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Brasilien: Tupi or not Tupi - Teil 1

ANHANGABAÚ – woher kommt so etwas? Und wenn man es schon nicht aussprechen kann, kann man es dann wenigstens essen? Fragen über Fragen türmen sich vor dem unvorbereiteten Brasilienbesucher auf. Doch keine Sorge, wir lassen niemanden im Ungewissen. Hier und jetzt beginnen wir mit unserer kleinen Reihe "Tupi or not Tupi", mit der wir uns auf die Spurensuche nach dem Erbe der brasilianischen Indianer machen. Tupi or not Tupi, das ist hier die Frage.

Das Erbe der brasilianischen Indianer

Während europäische und afrikanische Einflüsse auf die moderne Kultur des heutigen Brasiliens allgegenwärtig sind, ist es das Erbe der indianischen Stammmutter, das am wenigsten anzutreffen ist. Die wenigen noch in ihrem ursprünglich sozio-kulturellen Umfeld lebenden Indianer sind in ihnen zugeteilte Reservate hauptsächlich in Nord- und Zentralbrasilien zurückgedrängt. Ihre Urväter haben keine Spuren hinterlassen, im Gegensatz zu den Indianergesellschaften Mittelamerikas oder der Andenregion: keine Sonnenkalender, keine Pyramiden. In der brasilianischen Sprache jedoch haben sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die mit den ersten Portugiesen nach Brasilien gekommenen Jesuiten begannen, die Sprache der Indianer festzuhalten. So finden sich bis heute zahlreiche Indianismen in der Sprache Brasiliens, vor allem in der Flora (abacaxi (Ananas), buriti (Palmenart), carnaúba, mandacaru (Kakteenart), mandioca (Mandiokwurzel), capim (Gras), sapé, taquara (Bambus), peroba, imbuia, jacarandá, ipê, cipó (Liane), pitanga, maracujá (Maracuja), jabuticaba, caju (Ceshew-Nuss)), in der Fauna (capivara (Wasserschwein), quati, tatu (Gürteltier), sagüi, caninana, jacaré (Caiman), sucuri (Anaconda), piranha (Piranha), araponga, urubu (Aasgeier), curió, sabiá (Drossel)), in gíria-(Slang-)Ausdrücken wie "estou na pindaíba" (pindahyba = miséria, penúria / "ich bin Pleite") oder "pipoca und pipocar" (Popkorn bzw. "hüpfen, rumspringen") und in den geographischen Bezeichnungen.

Beim Versuch der Bestimmung einzelner Begriffe bewegt man sich auf einem wissenschaftlichen Minenfeld. Allein schon der Name der Indianersprache, ob Tupi, Tupi-Guaraní oder anders bezeichnet, führte und führt zu Streitigkeiten unter den Gelehrten. Das Gleiche gilt für Ableitungen bzw. Übersetzungen von Wörtern, bei denen man auf unterschiedlichste Ergebnisse trifft. Diese Schwierigkeiten beruhen darauf, dass a) die Indianersprachen keine Schriftsprachen waren, b) ihre Erforschung von Personen durchgeführt wurde, die aus einem vollkommen anderen Kulturkreis stammten, c) der Grund für die Erforschung nicht wissenschaftlicher Natur war, sondern aus Gründen der leichteren Missionierung und wirtschaftlichen Ausbeutung geschah, d) die Quellenlage aus der damaligen Zeit sehr dürftig ist, e) religiöser Glaube und Fanatismus, Mythen und die abstrusesten Vorstellungen über das Wesen dieser "Neuen Welt" mit in die Betrachtungen und Vorstellungen über den Ìndio und seine Sprache einflossen, f) Abgrenzungen zwischen den Dialekten bzw. Sprachen auch eine politische Frage waren (wie die Abgrenzung zwischen Guaraní / Paraguay und Tupi / Brasilien als Folge des Paraguay-Krieges) und g) wir uns mit Brasilien in einem Gebiet befinden, das sich bis heute und trotz modernster Technik, die der Wissenschaft zur Verfügung steht, weigert, viele Geheimnisse und Erklärungen in der Weite und Undurchdringlichkeit seiner Natur preiszugeben.

Infokasten: Die línguas indígenas brasileiras

Die línguas indígenas, die Eingeborenensprachen Brasiliens, gehören zu der Familie des tronco ameríndio, den in Amerika vor der Ankunft der Europäer gesprochenen Sprachen, von denen heute noch circa 1000 existieren. In Nordamerika finden sich vier große Sprachfamilien: algonquino (bestehend aus 31 Sprachen), hoka (27 Sprachen), asteca (60 Sprachen) und na-dene (42 Sprachen). In Mittelamerika ist die der maia mit 68 Sprachen die größte, und in Südamerika gibt es fünf große Gruppen: aruák (19 Sprachen), jê (8 Sprachen), chibcha (22 Sprachen), karib (21 Sprachen) und tupi mit 21 Sprachen.

Die "brasilianischen" Índio-Sprachen können in zwei Stränge unterschieden werden. Zum einen das schon oben erwähnte tupi (tupi-guarani, arikém, juruna, mondé, mundurucu, ramarama, tupari). Zum anderen, das in Zentral- und Nordbrasilien verbreitete macro-jê (jê, bororó, botocudo, carajá, maxacali). Zusätzlich gibt es weitere 23 Sprachfamilien, deren Zuordnung aufgrund fehlender Gemeinsamkeiten oder mangelhafter Erforschung nicht möglich ist (karib, aruaque, araua, guaicuru, nhambiquara, txapacura, pano, catuquina, mura, tucano, macu, ianomâmi).

Zu dieser Gruppe gehört auch die am häufigsten gesprochene Índio-Sprache, tucuna, die heute noch von über 23.000 Menschen beherrscht wird. Die Zahl der Indianersprachen, die auf dem Gebiet des heutigen Brasiliens vor dem Beginn der europäischen Kolonisation gesprochen wurden, wird auf circa 1300 geschätzt. Allerdings müssen diese Schätzungen mit Vorsicht genossen werden, da es kaum verlässliche Hinweise auf die tatsächliche Anzahl einst existenter Sprachen gibt, aufgrund der Tatsache, dass es sich bei ihnen nicht um Schriftsprachen handelt. Heutzutage schätzt man die Zahl der immer noch existierenden Indianersprachen in Brasilien auf 190-200, die von etwa der Hälfte der 330.000 Índios (circa 0,2% der Gesamtpopulation Brasiliens) gesprochen werden.

Tupi, Tupi-Guaraní, Tupinambá oder nhe(e)ngatu?

"A raça selvagem, conhecida por TUPI e que em seu maior número habitava a América do Sul.... que se divida em numerosíssimos bandos formando famílias com nomes diferentes falavam em sua totalidade o NHEENGATÚ – nome este que significa – língua bela, quer sem "guaiacús" ou "aimorés" – quer se chamassem finalmente "TUPIS", "GUARANIS" ou "TAPUIOS". Daí a razão por que o idioma "NHEENGATU" ficou sendo conhecido pelos conquistadores da América Meridional, com o nome genérico de "LINGUA GERAL".
(Orlando Bordoni)

Tupi war zurzeit der Ankunft der ersten Portugiesen über das heutige Mittel- und Südbrasilien, Uruguay, Paraguay und Teile Boliviens verbreitet. Es weist, wie die anderen Sprachen des tronco ameríndio (siehe Infokasten), Gemeinsamkeiten mit Sprachen aus dem asiatischen Raum auf, so z.B. dem Sanskrit, Griechischen, Chinesischen, Japanischen, Malaiischen und Arabischen.

Ein Großteil der Küste von São Paulo, Rio de Janeiro und Espírito Santo war von Índios besiedelt, die Tupinambá (= o conjunto dos parentes consangüineos / Verbund blutsbrüderlich Verwandter) sprachen. Es war diese Sprache, die von den Jesuiten studiert und erstmals in schriftliche Form gebracht wurde, darunter João de Arronches "Caderno da Língua". Die Sprache entwickelte sich auch unter den europäischen Siedlern, die in regem Kontakt mit der indianischen Urbevölkerung standen, zur "língua mais usada na costa do Brasil" (der am meisten an der brasilianischen Küste benutzten Sprache), so der Titel des bekanntesten Werkes und der ersten und wichtigsten Grammatik für das Tupi-Guaraní des Jesuiten Anchieta, der zum Zwecke der Missionierung der Indianer sogar Theaterstücke in dieser "língua mais usada" schrieb. Sie wurde zeitweilig von bis zu 75% der europäischen Siedler Brasiliens gesprochen.

Der Name Tupi bedeutet pai supremo (tu-upi), oberster Vater oder auch início (Anfang) oder origem (Ursprung) (tub (pai) + y(b)). Daraus ergibt sich für die so benannten Indianer die Bezeichnung os que tem um pai comum, originários do pai (die von demselben Vater abstammen). Die Indianer selbst sprachen von nhe(e)ngatu, was soviel wie schöne Sprache bedeutet.

Guaraní steht für Krieger. Guaraní ist heute, neben Spanisch, Amtssprache Paraguays, und die paraguayanische Währung trägt ebenfalls diesen Namen. Das brasilianische Pendant bezeichnet man als Tupi. Diese Abgrenzung kann einer genauen Untersuchung nicht standhalten, da die Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen augenscheinlich sind. Sie ist wohl als eine Folge des Paraguay-Krieges anzusehen, an dessen Ende (1870) sich beide Länder von dem jeweiligen Nachbarn abzugrenzen suchten. Sowohl für das Guaraní als auch für das Tupi ist Anchietas Grammatik die Grundlage. Couto de Magalhães erklärt in seinem Buch "O selvagem" (Der Wilde), dass er sich mit seinem in Paraguay erlernten Guaraní vortrefflich mit den Eingeborenen des Amazonasbeckens verständigen konnte.

Hier einige Beispiele, die zeigen, wie eng das Tupi und das Tupi-Guaraní zusammen liegen:

Tupi Tupi-Guarani Portugiesisch Deutsch
ajura aju pescoço Hals
pirapora pirapó peixe bonito Schöner Fisch
caraíba carahy estrangeiro mau Schlechter Fremder
jaguara jaguá onça - cão Leopard
pungaba pungá Pulmão Lunge

Die Portugiesen sprachen oftmals eine Mischform aus Portugiesisch und Tupi, brasílico genannt. Hierbei vermischten sich portugiesischer und indianischer Wortschatz miteinander. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das aus dieser Zeit stammende Lied "Caranguejo andou uatú".


Die starke Stellung des tupinambá (bzw. Tupi) geriet erst durch die Vertreibung der Jesuiten in Folge der Reformen Pombals im Jahre 1759 ins Wanken. Jetzt setzte sich das Portugiesische endgültig als die offizielle Sprache der Kolonie durch. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt auch schon ein Großteil der indianischen Bevölkerung durch Sklavenarbeit, Seuchen oder Kriege getötet worden oder aber in unzugängliche Gebiete in Nord- und Zentralbrasilien geflüchtet bzw. vertrieben worden.

Tupinambá wird auch als tupi antigo oder als nhe(e)ngatu colonial bezeichnet, allerdings gibt es niemanden mehr, der sie beherrscht. Heutzutage wird eine moderne Form gesprochen, nhengatu oder tupi moderno.

Text + Fotos: Thomas Milz druckversion  

Nächsten Monat lesen Sie an gleicher Stelle den 2. Teil unserer Reihe "Tupi or not Tupi": Entwicklungen und Veränderungen als Resultat der Begegnung zweier Welten. Es bleibt weiterhin spannend!

Weitere Artikel zu Brasilien findet ihr im Archiv.







 
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