caiman.de 11/2009

[art_1] Brasilien: Katzenjammer nach der Feier?
Olympia 2016 in Rio und die Folgen
 
Groß war der Jubel der gut 30.000 Menschen, die sich am Freitag den 02. Oktober am Strand vor dem weltberühmten Hotel Copacabana Palace versammelt hatten. Genau um 14.15 Uhr Ortszeit hatte IOC-Präsident Jacques Rogge den Umschlag geöffnet und das Ergebnis verkündet: die Olympischen Spiele 2016 werden in der "cidade maravilhosa" stattfinden.

Während die Cariocas lauthals sangen, fielen sich im fernen Kopenhagen die Mitglieder der brasilianischen Delegation um den Hals. Es könnte sein schönster Tag überhaupt gewesen sein, sagte ein in Tränen aufgelöster Lula, der kurz darauf und schon wieder etwas gefasster das Ende Brasiliens als "Land der zweiten Klasse" verkündete.

So manche Nachrichtenagentur vermeldete, dass die Menschen die ganze Nacht durch tanzten. Schluss war allerdings schon am späten Nachmittag jenes Freitags der Verkündung. Mit der untergehenden Sonne gingen auch die Menschen wieder nach Hause. Doch Freude und Aufbruchsstimmung waren bei den Cariocas eingezogen.

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Nur wenige Tage später geriet Rio de Janeiro plötzlich wieder in die Schlagzeilen der weltweiten Presse. Drogendealer aus der Favela Morro dos Macacos hatten während eines 12 Stunden langen Feuergefechts mit einer Spezialeinsatztruppe einen Hubschrauber der Polizei abgeschossen. Drei Polizisten starben an den Verbrennungen. Am Ende des Gefechts kamen zu der gruseligen Bilanz noch einmal 19 getötete "Verdächtige" und drei wohl unbeteiligte und trotzdem tote Jugendliche hinzu. Seitdem jagt die Polizei in Rio die Angehörigen der Bande – auf etwa 50 wird die Zahl der mit dem Vorfall in Verbindung gebrachten Toten bereits geschätzt.

Während Rio und der Rest Brasiliens noch im Schockzustand verharrten, stellte die internationale Presse schon die Sicherheit der Spiele von 2016 in Frage. Hatte Rio doch in seiner Bewerbung besondere Anstrengungen hinsichtlich des Sicherheitsaspektes in Aussicht gestellt. Und nicht nur das – Präsident Lula hatte die Prognose gewagt, dass nach den Milliardeninvestitionen in die Olympiastadt bis 2016 das Favela-Problem gelöst sei.

Da liegt jedoch noch viel Arbeit vor den Behörden. Man schätzt, dass jährlich etwa 2.000 Angehörige der sich untereinander bekämpfenden Drogenbanden in den Favelas sterben. Dazu kommen mindestens 1.000 von der Polizei getötete Bandenmitglieder. Anderen Angaben zu Folge könnten die Zahlen auch höher liegen, die Sprache ist von bis zu 6.000 Toten in den Favelas von Rio jedes Jahr.

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"Die Favelabewohner sind zwischen zwei Monstern eingekeilt. Auf der einen Seite Drogenbanden und Milizen, extrem gewaltsame kriminelle Gruppen, und auf der anderen Seite eine Polizei, die ebenfalls äußerst gewalttätig ist", meint Ignacio Cano, Professor der Landesuniversität Rio de Janeiros. "Die Polizei ist nicht in den Favelas um die Menschen zu beschützen, sondern um den Rest der Stadt vor denen zu schützen, die dort wohnen."

Beide Seiten sind mittlerweile hochgerüstet. Während die Polizei mit gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern in den Kampf zieht, verfügen die Drogenbanden über moderne Feuerwaffen, die auch in der Lage sind Hubschrauber abzuschießen.

Im brasilianischen Kabinett ist bereits angedacht, die Ausgaben für die Sicherheit der Stadt zu verdreifachen, um bis 2016 für die nötige Ruhe zu sorgen. An Polizisten mangele es eigentlich nicht, meint Cano. "Es ist eher das Problem, wie öffentliche Sicherheit empfunden und durchgeführt wird. Die öffentliche Sicherheit wird als eine extrem militarisierte Sache verstanden, so dass alle Antworten stets militärisch ausfallen. Die Polizei ist "militar", das Training ist militarisiert, man denkt in Schemata wie "Beherrschung eines Gebietes, Eindringen in ein Gebiet." – Das alles fordert viele Opfer, bringt aber keine Sicherheit."

Für die Durchführung der Olympiade sieht Cano jedoch keine Gefahr. "Immer dann, wenn es eine Großveranstaltung in der Stadt gibt, ist Sicherheit kein großes Problem. Zum einen, weil diese Events in spezifischen Gebieten der Stadt durchgeführt werden, die ausreichend geschützt sind. Zum anderen bringen diese Events der Stadt Einnahmen und schon bei den panamerikanischen Spielen 2007 gab es eine sehr erfolgreiche Strategie der Regierung: man verteilt Geld in den Comunidades, stellt die Jungendlichen als Touristenführer ein, sorgt damit dafür, dass die Menschen merken, dass dieses Event der Stadt einen ökonomischen Vorteil bringt. Und die Polizei startet auch keine größeren Aktionen in dieser Zeit."

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So wird es wohl auch 2016 sein, wenn hunderttausende von Touristen erwartet werden. "Die Touristen, die kommen, haben höchstens mal mit kleinen Diebstählen zu tun, eine Kamera wird geklaut, nichts Schlimmes also. Für einen Touristen ist Rio nicht viel gefährlicher als viele andere Metropolen der Welt. Rio ist gefährlich für die armen Bewohner der armen Gegenden von Rio de Janeiro."

Ende Oktober trafen Vertreter des IOC in Rio ein, um die ersten Schritte zur Vorbereitung der Olympiade mit den Regierenden abzusprechen. Fest steht, dass die Spiele teuer werden. Bislang sind gut 28 Milliarden Reais eingeplant. Es könnte aber auch mehr werden. Präsident Lulas Staatskanzleichefin und mögliche Präsidentschaftskandidatin für 2010, Dilma Rousseff, hat vorsorglich schon mal versichert, dass auch Ausgaben jenseits der 30 Milliardengrenze von der Regierung abgesegnet werden.

In Rio hofft man auf ein lukratives Geschäft. Auf jeden vom Staat investierten Dollar sollen noch einmal 3,30 Dollar von der Privatwirtschaft kommen. Jährlich 120.000 Arbeitsplätze sollen durch Olympia geschaffen werden, die Hälfte davon direkt in der Stadt Rio de Janeiro selber. Ob die Hoffnungen in Erfüllung gehen, wird sich zeigen. Letzte Woche jedenfalls sah sich die Regierung gezwungen, staatliche Kreditlinien von etwa 5 Milliarden Reais für den Bau der 12 Stadien für die Fußball-WM 2014 einzurichten. Eigentlich hatte man gehofft, dass das Geld von der Privatwirtschaft kommen würde.

Text + Fotos + Videos: Thomas Milz

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http://www.caiman.de/10_09/art_2/index.shtml

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