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[art_2] Brasilien: Mut zur Lücke
Die 28. Biennale in São Paulo

An Zeit und Geld habe es gemangelt, meinten die beiden Kuratoren im Einklang. Und wer dieser Tage den 1953 von Oscar Niemeyer entworfenen Pavillon der Biennale im Ibirapuera-Park von São Paulo betritt, der erkennt, dass dem wohl so sein muss. Arg karg ist sie schon ausgefallen. Manch einer meint sogar, sie ist irgendwie komplett ausgefallen, diese 28. Biennale in Brasiliens Megacity.

Die Kuratoren jedoch halten wiederum ihre Idee für sehr ausgefallen - aus der Not eine Tugend machen. "Wir leben in einer Kultur des Überflusses zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts und vielleicht sollten wir uns einmal dem Fehlen von etwas widmen, und wie dieser Aspekt des Fehlens fundamental für das ist, was uns antreibt. Damit wir beginnen, neue Lösungen zu suchen und Alternativen zu erdenken", meint der Kurator Ivo Mesquita.

Pavillion von Oscar Niemeyer
Ana Paula Cohen

Nicht einmal ein Jahr vor dem Eröffnungstag, dem 25.Oktober, wurde er gemeinsam mit Ana Paula Cohen als Kurator ernannt. Vorangegangen waren Jahre künstlerischer Ratlosigkeit und finanzieller Undurchsichtigkeiten rund um die zweitälteste Biennale der Welt. Zwischendurch glaubte man, die Biennale stehe sogar vor dem endgültigen Aus.

"In den letzten 10 Jahren hat es immer wieder Konferenzen über den Sinn von Biennalen gegeben. Manche sagen: Wofür brauchen wir sie überhaupt?", sagt Ana Paula Cohen. "Ich verteidige die Biennale São Paulo immer mit dem Argument, dass sie eine lokale Bedeutung hat. Und sie ist wichtig, um zu erkennen, dass es einen spezifischen Blickwinkel auf das internationale System von hier aus gibt, von São Paulo aus. Und diesen anderen Blickwinkel auf die Gegenwartskunst von hier aus aufzuzeigen, ist wichtig für die Biennale."

Worin jetzt aber letztlich dieser spezifisch-lokale Blickwinkel auf das internationale Gegenwartskunstgeschehen besteht, bleibt dem suchenden Blick der zahlreich zur Eröffnung erschienen Besucher verschlossen. Da gibt es Videoinstallationen, auf denen die altbekannten Kunstkurzfilme flackern. Und Soundinstallationen, in denen Eisennägel über Eisendosen gezogen werden und der so gewonnene Klang über Lautsprecher durch das Erdgeschoss des Pavillons verschallt wird.

Doch es gibt auch etwas wirklich einzigartig Neues: der zweite Stock ist komplett leer. "Immerhin kann man so die Architekturkunst von Herrn Niemeyer bewundern", äußert sich ein Besucher. "Das ist überhaupt das Allerbeste an der ganzen Ausstellung", so ein anderer. Man habe nicht krampfhaft die 30.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche füllen wollen, sagt Ana Paula Cohen. Ein Ort des Luftholens in unseren Zeiten des Überflusses, siehe oben. Mut zur Lücke also.

"Die Biennale von São Paulo benötigt nach 57 Jahren eine Aktualisierung ihres Sinnes. Denn viel von dem, was sie am Anfang der 50er, zur ersten Biennale, als Ziel angekündigt hat, ist erreicht worden", meint Ivo Mesquita. "São Paulo hat sich in ein internationales Kunstzentrum verwandelt und die brasilianischen Künstler sind in lebendem Kontakt mit dem Rest der Welt und zirkulieren in diesen Kreisen. Aber jetzt fragt man sich: was ist denn der "lebende Kontakt" für die Kunst im 21. Jahrhundert?"

Der "lebende Kontakt", so das Motto der Biennale, besteht vielleicht in der Bibliothek im dritten Stock, in der 214 Ausstellungskataloge von Biennalen aus aller Welt zum Schmökern freigegeben sind. Ob einen dabei wohl die Begeisterung packt? Vielleicht aber auch nicht, denn so wirklich lebendig sind Bibliotheken ja dann doch irgendwie auch wieder nicht.

Ivo Mesquita + Ana Paula Cohen
Pavillion von Oscar Niemeyer

Laut der Kuratoren sehe man die diesjährige Biennale sowieso eher als Ort des Zusammenkommens. Über Sinn und Zweck der Institution Biennale an sich wolle man nachdenken und in täglichen Symposien diskutieren. Ob das so spannend wird für die erwarteten 1.000.000 Besucher? Immerhin kann man von den oberen Stockwerken aus durch zwei Plexiglasröhren runter in den Eingangsbereich zurückrutschen. Für manch einen mag dies schon Ansporn genug sein auf die Biennale zu kommen.

Der Pavillon von Niemeyer, den man derweil in seiner ganzen Leere wirklich genießen kann, könnte ein weiterer sein.

Text + Fotos: Thomas Milz

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