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Besonders feierlich und elitär präsentieren sich die drei letzten Bruderschaften des Tages, die man unbedingt nach Einbruch der Dunkelheit ansehen sollte, da sie erst bei Nacht ihren Zauber richtig entfalten:

V. Der schwebende Christus der „Fünften Todesangst“

22:00: Irgendwo in der Altstadt von Sevilla. Zwar waren die Prozessionen auch am Nachmittag schon feierlich, aber über allem lag noch eine heitere Volksfest-Stimmung. Jetzt aber wird es ernst. Man spürt, dass die Semana Santa unmittelbar vor ihrem Höhepunkt steht – der Nacht des Karfreitags. Nachts präsentieren sich die Prozessionen stets geheimnisvoller als tagsüber, die von ihnen suggerierte Illusion wirkt vollkommener. Man fühlt sich in längst vergangene Jahrhunderte zurückversetzt, wenn nur die Kerzen der Pasos und der Vollmond Licht verbreiten. Die Stadtverwaltung von Sevilla versucht seit einigen Jahren, bei besonders feierlichen nächtlichen Prozessionen in der Altstadt pünktlich zum Vorbeiziehen der Pasos die Straßenlaternen auszuschalten, um das Ambiente „mittelalterlich“ wirken zu lassen. Diese Bemühungen sind von sehr unterschiedlichem Erfolg gekrönt. Ob es an der Unpünktlichkeit der Prozession oder fehlendem Überblick der Verantwortlichen liegt, ist kaum zu klären. Jedenfalls beschert diese „Licht-Regie“ dem Publikum Situationen von unfreiwilliger Komik. So geschieht es z.B., dass die Kerzenpyramide einer Jungfrau durch die hellen Straßenlaternen kaum zur Geltung kommt, doch sobald sie um die Ecke gebogen ist, erlischt auf einen Schlag die gesamte Straßenbeleuchtung und die sich auflösende Zuschauermenge tappt im wahrsten Wortsinne im Dunkeln...


Der höchste Paso Sevillas
bietet barocke Dramatik
22:30: Auf der Plaza de Molviedro, gegenüber der „Kapelle des größten Schmerzes“. Wie eine Welle geht ein Gemurmel durch das Publikum auf dem Platz. Noch sieht man nichts, hört nur das leise Klimpern von Weihrauchgefäßen. Plötzlich schwebt wie von selbst ein prachtvolles Leitkreuz aus vergoldetem Silber um die Ecke. Erst auf den zweiten Blick erkennt man in der Dunkelheit die Nazarenos in ihren violetten, dunkel glänzenden Tunikas. Der Klang lateinischer Psalmen-Gesänge kommt näher. Eine dichte Wolke aus Weihrauch quillt hinter der Straßenecke hervor, hüllt alles ein. Durch den sich langsam lichtenden Weihrauch dringen zaghafte Oboenklänge, dann erkennt man ein wahrhaftiges Gebirge aus Figuren.

Eine mystische Atmosphäre wird um diesen Paso der Superlative inszeniert: „La Quinta Angustia“, die „Fünfte Todesangst (Marias)“. Wenn man nur einen Paso hier in Sevilla sehen könnte, so müsste es dieser sein. Es ist der höchste und eindrucksvollste Paso der Sevillaner Semana Santa. Er zeigt eine Szene, die an hochbarocker Dramatik kaum zu übertreffen ist: die Kreuzabnahme Christi.

Auf zwei Leitern in beträchtlicher Höhe stehen Joseph von Arimatia und Nikodemus und lassen den gekrümmten Leichnam Jesu herab. Sein bizarrer Schatten malt ein düsteres Fragezeichen auf die weiße Wand der Kapelle. Die Skulptur des toten Christus ist das Meisterwerk von Pedro Roldán (1659). Sie schwebt frei in der Luft, nur an einem kunstvoll verknoteten Tuch hängend. Der anatomische Realismus des Leichnams ist erstaunlich, die Dynamik der Szene fast angsteinflößend. Denn bei jeder Bewegung des Paso schwingt die Figur unheimlich knirschend hin und her.

Ergriffen schauen viele Blicke aus dem Dunkel auf den toten Erlöser, der hier zwischen Himmel und Erde schwebt, ergreifend der starre, tränenlose Blick, den Maria als Mater Dolorosa in ihrer fünften Todesangst emporrichtet zu ihrem Sohn. Das Schweigen des Publikums wird geradezu unerträglich. In diesem Augenblick erklingt wie befreiend eine Saeta, ein mit langem Klageton einsetzendes „Flamenco-Gebet“, gesungen von einer schwarz gekleideten Gestalt auf einem Balkon.

Unter den violetten Kapuzenmasken verbergen sich viele prominente Gesichter. Denn die illustren Mitglieder dieser schon 1500 gegründeten Bruderschaft rekrutieren sich bis heute aus dem andalusischen Hochadel. Möglicherweise ist „La Quinta Angustia“ die reichste Bruderschaft Sevillas: ihr Besitz an Kunstschätzen ist beträchtlich und könnte ein erstrangiges Museum füllen. Er umfasst Gemälde der Sevillaner Barockmeister Valdés Leal und Zurbarán, Renaissance-Skulpturen von Jerónimo Hernández. Sie haben Geschmack, die noblen Herren der „Fünften Todesangst“.







 
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