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[kol_2] Amor: Machu Picchu - Hiram Binghams ewige Liebe

In den peruanischen Anden, 110 Kilometer von Cusco entfernt. Es ist der 24. Juli 1911. Der amerikanische Geschichtsprofessor und Hobbyarchäologe Hiram Bingham ist mit seiner Expedition hinauf durch das Urubamba-Tal bis hierhin vorgedrungen.



Bingham hat einen Lauf. Es ist sein Sommer. Innerhalb weniger Monate hat er auf der Suche nach der letzten Inkastadt mit seiner Expedition eine Ruine nach der anderen entdeckt. Sein hektisches Vordringen lässt seinem Team oft kaum Zeit, die Fundstellen vollständig zu dokumentieren und ihre genaue Position in die Landkarten einzutragen. So versinken einige dieser Orte nach Binghams Besuch wieder im satten Grün des Urwaldes und können erst Jahrzehnte später erneut entdeckt werden.

An diesem Tag jedoch scheint seine Suche nach der letzten Stadt der Inkas erfolgreich zu sein. 1537, fünf Jahre nach der spanischen Eroberung des peruanischen Inkareichs, gründete der gegen die Spanier aufständische Inka Manco an einem Ort namens Vilcabamba einen neuen Inkastaat. Bis 1572 sollte dieser Parallelstaat den Spaniern trotzen. Dann machte eine spanische Expedition dem Treiben ein Ende. Sie töteten den letzten Inka Tupac Amaru, fanden jedoch nie Vilcabamba. Bingham ist besessen von der Idee, diesen bisher unbekannten letzten Zufluchtsort der Inkas zu entdecken.


Und so ist er wie elektrisiert, als er am Ufer des Urubamba auf den Bauern Melchor Arteaga trifft, der ihm von Ruinen auf dem hoch über dem Tal aufragenden Cima Vieja erzählt, dem Alten Gipfel, was auf Quechua Machu Picchu heißt. Sofort lässt sich Bingham zusammen mit seinem Übersetzer von Arteaga hoch auf den Berggipfel führen. Der Rest der Expedition bleibt im Tal zurück.

Was Bingham dort oben entdeckt, fasziniert ihn dermaßen, dass er sich zeitlebens nicht mehr von seiner Meinung abbringen lassen wird, mit Machu Picchu die letzte Inkastadt entdeckt zu haben. Mehr noch, er ist sogar davon überzeugt, dass Machu Picchu gleichzeitig den Ort darstellt, an dem der erste Inka überhaupt geboren wurde. Beginn und Endpunkt des Inkaimperiums, vereinigt am magischen Ort, 2400 Meter über dem Meeresspiegel. Keine jemals von Menschenhand geschaffene Stadt kann ein solch großartiges Panorama aufweisen, einen 360° Blick über die mit dichtem Urwald bedeckten Andenhänge, die fast immer in vom Amazonaswald heraufziehende Wolken gehüllt sind.

Zwischen 1912 und 1915 legen Bingham und sein Team die Ruinen auf dem 500 x 800 Meter großen Bergsattel frei, ohne Rücksicht auf spätere Archäologengenerationen zu nehmen. Normalerweise belässt man Teile einer Fundstelle in ihrem ursprünglichen Zustand, um für zukünftige Fortschritte in der Grabungsforschung noch was vom Fund übrig zu lassen.


Doch Bingham ist nicht zu stoppen. Während zeitgleich im weit entfernten England Sir Arthur Conan Doyle seinen Roman "The Lost World" verfasst, in dem ein Forscherteam auf einem Hochplateau mitten im Amazonas eine längst untergegangen geglaubte Welt voll urzeitlicher Geschöpfe entdeckt, gräbt sich Bingham immer tiefer in seinen augenscheinlich wahr gewordenen Traum der Auffindung der "lost city of the Incas" (Unter diesem Titel veröffentlichte Bingham später sein Buch über die Entdeckung Machu Picchus).

Er findet, neben 220 Silber-, Kupfer- und Bronzeobjekten und 550 Keramiken auch 135 menschliche Skelette. 109 von ihnen sollen weiblich sein, und so wird die Legende der letzten Zufluchtsstätte der "Sonnenjungfrauen", der Liebesdienerinnen der Inkas, geboren. Noch heute erzählen die Touristenführer diese Geschichte. Dabei geht die Legende wohl auf einen Fehler von Binghams Forscherkollegen George Eaton zurück. Er bestimmte die Skelette anhand der Schädelgröße, ohne dabei zu berücksichtigen, dass sich in der Andenregion, anders als in Europa oder Nordamerika, die Schädel von Frauen und Männern kaum unterscheiden. Später durchgeführte Untersuchungen anhand der Beckenknochen ergaben, dass das Verhältnis zwischen Männern und Frauen etwa ausgeglichen war. Doch der Mythos sollte stärker sein.


Welche Funktion Machu Picchu letztlich für die Inkas hatte, kann wohl nicht endgültig geklärt werden. Wahrscheinlich diente es als zeitweiliger Inka-Sitz, wenn der Winter in der 1000 Meter höher gelegenen Hauptstadt Cusco zu kalt wurde. Sicherlich besaß die Stadt auch eine militärische Bedeutung, da man von ihr aus das Tal des Urubamba überblicken kann. So diente Machu Picchu wohl als Frühwarnposten für Cusco.

Die letzte Inkastadt, das legendäre Vilcabamba, wie Bingham glauben wollte, ist Machu Picchu jedoch niemals gewesen. Das wirkliche Vilcabamba wird erst 1964 von Gene Savoy in der Nähe von Espíritu Pampa entdeckt. Oder besser gesagt, wieder entdeckt. Denn mehr als 50 Jahre vor Savoy waren Teile der Ruinen bereits von einer anderen Expedition gesichtet worden. Deren Anführer, ein hektischer Professor namens Hiram Bingham, hatte sich jedoch kaum Zeit genommen, die Ruinen und ihre wirkliche Ausdehnung zu untersuchen, hielt sie deshalb für viel zu klein und zu unpompös und liess sie links liegen. Bingham sollte nie erfahren, wie nah er damals seinem Ziel war, die letzte Inkastadt zu finden.

Text + Fotos: Thomas Milz

Als Lektüre unbedingt zu empfehlen:
Hugh Thomson: The White Rock – An Exploration of the Inca Heartland, Weidenfeld & Nicolson, 2001
Hiram Bingham: Lost City of the Incas
Sir Arthur Conan Doyle: The Lost World, Dover Publications, 1998