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[art_2] Chile: LAN geweile - alles falsch gemacht?

Manchmal will es der krude Zufall, dass wir in mehr oder wenige interessante Situationen schlittern. In meinem speziellen Falle war es das gerade abgeleistete Weihnachtsfest, das ich an Board einer Maschine von LAN verbringen durfte. Weihnachten also in hohen Lüften über dem Ozean. Ich war gespannt. Sehr sogar. In einer Maschine zu hocken, mit lauter unbekannten Gesichtern zusammen zu sein und sich mit Latino-Fluggästen am weihnachtlichen Abend zu berauschen. Und vielleicht hatte ja auch noch die Airline etwas vorbereitet, um sich an diesem Tage nicht lumpen zu lassen. Lasst den Champagner aus den Flaschen!

santiago de chile
Und ehrlicher bzw. normaler hinsichtlich der zu erwartenden kulturellen Unterschiede hätte mein Vierundzwanzigster gar nicht beginnen können: Natürlich hatte der Flieger um über zwei Stunden Verspätung - genügend Zeit also, um sich einen überteuerten Flughafenkaffee zu gönnen.

Der schmeckt zwar nicht wirklich gut, aber seinen Zweck erfüllt er klaglos, hilft dabei, die Augen beim Durchforsten des Zeitungsladens offen zu halten, um den einen oder anderen überbrückenden Lesestoff zu sichern.

Später, dem Lateinamerikafreund brauche ich an dieser Stelle nicht zu sagen, dass es nicht bei den zwei Stunden bleiben sollte, finde ich mich nach Abfertigung und diversen Methoden des Zeittotschlagens in der Wartehalle wieder. Gut gefüllt mit vielen dunklen Gesichtern. Drei haben ihre Gitarren ausgepackt und spielen gemeinsam ein paar Lieder. Leise höre ich Gesang und einige wenige Passagiere summen dazu. Na, das lässt doch hoffen auf ein lustiges Fest an Board der 737. Und später kommt ja auch noch Wein.

Leider, ich muss es an dieser Stelle vorweg nehmen, überträgt sich nichts von dem viel versprechendem Beginn der Wartehalle in den Flieger. Als ich schließlich meinen Sitzplatz erreiche, bin ich zwar umgeben von Chilenos, Peruanos, Brasileros und Argentinos, aber kein weiterer Gesang, kein einziger auch nur klitzekleiner Weihnachtsschmuck an Board und anscheinend Lachverbot, so finster schauen die meisten aus ihren Sitzen drein. Bleibt also nur der Wein, dem ich mich hingebungsvoll widme. Immerhin ist mein brasilianischer Sitznachbar João ein lustiger Geselle. Jung, studiert im Ausland und freut sich auf seine Familie in Rio de Janeiro. Und, auch das erfüllt mich mit Genugtuung, er erweist sich als freundlicher Mit-Trink-Kumpane. Da liegt es gewissermaßen auf der Hand, dass der Wein alsbald Gin und Rum zu weichen hat - ein wenig zum Missfallen der überaus bezauberten Stewardess. Aber allen kann man es schließlich auch am Weihnachtsabend nicht recht machen. Für unseren Vorschlag, doch gleich die jeweiligen Flaschen bei uns zu lassen - im Falle, dass wir sie nicht schaffen würden, hätten wir sie natürlich brav zurückgebracht - ernten wir ein müdes Lächeln und ein no se puede. Nun ja, so musste sie halt ein wenig hin und her rennen. Gesungen haben wir aber trotz der flüssigen Leckereien nicht. Geschlafen aber umso besser.

Nach Ankunft in Santiago, erfolgreicher Passkontrolle und den ersten Schritten auf chilenischem Boden bietet sich dem Betrachter zumindest ein, wenn auch winziges, geschmücktes Bäumchen im Ausgangsbereich, sofern der aufmerksame Blick ihn zwischen all den aufdringlichen Taxistas auszumachen vermag. Doch noch ist alles möglich; da ich die Datumsgrenze überflogen habe, ist immer noch der 24. Dezember.

Da sich meine deutsch-chilenischen Kontakte ganz unerwartet als eher müde Gesellen entpuppen, mache ich mich auf in die Innenstadt. Mit dem Bus versteht sich, denn Zeit besitze ich ja noch genug. Diego, ein Uruguayo aus Montevideo, den ich zufällig in einer Cafetería treffe, gibt mir den Tipp für ein nettes Hostal unweit des Zentrums an der Plaza Brasil. Er selbst wohne auch da und frei habe er obendrein, und grinsend merkt er an: "Also können wir schon eine Flasche Wein trinken."

Die Modalitäten für das Einchecken sind schnell erledigt und ein Gang zum Supermercado gibt mir schließlich wieder das Gefühl auf lateinamerikanischem Boden zu sein. Es gibt meine geliebten Empanadas, jede Menge gutes Fleisch, allerlei Süßigkeiten und natürlich ein gut sortiertes Weinregal und ja, auch den kitschigen Weihnachtskram, den niemand braucht. Nach einer ausgiebigen Unterhaltung mit einer chilenischen Familie probiere ich zwei ihrer Recomendaciones und anschließend noch zwei Flaschen nach meinem Geschmack. Weihnachten, ich komme.

Nun habe ich auch endlich Gelegenheit, mir das Hostal genauer anzuschauen. Ein Altbau, drei bis vier Meter hohe Decken, mit Stuck verziert und in herrlich bunten Farben.

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Ich bin hin und weg. In der Küche laufen unterdessen die Vorbereitungen für das abendliche Mahl auf Hochtouren. Cebiche steht auf dem Menue und sollte jemand dieses Sushi á la Peru nicht gutheißen, der kann auch pavita und carne a la brasa bekommen. Salat und Pommes gibt es dazu in rauen Mengen. Die Zeit bis zum Mahl überbrücken wir mit einer Flasche Merlot und nach drei Stunden ausgiebigen Essens mit Nachtisch, Trinken, Lachen und Flirten wird endlich auch das fünfzehnte Remix von Feliz Navidad ausgemacht und die erste Gitarre ausgepackt. Es gibt sie also doch noch, die berühmte fiesta latina, und als die ersten bekannten Töne aus den Saiten sprudeln, beginnen die Hüften zu kreisen. Dazu werden Löffel und Tisch zum Rhythmusinstrument umfunktioniert und sogar ein, zwei steife Europäer lassen sich von der Atmosphäre inspirieren.

Es sollte eine lange, lustige, lebendige Nacht werden. Weniger weihnachtlich im traditionellen, aber dafür umso wertvoller im übertragenen Sinne. Und auch wenn es niemand im Hostal an der Plaza Brasil so empfunden haben wird, es wurde tatsächlich ein Fest der Liebe und Harmonie. Irgendwie. Aber genau darum geht es ja beim Feiern im Latinoland! Nur im Flugzeug, da wollte dies alles noch nicht so klappen. Wahrscheinlich wussten da die Gäste schon, dass sie sich ihre Energie besser für später aufheben. Eine, wie ich meine, recht weise Entscheidung.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

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