ... Ich möchte durch meine Arbeit dieser Frau eine Ehre erweisen, deren tägliche Arbeit selten wertgeschätzt wurde." Ángeles Violán möchte also den schwer arbeitenden kanarischen Landfrauen, Händlerinnen und Müttern in ihren Bildern ein Denkmal setzen.

Ein besonders interessantes Motiv aus dem harten Arbeitsalltag der Frauen auf den Kanarischen Inseln, der wenig mit romantischen Vorstellungen von Touristen zu tun hat, ist das Sammeln von Koschenille-Läusen.

Vor der Erfindung ähnlicher künstlicher Farbstoffe hatte sich die Zucht dieser karminroten Insekten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den Kanaren zu einem bedeutenden Industriezweig entwickelt. Massenhaft wurden die Koschenille-Läuse in Pflanzungen von Opuntien (Feigenkakteen) gezüchtet und regelmäßig eingesammelt, um den einzigartigen Farbstoff ("Lausblut") in Kosmetika (Lippenstiften), Lebensmittel oder Alkoholika zu verarbeiten.

Neben Szenen aus dem harten Alltag gibt es natürlich auch viele Festtagsszenen im Werk von Ángeles Violán. Auf leuchtenden Bildern, die z.B. den Maikreuzen oder den Blumenteppichen anlässlich des Corpus Christi in La Orotava gewidmet sind, wird gezeigt, dass auf den Kanaren nach harter Arbeit auch heftig gefeiert wird. So ist die Strandparty zu Ehren des Heiligen Johannes ein schönes Motiv. Zum Fest der Sommerwende, am Abend vor der kürzesten Nacht des Jahres am 24. Juni, der "Noche de San Juan" (Johannisnacht) ist es auf den Kanarischen Inseln wie in ganz Spanien üblich, mit der ganzen Familie am Strand bei Lagerfeuer und reichlich Weingenuss die Nacht durchzufeiern.

Mit der Darstellung solcher Traditionen bietet uns die Künstlerin, unabhängig davon, ob diese naive Malerei unseren Geschmack trifft, eine "Sammlung von Erinnerungen", wie es der Dichter Rafael Arozarena treffend ausdrückt: "ein Museum der Gefühle".

Die Künstlerin selbst sagt in der Einleitung über ihre Intention, dass ihre Bilder auch die "Sehnsucht nach einem einfacheren Leben" ausdrücken sollen, nach einem naturverbundenen Leben, in dem man trotz harter Arbeit noch Zeit füreinander hat - und die Fröhlichkeit, bei der Arbeit zu singen.

Vielleicht werden durch dieses Buch auch einige Leser animiert, eines der farbenfrohen Originalkunstwerke (soweit noch verfügbar) zu erwerben. Das Werkverzeichnis der abgebildeten Gemälde sowie die Kontaktadresse der Künstlerin befinden sich im Anhang dieses kuriosen Kunstführers.

Text: Berthold Volberg
Fotos: Ángeles Violán

Kontakt zur Autorin:
Ángeles Violán, Apto. Correos 296, 38400 Puerto de la Cruz,
Tel. 0034-630605440

Erschienen bei:
Zech-Verlag, Santa Cruz de Tenerife
Tel./Fax: 0034-922302596
Email: info@zech-verlag.com
www.zech-verlag.com





[kol_3] Grenzfall: Kataloniens Leinwände zur WM 2006

Vor Flugbuchung das Kleingedruckte lesen:
Katalonien ist wahrscheinlich der letzte Ort auf dieser Welt, der bis auf wenige von Ausländern geführte Lokalitäten völlig WM frei ist.

La Sexta, der öffentliche spanische Sender, der landesweit die Haushalte erreicht, hat sich für die Dauer der WM in Deutschland gänzlich dem Fußball verpflichtet. Pro Spiel kommentieren drei Journalisten und so wird auch das verhaltenste Spiel zur spannenden Unterhaltung: Nach jedem Abspiel erfolgt umgehend die Nennung des angespielten Spielers, Kurzpassspiele werden von Tiqui-Taqui, Tiqui-Taqui, Tiqui-Taqui Rufen begleitet, Gesangseinlagen zum besten gegeben - beliebt ist etwa "canta y no llores" (singe statt zu weinen) - und bisweilen werden Kommentare abgegeben, die unter die Gürtellinie gehen: sie suchen ein Loch, sie suchen ein Loch, sucht denn nicht jeder sein Loch.

Und dann erfolgte der erste Auftritt der spanischen Nationalmannschaft, die obwohl die spanische Liga zu den besten der Welt zählt, bei internationalen Turnieren fast immer so herrlich enttäuschte. Mit dem überragenden Sieg gegen die Ukraine aber brach für Spanien eine neue Zeitrechnung an und die Kommentatoren überschlugen sich mit euphorischen Bekenntnissen: Von diesem Tag wirst du deinen Kindern erzählen und deinen Enkelkindern oder Heute Nacht werde ich vor Erregung kein Auge schließen. Und mit ihnen feierten ausgelassene Fans in ganz Spanien, so vermittelten es die Fernsehbilder. Und ich saß zuhause und ärgerte mich, nicht mit der Kamera im Anschlag durch Barcelona zu ziehen.



Das leinwandfreie Dorf
Alle zwei Wochen von Juni bis September kam noch bis vor wenigen Jahren der Filmvorführer in das nur fünf Kilometer von der katalanischen Stadt Figueres entfernt liegende kleine bezaubernde Dorf, sperrte die Zufahrtsstraßen zum Dorfplatz, spannte eine gewaltige Leinwand auf, stellte Stühle bereit und warf die Vorführmaschine an. Nicht dass ich ernsthaft hoffte, dass die Leinwand zur Weltmeisterschaft zumindest zu den Spanienspielen reanimiert werden würde, aber von einen Rundgang vorbei am Bürgermeisteramt, dem Gemüseladen und dem Wunderheiler versprach ich mir doch einen halb öffentlichen fußballbegeisterten Ort zu finden. Das Amt war geschlossen, der Gemüsefrau war nicht bekannt, dass Spanien gerade spielt (ich möchte ihr sogar unterstellen, dass sie nicht einmal wusste, dass Spanien an der WM teilnimmt bzw. das überhaupt eine WM stattfindet), und eine Fernsehgemeinschaft existierte auch nicht. Noch nicht einmal in den beiden Kneipen des Dorfes.



Die leinwandfreie Kleinstadt
Am nächsten Tag schwang ich mich aufs Rad, um mich in das fußballtolle Figueres, der Stadt, die ihr Image allein auf den Surrealisten Salvador Dalí stützt, zu stürzen. Das Surreale ist, wie nicht anders zu erwarten, denn auch überall präsent, strahlt von Plakaten, prangert auf Hinweisschildern und ist Thema der Auslagen in den Bäckerläden: schräg geflochtenes Dalí-Brot. Mir aber erschien wesentlich surrealer, keinem einzigen Fußballfan zu begegnen und kein Geschrei aus den Kneipen zu vernehmen. Nachdem ich vier Kneipen betreten hatte und über die Fernsehschirme die Bilder von Bingo oder Nachrichten flackern sah, suchte ich das Monterey auf, dessen Wirt aus Andalusien stammt und eine hohe Fußballaffinität aufweist. Leider aber traf ich auf seine Frau Serafina, die José meist in den Stunden der heiligen Siesta vertritt. Serafina saß hinter dem Tresen versteckt und fieberte mit: zu meinem Leidwesen mit den Stars ihrer Telenovela.



Die leinwandfreie Großstadt
Puyol Fußballgott, Xavi Fußballgott, Fàbregas Fußballgott
Drei der großen spanischen Spieler sind Katalanen, allen voran el tiburón Puyol, der bissige Hai, der Abräumer. Wenn also eine große Anzahl von Katalanen, die zu den Ligaspielen von einem Barça-Rausch in den nächsten fallen, schon keine Begeisterung für das spanische Team hegt, so doch zumindest für ihre drei Stars, wollte ich annehmen. Um den WM-Aktionismus Barcelonas zu testen, begab ich mich zum Spiel Costa Rica - Ecuador in die Landeshauptstadt, deren Straßenbild durch einen hohen Anteil an Lateinamerikanern geprägt ist. Kaum am Plaza Catalunya angekommen, wandte ich mich an eine der zahlreichen Hostessen des katalanischen Tourismusverbandes: "Fußball?! Es gibt unzählige Ort in der Stadt, die Fußball zeigen. Eine Leinwand?! Nein! Wozu? Es gibt doch diverse Kneipen, die die Spiele der WM zeigen." Ich war fassungslos, aber immer noch ein wenig zuversichtlich, rückten doch die ersten Fans in mein Blickfeld: zwei Engländer und ein verirrter Deutscher. Das waren dann aber auch alle für die nächsten drei Stunden.

Natürlich habe ich Kneipen gefunden, die mitunter sogar die Spiele per Beamer übertrugen: allen voran einen Irish Pub und eine asiatisch geführte Lokalität, die San Miguel in Maßkrügen ausschenkt.

Das Aus - Nachtrag
Als hätten die Katalanen es von vornherein geahnt: Das Aus! Jeder spanischen Nationalmannschaft winkt spätestens im Achtelfinale das Aus. Und während sich nun im ganzen Land die Verantwortlichen Gedanken machen, ob die Leinwände bestehen bleiben sollen, hat in Katalonien der WM-frei Alltag einfach Fortbestand.

Text + Fotos: Dirk Klaiber





[kol_4] Macht Laune: Ein bisschen Portugal im schwarzen Kontinent

Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, als wir mit dem Auto Maputo, die Hauptstadt Mosambiks, durchquerten, war: das ist hier wie in Lateinamerika! Dabei hätte ich es ja leicht erahnen können, hatte ich doch schon an der Grenze mit dem Zollbeamten über die bevorstehende Fußball WM philosophiert (und das mehr als eine halbe Stunde, bis mein Visum endlich seinen Weg in meinen Pass gefunden hatte) und er mir mehr als deutlich gemacht hatte, wer da gewinnen würde: ganz klar Portugal! Interessanter Weise lief die Unterhaltung auf Englisch / Portugiesisch, denn mit Spanisch ist es recht schwierig voranzukommen, obwohl ich immer gute Erfahrungen mit Spanisch-Portugiesisch gemacht hatte und mich bis zu diesem Zeitpunkt immer verständlich machen konnte. Hier werde ich mehr als einmal komisch angeschaut, wenn ich versuche mit Spanisch Auskünfte einzuholen oder mich zu unterhalten, bis ich es schließlich aufgebe und mich mit Englisch und Straßenportugiesisch weiter durchschlage.

Musste ich bis dato sieben Wochen warten, um mal wieder einen großen Straßenmarkt sehen zu können, hier in Maputo war es endlich soweit.

Jeder wird umgehend zum Geschäftsmann und versucht einem von der Rasierklinge, über Kassetten heißer Latino-Rhytmen bis hin zum feinen Anzug alles anzudrehen.

Und da war dann wieder, das Gefühl des Sich-Treiben-Lassens, das mir in Deutschland ein wenig gefehlt hatte. Das Geschrei der Menschen hier auf sich wirken zu lassen, ein wenig mit den Händlern schwatzen und vielleicht um dies und jenes feilschen. Und da waren dann auch die wohlbekannten Gerüche, die sich in meine Nase schlängelten, von den verschiedensten Gewürzen, gegrilltem Fleisch und Fisch. Herrlich!

Mit ein paar Calamares im Bauch ging es dann hinunter zum Hafen. Und beim Herumlaufen durch die typisch quadratisch angeordneten Straßen fiel dann auf, dass Maputo mit vielen lateinamerikanischen Großstädten mithalten kann: beinahe überall hängt der Geruch von Urin in der Luft, die Straßenränder sind mit Abfall übersät und die Straßenmusiker künden in all dem Kuddelmuddel von einer besseren Zukunft oder von der verflossenen Liebe. Alles wie gehabt also.

Über eine unbefestigte Sandstraße erreichte ich die Ablegestelle für die kleine vorgelagerte Insel Catembe. Die schwarzen Frauen trugen traditionell bunte Kleidung. Es war erstaunlich ruhig. Nur ein paar Arbeiter, die Holzplanken auf das Schiff laden, gaben lautstark Anweisungen. Das Schiff war bereits voll und ich sollte eine weitere halbe Stunde warten, um auf das kleine Eiland übersetzen zu können.

"Versuchs doch mal bei Joao, der setzt auch gleich über, weil er eine kleine Bar auf Catembe hat. Der nimmt Dich vielleicht für ein paar Centavos mit!" Die kleine alte Frau hieß Maria und spracht überaus gutes Spanisch.

Ich bedanke mich für den Tipp mit einem "Gracias-Obrigado" und ging zu Joao, der sein Schiffchen direkt neben der öffentlichen Ablegestelle liegen hatte. Nachdem ich ihm erfolgreich vermitteln konnte, dass Maria mich zu ihm geschickt hatte, winkte er mich auf das Schiff, mit dem Hinweis, dass mich die Überfahrt 1000 Meticais kosten würde. "Meine Mutter ist sehr geschäftstüchtig", sagte Joao mit einem Augenzwinkern.

Die Überfahrt dauerte keine fünf Minuten, aber das ist genügend Zeit, um einen kleinen Rum mit Cola bei einer gefühlten Außentemperatur von 40°C einzunehmen. Der allerdings war im Preis inbegriffen. Ein bisschen plauderte ich mit Joao noch, ehe wir kurz vor dem Strand ankerten. Die letzten Meter müssten wir durch das Meer waten, was aber gerade dem Rum unheimlich gut tat. Joao verabschiedete sich schließlich und lud mich ein, kurz vor meiner Rückfahrt bei ihm vorbeizuschauen. Auf einen zweiten Rum gewissermaßen, denn viel gebe es auf der Insel ohnehin nicht zu sehen.

Und tatsächlich, nach einer Stunde schon saß ich bei Rum und kühlem Bier auf seiner kleinen Terrasse mit Blick auf Maputo und aß ein paar frische Muscheln, während im Hintergrund die täglichen Soap-Operas über den Bildschirm flimmerten. Es ist also tatsächlich wie immer in Latein-Afrika!


Text + Fotos: Andreas Dauerer





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