ed 10/2017 : caiman.de

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spanien: Die zwei Kathedralen im goldenen Salamanca
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


kuba: Traumhafte Duette
Interview mit der kubanischen Pianistin Marialy Pacheco
TORSTEN EßER
[art. 2]
peru: Nach fünf im Urwald
Fünf unvergessliche Dschungelerlebnisse in Peru
TOURISMUSPORTAL PERÚ
[art. 3]
spanien: Toledo - Weltkulturerbe und Marzipantorte bei 43° Grad
BERTHOLD VOLBERG
[art. 4]
hopfiges: Cintra, Sagres und Super Bock (Portugal)
TOM MILZ
[kol. 1]
erlesen: Barocke Liturgie und deutsche Siedler
Kunstmusik-Kolonialismus-Lateinamerika
TORSTEN EßER
[kol. 2]
sehen: Die Wahrheit über Franco
Spaniens vergessene Diktatur / Vierteilige Dokumentarreihe
ZDF
[kol. 3]
lauschrausch: Sofarnopolis
Matias Aguayo & The Desdemonas
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Spanien: Die zwei Kathedralen im goldenen Salamanca
 
Die kastilische Renaissance-Stadt Salamanca hat nicht nur die älteste Universität Spaniens (1218) und eine wunderbar harmonische Altstadt aus goldenem Sandstein zu bieten, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Aus dem Dutzend der wichtigsten Monumente dieses Städtewunders in der Steppe Kastiliens ragt nicht nur eine Kathedrale hervor, sondern (wie in Zaragoza und Plasencia) gleich zwei! Und eine schöner als die andere.

Begonnen wurde der monumentale Bau der Neuen Kathedrale mit dem höchsten Kirchturm Spaniens (110 Meter) in der spätesten Spätgotik im Jahr 1515 vom Architekten Gil de Hontañón. Voraus gegangen waren Jahrzehnte der Beratungen und eine Sammlung von Empfehlungen der Dombaumeister aus Toledo und Sevilla, wie man das Problem einer inzwischen viel zu klein gewordenen alten Kathedrale lösen könnte: Abriss und totaler Neubau oder (Teil-)Integration der alten Domkirche in die neue? Endlich wurde um 1510 beschlossen, die alte romanische Kathedrale, deren kostspieliger Hochaltar ja erst 50 Jahre zuvor vollendet worden war, komplett zu erhalten und die neue spätgotisch-platereske Kathedrale unmittelbar daneben zu errichten.

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Aber nur die Grundstruktur mit Bögen, Pfeilern und Gewölben der neuen Kathedrale sind noch gotisch, während die Fassaden in der Ausschmückung im plateresken Renaissancestil gestaltet sind und bei der Dekoration im Innern, vor allem was Chorgestühl und Kuppel betrifft, schon barocke Formen dominieren. Die Kuppel-Laterne musste nach dem Erdbeben von Lissabon 1755, das auch hier in Salamanca einige Gewölbe zum Einsturz brachte, erneuert werden, und wurde 1765 zum zweiten Mal vollendet. Barock ist auch die Hauptfassade auf der Westseite mit der Szene der Anbetung der Könige in Bethlehem.

Vor dem der Plaza de Anaya zugewandten Seitenportal im Renaissancestil kann man oft ganze Pulks von Touristen beobachten, die Gesichter und Kameras suchend nach oben recken. Was suchen sie? Bei Restaurierungsarbeiten in der letzten Dekade des vergangenen Jahrhunderts integrierte ein kunstvoller Spaßvogel unter den Restauratoren die inzwischen berühmte Mini-Skulptur eines Astronauten (1993) in die Reliefs des 16. Jahrhunderts. Und besonders Schulklassen oder andere Kindergruppen wetteifern darin, wer als erster den Astronauten in dem verschnörkelten Dekorations-Wirrwarr der nördlichen Portalfassade entdeckt.

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Im Innenraum der neuen Kathedrale, die durch ihre Weite und die reich verzierten Gewölbe verzaubert,  befinden sich neben der imposanten Kuppel viele faszinierende Kunstwerke. Die schöne und tragische Pietà vom Barockbildhauer Salvador Carmona (1763) mit der Madonna im blutroten Kleid und dem toten Erlöser im Schoß, die entzückende Madonna mit Kind und wehendem blauen Mantel von Luisa Roldán, Spaniens größter Bildhauerin aus Sevilla (ca. 1790), eine halbnackte Skulptur Johannes des Täufers vom Renaissancekünstler Juan de Juni und ein Madonnenbild von Luis de Morales dem Göttlichen.

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Doch die alte Kathedrale übertrifft dann alles. Sie hat zwar viel bescheidenere Dimensionen (sie würde in die Neue Kathedrale etwa viermal hineinpassen) und entstand zwischen 1140 und 1280. Von außen wirkt sie unscheinbar - mit Ausnahme der außergewöhnlichen Kuppel, die durch  byzantinische und arabische Einflüsse geprägt wurde und sich mit extrem schlanken Fenstern und Türmchen und wie mit einem Schuppenpanzer bedeckt präsentiert. Doch innen entfaltet sie einen ungeahnten Zauber. Schon die frühgotischen Fresken von Anton Sánchez (ca. 1260) in der Turmkapelle sind beeindruckend und sehr gut erhalten. In einer Nische die Anbetung der Könige mit Stern von Bethlehem und darüber Christus von Engeln umrahmt und mit den Gesichtern von Sonne (feurig) und Mond (traurig und rätselhaft).

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Aber der Höhepunkt des Salmantiner Doppel-Tempels ist ohne jeden Zweifel der unfassbar grandiose Hochaltar der Alten Kathedrale, einer der drei oder vier schönsten der Welt. Die Gebrüder Nicolas Delli (genannt Nicolás Florentino) und Daniel Delli aus Florenz haben einen guten Teil ihres Lebens, ca. 20 Jahre,  damit verbracht, hier in 53 (!) Gemälden und einem darüber thronenden Halbkuppel-Fresko den gesamten Chorbogen auszufüllen (1425 - 1445). Allein hier könnte man Stunden lang verweilen, um alle Details zu würdigen und die prächtigen Farben in diesem spätgotischen Wunderwerk zu bestaunen. Über den 53 von vergoldeten gotischen Bögen eingerahmten Gemälden, die Szenen aus dem Leben von Jesus zeigen, erscheint ganz oben im Fresko der Auferstandene vor nachtblauem Himmel als Weltenrichter, der die Welt unter ihm von Posaunenengeln in Gut und Böse einteilen lässt: in Erlöste, die in den Himmel einziehen und in Verdammte, die in die Hölle gestoßen werden. Während wir dieses Apokalypse-Szenario heute vor allem als grandioses Kunstwerk wahrnehmen, werden viele Menschen des Mittelalters  bei seiner Betrachtung durchaus Angstzustände bekommen haben und schnell zur Beichte geeilt sein und Geld fürs Seelenheil gespendet haben.

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Auch die übrige Dekoration in der alten Kathedrale ist ähnlich beunruhigend und ebenso künstlerisch wertvoll. An den Säulenkapitellen und Gesimsen präsentieren sich prächtige Monster und Höllenkreaturen, von der bösen Phantasie ihrer Schöpfer vor ca. 700 Jahren in den Stein gehauen. Als Kontrast dazu, als ob man die verängstigten Gläubigen wieder beruhigen wollte, präsentieren sich hier aber auch schöne Heiligenfiguren wie die vergoldete Skulptur der heiligen Barbara mit dem Turm in der Hand in einer Seitenkapelle des Kreuzgangs sowie friedlich aussehende Sarkophag-Skulpturen mit Schwertern in der Hand, unter denen die Gebeine von lokalen Aristokraten seit Jahrhunderten schlummern.

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Es gibt wahrlich schlechtere Plätze für den ewigen Frieden und beim Verlassen der alten Kathedrale von Salamanca kann man als Lebender fast etwas neidisch werden auf die Toten, die hier umgeben von so viel Pracht und Herrlichkeit zur ewigen Ruhe gebettet wurden.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
http://catedralsalamanca.org/

Öffnungszeiten der beiden Kathedralen: April-September: von 10 bis 20 Uhr, Oktober - März von 10 bis 18 Uhr
Eintrittspreis: 4,75 Euro

Restaurants: an der Plaza Mayor (wenn man schon in Salamanca ist, sollte man diesen Blick auch beim Essen genießen) sind besonders zwei sehr unterschiedliche zu empfehlen (beide auf der Seite gegenüber dem Rathaus):
"Las Tapas de Gonzalo", Plaza Mayor 23, Tel. 923-271353, www.lastapasdegonzalo.es
Klassisches Restaurant bietet Spezialitäten der Region von hoher Qualität, v.a. Gerichte mit dem Fleisch des schwarzen iberischen Schweins und gegrillten Ferkelbraten, aber auch empfehlenswerte Überraschungen wie Salat mit Mango und Joghurteis oder Schweinshaxe mit Portweinsoße und getrüffelten Süßkartoffeln; sehr aufmerksamer, professioneller Service.

"La Tentazion de las Tapas", Plaza Mayor 18, Tel. 923-059636, www.latentazion.es
Bietet innovative, teils gewagte Tapas (z.B. Lachstartar mit Avocado, Entenleber mit Maracujaschaum, Medaillons vom iberischen Schwein mit Steinpilzsoße, Krebsfleisch im Tempurateig mit Kimchi-Soße) und eine exzellente Weinauswahl mit besonders guten Entdeckungen aus den Anbaugebieten Toro und León. Leider sind die Kellner oft überfordert und teils unprofessionell.

Einkaufen: Im authentischen Laden "J. Sanz" Salamanca (C. San Pablo 2, Tel. 923-263531; www.jamonesjsanz.es) erhält man Spezialitäten wie Schinken und Wurstwaren vom schwarzen iberischen Schwein (und zwar vom feinsten) sowie als besondere Spezialität Empanadas, die mit Lomo ibérico oder Chorizo gefüllt sind und beste kastilische Rotweine (Ribera del Duero, Toro und León).

[druckversion ed 10/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Kuba: Traumhafte Duette
Interview mit der kubanischen Pianistin Marialy Pacheco
 
Die kubanische Pianistin Marialy Pacheco, die "größte unter den jungen Pianotalenten" wie Chucho Valdès sie lobte, hat sich auf ihrem neuen Album ein paar Träume erfüllt. Und: Sie ist nun deutsche Staatsbürgerin.

Wie hast Du Dir deine Duett-Partner ausgesucht?
Begonnen hat alles damit, dass Eva Bauer mich fragte, ob ich nicht noch eine Platte machen wolle. Dann habe ich mit meinem Manager Klaus [Wingensiefen] überlegt, was ich machen könne, und da ich zuvor schon solo und im Trio Alben aufgenommen hatte, kamen wir auf Duette. Ich habe dann eine Liste von meinen Lieblingsmusikern erstellt, Musiker mit denen ich schon lange zusammen spielen wollte. Da standen Pat Metheny, Mariza, Avishai Cohen, Michel Camilo u.a. drauf, eine "Traumliste" eben. Wir haben alle angeschrieben und Miguel Zenón, Hamilton de Holanda, Omar Sosa und Max Mutzke haben spontan zugesagt, andere hatten keine Zeit, und manche haben nicht geantwortet. Bei Michel Camilo hat sein Label einer Zusammenarbeit nicht zugestimmt.

Mit Omar Sosa geht es los...
Ich wollte unbedingt mit einem Pianisten - oder zwei – Titel einspielen. Mit Omar bestand bereits Kontakt, einmal weil er mir zu meiner Platte "Introducing…" gratuliert hatte und zum anderen weil er meine Tante auf Kuba kennt. Sie ist auch Musikerin und ich hatte ihm bei einem Konzert Grüße von ihr bestellt. Als er das Konzept von "Duets" gelesen hat, war er sofort dabei. Sowohl er wie ich haben zum ersten Mal mit einem anderen Pianisten etwas eingespielt. Aber obwohl wir unterschiedliche Spielweisen haben, gibt es sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen uns. Das hört man besonders gut auf dem Bonustrack. Das war eine Probe, von der wir nicht wussten, dass der Techniker sie mitschneidet. Wir kamen rein, ich habe mich an meinen Bösendorfer gesetzt, Omar an einen Steinway und dann haben wir angefangen. Der reguläre Titel auf der CD ist von Omar. Er ist ein sehr spiritueller Mensch und so ist auch sein Stück, wunderbar tief und spirituell.

Erlebt man Duette mit zwei Pianos so selten, weil dort die Gefahr der Konkurrenz größer ist?
Vielleicht, aber bei uns war das kein Problem. Wir sind uns da sehr ähnlich: es geht nicht um Konkurrenz, sondern um den Dialog. Das ist übrigens auch meine Herangehensweise bei den anderen Duetten. Bei mir geht es immer nur um die Musik. Ich denke, als Profi muss man irgendwann an einen Punkt kommen, wo es nicht mehr wichtig ist, sich profilieren zu müssen.

Haben alle Duett-Partner Stücke mitgebracht?
Bei der Auswahl der Musiker war mir wichtig, dass sie eine starke musikalische Identität haben, dass man sie mit geschlossenen Augen nur am Klang erkennt. Also musste ich Stücke aussuchen, die das unterstreichen. Von Hamilton habe ich viele Platten durchgehört und dachte bei "Capricho do sul", dass es sich gut auf Klavier übertragen lässt, denn das ist nicht so einfach von der Mandoline her, bei der alles nah zusammen liegt. Außerdem gibt es harmonisch Platz für Improvisation, das war mir wichtig, und es ist rhythmisch, denn wir haben ja sonst keine Begleitung.

Bei Miguel und seinem Klang dachte ich direkt an "La comparsa" von Ernesto Lecuona und konnte mir die Melodie schon auf dem Saxophon vorstellen. Ich kriege immer noch eine Gänsehaut, wenn ich höre, wie er beginnt zu spielen. Wir haben zwei takes gebraucht, fertig, auch weil ich wusste, dass er sich mit dem Stück identifizieren konnte. Kuba und Puerto Rico liegen ja nicht so weit auseinander.

Max habe ich auf einem Festival getroffen und wollte unbedingt etwas mit ihm aufnehmen. Das Stück von ihm ist auf seiner Platte sehr poppig, aber ich dachte direkt daran, daraus eine Jazzballade zu machen. Max erzählte dann, dass er diesen Song bisher nie live gesungen habe, aber es mit meinem Arrangement gerne machen würde.

Mit Rhani spiele ich momentan ohnehin in einem Duo-Projekt. "Burundanga" ist ein Arrangement, das ich zunächst für mein Trio geschrieben habe. Der Titel ist perfekt für Rhani. Da kann er alles zeigen, es gibt ruhige Passagen, aber eben auch den groovigen Mittelteil.

Joo wiederum arbeitet sehr viel mit Effekten bei seiner Trompete. Darum habe ich meinen Titel "Metro" ausgewählt, der dadurch spaciger wird, und in dem es um den Traum von einer U-Bahn in Havanna geht.

Bei der Auswahl aller Titel habe ich mich immer an der Persönlichkeit der "Jungs" orientiert.

Warst Du nochmal in Havanna?
Vergangenes Jahr habe ich ein Privatkonzert für den Deutschen Botschafter dort gegeben, zusammen mit meinem Bruder, der auch Pianist ist. Danach spielten wir noch ein Konzert im Theater Bellas Artes.

Und wann wird Havanna eine Metro haben?
Niemals (lacht!).

Dann passt der Science-Fiction-Sound von Joo Kraus ja gut…
Ja, genau, das ist Science Fiction…

Wie kamst Du auf die Idee, mit Dir selbst im Duett zu spielen?
Das ist Klaus schuld. Es sagte, wenn ich mit anderen spiele, dann solle ich doch auch mit mir im Duett spielen. Ich war überrascht, aber fand die Idee dann cool. Und dann habe ich mir noch einen Titel von Lecuona ausgesucht und ihn für zwei Flügel arrangiert. Der Studiotechniker war verwirrt als ich erst den einen und dann den anderen Part aufnahm. Dann habe ich das gleiche mit dem mexikanischen Volkslied "La bikina" gemacht. Und mit dem "Imperial" klingt das wie ein Orchester. Er hat ja fünf schwarz gemalte Extra-Tasten mit tiefen Tönen, die den Resonanzkörper vergrößern. Spielen tut man sie normalerweise nicht, aber der Klang ist trotzdem wahnsinnig.

Wenn ich die international bekannten Jazzpianisten aus Kuba aufzähle, ist nur eine Frau dabei: Du! Wie kommt das?
Das ist richtig, einerseits cool, andererseits werde ich manchmal nicht so ernst genommen wie die Männer. Ich muss immer ein wenig mehr kämpfen, denn 1. bin ich Latina, da kommen dann schon viele Klischees hoch und 2. eine hübsche Frau, darum denken viele ich müsste auch singen… die Frage danach hasse ich am meisten, zumal ich keine schöne Singstimme habe. Und Musik sollte nichts mit dem Aussehen zu tun haben. Für mich geht es immer nur um Qualität, egal ob Frau oder Mann. Aber nach meinem Konzert ist das dann auch klar.

Das gute kubanische Musikerziehungssystem durchlaufen ja auch viele Frauen, zumindest habe ich am Konservatorium in Havanna viele gesehen. Wo bleiben die danach?
Für den Jazz kann ich sagen, dass der Weg dorthin hart ist. Denn wir werden ja klassisch ausgebildet und wenn du Jazz spielen willst, musst du dir das selbst beibringen: von Platten, auf der "Straße" etc. Ich wollte das unbedingt, aber das halten Frauen vielleicht nicht so gut durch. Und auch in den populären Salsa-Bands, wo man etwas anderes lernen könnte, werden i.d.R. als Musiker nur Männer engagiert, die Frauen dürfen singen. Und dann kommt noch das überall gleiche Problem hinzu: Frauen wollen evtl. Familie haben und das kollidiert dann mit einer Musikerkarriere.

Marialy Pacheco
Duets
Neuklang 2017

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

Tourtermine:
22.09. Viersen, Jazzfestival
26.09. Berlin, Piano Salon Christophori

[druckversion ed 10/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: kuba]





[art_3] Peru: Nach fünf im Urwald
Fünf unvergessliche Dschungelerlebnisse in Peru
 
Das Amazonasbecken ist, neben den Anden und der Pazifikküste, eine der drei großen Regionen Perus und macht über die Hälfte der Fläche des südamerikanischen Landes aus. Kein Wunder also, dass ein Besuch im Dschungel viel Raum für ganz besondere Erlebnisse bietet. – So könnte ein abenteuerlicher Tag im peruanischen Regenwald aussehen:


Boot im Regenwald, Region Loreto (Inquitos)

Foto: PromPerú

Sonnenaufgang mit Delfinen
Der Amazonasdelfin unterscheidet sich von anderen Flussdelfinen in seiner Farbe, denn bis auf seinen grauen Rücken ist er strahlend rosa gefärbt. Die zweite im Amazonas vorkommende Delfinart ist der Sotalia. Im Alter verwandelt sich seine Farbe von grau bis nahezu weiß. Eine Begegnung mit diesen seltenen und wunderschönen Tieren in exotischer Umgebung ist ein perfekter Start in den Tag. Gern begleiten die Delfine das Boot  für eine Weile und lassen sich so perfekt beobachten.


Grauer Flussdelfin, Region Loreto (Inquitos)

Foto: PromPerú

Flossfahrt auf dem Amazonas
Im Regenwald spielt sich ein Großteil des Lebens auf dem Wasser ab, der Amazonas und seine Nebenflüsse sind Lebensadern und Transportwege für die Dschungelbewohner. Wie könnte sich also der Urwald authentischer erfahren lassen als vom Wasser aus? Eine besondere Erfahrung ist es, unter Anleitung des Guides aus den Baumstämmen und Lianen am Ufer ein eigenes Floss zu bauen und mit diesem den reißenden Strom hinunter zu schippern. Wer nicht nass werden möchte, sollte hier besonders sorgfältig ans Werk gehen!


Papagai, Reservat Tambopata (Puerto Maldonado)

Foto: PromPerú


Piranha-Fischen mit anschließendem Barbecue
Floss bauen ist harte Arbeit und eine Erfrischung gern gesehen. Mutige Dschungel-Abenteuerer wagen deshalb gern den Sprung vom Floss ins kühle Nass. Wer seinem Guide bereits beim Angeln zugesehen hat oder sich sogar selbst ans Fischen gemacht hat, mag diese Entscheidung noch einmal revidieren: die Dschungelflüsse wimmeln nur so vor Piranhas. Ein einmaliges Erlebnis ist es, selbst einen der Räuberfische zu fangen und am Abend auf dem Grill zuzubereiten. Ein köstliches Abendessen, das garantiert für immer in Erinnerung bleibt.


Manu Nationalpark

Foto: PromPerú

Auf der Suche nach Kaimanen
Kaimane sind Verwandte der Alligatoren, werden um die zwei Meter lang und leben meistens in kleinen Gruppen im Fluss verteilt. Durch ihre braun-grüne Farbe sind sie im Dschungel gut getarnt, in der Dämmerung jedoch tauchen sie oft leicht aus dem Wasser auf und ihre Augen blitzen im Schein der Taschenlampe. Um den Kaiman aus nächster Nähe begutachten zu können fängt der Guide mit bloßen Händen eines der Tiere und zieht ihn an Bord. Dieser wird anschließend wieder unversehrt ins Wasser entlassen.


Kaimane, Reservat Tambopata (Puerto Maldonado)

Foto: PromPerú

Nachtwanderung im Dschungel
Den Regenwald bei Tag erkunden kann jeder. Doch nach Sonnenuntergang zeigt sich der zuvor sattgrüne Dschungel von einer anderen Seite. Im nun düsteren Regenwald sind tausende Insektengeräusche und das "Quaken" von Fröschen zu hören. Denn bei Nacht zeigen sich tausende Tiere, die sich am Tag lieber verstecken.


Affe, Reservat Tambopata (Puerto Maldonado)

Foto: PromPerú

Eine Nachtwanderung gehört zu den Top Erlebnissen im peruanischen Regenwald. Die meisten Lodges bieten geführte Touren in kleinen Gruppen an, um das Erlebnis in vollen Zügen und vor allem sicher genießen zu können.


Kaiman, Reservat Tambopata (Puerto Maldonado)

Foto: PromPerú

Weitere Informationen unter www.peru.travel/de

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[art_4] Spanien: Toledo - Weltkulturerbe und Marzipantorte bei 43° Grad

 
Es gibt wohl kaum eine Stadt, die auf so kleiner Fläche so viele erstrangige Kulturmonumente zu bieten hat wie das kastilische Toledo, zur Zeit Kaiser Karls V. für ein paar Jahrzehnte die Hauptstadt eines Weltreiches, "in dem die Sonne nie unterging". Aber es gibt idealere Tage für eine Besichtigung dieses Weltkulturerbes als einen über 40° Grad heißen Junitag.

Doch ich habe es mir vorgenommen, es gibt kein Zurück. So besteige ich am Morgen des 13. Juni in Madrid den vollklimatisierten Zug und bin froh, meinen Rollkragenpullover dabei zu haben, sonst würde ich mir in dem auf Tiefkühltruhe geschalteten Zugabteil wohl eine zünftige Sommergrippe holen. Eine halbe Stunde später komme ich in Toledo an. Um 10.30 Uhr sind es bereits 31° Grad im Schatten. Ich ziehe den Rollkragenpulli aus und nehme ein Taxi zur Plaza Zocodover. Da ich nur etwas mehr als acht Stunden Zeit habe, beschließe ich Toledos Mega-Monument, die Kathedrale, diesmal auszuklammern. Sie ist die fünft- oder sechstgrößte Kathedrale der Welt (größer als der Kölner Dom) und voller Kunstschätze (allein 20 Gemälde von El Greco). Aber erstens habe ich sie bei meinem letzten Besuch vor acht Jahren sehr ausgiebig besichtigt und zweitens rege ich mich jedes Mal auf, weil dies eine der ganz wenigen spanischen Kathedralen ist, wo – trotz des Eintritts von 10 Euro – fotografieren strengstens verboten ist. Warum? Wem gehören denn all die Kunstschätze in diesem Gotteshaus? Der Kirche - also uns allen! (die wir trotz allem immer noch Kirchensteuer zahlen, und gar nicht wenig).

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Diesmal also nur außen vorbei, dabei wie immer einen meditativen Blick auf die Fensterrose und den kunstvollen Turm geworfen und weiter. Ohnehin kann man in der Kirchenhauptstadt Spaniens (Toledo war im Mittelalter Europas größtes Erzbistum und ist heute noch Sitz des Primas von Spanien) dem Sakralen nicht entfliehen. Denn heute ist der Tag vor Fronleichnam, dem größten Fest Toledos, und alle engen Gassen sind nicht nur mit Sonnensegeln gegen die Hitze beschirmt, sondern auch üppig mit sakralem Schmuck für die morgige Prozession dekoriert.

Ich war schon mindestens sechsmal in Toledo, aber habe längst noch nicht alles gesehen (oder es ist schon so lange her, dass eine Zweitbesichtigung dringend nötig ist). Deshalb habe ich mir für den heutigen Tag ein strammes Programm mit der Besichtigung von acht Monumenten vorgenommen, schön in chronologischer Reihenfolge. Da von den Iberern und Römern kein komplettes Gebäude erhalten ist, beginnen wir also mit den Westgoten:

1. Museum für Westgotische Kultur in der Kirche San Román, 11:00 Uhr bei 32° Grad. Im Reich der Westgoten (ca. 476 - 711) war Toledo erstmals Hauptstadt Spaniens. In dem kleinen Museum kann man Kopien von westgotischen Goldkronen und westgotische Sarkophage und Reliefs besichtigen. Untergebracht ist es in einer der schönsten Kirchen von Toledo, in der Mudéjarkirche San Román, die zwar deutlich jünger ist als die hier präsentierten Exponate, aber doch auf fast 800 Jahre Geschichte zurück blicken kann.

Sie wurde zwischen 1250 und 1290 erbaut und die prachtvollen arabisch inspirierten Hufeisenbögen und vor allem die Fresken, die aus derselben Epoche stammen, sind eigentlich wertvoller als die westgotischen Museumsstücke und gut erhalten. Besonders schön: ein Engelspaar, das Weihrauchgefäße schwenkt. Etwas neuer als das Hauptschiff der Kirche ist der schöne Turm aus dem 14. Jahrhundert und der angebaute Renaissance-Chor mit platereskem und vergoldeten Hochaltar aus dem frühen 16. Jahrhundert.

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2. Ehemalige Moschee Cristo de la Luz, 12:00 Uhr bei 33° Grad. Im Jahre 712 eroberten die muslimischen Araber die Hauptstadt des christlichen Westgotenreiches und Toledo blieb eine der wichtigsten Städte in ihrem Herrschaftsgebiet. Von dieser Epoche, die 1085 mit der kastilischen Eroberung Toledos zu Ende ging, zeugen neben der Stadtmauer (Puerta Vieja de Bisagra, Puerta Bib-Al Mardón) und der Alcántara-Brücke diese kleine, um 990 erbaute Moschee. Der einfache, aber elegante Ziegelbau ist nur knapp neun Meter lang und breit und wurde nach 1085 in eine Kirche umgewandelt. Der islamische Ursprung zeigt sich unverkennbar in den Sebka-Rautenbögen. Innen hat jedes der winzigen Gewölbe ein anderes geometrisches Muster. Es ist imponierend, wie hier mit einfachen Mitteln und Materialien eine erlesene Dekoration geschaffen wurde, die in einer steilen Gasse seit über 1000 Jahren die Stürme der Zeit überdauert hat.

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3. Synagoge Santa María la Blanca, 12.30 Uhr bei 34° Grad. Toledo war während des gesamten Mittelalters eines der wichtigsten Zentren jüdischer Kultur in Spanien, bis zur fatalen Vertreibung der Juden im Jahr 1492. Hier, im "Toledo der drei Kulturen", wurden zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert die Werke von Platon und Aristoteles von jüdischen und arabischen Wissenschaftlern ins Lateinische übersetzt. Und hier steht die älteste Synagoge Europas, vollendet 1220 (der Vorgängerbau war noch deutlich älter). Sie trägt zwar weiterhin den Namen der Kirche, in die sie 1550 umgewandelt wurde, aber aus ihrem Innenraum hat man bis auf ein Kreuz alle christliche Dekoration (Altäre, Statuen, Gemälde) verbannt, um das ursprüngliche Erscheinungsbild des jüdischen Sakralraumes möglichst wieder herzustellen.

Der trotz reduzierter Dimensionen fünf schiffige Tempel beeindruckt in seiner Kombination von schlichtem Weiß, eleganten Hufeisen- und Mudéjarbögen und dezenten Vergoldungen in der kleinen Kuppel und den Bögen. Rätselhaft die Kapitelle der Säulen mit ihren Schnörkeln und Pinienzapfen. Die neue Beleuchtung bringt diesen Säulensaal wunderbar zur Geltung. Und obwohl der Raum völlig leer ist, verbringe ich doch viel Zeit hier, denn die Atmosphäre lädt sehr zur Meditation ein. Zudem ist es in diesem 800-jährigen Gemäuer schön kühl und draußen wartet ein Inferno.

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4. Synagoge del Tránsito (Sephardisches Museum), 13.30 Uhr bei 37° Grad. Vollendet um 1370, ist sie 150 Jahre jünger als Santa María la Blanca. Architektonisch präsentiert sich diese zweite in Toledo erhaltene Synagoge architektonisch einfacher (nur einschiffig), aber mit noch prunkvollerer Dekoration. Überwältigend gleich beim ersten Blick nach oben das original erhaltene Holzgewölbe im Mudéjarstil, filigran die Fenstergitter aus Stuck, beides dominiert von arabisch beeinflussten Sternenmustern. Reich verziert auch die Wände, sie wirken wie Vorhänge aus Stein, unterbrochen durch zierliche Mudéjarbögen. Die angrenzenden Räume gehörten Samuel Levi, dem Schatzmeister Königs Pedro des Grausamen, und beherbergen heute das Sephardische Museum, in dem anhand zahlreicher Exponate die Geschichte des Judentums in Spanien dargestellt wird.

Die spanischen Juden nannten sich selbst Sephardim und trugen über viele Jahrhundert zum wirtschaftlichen Reichtum und zur kulturellen Blüte Spaniens bei - bis zu ihrer tragischen Vertreibung im Frühjahr 1492. Die meisten emigrierten damals ins Osmanische Reich (Istanbul, Thessaloniki), Marokko und (vorübergehend) nach Portugal oder Italien. In vielen sephardischen Familien werden bis heute die alten Schlüssel zu ihren Häusern in Toledo aufbewahrt. Zu den Türen einiger Häuser in dieser uralten Stadt könnten sie heute noch passen.

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5. Museo del Greco, 14:00 Uhr bei 38° Grad. Damit eines gleich klar ist: dies hier ist nicht das Haus, in dem der geniale Maler Domenikos Theotokopoulos (El Greco) selbst gewohnt hat, es hätte es aber sein können, weil es im späten 15. Jahrhundert erbaut wurde. Jedenfalls hat man diesen palastartigen Komplex, der eine schöne Holzkuppel im Mudéjarstil besitzt, mit alten Möbeln ausgestattet und präsentiert hier alle Gemälde des großen Meisters, die sich nicht in Toledaner Kirchen oder im Museo Santa Cruz befinden.

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Leider kein Geheimtipp, ständig werde ich von lärmenden Touristengruppen verschiedenster Herkunft eingekreist. Im Hauptsaal wird ein kompletter Apostelzyklus mit 13 Gemälden von El Greco gezeigt sowie sein höchst originelles Werk "Ansicht und Plan von Toledo". In einer Zeit, in der fast nur Porträts von Heiligen und Adligen gemalt wurden, war die Darstellung des Panoramas einer Stadt revolutionär, zumal El Greco wie immer eine sehr eigenwillige Vision auf die Leinwand gebracht hat. Zum einen erscheint die Ansicht realistisch-rational, was durch den detaillierten Stadtplan, den sein Sohn unten rechts präsentiert, noch betont wird. Aber zum anderen deutet das verklärte Licht, in das die Stadt getaucht wird und die kleine wilde Engelsschar, die darüber schwebt, die mystische Sicht des Malers an.

Komplettiert wird die Sammlung des Museums durch teils interessante Gemälde von Imitatoren und Nachfolgern El Grecos (v.a. Luis Tristán). Obwohl El Greco erst als Erwachsener nach Toledo kam, hat er mit seinen Werken diese grandiose Stadt geprägt wie kaum ein anderer - und wiederum hat die Atmosphäre dieser steilen Gassen, die sich den Fels hinauf ziehen, ihn zu Kreationen inspiriert, die an einem anderen Ort kaum so entstanden wären.

Kurz nach 15:00 Uhr. Als ich die kühlen, klimatisierten Säle des El Greco Museum verlasse und wieder auf die Straße trete, glaube ich, geradewegs in einen Ofen zu marschieren. 40° Grad im Schatten und zurück ins Zentrum geht es natürlich steil bergauf. In Toledo gibt es überhaupt nur steile Gassen! Nach ein paar Schritten läuft der Schweiß in Strömen. Zum Glück erinnere ich mich, dass es bei Santa Maria la Blanca einen Getränkeautomaten gibt und stürze eine Dose eiskaltes "Aquarius" in mich hinein, bevor ich die Gasse empor klettere. Vor dem nächsten Monument muss dringend eine kurze Pause her. Was isst man in Toledo -– auch bei 40° Grad - natürlich Marzipan! Bei Santo Tomé sitze ich in einem Café und bestelle ein großes Stück Marzipantorte bei einer Kellnerin, die meint, sich verhört zu haben. Denn die Touristen ringsumher essen Eis oder eiskaltes Gazpacho. Mir egal. Marzipan geht immer und Toledo hat das beste der Welt.

6. Museo de Santa Cruz, 16:00 Uhr bei 41,5° Grad. Ich muss raus aus dieser Sonnenglut, bevor ich kollabiere. Selbst wenn ich nicht an Kunst interessiert wäre, würden die kühlen Säle dieses stattlichen Renaissancepalasts ein verlockend angenehmer Aufenthaltsort sein. Und das ist nun echt unglaublich, aber im Gegensatz zum Museo del Greco bin ich hier ganz allein! Dabei ist Santa Cruz das deutlich wichtigere Museum. Ein Dutzend sehr großformatiger Werke El Grecos gibt es hier auch (das schönste ist wohl die "Inmaculada"). Und dazu ein paar sehr bedeutende Werke mittelalterlicher Kunst und der Renaissance von flämischen und spanischen Meistern. Auch Skulpturen wie die wunderbare Madonna ("Virgen de la Expectación", ca 1530) von Diego de Siloe, einen Hochaltar des größten Bildhauers von Toledo, Alonso de Berruguete (ca. 1540) und erstrangige Gemälde (u.a. vom Barockmaler Ribera und vom unterschätzten Toledaner Renaissance-Maler Correa de Vivar) präsentiert dieses viel zu wenig besuchte Museum.

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Allein das Gebäude ist den Besuch wert. Erbaut wurde dieses ehemalige Klosterhospital in Toledos goldenem 16. Jahrhundert vom Architekten der Katholischen Könige, Enrique Egas (die spektakuläre Fassade im plateresken Stil, 1514) und vom Architekten Kaiser Karls V., Alonso de Covarrubias (Renaissance-Patio, ca. 1530).

7. Barockkirche San Ildefonso, 17.30 Uhr bei 43° Grad nach steilem Aufstieg. Geschlossen! Jetzt bin ich aber sauer! Schon sechs Mal habe ich vor dieser barocken Jesuitenkirche mit der imposanten Doppelturm-Fassade gestanden und jedes Mal war sie zu. In Schweiß gebadet habe ich mich bei 43° Grad hier hoch gequält und alles umsonst! Also beim 7. Mal...

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8. Kirche Santiago del Arrabal. Vor dieser ältesten Kirche Toledos habe ich auch schon sechs Mal vor verschlossenen Türen gestanden. Ich habe auch diesmal wenig Hoffnung, als ich außen herum gehe. Ältester Teil des Tempels ist sein Turm, von dem einige meinen, er sei ein ehemaliges Minarett (dann müsste er vor 1085 errichtet sein). Wahrscheinlicher ist, dass er kurz nach der christlichen Eroberung ca 1150 erbaut wurde. Die Kirche wurde zwischen 1230 und 1260 erbaut und sieht von außen eher aus wie eine Moschee mit ihren arabischen Hufeisenportalen und Sternenfenstern. Und sie ist tatsächlich offen - zum ersten Mal!

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Seit 1984 will ich diese Kirche besuchen und immer war sie zu. Ganz langsam wie in Trance trete ich ein. Santiago del Arrabal ist von beeindruckend schlichter Schönheit. Wären nicht der Hochaltar und ein paar Kreuze an den Wänden, könnte man diese Kirche auch innen für eine Moschee halten. Die Hufeisenbögen setzen sich, wenn auch sehr in die Länge gestreckt, als Blendarkaden an den Wänden fort. Stille erfüllt den Raum. Nur ein paar Großmütterchen murmeln den Rosenkranz. Abseits der Touristenströme herrscht in diesem 800 Jahre alten Tempel eine mystische Atmosphäre. Ich wage kaum, umherzugehen und zu fotografieren. Der Renaissance-Altar ist nur dezent vergoldet und stört die Harmonie in der alten Kirche nicht. Ich setzte mich ins Halbdunkel und vergesse die Zeit. Glockengeläut erinnert mich daran, dass es bald 20:00 Uhr ist.

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Nun muss ich möglichst schnell zum Bahnhof. Es gäbe zwar noch zwei spätere Züge zurück nach Madrid, aber die waren schon ausgebucht. Wenn es nicht 43° Grad wäre, könnte man von hier zu Fuß zum Bahnhof laufen (knapp zwei Kilometer). Aber ich bin nicht sicher, ob ich von der Puerta de Bisagra aus den Weg finde und viel Zeit bleibt nicht.

Kein Taxi weit und breit. Ich entschließe mich, die paar hundert Meter zu den Rolltreppen zu laufen, um zurück zur Plaza Zocodover zu kommen, wo es immer Taxis gibt. Die berühmte Rolltreppe, hinter einem Sichtschutz versteckt, um das Weltkultur-Panorama nicht zu stören, wurde von der UNESCO erlaubt, um Fußgänger vom Touristenbusparkplatz schnell nach oben in die Altstadt zu bringen. Aber es ist nicht eine Rolltreppe, sondern vier oder fünf. Mir kommt es vor, als wäre die Strecke ein paar Kilometer lang. Es dauert endlos lang und ich werde nun doch nervös. Eine Übernachtung in Toledo war nicht eingeplant und wegen Fronleichnam werden alle Hotels ausgebucht sein. Endlich komme ich oben an, habe keinen Blick mehr für die Schönheit der Stadt, mir brennt der Schweiß in den Augen und ich sehe fast nichts. Mir bleiben weniger als 20 Minuten bis zur Abfahrt des Zuges. Ich stürze halb blind zum Taxi und lasse mich ins Polster fallen.

Drei Minuten vor Abfahrt erreiche ich den Bahnhof und muss wieder den Rollkragenpulli für den eisgekühlten Zug auspacken. Und ich nehme mir vor: beim nächsten Mal werde ich in Toledo übernachten, endlich San Ildefonso besichtigen und in der Kathedrale fotografieren - selbst wenn man mich dafür einsperrt...

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Kirche San Román / Westgotisches Museum: turismocastillalamancha.es/patrimonio/museo-de-los-concilios-y-de-la-cultura-visigoda-3761/descripcion/

Synagoge del Tránsito: museosefardi.mcu.es

Museo del Greco: museodelgreco.mcu.es

Museo de Santa Cruz: www.patrimoniohistoricoclm.es/museo-de-santa-cruz/

Marzipan: Die Marzipantorte gibt es im Café neben der Kirche Santo Tomé, das beste Marzipan kauft man in der Konditorei Santo Tomé (Calle Santo Tomé Nr. 3; am leckersten sind die Marzipan-Pralinen mit Pinienkernen): mazapan.com

[druckversion ed 10/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[kol_1]Hopfiges: Cintra, Sagres und Super Bock (Portugal)
 
Portugiesisches Bier – ist das nicht eigentlich schon ein Widerspruch an sich? Gibt es an Europas westlichem Endstück denn nicht nur Wein? Drei Biersorten liefen uns in Lissabon über die Leber, und wir fühlten ihnen dabei kräftig auf den Zahn.

Als erstes begegnet uns Sagres, als wir im Supermarkt nach einem geeigneten Begleiter für den Ziegenkäse und die knoblauchverseuchte Chouriço-Wurst suchen. 5,1% Alkoholgehalt, da kann man nicht meckern, und der mit der Wurst gemischte Ziegenkäse lässt sich wunderbar mit einem kräftigen Schluck aus der Dose herunterspülen.

Am nächsten Tag treffen wir noch einmal auf Sagres. Diesmal probieren wir es ohne Nahrungsbeilagen, und siehe da, was für ein kräftiges und würziges Bier. Es blubbert und pfeift nur so im Mund, dass es eine reine Wonne ist. Das hätten wir nicht von einem portugiesischen Bier erwartet, seien wir doch mal ehrlich, oder?

Um so erstaunlicher, dass es hierzu noch eine Steigerung geben sollte: Super Bock - "o sabor authéntico", der "authentische Geschmack"! Nun, der Name kommt einem eher etwas deutsch vor, und ungute Erinnerungen an - um nicht bayrisch sagen zu müssen - süddeutsches Bier werden da wach.

Doch zu Unrecht! Super Bock macht wirklich super bock. Es ist noch würziger als Sagres, vollmundig im Geschmack, kräftig in der Gurgelphase und 1A in seinem Wasserstoffbrückenbindeverhalten! Und mit 5,6% Alkoholgehalt laufen sich Lissabons hügelige Strassen doppelt so gut. Ist es nicht eine Freude, dass das Leben einen noch dermaßen überraschen kann?

Umso verheißungsvoller lächelt uns da von der Theke Cintra an, das mit dem schmissigen Slogan "o sabor da conquista", "der Geschmack der Conquista" daherkommt. Was ein dämlicher Slogan! Und schon nach dem ersten Schluck schauen wir etwas erstaunt drein. Reißen geschweige denn erobern kann man mit diesem Wasserpunsch eigentlich gar nix, es sei denn man füllt die zu Erobernden vorher damit ab und hofft darauf, dass ihnen ihre Blase dazwischen kommt, wenn es um die Big-Points geht. Wo sind denn da die 4,8% Alkohol versteckt? Im Bier auf jeden Fall nicht.

Fazit: Wer in Portugal unterwegs ist, muss nicht ständig Portwein saufen. Portugals Bierlandschaft erstaunt doch ungemein durch würzige und – zumeist – kräftige Vollmundbiere. Doch Vorsicht, vor lauter Getreidegeschmack sollte einem nicht entgehen, dass die Biere zumeist gut schüssig sind und gerne starke Kopfschmerzen nach sich ziehen!

Bewertung Portugiesisches Bier

1. Hang over Faktor
(4 = kein Kopfschmerz):
2. Wohlfühlfaktor (Hängematte)
(4 = Sauwohl):
3. Etikett/Layout/Flaschenform
(4 = zum Reinbeißen):
4. Tageszeit Unabhängigkeit
(4 = 26 Stunden am Tag):
5. Völkerverständigung
(4 = Verhandlungssicher):

Text + Foto: Thomas Milz

[druckversion ed 10/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: hopfiges]





[kol_2] Erlesen: Barocke Liturgie und deutsche Siedler
Kunstmusik-Kolonialismus-Lateinamerika
 
Anlass für diesen Sammelband zum Thema "Kunstmusik-Kolonialismus-Lateinamerika" waren eine gleichnamige Ringvorlesung an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock sowie der Besuch einer Gruppe von Musikern aus Brasilien im Jahr 2015, die gemeinsam mit Studierenden dieser Hochschule liturgische Musik aus dem Bundesstaat Minas Gerais aufführten.

Barbara Alge (Hrsg.).
Kunstmusik-Kolonialismus-Lateinamerika
Verlag: Die Blaue Eule
Essen 2017
Seiten: 182.

Im Vorwort beschreibt Barbara Alge, Professorin für Ethno-Musikologie, wie nach einer Aufführung brasilianischer Chorsänger und Musiker mit deutschen Musikern interkulturelle Missverständnisse zu Tage traten: Die liturgische Musik, die auf in Minas Gerais gefundenen Partituren basiert, unterscheidet sich nicht sehr von europäischer Kunstmusik jener Zeit (18. Jahrhundert). Dennoch wurde der Vortrag der Brasilianer in Rostock zum Teil als exotisch wahrgenommen. Die Deutschen änderten Noten in den Partituren des Komponisten Lobo de Mesquita, um Dissonanzen zu vermeiden, die die Brasilianer wiederum gerade als spannungsgeladen empfanden. Außerdem sind die Orchester in Brasilien nicht so standardisiert wie in Deutschland und die Aufführungspraxis liturgischer Kolonialmusik in einer Kirche in Minas Gerais ist eine andere als auf einer deutschen Bühne: Glauben ausdrückende und identitätsstiftende Umgangsmusik wird zur Darbietungsmusik. Diese u.a. Unterschiede führten dazu, dass das deutsche Publikum die Vorstellungen eben als "exotisch" empfand. Erklärungen zu diesem Missverständnis bieten dann einige der folgenden Texte, die sich mit den Partituren, z.B. aus dem Dorf Morro Vermelho in Minas Gerais, beschäftigen. Es wird u.a. die Frage aufgeworfen, welche Aufführungspraxis für diese Musik angemessen ist: die heutige in Brasilien oder diejenige, die sich auf europäische Modelle des 18. Jahrhunderts bezieht?

Barbara Alge ist es auch, die in ihrer Einleitung einen kurzen Überblick zur Geschichte der liturgischen Musik in Lateinamerika gibt, die natürlich von europäischen Kapellmeistern in Mexiko-Stadt, Lima oder Bogotá geprägt wurde, mit ihren Vorlieben für Werke von spanischen oder italienischen Komponisten. Auch hier kommt wieder die Aufführungspraxis zur Sprache, in der nach Meinung einiger Musikwissenschaftler das eigentlich "barocke" der liturgischen Musik aus Minas Gerais liegt: dramatische Aufführungen und prunkvolle Feiern in mit Gold überladenen Kirchen. In den beiden wichtigsten Zentren für liturgische Musik, der Escuela de chacao (Venezuela) und der Escola Mineira in Brasilien, durften auch mulatos Musik machen und komponieren, ein wichtiger Aspekt in der Musikvermittlung. Und sie taten es mit größerer Freiheit, da sie nicht den Regeln der Europäer unterworfen waren, und entwickelten so einen einzigartigen Stil, der auch afrikanische Elemente enthielt. Aufgrund der steigenden Nachfrage in den prosperierenden Minen-Städten stieg die Zahl der mulato-Sänger, -Musiker und -Komponisten an, so dass bald eine eigene Klasse entstand. Drei Texte befassen sich denn auch mit der Geschichte, Entwicklung und Verbreitung der (afrikanischen) Tänze chacona und lundu (inkl. der dazugehörigen Musik).

Eine - wenn nicht die wichtigste - Rolle für das Musikleben jener Zeit spielten die Jesuiten, die in ihren Reduktionen die indígenas auch in Musik unterrichteten, wie Marcus Holler in seinem Beitrag berichtet. Die Kontaktaufnahme der Mönche erfolgte über die indigenen Kinder, die mit Musik zu begeistern waren. Die Jesuiten übersetzten auch viele (Lied)Texte ins Guaraní und andere indigene Sprachen, und sorgten so dafür, dass durch diese Musikausbildung der indigenen Bevölkerung sich europäische und indigene Musikpraktiken vermischten, ein bis heute wichtiger Einfluss. Außerdem bilden ihre Musikdokumentation die einzige Quelle zu diesem Thema vor dem Jahr 1759.

Zum Schluss befasst sich ein Beitrag mit den deutschen Einwanderern im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina. Ihre Migrationsgeschichte ist bereits breit erforscht worden, ihr kultureller Einfluss ist ebenfalls Gegenstand einiger Forschungsprojekte, aber im Bereich der Musik ist es vor allem die Volksmusik, die dort behandelt wird, da sie in vielen Gemeinden immer noch gepflegt wird. Kunstmusikalische Aktivitäten, wie sie Christian Storch versucht in den Mittelpunkt zu stellen, wurden bisher kaum erforscht. Die Deutschen kamen in Gebiete, die schon zu einem anderen Staat gehörten, waren also keine Eroberer. Und Brasilien war – auch musikalisch – bis 1889 stark von Portugal abhängig bzw. geprägt, trotz großer Einwanderergruppen aus Italien, Japan und eben dem deutschsprachigen Raum. Die Einwanderer bildeten kulturell nahezu geschlossene Gruppen: Je größer ihre Siedlungen wurden, desto vielfältiger entwickelte sich das kulturelle und Vereinsleben, das (Männer)Gesangsvereine, Laienmusikgruppen und Theaterkompanien umfasste. Bei den Gesangsvereinen lag der Schwerpunkt auf volksmusikalischen Gesängen, wie aufgefundene Liederbücher belegen. Aber auch Storch muss eingestehen, dass die Forschungen erst am Beginn stehen, weswegen man als Leser dieses Textes mit einer Mischung aus Neugier und Frustration zurückbleibt.

Dieser Sammelband ist vor allem für Musikwissenschaftler interessant, aber auch für Interessierte an der Kulturgeschichte Brasiliens, in die er einige neue Einblicke eröffnet.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 10/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: erlesen]





[kol_3] Sehen: Die Wahrheit über Franco
Spaniens vergessene Diktatur / Vierteilige Dokumentarreihe
 
Francisco Franco gilt für viele als einer der brutalsten Diktatoren Europas. Bis heute ist Spanien von den Spuren seiner Gewaltherrschaft gezeichnet. Und noch immer umgeben den Generalissimo Geheimnisse.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 1: Kein anderer europäischer Staatschef hat sich so lange an der Macht halten können wie Francisco Franco. Doch wer war der Mann, der Spanien vier Jahrzehnte lang mit einer Gewaltherrschaft regierte? Mit Hilfe von Zeitzeugen und Historikern versucht die vierteilige Dokureihe das Phänomen des "Caudillo" zu ergründen.

© ZDF/Oliver Kratz

Die vierteilige ZDFinfo-Reihe "Die Wahrheit über Franco – Spaniens vergessene Diktatur" begibt sich auf Spurensuche in die Vergangenheit und untersucht die fast 40-jährige Herrschaft von General Franco.

Was ist heute bekannt über das Spaniens Erbe, über das Regime des Francisco Franco? Nicht viel mehr als ein paar Klischees: Im Bürgerkrieg, ab 1936, haben die Guten gegen das Böse gekämpft – und die Faschisten siegten. Deren Anführer General Franco sei, so die weitläufige Auffassung seiner Verteidiger, ein "harter, aber kluger Mann" gewesen, der die Geschicke Spaniens bis zu seinem Tod 1975 gelenkt habe. Was stimmt daran?

Recht wenig, wenn man die Forschungserkenntnisse der vergangenen zehn Jahre betrachtet. Die Reihe "Die Wahrheit über Franco" wirft einen neuen Blick auf "Spaniens vergessene Diktatur".

Folge 1: Der Aufstieg zur Macht
Dienstag, 14. November 2017, 20.15 Uhr, ZDFinfo
Du findest die Serie im Anschluss an die Ausstrahlung in der ZDF-Mediathek.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Archäologen und Drehteam. Im Hintergrund altes Gebäude.
Foto 2: Francos politische Säuberungen forderten eine halbe Million Menschenleben

© ZDF/Oliver Kratz

In einem blutigen Bürgerkrieg putschte sich Franco an die Macht und regierte Spanien fast vier Jahrzehnte lang – mit eiserner Hand.
Unter seiner Führung gelang konservativ-monarchistischen Militärs mit Unterstützung des faschistischen Königreichs Italien und des nationalsozialistischen "Dritten Reichs" im Juli 1936 ein Staatsstreich gegen die im Februar 1936 demokratisch gewählte republikanische Regierung Spaniens. Drei Jahre erbitterter Bürgerkrieg waren die Folge und haben Spanien im April 1939 zu einem anderen Land gemacht. Bei den Kämpfen und politischen Säuberungen wurden eine halbe Million Menschen getötet.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Gómez und zwei Arbeiter in unterirdischem Gang.
Foto 3: Carmen bringt ihren Schwager Ramón Serrano Súñer in höchste Staatsämter - doch der unliebsame Verwandte verfolgt seine eigene Agenda.

© ZDF/Oliver Kratz


Folge 2: Der Aufstieg zur Macht
Dienstag, 14. November 2017, 21.00 Uhr, ZDFinfo

Der Mythos Franco steht für ein grausames Regime, für das dunkelste Kapitel Spaniens. Franco gab sich den Titel "Caudillo de España" – das Oberhaupt Spaniens. Er kreierte seine eigenen Rituale der Macht. Der Kriegsheld, Familienvater und Massenmörder war ein Mann mit vielen Gesichtern.

Franco zog mit seiner Familie feierlich in den El-Pardo-Palast von Madrid, die einstige Sommerresidenz des Königs. War das noch das Verhalten eines Staatschefs? Oder bereits Größenwahn?

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 4: Im November 1945 fordern die Alliierten von Spanien die Auslieferung von insgesamt 255 Deutschen. Daraufhin bricht in der deutschen Kolonie große Unruhe aus.

© ZDF/Oliver Kratz

Folge 3: Stunde Null
Dienstag, 14. November 2017, 21.45 Uhr, ZDFinfo

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Karten der Weltpolitik neu gemischt. Die Alliierten unterschieden nun klar zwischen Freunden und Feinden der Demokratie. Für Franco wurde die Lage kritisch. Denn in Spanien litten viele unter seiner Schreckensherrschaft. Deshalb wollten ihn viele stürzen. Diese Folge schildert, wie er sich im neuen Machtgefüge durchsetzte.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 5: Das Tal der Gefallenen ist ein Schrein für die rund 30 000 regimetreuen Opfer des Bürgerkriegs – und ein gigantisches Grabmal für den Diktator.

© ZDF/Oliver Kratz

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 6: Zu den wichtigsten Zielländern für spanische Arbeitsmigranten gehören die Schweiz, die BRD und Frankreich. Aber auch Großbritannien, die Niederlande und Belgien nehmen Gastarbeiter aus der Franco-Diktatur auf. Fast 1,5 Millionen Arbeitssuchende verlassen Spanien allein in den 1960er Jahren – ein historischer Höchstwert.

© ZDF/Oliver Kratz

Folge 4: Die bleierne Zeit
Dienstag, 14. November 2017, 22.30 Uhr, ZDFinfo

Francos außenpolitische Erfolge eröffneten Mitte der 1950er Jahre neue Perspektiven für Spanien. Nach Jahrzehnten des Stillstands ging es nun wieder vorwärts. So wurde Francos Herrschaft legitimiert. Innerhalb und außerhalb Spaniens verstummte der Widerstand gegen ihn.
Der Diktator saß fest im Sattel. Doch mit den neuen Freunden kamen auch neue Einflüsse ins Land – Spanien wandelte sich. Damit stand das Regime vor neuen Herausforderungen. Wie lange würde sich Franco noch an der Macht halten? Konnte Prinz Juan Carlos der Diktatur eine Zukunft geben?

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 7: Immer drängender stellt sich im Regime die Frage nach Francos Nachfolge. Doch der Caudillo zögert seine Entscheidung bewusst hinaus, um die konkurrierenden Regime-Kräfte im Zaum zu halten. Trotzig verweist er auf die hohe Lebenserwartung in seiner Familie.

© ZDF/Oliver Kratz

Text: ZDF

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[kol_4] Lauschrausch: Sofarnopolis
Matias Aguayo & The Desdemonas

Singvögel und ein Basslauf, der von The Cure stammen könnte, eröffnen ein Album, das für Matias Aguayo eher untypisch ist. Der in Santiago geborene und bei Köln aufgewachsene Chilene war auch zuvor schon ein Grenzgänger zwischen den Stilen, vor allem aber in der elektronischen Musik unterwegs, nicht zuletzt als DJ und Labelchef. Was er nun mit seiner Begleitband The Desdemonas als Sänger und Perkussionist eingespielt hat, hat zwar manchmal auch starke elektronische Einflüsse, dann aber aus der düsteren EBM der 1980er Jahre.

Matias Aguayo & The Desdemonas
Sofarnopolis
Crammed Discs

Wenn man sich in der Indie-, Dark- und Gothic-Szene der 80er auskennt, kommt einem dieses Album, das sich um Ereignisse in der fiktiven Stadt "Sofarnopolis" dreht, wie eine gelungene Kollektion von Gruppen aus jener Zeit vor. Es treten u.a. auf: Peter Murphy (Bauhaus), der seinen Sprechgesang mit den onomatopoetischen Spielereien eines George Kranz kombiniert, dazu Drum-Machine und Percussion ("I was a star"); computertechnische Spielereien à la Kraftwerk (Computerwelt) mit gespenstischer, gefilterter Stimme zu 80er-Wave-Synthie-Musik ("Nervous"); der schwere Bass von The Neon Judgement aus der 80er Indie-Disco ("Cold fever"); die Stimme von Marc Almond (Soft Cell) zur Musik der frühen New Order ("Supreme"); EBM-Bands wie Front 242 oder Cassandra Complex ("Vocal Arranger"); ein wenig "Masimbabele" von The Unknown Cases, gepaart mit Love & Rockets ("Boogie Drums"); Joy Division gemixt mit psychedelischem Gesang von Pink Floyd oder The Charlatans ("Amiga"); schließlich der düstere Minimalismus von Bohren & der Club of Gore mit Sprechgesang ("Antidoto").

In "After love" schleichen sich Bläsersätze in den Cure-Bass (das gab es in den 80ern selten), die dann sehr schräg werden. Die Begriffe auf dem Waschzettel "vielschichtiges Konzeptalbum", "diffuse Postpunkerinnerungen", "Twin Peaks-haft" gehen in Ordnung, "komplexe Hörerfahrung", "Improvisation", "Leichtigkeit" finde ich hingegen hier selten oder gar nicht. Aber es ist ein ganz hervorragendes Düster-Pop-Elektro-Album, das aus Matias Aguayos Teenagerzeit resultiert, während der er wohl auch häufig in einer Indiedisco im Großraum Köln war! Bleibt nur die Frage: In welcher?

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 10/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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