brasilien: Der Wilde sieht mich an
NICO CZAJA |
[art. 1] |
venezuela: Llanos Tierwelt
DIRK KLAIBER |
[art. 2] |
guatemala: Allein gelassen mit dem Klimawandel
KARTHARINA NICKOLEIT |
[art. 3] |
brasilien: Abwärts durch den Dschungel
Mit dem Zug von Curitiba nach Paranaguá THOMAS MILZ |
[art. 4] |
amor: Andenmythos - Die fünf weißen Adler
DIRK KLAIBER |
[kol. 1] |
macht laune: Zweimal Guarujá und zurück
Deutsch-Argentinisches Chaos in Brasilien THOMAS MILZ |
[kol. 2] |
grenzfall: Das Lied der Straße
ANDREAS DAUERER |
[kol. 3] |
lauschrausch: Uruguays 70er im Doppelpack
TORSTEN EßER |
[kol. 4] |
[art_1] Brasilien: Der Wilde sieht mich an
In der Tiefe seiner Augen funkelt eine unendliche Weisheit. "Woher kommst du?", fragt der Wilde. "Aus Deutschland", sage ich, und sehe einen Funken von Verständnislosigkeit in seinem Blick. "Jaja, ich weiß!", antwortet er, ein wenig ungeduldig, "Aber von wo da? Marburg, hast du gesagt, oder? Ist das nicht in der Nähe von Frankfurt? Frankfurt kenne ich, Hannover, Berlin und Köln auch, aber in Marburg war ich noch nicht. Schön da?" Obwohl ich nicht zum ersten Mal mit brasilianischen Indianern zu tun habe, mache ich immer noch hin und wieder denselben Fehler: Ich unterschätze ihre Weltgewandtheit. Als Crocodile Dundee in die Kinos kam, war ich jung genug, um den Film toll zu finden. Da gibt es eine Szene, die mir immer wieder einfällt, seitdem ich mich mehr oder weniger professionell mit dem Fremden beschäftige: Die weiße Frau richtet ihre Kamera auf den halbnackten Aborigine. Der sagt ganz aufgeregt, dass sie ihn so nicht fotografieren könne. Darauf fragt sie, ob das sei, weil er glaube, dass der Apparat ihm dann die Seele stehlen würde. Und er antwortet, nein, weil sie den Deckel noch nicht vom Objektiv genommen habe. Eigentlich ein billiger Witz. Aber diese Art Begegnung zwischen vermeintlich Zivilisierten und vermeintlich Primitiven ist heute nach wie vor aktuell, kommt öfter vor als man denkt und kann immer noch verblüffen, weil sie mit mächtigen Klischees bricht. Die Indianer, mit denen ich diesmal zu tun habe, sind Politiker und Diplomaten. Sie bereisen ihr Land und andere, begegnen sich auf internationalen Kongressen und haben mehr Ahnung von verschiedenen Handymodellen als ich (was allerdings nicht viel heisst). Einer der ersten ihrer Art, und sicherlich einer derjenigen, die am meisten Aufsehen erregt haben, war der Xavante Mário Juruna. Juruna hatte Ende der siebziger Jahre, zur Zeit der Entstehung der Indianerbewegung, mehrere hohe Funktionäre der brasilianischen Indianerbehörde über ihre Verfehlungen zur Rede gestellt und deren - teils recht lächerliche - Ausflüchte mit einem Diktiergerät festgehalten, und zwar aus folgendem Grund: "Die Weißen versprechen viel. Dann vergessen sie alles gleich wieder. Und die Indianer haben keinen Beweis in der Hand. Deshalb habe ich mir ein Tonbandgerät gekauft. Alle Weißen sollten ebenfalls ein Tonbandgerät benutzen. Aber die Zivilisierten sind dumm: Sie haben gute Sachen, machen aber keinen Gebrauch davon." [*] Mit seinen Aufnahmen und durch sein Aufnehmen - denn dass ein Indianer eine Errungenschaft der Weißen gegen sie wandte, war auf so öffentlicher Bühne noch nicht vorgekommen - erregte Juruna die Aufmerksamkeit der Presse, wurde berühmt und in kurzer Zeit zu einer Leitfigur der Indianerbewegung. Später war er der erste indianische Abgeordnete im brasilianischen Parlament. Was Diktiergeräte angeht, so kann man vermuten, hat seine Erfolgsgeschichte unter politisch aktiven Indianern eine neue Tradition begründet. Nach einer gewissen Zeit als Held des indianischen Widerstandes fiel er allerdings wegen eines Korruptionsskandals in Ungnade, jedenfalls wenn ich Paulo Titiá glauben darf, einem Pataxó-Hãhãhãe aus Bahia, der mir erzählte, dass Juruna aufflog und das Geld zurückgeben musste; dass seine Frau ihn rausschmiss und ihm all sein Geld wegnahm; dass seine zweite Frau ihn ebenfalls rausschmiss und ihm nochmal all sein Geld wegnahm; dass ihm eine Kuh in den Rücken trat und er schließlich arm und im Rollstuhl starb. Dass Indianer, die eine Karriere in der Indianerbewegung einschlagen, und sei es auch, um die Situation in ihrem Heimatdörfern zu verbessern, in den Dörfern in Ungnade fallen, ist kein Einzelfall. Dass sie sie sich im Rahmen ihrer politischen Aktivitäten in eine Welt begeben, deren Bedingungen sie vom dörflichen Alltag und seinen Realitäten entfernen, ist fast die Regel. So kommt es oft zu Verständigungsproblemen zwischen indigenen Organisationen und den Dorfbevölkerungen, die von ihnen repräsentiert werden sollen. Dabei kann auch eine Art Generationenkonflikt eine Rolle spielen: In den Dörfern waren es die alten Eliten, die das Sagen hatten, wohingegen in den politischen Organisationen der Indianer es eher die jüngeren Jahrgänge waren, die außerhalb der Indianergebiete Macht ansammelten. Damit der Konflikte nicht genug: Diese erste Generation der Indianerbewegung ist nun im Begriff von einer zweiten abgelöst zu werden, die ihre Ziele auf wiederum andere Weise verfolgt. Manch einem Funktionär der staatlichen Indianerbehörde FUNAI (Fundação Nacional do Índio) fällt es schwer, den nach westlichem Muster politisch organisierten Indianern über den Weg zu trauen. Das ist insofern nicht völlig unberechtigt, als dass man ohne ausgiebige Besuche in den Dörfern selbst nie ganz genau wissen kann, inwieweit eine indigene Organisation tatsächlich mit der Stimme der Gruppe spricht, die sie repräsentiert - ganz abgesehen davon, dass die "Stimme der Gruppe" oftmals so einstimmig ohnehin nicht ist, da indianische Gemeinschaften meist komplexer und uneiniger sind, als man gemeinhin annimmt. Die Form, in der ebenso Regierung wie Hilfsorganisationen die Lebensqualität in den Dörfern zu verbessern suchen, ist in den meisten Fällen das "Projekt" - eine zeitlich begrenzte Maßnahme, die zwar auf Nachhaltigkeit abzielt, diese aber selten erreicht. So wird "Projekt" zu einem Zauberwort, zu dem Angelpunkt, um den sich die Beziehungen zwischen indigenen Organisationen, Indianerbehörde und NROs drehen. Manchmal besucht uns ein Anführer der Xavante aus Mato Grosso hier im Büro, der irgendwelche Angelegenheiten mit der FUNAI zu regeln hat. Er plaudert ein wenig, und bevor er wieder geht, nimmt er mich beiseite, jedesmal, und sagt mir in verschwörerischem Tonfall, dass ich doch Dirk anrufen soll und ein Projekt für die Xavante klarmachen. Ich kenne keinen Dirk, aber der Xavante hat mich wissen lassen, dass Dirk bei der UNO ist und auch Deutscher. In den Augen des indianischen Anführers heißt das scheinbar, dass a) Dirk und ich uns kennen müssen und b) ich einen gewissen Einfluss auf Dirk habe. Tatsächlich ist dieser Gedanke gar nicht so abwegig: Auf dem Parkett der internationalen Zusammenarbeit in Brasilien, auf dem ich mich zur Zeit bewege, kennt man sich. Der Xavante hat nur das Pech, dass er mit mir an einen unbedarften Praktikanten der GTZ geraten ist, der schon froh ist, gerade mal die Hälfte der wichtigen Namen und Abkürzungen verinnerlicht zu haben und inzwischen den Gesprächen seiner Kolleginnen und Kollegen einigermassen folgen zu können. Jedenfalls: Um den komplizierten verwaltungstechnischen und gesetzesbedingten Vorgaben für den Empfang von Projektgeldern gerecht zu werden, braucht es eine juristische Person. Eine indigene Gemeinschaft kann keine juristische Person sein, dafür braucht es einen eingetragenen Verein, also eine indigene Organisation. So entsteht manch eine solche Organisation erst im Rahmen der Ausarbeitung eines Projektes zwischen indianischen Anführern, Repräsentanten der Indianerbehörde, ethnologischen und sonstigen Beratern und NROs. Und manch eine verschwindet dann auch wieder oder wird zur Karteileiche, wenn das Projekt abgeschlossen ist. Andere dagegen haben eine lange Geschichte des Kampfes um indianische Rechte, so die FOIRN (Federação das Organizações Indígenas do Rio Negro) aus dem Rio-Negro-Gebiet im äußersten Nordwesten des Landes. Je umfassender das Gebiet ist, das eine solche Organisation unter ihrer Schirmherrschaft vereinigen will, desto mehr machen sich interkulturelle Verständigungschwierigkeiten bemerkbar - und zwar nicht zwischen Weißen und Indianern (die gibt es natürlich weiterhin auch), sondern zwischen Indianern und Indianern, die untereinander kulturell durchaus verschiedener sein können als, sagen wir, Dänen und Iraner. So will die Koordination der indigenen Organisationen des brasilianischen Amazonasgebietes (COIAB) zwar ihrem Namen gerecht werden und alle Indianerorganisationen Amazoniens unter einer Flagge vereinen, aber einige ihrer Vertreter selbst lassen durchblicken, dass sie zum Beispiel mit den Gruppen der Gê-Sprachfamilie (zu denen unter anderen die Xavante gehören) nicht besonders gut zurechtkommen. Hier tut sich womöglich ein neues Arbeitsfeld für Ethnologen auf, die es ja bekanntermaßen mit der Arbeitssuche ohnehin nicht besonders leicht haben: Es gilt, im Auftrag der indigenen Organisationen dem einen Indianer zu erklären, wie der andere Indianer tickt, und umgekehrt. Bisher begegnet man den Schwierigkeiten der Verständigung in diesem überaus komplizierten Gefüge aus Beziehungen zwischen weißen Brasilianern, internationalen Weißen, verschiedenen brasilianischen Indianern und den jeweils unterschiedlichen Organisationskulturen einer jeder dieser Gruppen mit einer großen Zahl von Seminaren, Kongressen und Treffen. Auf einem solchen befinde ich mich, als ich in die Augen des Wilden blicke. "Gehen wir mit den anderen Indianern sprechen", sagt dann der Wilde und deutet auf die angeregt den Verlauf des heutigen Workshops diskutierende Gruppe am Ende des Ganges. "Vielleicht können wir ein kleines Stückchen Land für dich rausschlagen. Da kannst du dann Sauerkraut pflanzen." Text + Fotos: Nico Czaja [* Mário Juruna, zit. nach De Sousa (1978): Juruna, der Wilde mit dem Tonband oder: Die unvernünftige Zivilisation. In: Münzel (Hg.) Die indianische Verweigerung. Lateinamerikanische Ureinwohner zwischen Ausrottung und Selbstbestimmung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 42] |
[art_2] Venezuela: Llanos Tierwelt
Alexander von Humboldt erklimmt den letzten Hügel, dann fällt sein Blick auf die unendliche Weite der Steppe und auf das hohe sich im Wind auf- und abwiegende Gras, das sich wellenförmig bis an den Horizont ausdehnt. Das Weltmeer, so scheint es ihm, habe sich vor ihm ausgebreitet. Und er bewahrt diesen Moment für die Menschheit, indem er ihn niederschreibt. Die poetisch-wissenschaftlichen Werke Humboldts und Auszüge aus diesen, die in geografischen Zeitschriften und vor allem in Erdkundebüchern für den Schulunterricht abgedruckt wurden, sorgten im 19. Jahrhundert für einen hohen Bekanntheitsgrad des Gebiets der Llanos in Deutschland. Anfang des 20. Jahrhunderts gerieten Los Llanos wieder in Vergessenheit und erst seit Mitte der neunziger Jahre wird die Steppe nach und nach für den Tourismus erschlossen. Und so ist die Gegend, in der Wildpferde der untergehenden Sonne entgegen galoppieren, sich Kaiman und Ameisenbär gute Nacht wünschen, Anakondas die Straße kreuzen und in den Flüssen rosafarbene Orinokodelfine nach Piranhas fischen, für Venezuela-Urlauber absolutes Topziel. Ausgangspunkt für Reisen in Los Llanos ist die Stadt Mérida in den Anden. Da ein Aufenthalt in der Steppe auf eigene Faust kaum zu bewerkstelligen ist - die Camps sind schwierig zu erreichen und für Individualtouristen erheblich teuerer - wendet man sich an eine der zahlreichen Agenturen in Mérida. Eine Los Llanos-Tour dauert 3-4 Tage und endet je nach Wunsch des Reisenden wieder in Mérida oder in Barinas (Flughafen und Busterminal zur Weiterreise nach Caracas oder zu den Tafelbergen im Osten des Landes). Grundsätzlich sind zwei Arten von Touren in Los Llanos zu unterscheiden: Eine einfache Tour (4 Tage), die sich zwischen US-$ 120 und 200 bewegt und eine komfortable Tour (2-4 Tage), die zwischen US-$ 290 und 500 kostet. (Stand März 2006) Erfahrung Von 1998 bis 2005 habe ich vier mal an einer einfachen Tour in Los Llanos teilgenommen und wurde einmal sehr und einmal ein wenig enttäuscht. Das lag zum einen daran, dass sich die Guides vor Ort nicht auskannten und zum anderen, dass eine der Touren nicht bis in die tierreichen flachen Llanos führte. Die beiden anderen Touren hingegen waren absolute Highlights meiner Reisen: Die Guides kannten sich in der Tier- und Pflanzenwelt der Llanos und des Páramo hervorragend aus und ihre eigene Faszination für das Gebiet Los Llanos übertrug sich auf die Reisenden. Im Dezember 2005 fuhr ich mit Joe, Guide und Posada-Besitzer der Casa Vieja Mérida, für drei Tage ins Hato El Frío und erlebte dort noch einmal eine gewaltige Steigerung gegenüber den einfachen Touren. Das Hato El Frío ist einer der besten Orte in den Llanos, um die gesamte Palette heimischer Tierarten beobachten zu können. Das Hato wird daher immer wieder von Biologen, Fotografen und Dokumentarfilmern aufgesucht.
Tourverlauf Bei sämtlichen Touren in Los Llanos handelt es sich um eine Kombination aus Los Llanos und dem Sierra Nevada Nationalpark. Das liegt daran, dass die Hin- und Rückfahrt, Mérida - Los Llanos - Mérida, über die schönste Straße Venezuelas, die Transandina, erfolgt. Diese schraubt sich zunächst immer höher in das Hochland der Sierra Nevada hinauf, vorbei an Bergbauern und ihren mit Hilfe von Ochsenkarren bestellten Feldern. Abgesehen von der beeindruckenden Berg- und Tallandschaft und den typischen andinen Dörfern links und rechts der Straße, passiert man auf der Tour eine Reihe von Punkten, an denen man unbedingt kurze Besichtigungspausen einlegen sollte: Zuerst gelangt man zur Mifafi, Forschungs- und Aufzuchtstation für Kondore: 1992 wurden fünf ausgewachsene Kondore genau an dieser Stelle mit dem Ziel in die Freiheit entlassen, die Täler und Höhen des Nationalparks Sierra Nevada wie einst mit Kondoren zu besiedeln. Unter den fünf Kondoren fand sich ein Paar, das aufgrund der strikten Monogamie der Vögel ein Leben lang zusammen bleiben sollte. Im Idealfall hätten sie alle zwei Jahre Nachkommen in die Welt setzten können, doch leider blieb ihnen der Kinderwunsch verwehrt. Die Biologen der Station mussten in den letzten beiden Jahren herbe Rückschläge einstecken, denn nachdem ein Bauer einen der Vögel erschlagen hatte, fiel ein zweiter Kondor der Kugel eines übermotivierten Polizisten aus Caracas zum Opfer. Trotzdem ist das Tal, in dem sich die Station befindet, ein idealer Ort, um große Greifvögel beobachten zu können. Dann geht es weiter nach San Rafael de Mucuchies, an dessen Ortsausgang die natursteinernen Kapelle (UNESCO Kulturerbe) des in Venezuela berühmten Künstlers Juan Felix Sánchez (1900-1997) steht, nach dem in Mérida ein Museum benannt ist. Kurz darauf folgt eine Abzweigung zum Aguila-Pass auf 4200 Meter Höhe: Die skurrile Landschaft ist geprägt durch die für die Páramo-Vegetation typischen Frailejones (Espiletien), die hier eine Höhe von bis zu drei Metern erreichen. Der einheimische Name Frailejón leitet sich ab von Frai oder Fray, zu deutsch Mönch. Mit etwas Phantasie wird man die Mönche in den Pflanzen erkennen, deren herabhängende braune Blätter an die Mönchskutte erinnern. Die Hochlandbewohner nutzen die Blätter als Füllmaterial für Matratzen und Kissen und schreiben den aus der Pflanze extrahierten Wirkstoffen sowohl eine empfängnisverhütende als auch eine potenzsteigernde Wirkung zu. Zudem hilft das Extrakt gegen Kopfschmerzen und bei Kreislaufproblemen aufgrund der Höhe. Wieder auf der Transandina erreicht man bald darauf den höchsten Punkt der Straße, an dem die Gletscherlagune Mucubají liegt. Die Landschaft auf 3500 Meter prägt ein niedriger karger Kiefernwald. Der steinige Boden ist meist mit Farnen und Flechten bedeckt. Durch diese Landschaft kann eine zweistündige Wanderung von der Laguna Mucubají zur Laguna Negra erfolgen, die anschließend in Verbindung mit der Einkehr in eines der beiden am Eingang der Lagune liegenden Restaurants steht und dessen Spezialität eine frisch gefangene und in Knoblauch gebratene Bergforelle ist. Sieben Kilometer weiter findet sich zum Hang hin und leicht versteckt das Kloster Los Frailes: Die Klosteranlage stammt aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, dient heute als Hotel und gilt als eines der charmantesten weltweit. Danach geht es abwärts an der Außenwand der Anden entlang durch verschiedene Vegetationsstufen wie Páramo, Elfenwald und subtropischen Regenwald und die nächsten zwei Stunden durch die hohen Llanos, die auf 150 Meter über dem Meeresspiegel liegen und nach dem kühlen Bergklima besonders heiß erscheinen. Auf einer imposanten Brücke, die wie fast die gesamte Strecke seit wenigen Jahren in einem hervorragenden Zustand ist, überquert man den Apure, den zweitgrößten Strom Venezuelas. Und auf einen Schlag begrüßt einen die Tierwelt an den Wasserlöchern im Herzen der Llanos. Nach weiteren zwei Stunden gelangt man zum Hato El Frío oder einem der einfachen Hängematten-Camps. Je nach Tourverlauf stehen auf dem 60.000 Hektar großen Gelände des Hato El Frío (oder in der Umgebung der einfachen Camps) 2-4 Ausflüge auf dem Programm: per Lancha, Einbaum mit Außenborder auf dem Caño Guaritíco, zu Pferd entlang der Galeriewälder oder mit dem Jeep vorbei an Wasserlöchern zu Lagunen und Schlafplätzen diverser Ibisarten. Abgesehen von der beruhigenden Wirkung, die die weiten, nicht enden wollenden Weiden auf das Auge haben, stehen die folgenden Tage ganz im Zeichen der heimischen Tierwelt, die es zu entdecken gilt: In den Bächen tummeln sich rosafarbene Süßwasser-Delfine, Familienverbände von Capybaras (wasserschweinähnliche Nager) ziehen von Wasserloch zu Wasserloch, Schildkröten sitzen zwischen Bavas (Brillen-Kaimanen), eine acht Meter lange Anakonda kreuzt die Straße, große und kleine Ameisenbären brechen in der Dämmerung zur Jagd auf, 300 Vogelarten, von denen die markantesten die purpurfarbenen Ibise, die Rosa-Löffler, die Jaribu-Störche sowie Aras, Loros, Pericos, Adler und Kauze sind, ziehen in Schwärmen vorbei oder fischen, indem sie den Schnabel ins Wasser getaucht, den Kopf von links nach rechts bewegend durch die seichten Stellen in Ufernähe waten.
Text: Dirk Klaiber Fotos: Dirk Klaiber + Casa Vieja Mérida Infos: Beste Erfahrungen, sowohl hinsichtlich der einfachen als auch der komfortablen Tour in Los Llanos, habe ich mit der Tour-Agentur der Posada Casa Vieja gemacht. Gaggia-Espresso-Maschine: In dem Dorf Apartaderos befindet sich linkerhand der Straße eine Tienda, deren Attraktion neben der in Frailejón-Blätter verpackten Andenbutter die möglicherweise älteste Gaggia-Espresso-Maschine der Welt ist, die sich noch im täglichen Einsatz befindet. Link: Hato El Frío (eng.) Online Reiseführer Venezuela (reihe fernrausch) Der Hauptteil des Reiseführers besteht aus Beschreibungen von Ausflugsmöglichkeiten in die Natur, in Form von ein- oder mehrtägige Touren, individuell oder mit Guide organisiert, und Abenteuertrips. |
[art_3] Guatemala: Allein gelassen mit dem Klimawandel
Monate nach Hurrikan Stan kämpfen die Menschen in Guatemala noch immer mit den Folgen der Katastrophe. Und der nächste verheerende Sturm kommt bestimmt. "Gott gibt das Leben, und Gott nimmt es. Damit tröste ich mich und die Kinder, die mir noch geblieben sind." Leonardo Sotos Calante spricht mit einer Stimme, die jedes Gefühl verloren hat. Seine Augen blicken leer, er reißt sich zusammen, versucht stark zu sein, und bittet den Abgesandten der Diözese San Marcos den Besuchern zu zeigen, wo vor drei Monaten noch sein Laden stand und er mit seiner Familie lebte. Der 53-jährige schafft es nicht selber dorthin zu gehen, wo vormals das Zentrum des Dorfes gestanden hat. "Das hier", sagt Enrique Gonzales, und zeigt mit einer weit ausholenden Bewegung auf ein Trümmerfeld, "war die Plaza. Zwei Kirchen, eine Schule und einige Geschäfte." Der Hurrikan Stan hatte tagelang starke Regenfälle verursacht. Am 7. Oktober rutschte der Hügel oberhalb des Dorfes Cuá im Norden Guatemalas unter der Last der Wassermassen ab. Die Schlammlawine begrub Leonardos Frau, drei seiner Kinder, seine Mutter und eine Schwester. Vernichtete seinen Laden und nahmen ihm sein Auskommen. Enrique stapft über Lehm und Mauerbrocken. Seine Stiefel sind weiß von dem Kalkstaub, der ausgestreut wurde um Seuchen zu verhindern. "Eine Stunde nach dem Erdrutsch war ich hier und habe mitgeholfen, Tote und Verletzte zu bergen. Die meisten Verletzten starben noch auf der Ladefläche des Pickups, mit dem wir sie ins Krankenhaus bringen wollten." Seine Stimme klingt plötzlich rau, verlegen wischt er sich über die Augen.
Gut drei Monate ist es jetzt her, dass Stan über Mittelamerika hinweg tobte. Nach offiziellen Angaben kamen in Guatemala 669 Menschen ums Leben, 844 gelten als vermisst. Hilfsorganisationen sprechen jedoch von mindestens 6.000 Todesopfern. Laut der guatemaltekischen Regierung sind etwa eine halbe Million Menschen direkt von der Katastrophe betroffen, indirekt leiden 3,5 Millionen Menschen unter den Folgen des Hurrikans das sind 30 Prozent der Gesamtbevölkerung. Überall in dem Entwicklungsland, in dem schon vor dem Hurrikan 80 Prozent der Menschen in Armut lebten, sind die Verwüstungen sichtbar. Bäche wurden zu wilden Strömen, die Straßen, Brücken und Häuser mitrissen. 900 Erdrutsche begruben Strom- und Telefonmasten, ja, ganze Dörfer unter sich. Die Region San Marcos ist am schlimmsten betroffen und bislang beschränkt sich der Wiederaufbau im ohnehin rückständigen Norden des Landes zumeist darauf, mit Bulldozern die Hauptstraße notdürftig frei zu räumen. Im Süden greifen die reichen Zuckerrohrbarone zur Selbsthilfe und nehmen die Rekonstruktion der Brücken selber in die Hand.
Die Caritas lässt Mais und Bohnen verteilen, einige Hilfsorganisationen bauen neue Hütten für die Obdachlosen. Ebenso schlimm trifft die Bauern der Verlust der Ernte. 60 Prozent sind verloren, und für eine Bevölkerung, die hauptsächlich von dem lebt, was sie anbaut, bedeutet das Hunger. Seit der Katastrophe klopfen jeden Tag 15 bis 20 Menschen an Enriques Tür und bitten um Lebensmittel. "Die Leute hier wissen nicht mehr, was sie essen, und schon gar nicht, was sie für die kommende Ernte aussäen sollen." Überdies gilt ein Drittel der Ackerfläche des Landes nach dem Hurrikan als verloren. Die Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) geht von rund einer Milliarden US$ Schäden aus, und hat errechnet, dass das Bruttosozialprodukt Guatemalas ohnehin eines der ärmsten Länder der Region - 2005 durch den Hurrikan um 3,4 Prozent zurück gegangen ist.
"Während die Makroökonomie durch den Hurrikan keine Probleme hat, drohen in einigen Regionen des Landes Hungerepidemien. Das bestätigt, dass in unserem Land der Reichtum nicht gerecht verteilt ist", kommentiert Eduardo de León von der guatemaltekischen Stiftung Rigoberta Menchú die Studie. "Die Katastrophe trifft die Armen." Mittelamerika hatte doppelt Pech. Während hier die Regenmassen das Land verwüsteten, verwandelte ein Erdbeben den Norden Pakistans in einen Trümmerhaufen. Die Katastrophe in Guatemala blieb von der Weltöffentlichkeit fast unbemerkt, und die Spenden blieben aus. "1998, als Hurrikan Mitch hereinbrach, da bekamen wir viele Spenden. Dabei war Mitch im Vergleich zu Stan gar nichts", erinnert sich Enrique. 1989 Mitch, 1999 George, 2005 Stan. Und die Kette der verheerenden Stürme wird wohl auch in Zukunft nicht abreißen. "Seit etwa zehn Jahren verändert sich hier das Klima rasant", beobachtet Marco Lopez Maldonado vom technischen Team für Bauern der Diözese San Marcos. "Es sind nicht nur die Stürme, die wir jetzt viel heftiger und häufiger erleben als früher. In der Regenzeit regnet es nicht mehr kontinuierlich, sondern nur noch ab und zu, dann aber so heftig, dass der fruchtbare Boden weggeschwemmt wird. Dann kommt eine Trockenperiode, es wird wärmer und die Sonne brennt heftiger als noch vor ein paar Jahren." Den Klimakatastrophen zu entkommen, das ist unmöglich. Viele verlassen zwar ihre Häuser in den Tälern, um den bei Regen heftig anschwellenden Bächen zu entkommen. Doch an den Hängen drohen Bergrutsche. Die Topografie in der von Bergen zerklüfteten Region bietet kaum Schutz. "Was wir brauchen, ist ein massives Aufforstungsprogramm, eine nachhaltige Agrarreform. Aber das muss von der Regierung kommen. Man kann von Bauern, die täglich um ihr Überleben kämpfen, nicht verlangen, dass sie Bäume statt Mais pflanzen", erklärt der Leiter des Katastropheneinsatzes. Doch stattdessen, so Maldonado, erlaube die Regierung, dass immer weiter Bäume gefällt werden. Aber das eigentliche Problem, so sagt er "seid Ihr in den reichen Ländern. Ihr verbraucht wie verrückt die Energie und heizt das Klima an. Und uns lasst Ihr dann hier mit den Problemen alleine." Die Menschen helfen sich gegenseitig, so gut sie können. "Die Solidarität zwischen den Bauern ist beeindruckend", hat Enrique beobachtet. "Wer etwas hat, der teilt es mit den Nachbarn, die alles verloren haben." Die Diözese San Marcos schickt ein paar Therapeuten, die versuchen, den Kindern über das Trauma hinweg zu helfen. Traumatherapie auf guatemaltekisch bedeutet, die Kleinen mit Stöcken auf eine Piñata einschlagen zu lassen, bis diese platzt und die Süßigkeiten herausfallen.
Und tatsächlich kann er für einen Moment lächeln. "Wir müssen nach vorne sehen und unser Leben weiter leben, das Beste aus dem machen, was uns geblieben ist. Es hat keinen Sinn, zurückzuschauen." Text: Katharina Nickoleit Fotos: Christian Nusch Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Peru verfasst, den ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.
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[art_4] Brasilien: Abwärts durch den Dschungel
Mit dem Zug von Curitiba nach Paranaguá Eisenbahnen sind in Brasilien fast schon ausgestorben. Und da wo sie noch fahren, ruckeln sie mit 15 oder 20 Stundenkilometer durch die Gegend. Das erträgt nur der, der es so gewollt hat. Wie die zahlreichen Wochenendausflügler, die die 110 Kilometer zwischen Paranás Hauptstadt Curitiba und dem kleinen Küstenstädtchen Paranaguá auf beschauliche Art und Weise zurücklegen wollen. Wer komfortabel reisen und die Abfahrt zur Küste im Speisewagen erleben will, nimmt den teuren Litorina-Zug. Wer sich mit einer Dose Guaraná und einigen Gratiskeksen zufrieden gibt, sollte das Geld sparen und mit dem einfachen Zug vorlieb nehmen. Los geht es an der Station Ferro-Rodoviária in Curitiba, auf 934 Meter Höhe. Der Zug schaukelt durch Curitibas europäisch angehauchte Vororte hinaus über die Wiesen des Hochplateaus. Auf dem ersten Teil der Strecke sitzt man besser auf der rechten Seite. Nachdem der Zug den Tunnel bei Roça Nova durchquert hat und der Abstieg durch das Küstengebirge der Serra do Mar beginnt, breitet sich der Stausee Caiguava prächtig zwischen den Hügeln und Bäumen aus, gefolgt von dem zweiten Stausee Ipiranga. Hat man ein Stück weiter den Teufelstunnel verlassen, sollte man sich schleunigst auf die linke Seite setzen. Bald schon sieht man den Wasserfall Véu da Noiva, Brautschleier. In Brasilien heißt übrigens jeder zweite Wasserfall so. Höhepunkte der Fahrt sind die Passagen über die Brücke São João und über den Viaduto Carvalho. Von beiden aus hat man einen phantastischen Blick über das Küstengebirge Serra do Mar. Noch heute ist man in Paraná stolz auf die Ingenieure und Streckenleger, die zwischen 1880 und 1885 die Trassen durch das unzugängliche Gebiet geschlagen haben und insgesamt 14 Tunnel in die Berge sprengten. Viele von ihnen stürzten in die tiefen Schluchten oder starben an Malaria. Im Bundesstaat Paraná hat der Regenwald weniger gelitten als in anderen Regionen Brasiliens. Immerhin noch 12% seines ursprünglichen Bestandes existieren noch heute. Fast doppelt so viel wie im Landesdurchschnitt, der bei nur 7% liegt. Überlebt hat der Urwald hauptsächlich in für eine Bebauung oder landwirtschaftliche Nutzung ungeeigneten Gegenden wie den unzugänglichen Tälern der Serra do Mar. Dort liegt der Naturpark Marumbi, den der Zug nach 60 Kilometern und 2,5 Stunden Fahrt erreicht. Es sind Abenteurer die hier den Zug verlassen, um sich auf Wanderschaft durch die dichte Vegetation zu begeben. Eine weitere Stunde später erreicht der Zug den verträumten Bahnhof von Morretes. Hier steigen die meisten Passagiere aus, um sich in den gemütlichen Cafes und Restaurants entlang des Rio Nhundiaquara von der schaukeligen Zugfahrt zu erholen. Wer weiter nach Paranaguá will, nimmt besser den Bus von Morretes Rodoviária aus, da die letzten 40 Kilometer bis Paranaguá im Zug viel Geduld erfordern. Doch nicht nur Personenzüge bummeln über die 1885 erbaute Eisenbahntrasse. Paranaguá ist Brasiliens zweitwichtigster Hafen und so stauen sich die mit Agrarprodukten aus dem Hinterland beladenen Güterzüge oft auf den letzten Kilometern. Zudem bringen ständige Reparaturarbeiten am Gleisnetz den Verkehr endgültig zum Erliegen. Paranaguá selbst bietet dem Besucher ein schmuckes historisches Zentrum. Wer Zeit mitbringt und nicht sofort nach Curitiba zurück möchte, kann von Paranaguá aus ein Boot zur Ilha do Mel nehmen, der Honiginsel. Die Fahrt durch die Bucht von Paranaguá dauert etwa zwei Stunden. Wer die Fähre in Paranaguá verpasst hat, kann mit dem Bus nach Pontal do Paraná fahren. Von dort legen alle 30 Minuten kleine Passagierboote mit Ziel Honiginsel ab. Die Ilha do Mel liegt in der Bucht von Paranaguá. Sie besteht aus zwei lediglich durch einen Streifen Sand verbundenen Teilen. Der nördliche, größere Teil, Nova Brasília genannt, ist praktisch unbewohnt und wurde in ein Naturreservat umgewandelt. Der südliche Teil, Encantadas, bietet den Urlaubern Hotels, Restaurants und Campingplätze. Zum Baden geht man am besten an die dem offenen Meer zugewandten Strände, wie den Praia de Fora, Praia Grande, Praia do Miguel und dem Praia de Fora das Encantadas. Auf dem Rückweg von Paranaguá nach Curitiba ist der die Berge erklimmende Zug fast leer. Mit dem Bus ist man in eineinhalb Stunden zurück in Curitiba, mit dem Zug sind es mindestens vier. Aber oft liegt ja gerade in der Langsamkeit ein gewisser Charme. Text + Fotos: Thomas Milz
*An Wochenenden und Feiertagen: Rückfahrt ab Morretes um 16.00 h |
[kol_1] Amor: Andenmythos - Die fünf weißen Adler
Eines Tages vor langer langer Zeit kreisten fünf weiße Adler am Himmelszelt. Fünf riesige Adler, deren in der Sonne strahlende Körper gewaltige Schatten auf Hügel und Berge projizierten. Das war auch die Zeit, in der Caribay - Tochter des feurigen Zuhé (Sonne) und der blassen Chía (Mond) - als Geist der vielseitig duftenden Wälder durch die Anden Venezuelas streifte. Den verzaubernden Gesang der Vögel imitierend, schwebte sie geschmeidig wie das kristallklare Wasser, das die Flüsse hinabfließt, über Wiesen und Weiden und spielte wie der Wind mit Blumen und Bäumen. An besagtem Tage sah Caribay hoch am Himmel die fünf weißen Adler durch die Lüfte gleiten, deren Federn im gleißenden Licht der Sonne brillierten als wären es Tränen aus reinem Silber. Caribay war dermaßen fasziniert von ihrem Anblick, dass sie von dem unbändigen Wunsch erfüllt wurde, ihr eigenes Herz mit dem außergewöhnlich leuchtenden Federkleid der Adler zu schmücken. Besessen von dem Gedanken, den Adlern die Federn zu entreißen, folgte sie den Schatten, die die Vögel in die Landschaft zeichneten; Tal um Tal durchlaufend und Berg um Berg erklimmend ohne auch nur einen Moment zu verweilen. Zu guter Letzt führten sie die Schatten zu dem höchsten Gipfel unter den Gipfeln der Anden und erschöpft musste Caribay mitansehen, wie sich die Adler immer höher in die Lüfte schwangen und bald im Nichts verloren. Verzweifelt und von Trauer erfüllt rief sie nach ihrem Vater, der Sonne, auf das er länger als an anderen Tagen scheine. Doch Caribays Worte trug der wilde Wind von dannen und so wich das Licht der Dämmerung. Fröstelnd vor Kälte, die Wind und Dunkelheit mit sich brachten, rief sie nach ihrer Mutter, dem blassen Mond, und fand Gehör. Chía gebot dem Wind umgehend Einhalt. Darüber hinaus positionierte sie sich am Firmament und unterstützte mit ihrem Schein das Funkeln der Sterne. Und dann durchbrach Caribays Schrei voller aufrechter Bewunderung die Stille der Nacht, denn am Rande von Chías Lichtschein hatte sie die fünf weißen Adler erneut erspäht. Diese drehten nun Runde um Runde über einer halbkreisförmig angeordneten Formation besonders hoch aufregender Berggipfel.
Zur großen Freude von Caribay ließen sich die Adler nieder auf den höchsten Gipfeln, die durch ihre Nacktheit aus der ansonsten mit bezaubernden Blumen und Bäumen übersäten Natur herausragten. Ihrer Bestimmung folgend gruben die Adler ihre mächtigen Krallen tief in den Berg und verharrten fortan still und unbeweglich. Caribay erreichte die weißen Adler nur wenig später. Doch als sie voller Tatendrang nach den Federn griff, mit denen sie ihr Herz zu schmücken gedachte, ertaubten ihre Finger schon bei der ersten Berührung, denn die Adler waren mit dem Berg eins geworden und zu gewaltigen Eiskörpern erstarrt. Voller Entsetzen rief Caribay erneut nach ihrer Mutter Chía. Diese schickte umgehend einen Wirbelwind von unheilbringendem Klang begleitet, der die fünf mit Eis überzogenen Gipfel bis ins Mark erschüttern sollte. Erschrocken erwachten die weißen Adler, die auf den Gipfeln schliefen, breiteten ihre Flügel aus und versuchten sich wieder und wieder in die Lüfte aufzuschwingen. Doch so sehr sie sich auch mühten, ihre Körper waren untrennbar mit den Bergen vereint. Ihr wildes Flügelschlagen aber bewirkte, dass sich einzelne Federn aus ihrem Kleid lösten, als Schneeflocken herabrieselten und die Berghänge und Täler in Weiß hüllten.
Wenn dieser trostlose Gesang zu heftig wird, leidet auch Chía mit ihrer Tochter. Das erzürnt sie dann so sehr, dass sie heftige Winde gegen die fünf Gipfel sendet und die Adler aus ihrem Schlaf reisst. Die weißen Adler, unfähig zu entfliehen, schlagen vergebens wieder und wieder mit ihren Flügeln, wobei sie Federn lassen, die sich in heftige Schneestürme verwandeln. Text + Fotos: Dirk Klaiber Info: Der Mythos der Andengipfel rund um Mérida ist mündlich überliefert von den Timotes Indianern, die zurzeit der spanischen Eroberung die Anden bewohnten. Sie selbst bezeichnen Caribay als die erste Frau des Andenvolkes der Mirripuye Indianer aus einer längst vergangenen Zeit. Schriftlich festgehalten hat die Legende der Merideño Tulio Febres Cordero (1860-1938). |
[kol_2] Macht Laune: Zweimal Guarujá und zurück
Deutsch-Argentinisches Chaos in Brasilien F. mag das Meer von Guarujá. So etwas gäbe es in Buenos Aires ja gar nicht, klagt er. So grün-blau, sauber und mit wunderbaren Wellen. Den Liegestuhl in die Brandung gestellt, vertieft in hochwissenschaftliche Lektüre. Ein Buch pro Tag im Durchschnitt, intellektuelle High-Speed-Verdauung. Egal ob in Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Französisch oder Englisch. F. überspringt locker alle Sprachbarrieren. Argentinier sind die Denker Südamerikas.
So etwas gäbe es in Buenos Aires ja gar nicht, klagt er. Solche Kurven, solch ein schwebend-schwingender Gang und so wenig Stoff auf der Haut. Nach São Paulo kommt er immer mal wieder, um Persönlichkeiten der brasilianischen Fußballszene zu interviewen. Um dabei die Unwägbarkeiten und das verzwickte Kleingedruckte des brasilianischen Alltags zu umdribbeln, hat er sich die Dienste des Deutschen T. gesichert. Berühmt für teutonisches Organisationstalent, ein Felsen in der Brandung des lateinamerikanischen Chaos wer, wenn nicht ein Deutscher, kann die Klippen des täglichen brasilianischen Wahnsinns umsteuern? So wie letztes Jahr. Fast alles geregelt für die nächsten Tage - so konnte man sich getrost aufmachen an den zwei Stunden von São Paulo entfernten Strand von Guarujá. Das eigens dafür gekaufte Handy eingepackt, geht es los: "da rufen wir einfach von unterwegs aus an, um die letzten Absprachen zu treffen." Argentinischer Optimismus, strahlender Sonnenschein, ein Deutscher, der alle organisatorischen Fäden in der Hand hält - was sollte da schief gehen. Kaum hatten sie die letzten Häuser São Paulos hinter sich gelassen, verdunkelte sich der Himmel plötzlich. Blitze zerrissen die Wolken, aus denen dicker Regen herabfiel. "Das kann ja in Guarujá ganz anders aussehen", beruhigte man sich gegenseitig. Zeit, das entscheidende Telefongespräch zu führen. Doch inmitten der Berge des Küstengebirges gab es keine Chance auf Empfang. Das änderte sich auch während der nächsten zwei Stunden nicht, in denen der Bus im Stau festsaß. Als man dann endlich wieder ein Handynetz hatte, merkte man, dass der Zettel mit der Telefonnummer zuhause vergessen worden war. Zum Glück erwischte man noch jemanden daheim, der den Zettel fand und die Nummer durchgeben konnte. Nun besaß man aber kein Guthaben mehr auf dem Handy. "Deutsche Organisation war auch schon mal besser", schimpfte F. über die Schicksalsschläge. In Guarujá angekommen konnte man zwar schnell eine Telefonkarte mit frischem Guthaben erwerben. Doch da war die schwache Handybatterie schon längst am Ende. Aber wozu gab es schließlich die klassische Telefonzelle am Straßenrand. So konnte doch noch alles in trockene Tücher gepackt werden. Zeit, zum Strand zu kommen, und den hatte man ganz alleine für sich. Wer will schon bei strömendem Regen an den Strand. Recht kalt war es mittlerweile auch. "Eigentlich mag ich Regenwetter ganz gerne", verbreitet F. seinen argentinischen Optimismus.
Dieses Jahr stehen die Vorzeichen besser. Keine anstehenden Telefongespräche, strahlendes Wetter, Shrimps mit Majonäse vermeidet man. Um dem traditionellen Wochenendverkehr zwischen São Paulo und Guarujá auszuweichen, fährt man in der Woche. So stellt F. seinen Liegestuhl schließlich in die Brandung und vertieft sich in hochwissenschaftliche Lektüre. Ein Buch pro Tag im Durchschnitt, wie gesagt. Trotz Wochentag quillt der Strand über vor Menschen. "Morgen ist ja Feiertag hier, da sind halt alle am Strand", klärt ein Eisverkäufer auf. So verbringen die beiden die Stunden zwischen 19 Uhr und Mitternacht damit, ganz Guarujá nach einem Schlafplatz abzusuchen. Alles ausgebucht. Seit Wochen. So etwas gäbe es in Buenos Aires ja gar nicht, klagt F.. Dort, so sagt er, würde man immer ein freies Hotelzimmer finden. Als man schließlich aufgibt und beschließt, nach São Paulo zurück zu kehren, fährt kein Bus mehr. "Wir nehmen die Fähre nach Santos, da gibt’s Hotels wie Sand am Meer", übernimmt T. die organisatorische Führung. Doch auch Santos ist in den Händen ganzer Horden von Feiertagstouristen aus São Paulo. "Eigentlich mag ich Wandern ganz gerne", verbreitet T. seinen teutonischen Optimismus. Nach mittlerweile sieben Stunden Wanderung von einem ausgebuchten Hotel zum nächsten erntet er damit jedoch nur verärgerte argentinische Blicke. Auch der Notlösungsvorschlag, in einem Motel mit roten Zimmerlampen und rundem Doppelbett zu schlafen, scheitert an F.s Macho-Ego. "Eher schlafe ich am Strand als mit einem Deutschen im Motel!" Doch das Glück lächelt doch noch, und man findet ein Hotelzimmer. "Es gibt so viele Deutsche mit hervorragendem Organisationstalent. Warum bin ich ausgerechnet mit einem unterwegs, der chaotischer als jeder Lateinamerikaner ist?", seufzt F..
Während Sie diesen Bericht lesen, sind die beiden wieder einmal irgendwo in Brasilien unterwegs, verwickelt im Kampf gegen die Unwegsamkeiten des alltäglichen Chaos. Wenn alles klappt, habe man anschließend noch zwei Tage zum Ausspannen übrig. "Dann können wir nach Guarujá an den Strand", schlägt F. vor. "Solch ein schönes Meer!" Text: Thomas Milz Fotos: F. |
[kol_3] Grenzfall: Das Lied der Straße
Heute, als ich wieder einmal versuchte auf der Straße Geld zu verdienen, wurde ich gefragt, ob ich glücklich sei. Eigentlich hätte ich zornig werden, den jungen Mann in seinem feinen Anzug ungespitzt in den Boden rammen sollen, aber seltsamer Weise war ich nicht einmal peinlich berührt. Im Gegenteil, ich war sprachlos und wusste nichts Vernünftiges zu antworten. Vielmehr war ich gezwungen, mir das mit dem Glücklichsein einmal gründlich vor Augen zu führen.
Wie denn auch?! Mein fast vierzigjähriges Leben lang habe ich stets das gemacht, was mir gerade in den Sinn kam und was mir zudem Freude bereitete. Lange war das auch gut gegangen. Jetzt allerdings sieht es düster aus. Meinem kleinen Sohn und seiner Mutter kann ich im Moment nicht einen Centavo geben, obwohl ich will, obwohl ich müsste. Und das zerreißt mir das Herz. So gesehen bin ich nicht glücklich und gerade auch nicht vom Glück verfolgt. Ich fühle mich im Stich gelassen und habe die falschen Dinge für wichtig gehalten. Hätte ich nur mit meinem damaligen Vermieter eine Pension aufgemacht, dann hätte ich zumindest ein eigenes Zimmer und auch ein kleines Einkommen, um über die Runden zu kommen. Aber sich diesbezüglich über die Vergangenheit Gedanken zu machen, macht noch weniger Sinn, ja geradezu unglücklich. Nun scheine ich also wirklich von externen Faktoren derart in Beschlag genommen worden zu sein, dass mir mein ehemals eherner Grundsatz, so zu leben, wie ich will, nur auf mich zu schauen und, wenn es denn erforderlich ist, auch kompromisslos egoistisch zu handeln, nicht einmal ein müdes Lächeln abringt.
So brutal es sich anhören mag, aber zwei Dinge können wir Menschen in einem nur uns zugedachten Maße allzu gut: verdrängen und vergessen. Und zwar alles, was uns momentan nicht in den Kram passt! Und die Zeit soll es schließlich richten und die tiefen Wunden heilen. Aber, und das vergisst man immer wieder gerne, es bleiben stets Narben zurück. Einige der mir selbst zugeführten Wunden wollen schon lange nicht mehr heilen. Ich jagte und jage noch immer meinen Träumen hinterher, ohne sie erfüllen zu können. Gelebt habe ich auf die eine oder andere Art. Und geliebt ebenso. Ohne Liebe lässt es sich nicht leben, sagen die Leute. Aber wer meint, dieses fragile Konstrukt Liebe würde einfach so funktionieren, dem sei auch gesagt, dass er einem großen Irrtum aufsitzt. Meine Frau habe ich verloren und auch die letzte vermeintlich große Liebe meines Lebens: Franco, meinen Sohn. Meine Freunde konnten mir nicht helfen, wenngleich ich ihnen keinen Vorwurf machen will, obwohl ich vielleicht müsste. Nicht mal einen Schlafplatz haben sie mir angeboten. Vielleicht habe ich aber auch nicht danach gefragt. Verletzter Stolz, verletzte Ehre. Komisch ist es schon, denn viele Menschen meinen, dass hier die Freundschaft so viel zählt, aber wenn der Zeitpunkt gekommen ist, dann wird doch vieles so, wie man es gerade nicht erwartet hätte. So, oder so ähnlich hab ich es dem Herrn im Anzug auch zu erklären versucht. Ich glaube allerdings, dass er es nicht verstanden hat. Wie denn auch? Manches mal verstehe ich es selbst nicht wirklich, wie das alles so kommen konnte, aber der Kopf sitzt auch bei mir noch immer da, wo er hingehört und irgendetwas wird kommen. Da bin ich mir sicher. Wenn ich in der U-Bahn oder auf der Straße spiele, schämte ich mich am Anfang. Es war so ungewöhnlich und neu vor lauter unbekannten Gesichtern seine Lieder zu spielen. Immer dann, wenn mich heute noch dieses Gefühl beschleicht, dass mir die Finger an der Gitarre nicht mehr gehorchen, schließe ich die Augen und atme tief durch. Dann denke ich an Franco und er ist jede Sekunde wert, die ich hier stehe und meine Musik zum Besten gebe. Inständig hoffe ich dann, dass es bei mir bald weitergeht. Text + Fotos: Andreas Dauerer |
[kol_4] Lauschrausch: Uruguays 70er im Doppelpack
OPA Back home. Lost 1975 sessions Vampisoul 009 Die Brüder Hugo und George Fattoruso (Piano bzw. Schlagzeug uvm.) sind für den Rock (und den Jazz) in Uruguay ähnlich wichtig wie Udo Lindenberg für den Deutschrock. Sie gründeten die Rockband Los Shakers und spielten in diversen anderen Formationen mit. 1969 verließen sie Uruguay auf der Suche nach neuen musikalischen Herausforderungen Richtung New York: Dort angekommen gründeten sie OPA (was im Slang Uruguays soviel wie Hallo bedeutet).
Es dominiert - für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich Fusion, eine Art elektrifizierter Jazzrock, dessen Aushängeschild die Band Weather Report war. Hinein mischen sich Klänge von Funk, Candombe und Bossa Nova (in einer Coverversion von Edu Lobo). Und hier findet sich wohl die einzige Version einer lateinamerikanischen Band von "Never can say goodbye". Großartig! Maranata Maranata 1 Vampisoul 056 Hinter der Band Maranata versteckt sich ein anderer umtriebiger Musiker aus Montevideo, Roberto Giordano. Er stellte diese Band Ende 1978 spontan zusammen, um zu Promotionszwecken für das Sondor-Studio dieses Album einzuspielen, und löste sie genauso spontan 1980 wieder auf. Auf "Maranata 1" finden sich viele Coverversionen (Drei Engel für Charlie, Carly Carola etc.) im heute wieder hippen Stil der Endsiebziger: Shaft lässt grüßen!
Der Arbeit des Labels Vampisoul gebührt Anerkennung, denn die meisten dieser Originalaufnahmen waren und sind in Europa nicht erhältlich. Text: Torsten Eßer Fotos: amazon.de |