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[art_1] Brasilien: Heiße Weihnacht
 
In den Supermärkten erklingen deutsche Weihnachtslieder, in den Straßen hängen riesige Weihnachtskugeln. Bei 35 Grad im Schatten beobachtet man das bunte Treiben am Strand und fragt sich, ob es wohl dieses Jahr zur weißen Weihnacht reichen wird.

Es wird mein erstes Weihnachten in Brasilien, und ich ahne bereits, dass es ziemlich anders sein wird als die letzten 29 in Deutschland. Erstens: statt immer kälter, wird es immer heißer. Die weiße Weihnacht, von der alle in Europa träumen, fällt wohl ins Wasser – hier ist Regenzeit und Hochsommer angesagt.

Zweitens: ich habe noch keine Tannenbäume gesehen, und beim derzeitigen Wechselkurs wird man kaum welche aus dem Ausland einfliegen lassen. Ein schwacher Trost ist da auch der aus grünen Klobürsten zusammengebaute und mit weißer Farbe besprühte Ersatzweihnachtsbaum irgendwie nicht, den ich für 30 Reais in einem Haushaltswarengeschäft gesehen habe. Drittens: welche Tiere würde der Weihnachtsmann hier wohl vor seinen Schlitten spannen? Oder nimmt er sich einen Strandbuggy?

In den Supermärkten türmen sich die Weihnachtsgeschenkpakete, vollgestopft mit Süßigkeiten und buntem Plastikspielzeug, und dazu plätschert „Stille Nacht, heilige Nacht“ aus den Lautsprechern – auf deutsch! Gibt es keine brasilianischen Weihnachtslieder? Schon fünf Wochen vor Weihnachten beginnen die Städte, sich in grelle Lichtdome zu verwandeln. Viele Bäume sind mit Lichterketten geschmückt, aber statt in sie in den Ästen zu platzieren, bindet man die Ketten um die Baumstämme. Und die Weihnachtsengel an den Marterpfahl?

Was wird wohl am Heiligen Abend passieren? Ich bin bei Freunden eingeladen. Sie werden einen nicht ganz christlichen Brauch praktizieren und vor und hinter dem Haus Champagner auf den Boden gießen, um das Heim vor Unglück zu bewahren. Danach ist ein pompöses Abendessen geplant, und um Punkt Mitternacht verteilt man die Geschenke, bevor man sich mit Caipirinha und Dosenbier auf den anschließenden Sommerurlaub einstimmt. Denn Weihnachtszeit ist Ferienzeit.

Zwischen Weihnachten und Neujahr strömt halb Brasilien an die Strände der 8.000 Kilometer langen Küste, um sich dort gegenseitig bei brütender Hitze auf den Füßen zu stehen und fünf mal so viel wie normal für ein Hotel zu bezahlen.

Weihnachten in Badehose statt Wintermantel, eiskalte Caipirinha statt heißem Glühwein, Fleischspieße statt Käsefondue, Wasserski statt Schlittschuhlaufen, Sonnenmilch statt Labello, Badelatschen statt Schneestiefel, Bananenboot statt Schlittenfahren, Sonnenbrand statt kalter Nase – alles wird anders sein. Und wenn ich auf meinem schneeweißen Surfbord die steile Sanddüne hinunterrutsche, um an ihrem Fuße sanft in das 28 Grad warme Meer hineinzugleiten, werde ich mich bestimmt an so manche weihnachtliche Schlittentouren erinnern und dabei leise feliz natal – frohe Weihnachten flüstern.

Text + Fotos: Thomas Milz

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