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[art_1] Spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
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02.Juli 2013. Nach dem traurigen Triumph gestern am Tag der herbeigesehnten und doch gefürchteten Ankunft lassen wir uns heute treiben durch die Stadt aus Granit. Eigentlich wollten wir heute früh, am letzten Tag vor der Heimreise, zum Kap Finisterre ans Ende der Welt, wo die Pilger des Mittelalters auf die düsteren Wellenberge des Atlantiks starrten und glaubten, hinter dem Horizont in ein gnadenlos schwarzes Universum zu stürzen. Doch nachdem wir gestern Abend die Wetterprognosen gesehen hatten, die für die Atlantikküste ergiebigen Regen und Sturm, für die Stadt Santiago aber ein eher heiteres Panorama und 25° Grad voraussagten, ließen wir diesen Plan fallen. Meine Begleiterin Cayetana stellte widerspruchslos fest: "Es reicht jetzt!" Und sie zählte stolz nochmals die Daten unseres langen Pilgermarsches auf: "tausend" Kilometer (sie übertreibt wie immer, es waren nur 878), fünf Gebirgszüge und 28 Flüsse (OK, es waren auch kleine dabei).
Jetzt liegen wir, den Kopf auf unseren Rucksack gebettet, mitten auf der von Menschen übervölkerten Plaza de Obradoiro, lauschen der meditativen Dudelsack-Musik und starren die steile Doppelturmfassade der Kathedrale empor. "Wieso können wir nicht für immer Pilger sein?", fragt mich Cayetana plötzlich. Ich bin eine Minute sprachlos vor Überraschung, bevor ich antworte: "Aber wie stellst Du Dir das vor - sollen wir so leben wie Maggie und als Vagabunden das ganze Jahr über alle Pilgerwege abklappern, um uns dann im Winter irgendwo bei Freunden einzuquartieren bis man uns am ersten Frühlingstag rauswirft?" Sie schaut mich an, dann wieder auf die Himmelstreppe, zieht sich ihre Baseball-Mütze halb übers Gesicht, verschränkt die Arme und schmollt. "Dann eben nicht!" Offenbar hatte sie sich mehr moralische Unterstützung für ihren gewagten Vorschlag erhofft. Nur sie selbst weiß, ob es ihr wirklich ernst war mit dieser Idee. Schweigend liegen wir nebeneinander auf dem Pilgerplatz und blicken in die schnell gleitenden Wolkenschatten am Himmel.
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Als die Sonne ganz verschwindet und vom Kap Finisterre geschickte Wolken den Himmel verdunkeln (in Santiago ändert sich das Wetter jede Stunde), beschließen wir, uns noch eine Kirche anzusehen, die in unserem Pilgerführer als besonders spektakulär angepriesen wird: das Kloster San Martín Pinario. Das wird ein Volltreffer für Cayetanas andalusischen Geschmack (O-Ton: "total geiler Barock").
Wenig später stehen wir zwischen drei barocken Gebirgen, deren Goldglanz diesen Tempel erleuchten. |
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Links der Mond- und rechts der Sonnenaltar, im Zentrum das zerklüftete und Schwindel erregende Figurengetümmel des Hauptaltars mit seinen wunderschönen Engeln.
Das besondere in der Kirche San Martín Pinario ist, dass dieser riesige Altar nicht wie so viele andere nur abgesperrt aus der Ferne zu betrachten ist, sondern wir dürfen mitten in dieses vergoldete Altargebirge mit seinen himmelsstürmenden Heiligenskulpturen hinein klettern! Am Eingang zum Altar steht der von einem durch ein Fenster fallenden Sonnen-Spot angestrahlte Erzengel Gabriel und lächelt den Pilgern entgegen, scheint Glück und Frieden zu versprechen. Wir verlieren uns in diesem Wunderwerk von unzähligen golden leuchtenden Figuren, steigen immer höher bis wir von hoch oben das ganze Kirchenschiff überblicken können und uns umringt von Engeln und nah der lichtdurchfluteten Kuppel schon fast im Himmel wähnen. Diese ganze Kirche ist großes Barock-Theater und der gigantische Altar die Bühne für all die Engel und Heiligenstatuen.
Cayetana lässt ihren Blick ringsumher über die goldenen Lichtreflexe wandern und meint: "Sieht aus, als ob wir im Paradies angekommen wären inmitten so vieler Engel... Jetzt nachdem wir den Pilgerweg geschafft haben, kommen wir doch nach dem Tod auf jeden Fall ins Paradies - oder?"
Ich blicke in ihre fragenden Augen und will sie nicht enttäuschen, bin mir aber nicht mehr so sicher: "Naja, das hoffen wir natürlich. Aber vielleicht ist Gott - und damit das Leben nach dem Tod - nur die schönste Illusion, die Menschen je erfunden haben...?" Sie wirkt etwas erschrocken nach meiner unerwarteten Antwort, die eine Frage ist, doch irgendwie spüre ich, dass ihr selbst dieser Gedanke auch schon gekommen ist. Ihr Blick verliert sich in der Kirchenkuppel und nach einer Minute des Schweigens erwidert sie ungewohnt leise: "Ist ja auch egal, jedenfalls haben wir es geschafft und stehen jetzt hier..."
In dieser Nacht vor der Rückkehr träumt Cayetana, dass sie wieder die Himmelstreppe zur Kathedrale empor steigt und ein Engel ihr lächelnd das Portal öffnet - ganz weit. Im Innern des Tempels sind zwischen den Säulen Tausende von Menschen versammelt - und unter waberndem Weihrauchnebel tanzen sie in der Kathedrale! An diesen Traum wird sie sich ein Leben lang erinnern.
Text und Fotos: Berthold Volberg
Tipps und Links:
Letzte Etappe von Arca do Pino bis zur Kathedrale von Santiago: 20 Kilometer
www.santiagoturismo.com
www.peregrinossantiago.es
Nochmals Dank für Unterstützung und lebenswichtige Informationen an:
Freundeskreis der Jakobuspilger - Hermandad Santiago e.V., Paderborn
www.jakobusfreunde-paderborn.eu
Cordula Rabe: "Spanischer Jakobsweg", Reihe "Rother Wanderführer", München 2011
Übernachtung in Santiago:
Hotel Compostela, C. Hórreo 1, Tel. 981-585700, zentral am östlichen Rand der Altstadt gelegenes 4*-Hotel mit komfortablen Zimmern ab 75 Euro. www.hotelcompostela.es/de/
Verpflegung in Santiago:
Restaurant „Casa Paredes“, Calle Carretas 1 / Ecke Rúa das Hortas, Tel. 981-557102, Spezialität Lammgerichte
Kirchen:
Kathedrale von Santiago de Compostela: eine der größten und bedeutendsten romanischen Kirchen Europas, zu Recht berühmt das Hauptportal „Portico de la Gloria“ mit Apostelskulpturen des Meisters Mateo (1160 1188).
Ein Kuriosum: Der romanische Bau ist fast komplett barock ummantelt, so dass man das romanische Portal hinter der bombastischen barocken Doppelturmfassade (1750) von außen gar nicht sieht. Diese barocke „Verpackung“ hat sicher auch dazu beigetragen, dass die über 800 Jahre alten Romanik-Skulpturen trotz des Dauerregens in Galizien so erstaunlich gut erhalten sind. Während der Barock außen grandios wirkt, sind die barocken Einfügungen im Innern des romanischen Tempels eher störend: der kolossale Hauptaltar wirkt hier unpassend und erreicht auch nicht die Qualität der genialen Barockaltäre des Klosters San Martín Pinario (s.u.).
Empfehlenswert die Führung über die Dächer der Kathedrale (12 Euro) www.catedraldesantiago.es
Geöffnet: Kathedrale 7 20 Uhr (Juni-Sept. bis 21 Uhr); Kathedralmuseum: Mo. Sa. 10 13.30 und 16 18.30 (Juni-Sept. bis 20 Uhr), So. 10 14 Uhr. Eintritt 6 Euro
Kloster San Martín Pinario: das riesige Barockkloster hat die sehenswerteste Kirche von Santiago, die zusammen mit angrenzenden Museumssälen besichtigt werden kann. Geöffnet: Di. So. 11 13.30 Uhr und 16 bis 18.30 Uhr (Sommer bis 19 Uhr). Eintritt: 2,50 Euro. Im Hauptschiff der Kirche drei gigantische, vergoldete Barockaltäre (rechts Sonnen-, links Mondaltar, der Hauptaltar des Barockmeisters Casas y Novoa ist wie ein Gebirge aus Statuen, Engeln, Baldachinen), im Obergeschoss das Renaissance-Chorgestühl, das aus der Kathedrale von Santiago stammt. www.museosanmartinpinario.com
www.santiagoturismo.com/monumentos/mosteiro-e-igrexa-de-san-martino-pinario
Romanische Kirche Santa María la Real de Sar (frühes 12. Jahrhundert): gilt als älteste Kirche Santiagos, etwas außerhalb in einem südöstlichen Vorort. Bemerkenswert die dramatisch schiefen Säulen und Wände. Schöne Madonnenstatue im Chor. Romanischer Kreuzgang und kleines Museum. Geöffnet: Mo. Sa. 10 13 Uhr und 16 19 Uhr, So. nur 10 13 Uhr. Eintritt: 1 Euro.
Renaissance-Kirche San Francisco aus dem 16. Jahrhundert (erneuert im 18. Jahrhundert) mit monumentaler Doppelturm-Fassade und großer Franziskus-Statue mit Jesuskind zwischen vier Säulen. Innen klassizistischer Hauptaltar und links vom Hauptaltar in einer Vitrine ein entzückend realistisches Jesuskind. Geöffnet: nur kurz vor und nach den Messen, Eintritt frei.
[druckversion ed 06/2015] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien] |
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