caiman.de 04/2014
[art_2] Brasilien: Surreal statt Real Rios Lebenshaltungskosten als Medienphänomen Nennt man Rio de Janeiro und Wellen in einem Atemzug, so ist das nichts Besonderes. Aber solch eine Welle kommt auch in Rio nicht alle Tage daher... Es war im Januar, als Patrícia den Kommentar eines Freundes las: Rio sei so teuer geworden, dass die Nationalwährung umbenannt werden solle Surreal statt Real. Kurzentschlossen bastelte Patrícia eine Digitalversion der "neuen Währung": sie retuschierte ein Bild der Note, kopierte einen Salvador-Dalí-Kopf darüber und überschrieb "Real" mit "Surreal". Das fertige Bild postete sie auf Facebook, fertig! Nach einer Stunde hatten bereits 50.000 Personen das Bild angeschaut. Innerhalb von 24 Stunden vermeldeten die Nachrichtenportale: "Die Cariocas protestieren gegen die hohen Preise und kreieren eine Parallelwährung." Nach zwei Tagen war die Nachricht einmal um die Welt, mit einer Geschwindigkeit, die an die von Tsunami-Wellen herankommt. Rio ist im Fokus der Medien, dank der kommenden Fußball-WM. Supermärkte, Hotels und Restaurants nutzen das aus, um die Preise ins Astronomische zu treiben. Und wer daheim ein Zimmer frei hat, bietet es zu unglaublichen Preisen den Touristen zur Tagesmiete an. "Das Apartment einer Freundin ist auf einen Schlag unbezahlbar geworden der Vermieter erhöhte die Miete von 1.500 R$ auf 4.000 R$," erzählt Patrícia. "Ich sehe, dass viele meiner Freunde es sich nicht mehr leisten können, hier in der Südzone von Rio zu wohnen."
Und die Welle rollt noch weiter. Auf Facebook sind einige Seiten aufgetaucht, die sich "Rio Surreal" nennen und auf denen ein jeder überhöhte Preise anzeigen kann, inklusive Fotos. Dabei scheint sich der Protest auf Rios Südzone zu fokussieren, dem Lebensraum der oberen Mittelklasse. "Ich habe mit diesen Seiten nichts zu tun, da haben sich andere Personen der Idee bedient", so Patrícia. "Und ich mag auch deren Richtung nicht, die Aufrufe zum Denunzieren und zum Boykottieren. Denn die Preise sind überteuert für alle, und nicht nur die obere Mittelschicht in der Südzone von Rio leidet darunter." Während sich die Cariocas auf den Wochenmärkten der Südzone, in Ipanema und Copacabana, über den Preis für ein Kilo Tomaten aufregen (10 R$), müssen Bewohner der armen Peripherie bis zu 12 R$ dafür bezahlen. "So etwas muss angezeigt und publiziert werden", meint Patrícia. Die Zeiten sind nicht einfach, und zwar für niemanden! Text + Fotos: Thomas Milz [druckversion ed 04/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]
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