ed 05/2017 : caiman.de

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spanien: Priego de Córdoba - Semana Santa in der andalusischen Provinz
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


spanien: Die schöne Unvollendete
Ein Besuch in der Kathedrale von Plasencia (Extremadura)
BERTHOLD VOLBERG
[art. 2]
argentinien: Kleine Kredite, die Großes bewirken
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 3]
brasilien: Wo ist Götzes Netz?
Erinnerungen an einen untergehenden Fußballtempel
THOMAS MILZ
[art. 4]
hopfiges: Original Medical Stout (Barcelona)
Ein Bier der La Calavera Brewery Coop.
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[kol. 1]
traubiges: Malva-was?
Muga Blanco Rioja 2013
LARS BORCHERT
[kol. 2]
macht laune: Mit dem Stethoskop durch Morazán
BIRGIT SCHÖNAUER
[kol. 3]
lauschrausch: Songs of struggle & hope (Agustín Lira)
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Spanien: Priego de Córdoba - Semana Santa in der andalusischen Provinz
 
Im vergangenen Jahr haben meine Freundin Angélica und ich das Wochenende vor der großen Semana Santa Sevillas zu einem Blitzbesuch im fernen Osten Andalusiens genutzt und waren in Úbeda und Baeza.

Auf dem Rückweg nach Sevilla am Palmsonntag fahren wir durch die blühende Frühlingslandschaft und endlos wirkende Olivenhaine, die hier in den Provinzen Jaén und Córdoba das Panorama dominieren. Da wir früh aufgebrochen sind und erst am Abend zurück in Sevilla sein müssen, um noch die drei wichtigsten Prozessionen des Tages (die der Bruderschaften Amargura, Amor und Estrella) zu sehen, beschließen wir spontan, einen Abstecher nach Priego de Córdoba zu machen.

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Das Landstädtchen (20.000 Einwohner) liegt im äußersten Süden der Provinz Córdoba in 650 Metern Höhe und ist berühmt für seine spätbarocken Bauten. Nach ziemlich langer Parkplatzsuche - auch hier gibt es Semana Santa Feierlichkeiten und die Innenstadt ist voller Menschen - schlendern wir über den Rathausplatz und Angélica amüsiert sich über die spärliche Doppelreihe der Zuschauertribüne links und rechts der Straße, die zum Platz führt. Denn in Sevilla sind zur Betrachtung der berühmten Prozessionen rund um den Rathausplatz und auf der Avenida, die zur Kathedrale führt, Tausende von Zuschauerplätzen für die Touristenmassen aufgebaut. Aber hier geht natürlich alles deutlich ruhiger zu und ausländische Touristen verirren sich während der Semana Santa kaum in dieses entlegene Städtchen. Semana Santa Touristen besuchen vor allem Sevilla, Málaga, Granada oder Cádiz. Von fern hören wir Trommelwirbel und Trompetenfanfaren, doch von einer Prozession ist noch nichts zu sehen.

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Wir steigen die Treppen hinab zum Wahrzeichen von Priego de Córdoba. Die Fuente del Rey ist eine aufwendige Rokoko-Brunnenlandschaft aus dem 18. Jahrhundert, die inmitten eines kleinen Stadtparks angelegt wurde. Der Hauptbrunnen ist eine spektakuläre Skulpturengruppe aus Marmor. Dargestellt wird hier ein Wagen, der von zwei Pferden in dynamischer Bewegung gezogen wird. Darauf thront, flankiert von Meerjungfrauen und anderen Fabelwesen, der Meeresgott Neptun und schwingt seinen Dreizack. An den Rändern des Wasserbeckens entladen 140 gemeißelte Köpfe von Fabelwesen ihre Wasserstrahlen ins Brunnenbecken. Besonders in den heißen Sommermonaten werden die Bänke rund um das große Wasserbecken gut besucht sein.

Plötzlich hören wir die Trommeln und Trompeten ganz nah und laufen die Treppen auf der anderen Seite wieder hoch, denn eine Palmsonntags-Prozession ist soeben in die Avenida eingebogen. Wie uns ihre Standarte verrät, handelt es sich um die Prozession der Hermandad de la Pollinica (die Bruderschaft des Eselchens) offiziell "Bruderschaft unseres Vaters Jesus bei seinem triumphalen Einzug in Jerusalem". Sie geht zurück auf eine Gründung im 17. Jahrhundert, zerfiel dann und wurde 1966 neu gegründet. Diese Prozession mit Nazarenos, die scharlachrote Kapuzenmasken und weiße Tuniken tragen, eröffnet die Semana Santa in Priego de Córdoba und führt besonders viele Kinder mit. Die erste Altarbühne (genannt "Paso"), die Jesus reitend auf dem Esel beim Einzug in Jerusalem zeigt, gleitet auf Rädern durch die Straßen. Der zweite Paso mit der Madonna wird dann aber doch per Muskelkraft bewegt.

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Aber ein fundamentaler Unterschied zu der uns bekannten Semana Santa von Sevilla ist, dass hier die Träger nicht unsichtbar unter der Altarbühne verborgen sind, sondern diese für alle sichtbar tragen - links und rechts ruht der "Paso" jeweils auf den Schultern der Träger. Allerdings haben diese ihre Gesichter unter scharlachroten Kapuzenmasken verborgen, so dass ihre Anonymität gewahrt bleibt. Diese Trageweise ist typisch für die Region Málaga. Ich persönlich bevorzuge aber die Art und Weise wie die Altarbühnen in Sevilla bewegt werden, mit Trägern die ganz unter dem Paso verschwinden, so dass das Publikum die Illusion bewahren kann, dass Christus oder die Madonna ganz von selbst durch die Menge gleiten. Hier in Priego dagegen sieht man die Träger der "Mutter der Schutzlosen" (Madre de los Desamparados), die mit bordeauxrotem Mantel und Silberkrone ihrem Ziel entgegen strebt. Angélica kommentiert als Sevillanerin natürlich, dass diese Art, den Paso mit langen Tragebalken und sichtbaren Trägern fortzubewegen, ihr nicht so gefällt. Da sind wir uns beide schnell einig, zu sehr sind wir durch die Semana Santa Sevillas geprägt und an "unsichtbare" Träger gewöhnt.

Kaum dass die Prozession und die sie beschließende Musikkapelle an uns vorbeigezogen ist, ertönt ein heftiges Donnergrollen am Himmel. Es ist inzwischen 15 Uhr und damit Zeit fürs Mittagessen. Auf der Suche nach einem Restaurant müssen wir uns beeilen, denn der Himmel ist jetzt plötzlich dunkelgrau, fast violett. Es fällt zwar noch kein Regen, aber die Donner ertönen immer lauter und drohender. Die ersten drei Restaurants nahe dem Prozessionsweg sind so voll, dass wir gar nicht hinein kommen. Endlich finden wir an der Plaza bei der maurischen Burgruine ein Restaurant, wo zumindest noch ein paar Stehplätze am Tresen frei sind. Gerade noch rechtzeitig erobern wir sie, denn im nächsten Moment bricht draußen ein Wolkenbruch los. Nach der langen Vorwarnung durch Donner und grauvioletten Himmel gießt es wie aus Eimern, innerhalb von einer Minute ist die Gasse vor der Bar überschwemmt. Wir heitern uns auf mit der originellen Spezialität des Hauses: mit Honig gebackene Auberginenscheiben, dazu ein fruchtiger Montilla-Weißwein.

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Der Kellner fragt uns, ob wir die ganze Heilige Woche hier verbringen werden. Denn die Höhepunkte der Semana Santa in Priego de Córdoba sind - wie in den meisten anderen Städten Andalusiens - die Prozessionen am Gründonnerstag ("La Columna") und Karfreitag ("Jesús Nazareno"). Aber da müssen wir verneinen. Obwohl es sicher reizvoll und ergreifend sein würde, die Semana Santa in einer Kleinstadt zu erleben, ohne Touristenmassen, authentisch und ohne den ganz großen Pomp, zieht es uns doch zurück zur Mutter aller Semanas Santas - nach Sevilla.

Als wir Priego de Córdoba gen Westen verlassen, wölbt sich neben der Landstraße und vor den abziehenden Gewitterwolken ein doppelter Regenbogen. Ein gutes Omen, denn bis auf ein paar Ausfälle am Dienstag sollten in Sevilla alle Prozessionen stattfinden.

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Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Unterkunft in Priego de Córdoba
Hospedería San Francisco (in altem Kloster mit wunderschönem Patio)
Adresse: Plaza Compás de San Francisco, 15, 14800 Priego de Córdoba
Telefon: +34 957 70 19 17
http://www.hospederiasanfrancisco.com/

Gastronomie in Priego de Córdoba
Restaurant "Califato"
Adresse: Calle Abad Palomino 14800 Priego de Córdoba (gegenüber der maurischen Festung)
Tel. 957 543 233
653 97 04 96
Reservas: reservas@restaurantecalifato.es
Web: http://restaurantecalifato.es/

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[art_2] Spanien: Die schöne Unvollendete
Ein Besuch in der Kathedrale von Plasencia (Extremadura)
 
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Extremadura im äußersten Westen Spaniens an der Grenze zu Portugal vom Geheimtipp zu einem touristischen Entdeckungsland entwickelt. Viele Spanien-Liebhaber, die nach den Mittelmeer- und Atlantikküsten die Bergketten Asturiens, die Wälder Galiziens und die Kulturstätten der kastilischen Steppe erkundeten, landen am Ende auch hier, in der entlegenen Extremadura, einer der am dünnsten besiedelten Regionen Europas. Dabei beschränken sich die meisten allerdings auf die touristischen Hauptattraktionen: sie besuchen das römische Theater von Mérida, lassen sich für ein ausgiebiges 4-Gänge-Menü auf der Plaza Mayor in Cáceres oder Trujillo nieder, unternehmen eine Safaritour zur Geier-Beobachtung im Nationalpark von Monfragüe oder pilgern zu den Zurbarán-Gemälden im Kloster von Guadalupe.

Ein Städtchen der Extremadura steht aber höchst selten auf der Liste der Besuchsziele: Plasencia. Dabei ist der 1196 neu gegründete und heute ca. 40.000 Einwohner zählende Ort im Tal des Río Jerte nicht nur zur Kirschblüte einen Besuch wert (größtes Kirschanbaugebiet Spaniens). Hier erwartet den Besucher eine ziemlich einzigartige Attraktion: eine "halbe Doppel-Kathedrale".

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Schon kurz nach der Stadtgründung entstand über dem Flussufer die Catedral Vieja, deren spätromanische Pyramidenkuppel ca. 1270 vollendet wurde. Wie die Kuppeln der romanischen Kathedralen von Salamanca und Zamora zeigt sie deutliche Einflüsse islamischer Architektur. Diese alte Kathedrale hat sehr bescheidene Dimensionen, ihr unscheinbarer Turm wird von den neueren Gebäuden der Umgebung deutlich überragt. Schönster und spektakulärster Teil der alten Kathedrale ist der romanisch-gotische Kreuzgang aus dem frühen 14. Jahrhundert, der vom arabischen Architekten Asyote entworfen wurde. Er wird dominiert von eleganten Fensterbögen, exquisiten Monsterdarstellungen an den Säulenkapitellen und einem erst Ende des 15. Jahrhunderts hinzugefügten plateresken Brunnen im Zentrum.

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Im Zuge des ungeheuren Baubooms, der Spanien nach der Entdeckung Amerikas 1492 erfasste, wurde unmittelbar neben der alten Kirche der gigantische Neubau einer Kathedrale geplant. Mindestens zwei Drittel aller Konquistadoren, die Amerika eroberten, kam aus der Extremadura und einige kehrten tatsächlich als Millionäre zurück. Sie bauten nicht nur prächtige Paläste wie der Pizarro-Klan in Trujillo, sondern vielleicht motiviert durch ihr schlechtes Gewissen auch überdimensionierte Kirchen in ihren Heimatorten. Die neue Kathedrale von Plasencia ist zweifellos das schillerndste Beispiel eines größenwahnsinnigen und letztlich gescheiterten Bauprojekts aus dem 16. Jahrhundert. Denn während die riesige Kathedrale von Sevilla schon 1401 begonnen und bei der Entdeckung Amerikas so gut wie vollendet war, wurde der Neubau von Plasencia erst Ende des 15. Jahrhunderts beschlossen und während des 16. Jahrhunderts in Angriff genommen. Für ein paar Jahrzehnte, ca. von 1520 - 1560, muss den Bauplanern eine gewaltige Geldsumme zur Verfügung gestanden haben. Denn für den Neubau der Kathedrale von Plasencia wurde nicht nur ein Stararchitekt jener Epoche unter Vertrag genommen, sondern so ziemlich alles was in Spaniens Siglo de Oro Rang und Namen hatte: Franz von Köln (Francisco de Colonia), Baumeister der grandiosen Kathedrale von Burgos, Enrique de Egas, Lieblingsarchitekt der Katholischen Könige, Gil de Hontañón, damaliger Baumeister der Kathedrale von Sevilla, Diego de Siloe, Architekt der Kathedrale von Granada sowie Juan de Álava aus Salamanca - von allen Großbaustellen des Landes wurden die besten Architekten hier in dieses Provinznest geholt für einen Neubau, der alle Rekorde brechen sollte.

Doch daraus wurde nichts, denn so plötzlich wie sie sprudelten, versiegten die Geldquellen auch wieder und lediglich der Chorraum wurde realisiert. Dieser ist jedoch so groß wie eine ganze Kirche und wenn das Langhaus der Kathedrale wie geplant errichtet worden wäre, müsste man die Kathedrale des Städtchens Plasencia wohl heute zu den fünf größten der Welt zählen. Stattdessen sahen sich die Baumeister gezwungen, angesichts der Geldmisere Ende des 16. Jahrhunderts den bis dahin erbauten Raum einfach zuzumauern, um den unfertigen Tempel als Kathedrale nutzen zu können. Plasencias grandios geplante Renaissance-Kathedrale blieb ein Torso und besteht letztlich nur aus dem Chorraum. Aber alles was bis Ende des 16. Jahrhunderts an Fassadenschmuck oder Innengestaltung hier geschaffen wurde, ist von edelster Qualität. Die Renaissancetreppe von Gil de Hontañón, die filigranen spätgotischen Sterngewölbe von Franz von Köln, die grandiose platereske Fassade, zum größten Teil von Diego de Siloe, ausgestattet mit wunderbaren Medaillonreliefs (z.B. der heilige Petrus mit Himmelsschlüssel) und phantasievollen sowie Angst einflößenden Monstern und Fabelwesen.

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In einem letzten Kraftakt - die Geldquellen waren eigentlich schon versiegt und der Innenraum abrupt zugemauert - wurde von 1623 bis 1626 der monumentale Hochaltar vom kastilischen Barockbildhauer Gregorio Fernández geschaffen, der zu den größten der Welt gehört (23 Meter hoch und 16 Meter breit) und in Europa wohl nur von den Hochaltären der drei Mega-Kathedralen von Sevilla, Toledo und Burgos übertroffen wird. Die Gemälde zwischen den Skulpturen des Gregorio Fernández sind Werke des Barockmalers italienischer Herkunft Francisco Rizzi. Abgesehen vom spektakulären Hochaltar sind das zum größten Teil vom deutschen Bildhauer Rodrigo el Alemán geschnitzte Chorgestühl und das von skurrilen Fabelwesen bevölkerte Renaissanceportal der Sakristei sehr beeindruckend. Und jeder Besucher blickt fasziniert empor zum barocken Bildersturm, der unterhalb der Orgel entfacht wird: die wilde Fratzen schneidenden Trägerfiguren scheinen sich direkt auf den erschreckten Betrachter hinab zu stürzen.

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Plasencia ist ein hübsches Städtchen im idyllischen Tal des Río Jerte und kann auch als Ausgangspunkt für Exkursionen in den Naturschutzpark von Monfragüe und ins Hochgebirge der Sierra de Gredos genutzt werden (beide ca. 30 Kilometer entfernt). Aber der Hauptgrund, warum sich eine Reise hierhin lohnt, bleibt die schöne Unvollendete: der triumphale Torso der kolossalen Kathedrale.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Unterkunft in Plasencia:
Parador von Plasencia: Vier-Sterne Hotel im Gebäude eines Renaissanceklosters aus dem 15. Jahrhundert mit zum Teil grandioser Original-Dekoration (Gemälde, Reliefs, Leuchter, etc.), Adresse: Plaza San Vicente Ferrer, 10600 Plasencia, Tel. +34 927425870, email: plasencia@parador.es
Einer der günstigsten Paradores in Spanien, dazu in einem spektakulären Gebäude mitten in der Altstadt, mit großem Pool und Garten, reichhaltiges Frühstücksbuffet mit köstlichem Marzipankuchen; EZ ab 110,- EUR (im Winter ab 90,- EUR), Pilger-Rabatt von 15% für Santiago-Pilger.

Gastronomie in Plasencia:
An der Plaza Mayor gibt es viele Lokale, besonders empfehlenswert: Bar/Restaurante "Español", Plaza Mayor 35, mit Terrasse, bietet Spezialitäten der Region wie Braten vom Iberischen Schwein (Secreto Ibérico) und sehr gute Weinauswahl (einer der besten Riojas, Baigorri, gibt es auch in kleinen Flaschen).

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[art_3] Argentinien: Kleine Kredite, die Großes bewirken
 
Eine gute Geschäftsidee alleine reicht meist nicht, um sich selbständig zu machen - es braucht auch eine Anschubfinanzierung. Die zu bekommen, ist in Argentinien fast unmöglich. Doch Kolping gibt Kleinunternehmer eine Chance.

Geradezu liebevoll setzt Margarita Graef einen Setzling nach dem anderen in die Erde. Noch ist nicht zu erkennen, welches Gemüse hier mal wachsen wird: Salat, Radieschen, Frühlingszwiebeln, Spinat – das sind nur einige der Produkte, die Familie Graef von ihrer Gemüsefarm an die Supermärkte der Umgebung liefert. "2007 haben wir mit dem ersten Gewächshaus angefangen", erzählt die Gemüsebäuerin. Umgerechnet 4.000 Euro brauchte die Familie, um in das Geschäft einsteigen zu können und die 52jährige erinnert sich mit Schaudern daran, wie schwierig es war, das Geld aufzutreiben. "Zu den Banken wollte ich nicht gehen. Die vereinbaren keine festen Zinsen, sondern passen diese ständig nach oben an, je nachdem wie Inflation und Dollarkurs stehen. Wir kennen viele Leute, die über einen kleinen Bankkredit alles verloren haben". Irgendwann empfahl ihr jemand das Kleinkreditprogramm von Kolping und Margarita und ihr Mann konnten Schattendächer und Schläuche zur Berieselung kaufen.

"Derzeit verlangen wir für einen Kredit 36 Prozent, inklusive aller Verwaltungskosten", erklärt Kati Weber und lacht, als der Besuch aus Deutschland hörbar nach Luft schnappt. "Doch, doch, das sind ausgezeichnete Bedingungen, zumal wir eine Laufzeit von bis zu 18 Monaten bieten und garantieren, dass die Zinsen nicht erhöht werden". Kati Weber von Kolpingwerk Misiones betreut die Kleinkreditnehmer, erörtert mit ihnen Marktchancen und erstellt gemeinsam Finanzierungspläne. Bei einer Inflation von rund 30 Prozent ist die Kreditvergabe in Argentinien ein heikles Geschäft. Banken, die darüber Gewinne erzielen wollen, werden unweigerlich zu Wucherern. Bei Kolping kommt es nur darauf an, das Stiftungsvermögen zu erhalten. "Und das ist uns trotz der in den letzten Jahren ständig steigenden Inflation gelungen!", berichtet Kati Weber nicht ohne Stolz.

Dass das Kleinkreditprogramm von Kolping in Misiones schon seit vielen Jahren erfolgreich läuft, hat viel damit zu tun, dass Kati Weber ein Gespür dafür hat, welche Geschäftsideen gut funktionieren. Einige davon sind recht ungewöhnlich – wie zum Beispiel das kleine Unternehmen "Pesque y Pague"- "Fisch und Zahl". Die zwölf Teiche von Raul Schorf sind eine Kombination aus Ausflugsziel und Fischzucht. Am Wochenende wird es schwer, hier einen freien Platz zu erwischen. Während die Kinder spielen, angeln die Väter mit der Garantie auf einen Fang. Sie bezahlen nach Gewicht, können sich ihren Tilapia, Karpfen oder Barsch gleich ausnehmen lassen und dann bei einem Picknick im Grünen grillen. "Die Teiche konnten wir selber ausheben und anlegen, das war kein Problem", erinnert sich Raul Schorf an die Anfänge seine Geschäfts im Jahr 2008. "Aber wir brauchten Material um Toiletten und einen Unterstand für die Gäste zu bauen. Kolping hat uns einen Kredit von 1500 Euro gegeben. Das ging schnell und unbürokratisch und reichte, um das Geschäft in Gang zu bringen".  Mit einem zweiten Kredit finanzierte der 32jährige Familienvater kleine Grillhütten, die die Gäste mieten können. Eine gute Investition, die sich gelohnt hat. "Je nachdem wie das Geschäft läuft, verdienen wir mit unserem Angelplatz damit zwischen 600 und 900 Euro im Monat. Davon können wir gut leben!"

Auch Margarita Graef nahm über die Jahre mehrere Kredite bei Kolping auf, um weitere Gewächshäuser zu bauen und eine Wasserpumpe anzuschaffen. Die Kredite pünktlich zurück zu zahlen, war kein Problem, die Nachfrage ist groß. "Wir könnten doppelt so viel Gemüse verkaufen, aber wir schaffen es einfach nicht, mehr anzubauen. Wir arbeiten so schon jeden Tag von sechs Uhr früh bis abends um neun", meint sie und wirkt ein wenig erschöpft bei dem Gedanken, was heute noch alles zu tun ist. Obwohl das Geschäft so gut läuft und die ganze Familie mitarbeitet, sinken die Gewinne. Inzwischen bleiben für jeden am Ende des Monats nur noch rund 300 Euro. "Der Klimawandel macht uns sehr zu schaffen, es gibt immer häufiger Starkregen, der unsere Ernte ruiniert." Deshalb will Maragrita Graef demnächst noch mal einen Kredit aufnehmen, diesmal für Regendächer. "Gut, dass ich mich an Kolping wenden kann", sagt sie und wirft einen dankbaren Blick in Richtung Kreditberaterin Kati Weber.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

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[art_4] Brasilien: Wo ist Götzes Netz?
Erinnerungen an einen untergehenden Fußballtempel
 
Als ich vor zwanzig Jahren zum ersten Mal nach Rio de Janeiro flog, riet mir mein Vater zu einem Besuch im Maracanã. Er selbst hatte in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in der wundervollen Stadt gelebt, damals als Pelé in dem weiten Rund seine Traumtore schoss. Ich solle nur vorsichtig sein, weil die Fußballfans auf den oberen Rängen in Plastiktüten pinkeln würden, die sie dann auf die unteren Ränge schmissen. Seitdem schaue ich bei meinen unregelmäßigen Besuchen in dem weiten Rund stets misstrauisch nach oben. Kommt da wohl was?

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Ich erinnere mich an ein tolles Fla-Flu, den Klassiker zwischen Flamengo und Fluminense. Damals war das Maracanã noch jener Mega-Tempel, ein Status, den es nach den ständigen Umbauten ab 2007 verlor. Bis zu 200.000 Zuschauer sollen einst in die Schüssel gepasst haben, liest man. Wie beim entscheidenden Spiel zwischen Brasilien und Uruguay bei der Weltmeisterschaft 1950. Kurz zuvor war das Stadion "fertig gestellt" worden; angeblich wurde noch während der WM hier und da gewerkelt.

Mário "Lobo" Zagallo hat mir einmal in einem Gespräch erzählt, was damals geschah. Als junger Soldat war er für die Sicherheit im Stadion abgestellt worden. Vom Spiel habe er nichts gesehen, musste er doch die Zuschauer im Blick behalten. Mit dem Rücken zum Spielfeld verpasste er deshalb jenes 2:1 für Uruguay, das Brasilien den sicher geglaubten WM-Sieg kostete. Es sei plötzlich totenstill geworden, so Zagallo. In den Gesichtern der Zuschauer habe er das Ausmaß des Schocks ablesen können.

Zagallo wurde 1958 und 1962 als Spieler Weltmeister, 1970 als Trainer. Doch Brasilien konnte auch 2014 nicht den WM-Pokal im Maracanã gewinnen, wie wir ja wissen. Dabei hatte man das Stadion vor der Heim-WM 2014 komplett umgebaut. Zweimal besichtigte ich die Baustelle. Ob es pünktlich zum ConFedCup 2013 fertig werden würde? Es klappte, Ende April 2013 wurde das neue, nun nur noch 78.000 Zuschauer fassende Maracanã mit einem lockeren Kick der "Freunde von Bebeto" gegen die "Freunde von Ronaldo" eingeweiht. Das Spiel war nicht so spannend, aber Vorfreude lag in der Luft. Zwar hatten sich damals Demonstranten auf die Tribünen geschlichen und gegen den Umbau und die geplante Privatisierung protestiert. Ansonsten herrschte aber gute Laune.

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Anfang Juni 2013 folgte dann das Freundschaftsspiel Brasilien gegen England, ein unterhaltsamerer Kick ohne Demonstranten, dafür vor vollem Haus. Und mit einem Traumtor von Wayne Rooney. Toll war die Stimmung damals im weiten Rund, das 2:2 gab Hoffnung für die anstehende WM.

Während der sah ich hier die spanischen Weltmeister gegen die chilenische "La Roja" untergehen. Chilenische Fans hatten zuvor den Presseeingang gestürmt und versuchten sich vor den FIFA-Ordnern auf den überfüllten Tribünen zu verstecken. Irre Jagdszenen spielten sich ab. Auch das Spiel war für die Ewigkeit. Genau wie das WM-Finale zwei Wochen später. Auf der Pressetribüne war ich vor den Pinkelbeuteln der enttäuschten Argentinier sicher.

Bis zum Schluss des Titel-Fests blieb ich im Stadion, mit anderen Fans jubelte ich den deutschen Spielern zu, bis alle weg waren. Als letzter verließ Poldi den Platz, den Pokal in der Hand. Obwohl er bei der WM keine einzige Minute gespielt hatte. Hinter ihm trottete sein kleiner Sohnemann vom Platz. Das war es also, Weltmeister im Maracanã, und das gegen Argentinien mit Messi. Besser geht es nicht, besser wird es niemals wieder werden. Die eigenen Leute als Weltmeister im Maracanã zu feiern, das habe ich Zagallo voraus.

Fast drei Jahre später gehe ich über den braunen Rasen zu dem Tor, auf das Mario Götze 2014 in der 113. Minute geschossen hat. Doch wo ist das Netz, in das sein Ball auf magische Weise einschlug? Die Sitze, die im weiten Rund ebenfalls fehlen, finden wir unter der Rampe des Haupteingangs, einfach in den Dreck geworfen. Die olympischen Ringe stehen ein paar Meter weiter hinter einem Abstellhäuschen, halb eingehüllt in eine Plastikplane. Ich könne sie ja mitnehmen, schlägt mir ein Wachmann vor. Man wisse nicht, wohin damit...

Text + Fotos: Thomas Milz

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[kol_1] Hopfiges: Original Medical Stout (Barcelona)
Ein Bier der La Calavera Brewery Coop.

Die letzte offizielle caimán-Bier-Verkostung liegt schon einige Monate zurück. Den Grund lieferte die Osteopathie: Meinen Darm solle ich mal aus seiner Lethargie reißen. Schuld an der Trägheit sei in erster Linie Antibiotikum-Missbrauch im Rahmen einer Borreliose Anfang der Neunziger Jahre.

Mich hatte in Guatemala, Belize, Mexiko oder doch im Kölner Volksgarten eine Zecke infiziert. Oder vielleicht nur eine Mücke. Ich hab’s nie erörtern können. Borreliose war damals noch wenig bekannt und so drückte mir jeder Arzt, den ich hoffnungsvoll aufsuchte, Antibiotikum rein – obwohl die Erreger bereits nach der ersten Antibiotikum-Kur nicht mehr im Blut nachweisbar waren.



Aus heutiger Sicht unglaubliche, wilde Zeiten mit ein paar schießwütigen, harten Ärzten in der Hauptrolle: "Ach Jung, nimm mal das ne Woche. Ist ein Breitband Antibiotikum. Damit bist du alle Sorgen los."

Zurück zur Osteopathie. Mein ewiges Leiden heißt "heiße Füße". Zum Schlafen eine Decke über den Füßen ist nicht vorstellbar. Und sobald der Sommer naht, verbringe ich nachts mehr Zeit im Eisbecken als ruhend. Irgendwann entsteht im Leben dann ein Kreislauf. Neben Eiswasser hilft Bierchen. Im Laufe der Jahre mehren sich die kleinen Wehwehchen und auch hier hilft Bierchen.

Das war die Zeit, in der sich das kleine trotzige Mädchen namens Olga mit dem ewig garstigen Blick in meinem Darm einzunisten begann. Anfangs seltener, mit der Zeit häufiger und dann fast permanent klopfte die Kleine, links und rechts ein leeres Glas in der Hand, auf ihren Tresen und der Darm signalisierte dem Belohnungsareal im Hirn: "Bierchen wäre jetzt ne feine Sache."

Glücklicherweise sind meine Suchtgene nicht allzu ausgeprägt und so gab sich Olga morgens mit einem Bierchen zufrieden. Wenn ich dann nachmittags noch mal zwei bis drei nachlegte, gab die trotzige Olga sogar ganz Ruhe.

Die Osteophatie bearbeitete meinen Rücken und verordnete neben Mineralöl, Algen und Urgesteinsmehl die Schüssler Salze Nummer 7 und 12. Die Wirkung war bombastisch. In mich und meinen zwanghaft gemütlichen Darm kehrte Leben zurück. Tolles Leben mit viel Lust auf Neues. Die sensationelle Entdeckung aber schreib ich den Salzen zu. Mit dem ersten Tag der Einnahme war Olga verschwunden. Das Verlangen nach Bierchen war wie weggeblasen. Es vergingen oft mehrere Tage, in denen ich nichts trank und nicht einen Gedanken an Bierchen verschwendet hätte.

Die Osteopathie meinte nach ein paar Wochen, es sei genug, ich könne die Dosis halbieren und dann auch ganz einstellen, je nachdem was mein Gefühl sage. Da die Beschleunigung des Darms sich nicht auf meine heißen Füße ausgewirkt hatte, ich mich aber mittlerweile echt fit fühlte, setzte ich Nr. 7 und Nr. 12 ab.

Olga kam zurück. Weniger vehement als zuvor, aber sie war wieder da. Das war auch gut so, denn der Spanien-Urlaub stand an und nach so viel Inaktivität, sollte die Kolumne Hopfiges wiederbelebt werden. Im Wine Palace stachen mir drei unbekannte Biere ins Auge:

1. Ein unaufdringliches, sicherlich solide erfrischend nach klassischem Bier schmeckendes.
2. Ein zweites, aus der Craft-Szene stammendes und den üblichen Zitrus-Hopfen aus den USA nutzendes.
3. Ein Medizinfläschchen, bei dem ich drei Mal hinschauen musste, um tatsächlich fassen zu können, dass es Bier enthalten solle.

Das original MEDICAL ist ein Imperial Stout mit 8° Alkohol gereicht in Medizin-Fläschchen à 20 cl.

Inhaltsstoffe laut Etikett:
Wasser, Malz, Hopfen, Hefe

Inhaltsstoffe laut Laborbericht:
Siehe unten





Jetzt wird's ernst

Die Wahl als Startbier fiel auf das mehr als exotische Medizin-Bier. Zur Verkostung erhielt ich Beistand von Eva und Andrea. Und der war auch bitter nötig...

Maria Josefa noch mit dem Versuch dem Bier mit Respekt zu begegnen: Bitte beschreibt zunächst den Geruch.

Andrea reißt den Kopf angewidert zur Seite: Was ist das denn? Das ist doch nicht deren ernst. Das riecht nach Füßen... nach einer mehrstündigen Wanderung bei 40° C.

Eva (Labor): Pökelsalz!

Bedacht darauf, nur einen winzigen Schluck abzubekommen, setzen wir die Gläser an die Lippen.

Maria Josefa: Ich wusste gar nicht, dass altes Öl aus dem Auto prickelt. Wenn auch nur minimal.

Andrea schüttelt sich: Ist das widerlich. Ist das ekelhaft. Bier aus Jahrzehnten alten Flaschen, die vor der erneuten Abfüllung nicht gereinigt wurden.

Eva (Labor) ist immer noch um Ernsthaftigkeit bemüht: Herausschmecken tue ich Fernet Branca, der mit – ihr Blick wandert, das richtige Wort suchend, in die Höhe – Maggi!, ja wirklich reichlich Maggie versetzt wurde. Dann bricht auch sie vor Schmerz zusammen.

Fazit

Im Wine Palace das Regal, in dem das original Medical steht, der Gesundheit zuliebe weiträumig umgehen. Auch wenn Olga noch so bittet und bettelt.

Und was die beiden anderen zu verkostenden Biere betrifft: Nach dem Medical-Stout-Schock wird es frühestens in der nächsten caimán-Ausgabe weitere Test-Berichte geben.

Text + Fotos: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 05/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: hopfiges]





[kol_2] Traubiges: Malva-was?
Muga Blanco Rioja 2013
 
Weine aus Chardonnay, Riesling oder Sauvignon Blanc hat jeder schon einmal getrunken. Die finden sich in fast jedem Restaurant und kein Weinladen kommt ohne sie aus. Aber es gibt Rebsorten, die kaum jemand in Deutschland kennt. Viura oder Malvasia zum Beispiel. Dabei werden sie in Spanien schon seit Jahrhunderten kultiviert. Gerade die Viura gehört zu den klassisch spanischen Rebsorten. Und die Bodegas Muga gehören zu den Weingütern, die traditionellerweise klassisch spanische Weine herstellen. Das Weingut selbst ist schon seit fast einem Jahrhundert eine Institution im spanischen Weinbau. Es befindet sich direkt am alten Bahnhof in Haro, dem Weinbauzentrum der Rioja. Hier kommen die technischen Errungenschaften moderner Önologie genauso zum Einsatz wie das Wissen der mehr als einhundert Jahre alten Weinbauerfahrung. Das Weingut ist eines der wenigen, das noch immer all seine Gebinde aus Holz in der hauseigenen Küferei herstellt. So findet die komplette Weinbereitung ganz traditionell in Holzfässern statt. Mit Erfolg: Viele der Muga-Weine haben Weltruf und das Weingut wird in Fachkreisen als Repräsentant spanischer Weinkultur gehandelt.

Dabei sind Muga-Weine schon für unter zehn Euro zu haben – können aber bis zu 120 Euro kosten. Eines der Flagschiffe am unteren Ende der Preisskala ist der Muga Blanco Rioja, eine Cuveé aus: Viura und Malvasia! Die Viura-Traube ist die wichtigste Rebsorte unter den Weißweinen in der Rioja. Rund 15 Prozent der Anbaufläche sind hier mit ihr bepflanzt. Meist werden leichte, erfrischende Weine aus ihr gekeltert, die jung trinkbar sind und eine angenehm präsente Säure haben. Die Rebsorte eignet sich aber ebenso zur Herstellung sehr körperreicher Weine. Malvasia wird gerade einmal auf einem Viertel Prozent der Rebfläche in der Rioja kultiviert. Diese gelb-rötliche Traube, die ursprünglich aus Griechenland stammen soll, steht für intensiven Geschmack, kräftige Säure und eine geschmeidige Konsistenz. Malvasia nimmt beim Fassausbau sehr gut das Vanillearoma des Barriques an. Gemischt mit Viura bildet diese Rebsorte die Grundlage für die großen, fassausgebauten weißen Riojas. Dabei wurden noch bis vor einigen Jahrzehnten eher schwere süße Weine aus ihr vinifiziert.

Der Muga Blanco Rioja 2013 steht für beides: Leichtigkeit und Körperreichtum. Die Cuveé betört schon durch ihre Farbe. In einem herrlich zarten Gelb fließt sie mit hellen Reflexen, die zwischen Grün und Silber changieren, ins Glas. Dabei offenbart sie ihr schlankes, frisches Bukett, das an Zitrusfrüchte, Blumen und Gräser erinnert. Zugleich ist dieser junge Wein am Gaumen herrlich fruchtig, aber eben zugleich opulent. Leichte Anklänge an Vanille- und Röstaromen verraten den kurzen Barrique-Ausbau in den Muga-Fässern (ungefähr ein Vierteljahr). Ein herrlicher, sehr individueller Wein, mit einem lang anhaltenden, frisch-körperreichen Nachhall. Ein Wein, der uns neben seinem fabelhaften Geschmack noch etwas vermittelt: Chardonnay und Co. sind toll – aber es wird höchste Zeit, mal etwas Neues kennenzulernen!

Text: Lars Borchert
Foto: Bodegas Muga

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er nun mit seinem Webjournal wein-vagabund.net. Auf caiman.de berichtet er jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika.

[druckversion ed 05/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: traubiges]





[kol_3] Macht Laune: Mit dem Stethoskop durch Morazán
 
Ein alter Mann, sitzend in seinem Schaukelstuhl in der Mitte eines großen Raumes, umgeben von Küchenmöbeln und diversen Haustieren. Die Schlafplätze vom Rest des Raumes durch Vorhänge abgetrennt, dem Beobachter die Sicht versperrend. Die Großmutter empfängt uns herzlich an der Tür und bittet uns hinein. Wir nehmen dankend an und sind froh, der Mittagshitze für eine Weile entkommen zu sein. Sofort wird mir ein bequemer Liegeplatz in einer der Hängematten angeboten. Erschöpft und doch mit ausgesprochen guter Laune nehme ich Platz und lasse den Raum mit dem schaukelnden Großvater auf mich wirken. Da nähert sich ein äußerst neugieriger Papagei, die Schnur der Hängematte als Brücke nutzend, bis ein lauter Ruf und die wedelnde Hand der Großmutter den Vogel zur Flucht antreiben.

Meine Begleiterin, eine Ärztin, packt in aller Ruhe, sich mit dem alten Mann unterhaltend, ihr Stethoskop aus. Ein Huhn durchquert gackernd den Raum, ein kleiner Junge sitzt etwas verschüchtert auf dem Schoß seiner Mutter, mich verstohlen musternd. Ich versuche mich in einer Unterhaltung, er wird rot und wendet seinen Blick ab.

Die Mutter lächelt mich an. Zum Vorschein kommt eine silbrig blitzende Zahnreihe. Wir müssen beide lachen. Meine Begleiterin untersucht den alten Mann, "bitte einmal husten". Zu hören ist ein zartes kaum hörbares "Hm", kurzes Innehalten des Schaukelvorgangs, ein schüchternes Lächeln und Fortsetzung der Schaukelei. Meine Begleiterin das Lächeln erwidernd, versucht ihn lobend zu einem wiederholten Husten zu bewegen. Der Mann, nun seine ganze Kraft sammelnd, stößt ein wirklich von Herzen kommendes "Hmm" aus, einen Tick lauter als das vorangegangene. Wieder ein schüchternes Lächeln.

Plötzlich schrecke ich hoch, merke, dass der Papagei sich mir bis auf einen halben Meter genähert hat, geräuschlos. Wir mustern uns mit Respekt und, was mich betrifft, auch etwas ängstlich. Der Papagei, jetzt völlig unbeweglich, weiß, dass er beobachtet wird, sieht aus den Augenwinkeln wieder die Hand auf sich zukommen und flieht in unerreichbare Gefilde.

Dritter Versuch, die Lungen abzuhören: Großvater konzentriert sich wie ein Hundertmeterläufer vor dem Start, hält mit dem Schaukeln inne, sammelt die letzten Kraftreserven, bedacht, nicht die Haltung zu verlieren, sich aufrecht hinsetzend in seinem Schaukelstuhl.

Totenstille, die Spannung spürbar! Die ganze Aufmerksamkeit ruht auf dem alten Mann. Dann, zweimal hintereinander ein kurzes "Hm-hm" und Luft entweicht. Die Ärztin schnell mit ihrem Stethoskop über den Rücken des alten Mannes eilend, Töne erhaschend, hoch konzentriert. Danach auf allen Gesichtern ein Entspannungslächeln. Endlich geschafft! Dem Mann Medikamente dalassend, ziehen wir zur nächsten Hütte und weiter.

So treffen wir den ganzen Tag Menschen, in ärmlichen Hütten lebend, doch immer froh ob unserer Ankunft und immer gastfreundlich. Ich, eingenommen von der Wärme der Leute und der Ungezwungenheit der Kinder.

Nach einer Woche verlasse ich, beeindruckt von der Gastfreundschaft und Offenheit der Leute, Morazán in Richtung San Salvador, dankbar diese Erfahrung gemacht zu haben.

Text: Birgit Schönauer

[druckversion ed 05/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]





[kol_4] Lauschrausch: Songs of struggle & hope (Agustín Lira)

Durch die Wahl Donald DUMPs zum 45. US-Präsidenten gewinnt dieses Album mit Protestliedern enorm an Aktualität. Agustín Lira, in Mexiko geboren, aber im Alter von sieben Jahren aus ökonomischen Gründen mit seinen Eltern nach Kalifornien gezogen, entwickelte schnell ein Gespür für die Ungerechtigkeit gegenüber seinen Landsleuten. Mit 19 gründete er 1965 während eines Landarbeiterstreiks mit seinen Brüdern "El Teatro Campesino", das sich zu einem wichtigen Sprachrohr der chicano-Bewegung entwickelte. Auf Tiefladern spielten sie Theater und sangen sozialkritische Lieder.

Agustín Lira
Songs of struggle & hope
Smithsonian Folkways/ galileo mc

Nach seinem Ausstieg, 1969, blieb er der Musik treu, u.a. mit seiner Gruppe Alma. "Songs of struggle & hope" präsentiert einen Querschnitt seines Schaffens, Lieder, die musikalisch auf mexikanischer Folklore wie der ranchera oder dem huapango basieren, vermischt mit angelsächsischer Folkmusik, und die sich als Stimme der Benachteiligten verstehen: Schon im ersten Song erklärt er, warum ein Mexikaner kein Gringo sein kann: im Körper trägt er das Blut der Zapoteken etc., den Geist von Cautemoc, Pancho Villa etc., um dann ein trauriges Lied über Immigration („yo me voy al otro lado, donde no hay revolución"), anzustimmen. Er besingt das Leid der indigenen Bevölkerung ("El indio"), mexikanische Volkshelden – Juan Cortina, Gregorio Cortez -, die auf eigene Rechnung gegen die USA kämpften (und auch für ihr Vermögen!), unterstützt die zapatistischen Aufstände, die ab 1992 Mexiko erschütterten ("Los zapatistas"), und widmet seiner Partnerin und Mitmusikerin Patricia Wells zwei Liebeslieder auf Englisch.

In dieser Sprache wendet er sich gegen willkürliche Enteignungen in Fresno ("If you’re homeless") und singt das für mich originellste Lied der Sammlung: "Taps for Coke", ein fröhliches Anti-Coca-Cola-Lied über die Verfehlungen dieses Konzerns ("Coke, coke you give us no hope!"). Eines der ersten Lieder, die Lira schrieb (Ser como el aire libre"), im Rhythmus des huapango, handelt von der Forderung nach Freiheit und Gleichheit für alle Menschen, die sich als roter Faden durch dieses hörenswerte Album mit umfangreichen, zweisprachigem Booklet zieht.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 05/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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