caiman.de 12/2013

[kol_2] Macht Laune: Beinfreiheit in Asunción
 
Früher war alles besser, jeder weiß das. Schauen Sie sich alte Postkarten von Linienflügen über den Atlantik an – großzügige Sitze wie in Opas Wohnzimmer, rauchen durfte man auch. Und natürlich diese unglaubliche Beinfreiheit.

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Beinfreiheit! In Zeiten des konstanten Reisens, wie wir es heutzutage erleben, gibt es kaum ein bedeutenderes Schlagwort als Beinfreiheit. Wer sich ständig in die engen Sitze moderner Düsenflieger quälen muss, der weiß um die Bedeutung einiger Extra-Zentimeter.

Der Fortschritt hat uns viele Segnungen gebracht, Beinfreiheit und Reisekomfort zählen jedoch nicht dazu. Noch in den 80er Jahren konnte man Zugreisen durch Europa am offenen Fenster genießen; heute gibt es in den Schnellzügen leider keine zu öffnenden Fenster mehr.

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Und die Toiletten in Zügen und Flugzeugen scheinen auch eher für Zwerge gemacht als für normale Menschen. Der heutige Bordservice serviert Coca Cola Zero und Erdnüsse statt zünftiger Alkoholika. Experten meinen, dass dies halt so sein müsse. Der Reisende langweilt sich dabei jedoch gehörig ob solcher Spießigkeiten.

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Umso erstaunlicher erscheint dem an Qualen gewöhnten Touristen da eine Entdeckung in Paraguays Haupstadt Asunción. Wer die Estación Central de Ferrocarril besucht, den ersten Bahnhof Südamerikas überhaupt, dem eröffnen sich neue Welten. Das dortige Eisenbahnmuseum zeigt die ersten Züge, die ab 1861 durch die Dschungel und über die Savannen jenes Landes tuckerten.

Großzügige Ledersessel, Doppelbetten für müde Reisende, Toiletten größer als daheim! Und dazu eine mit feinem Whiskey ausgestattete Bar – ein Paradies für Reisende. Welch Luxus, Paraguays unerträgliche Temperaturen von über 40 Grad mit einem kühlen Drink runter zu spülen.

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Aber wie alles im Leben währte auch Paraguays hölzerner Luxuszug nicht ewig. Seit 1999 stehen die Räder still, fristet der Dampf-Dinosaurier seine Tage als zahnloser Museumstiger. Was bleibt ist immerhin die Erinnerung an Zeiten, in denen das Reisen purer Luxus war. Und an Beinfreiheit noch keine Gedanken verschendet werden mussten.

Text + Fotos: Thomas Milz

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