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III. Ein Farbenrausch im Abendlicht

17:30:
Vor der weißblauen Fassade des Hospital de la Caridad steht ein ganz anders wirkender Baldachin-Paso im blendenden Licht der Nachmittagssonne. Sehr klassisch geformt im Neorenaissance-Stil, geradlinig und streng. Dessen kunstvolles Dach aus Samt schwebt über der „Virgen de la Victoria“ (Jungfrau des Sieges), einer der ältesten Madonnen der Semana Santa, die aus dem frühen 17. Jh. stammt.

Sie nimmt in diesem Moment die Huldigung der Patienten des Hospitals entgegen. Ein spontan formierter „Chor“ von betagten Stimmen intoniert das „Salve Regina“ und bringt ihr Blumen dar. Diese so verehrte Himmelskönigin ist die Schutzpatronin von „Las Cigarreras“, der Bruderschaft der Zigarettendreherinnen, die 1563 gegründet wurde. Dabei scheint fragwürdig, ob sie wirklich von Angehörigen des Tabakhandwerks ins Leben gerufen wurde. Ihr volkstümlicher Name erklärt sich eher aus der Tatsache, dass sie lange Zeit ihren Sitz in der Kapelle der alten Tabakfabrik hatte.

Die Farben des Baldachins tanzen vor den Augen des Publikums. Die Semana Santa von Sevilla ist immer auch sakrales Theater und ein Rausch der Farben. Daneben leuchten weiß die Orangenblüten und Nelken, die den Paso einrahmen, begleitet vom silbernen Glitzern der Kerzenleuchter. Dunkel schimmern die purpurvioletten Tunikas der Nazarenos.
Inzwischen haben die unsichtbaren Träger den Paso wieder empor gehoben und bewegen ihn im Rhythmus eines offensichtlich nicht traurigen Trauermarsches hin zur Kathedrale. In der Abendsonne glänzen der bordeauxrote Samt und die Goldstickerei des Madonnenmantels.


IV. Der wandernde Garten Gethsemani

18:30
: In der Straße Doctor Letamendi. Die Abendsonne steht tief und strahlt nur noch die oberen Stockwerke der Häuser an.

Der Rest der engen Straße ist ein Reich der Schatten. Schwarzweiße Nazarenos, die sich in den Kontrast zwischen Licht und Schatten einfügen, bahnen sich ihren Weg hin zu den römischen Säulen der Herkules-Allee. Es ist die Prozession von „Monte-Sión“.

Diese Bruderschaft vom Berge Zion geht wie so viele in Sevilla zurück auf eine Zunftvereinigung. Sie wurde 1560 vom Berufsstand der Schiffsbauer und Reeder gegründet, der im 16. Jh. durch den „Indienhandel“ mit den neuen spanischen Kolonien in Amerika einen enormen Aufschwung verzeichnete. Diesen Reichtum scheint man bis heute bewahrt zu haben, denn auch Monte-Sión schickt einen monumentalen, großzügig vergoldeten Paso ins Rennen um die Gunst der Zuschauer.Die sehr poetische Szene zeigt Christus beim Gebet im Garten Gethsemani.

Als Symbole dieses Gartens vor den Toren Jerusalems werden jedes Jahr unzählige Lilien und ein echter Olivenbaum auf der Altarbühne befestigt.

Costaleros in der Pause

Unter diesem kauern die Figuren der schlafenden Apostel, und neben ihnen kniet Jesus in Meditationshaltung, den Blick auf einen über ihm schwebenden Engel gerichtet, der ihm den Kelch der Passion darbietet. Die Christusskulptur ist ein Werk des Renaissance-Bildhauers Jerónimo Hernández von 1578, der grazile Engel wahrscheinlich von La Roldana, der großen Barockkünstlerin. Auch beim Anblick dieses schön komponierten Paso spürt man die Macht der Tradition, die den Gründonnerstag prägt wie keinen anderen Tag der Karwoche in Sevilla. Es ist der einzige Tag, an dem nur Bruderschaften teilnehmen, die vor 1570 gegründet wurden. Und in jeder Prozession dominiert eine aristokratische Haltung, das Bewusstsein, auserwählte Bewahrer eines Rituals zu sein, das mehr als ein halbes Jahrtausend zurückreicht.







 
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