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[art_2] Bolivien: Kartoffelvielfalt in den Anden
 
Wer in Deutschland im Supermarkt nach Kartoffeln sucht, der findet weichkochende und festkochende und insgesamt vielleicht vier, fünf verschiedene Sorten. Dabei gibt es in den Südamerikanischen Anden, der Heimat der Kartoffel, alles in allem über 5000 Sorten. Diese Vielfalt ist für die Bauern überlebenswichtig – und sie droht verloren zu gehen.


Mit einer schweren Hacke gräbt Don Demetrio sein kleines Kartoffelfeld um. Hier, in den bolivianischen Anden in Norte Potosí pfeift der Wind auf knapp 4000 Metern Höhe eisig durch die Ritzen in der Steinmauer, die den Acker eingrenzt. Kartoffeln sind das einzige Nahrungsmittel, das hier wächst.  Aber: "Dieses Jahr hat es sehr viel geregnet und die Hälfte der Knollen ist verfault. Wir haben nicht genügend geerntet, um welche verkaufen zu können", erzählt Don Demetrio etwas undeutlich – der 63-Jährige hat nur noch wenige Zähne. Sein ganzer Besitz ist ein halber Hektar Land, der, wenn es gut läuft, rund 2.000 Kilo Kartoffeln hervor bringt. Sie sind das gesamte Einkommen der siebenköpfigen Familie – und ihr Hauptnahrungsmittel. Und das wird in diesem Winter knapp: "Ich glaube, die Ernte reicht diesmal nicht einmal für unsere eigenen Mahlzeiten. Wir machen uns große Sorgen darüber, wie wir über den Winter kommen sollen. Wir brauchen Kartoffeln, die nicht so leicht verderben."

Solche Kartoffeln gibt es – in Bolivien gedeihen über 1.500 zum Teil sehr alte Sorten und irgendeine davon kommt immer mit dem gerade vorherrschenden, oft extremen Wetter klar. Peter Strack von der Hilfsorganisation terre des hommes nennt ein Beispiel: "Es gibt Kartoffeln, die besonders breite Blätter haben. Diese Kartoffelsorten gedeihen gut, wenn es besonders trocken ist, weil sie leichter Feuchtigkeit aufnehmen können. Andere wiederum verfügen über sehr kleine Blätter – die weniger anfällig für Hagel sind. Eigentlich gibt es für jede Situation eine angepasste Sorte. Was die Menschen hier früher traditionell gemacht haben, ist einfach möglichst viele unterschiedliche Kartoffelsorten anzubauen, so dass auf jeden Fall irgendetwas gedeiht." Doch selbst auf ländlichen Märkten sind inzwischen nur noch eine Handvoll Sorten zu finden. Die Überlebensstrategie, viele verschiedene Sorten anzubauen, ist verloren gegangen. Eine Folge der so genannten grünen Revolution, erklärt Peter Struck: "Man hat versucht, den Hunger in der Welt dadurch zu bekämpfen, dass man sich auf Hochleistungssorten spezialisiert, die besonders groß oder besonders marktgängig sind. Die holländische Kartoffel ist hier zum Beispiel eingeführt worden. Darüber sind die alten Sorten in Vergessenheit geraten."

Das Klima in den Anden war schon immer extrem: Trockenheit, Überschwemmungen, Kälte und Hagel wechseln einander ab. Diese Extreme haben sich durch den Klimawandel noch verstärkt. Wenn die Bauern nur eine Sorte anbauen, besteht die Gefahr, dass sie ihre gesamte Ernte verlieren und hungern müssen. Terre des hommes will deshalb gemeinsam mit Partnerorganisationen den Bauern das Wissen ihrer Ahnen um die Vielfalt der Kartoffeln zurück bringen. "Wir arbeiten in den Schulen, damit die Kinder lernen, wie wertvoll die Vielfalt ist. Sie geben dieses Wissen an ihre Eltern weiter", erläutert der Entwicklungshelfer die Strategie der Hilfsorganisation.


Auch Don Demetrios Enkelin nimmt an diesem Unterricht teil und ihr Großvater baut inzwischen mit 18 verschiedenen Kartoffelsorten eine viel größere Fülle an als noch vor ein paar Jahren. Um die Bauern zu motivieren, möglichst viele Sorten zu pflanzen, veranstaltet terre des hommes jedes Jahr einen Vielfältigkeitsmarkt mit einem kleinen Wettbewerb. Don Demetrio wird dort seine Ernte vorstellen. 85 Bauern aus vielen weit verstreut liegenden Andendörfern haben auf bunten Tüchern ihre verschiedenen Kartoffeln ausgelegt. Die Jury zählt 50 verschiedene Sorten. Der Gewinner kann auf stolze 38 davon verweisen.

Natürlich hätte Don Demetrio gerne gewonnen. Aber er ist trotzdem sehr zufrieden mit dem Tag. "Ich habe mit dem Sieger Saatgut getauscht und von ihm fünf neue Kartoffelsorten bekommen. Wenn das Wetter im nächsten Jahr wieder verrückt spielt, bin ich besser vorbereit." Durch den Tausch alter Sorten wächst die Vielfalt der Kartoffeln in Norte Potosí langsam wieder und damit auch der Schutz vor dem Hunger.

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Pusisuyo

Fernsehtipp: Am Samstag, den 04.10.14 läuft um 16 Uhr in der ARD-Sendung "W wie Wissen" ein Film von Katharina Nickoleit und Christian Nusch zur Kartoffelvielfalt in den Anden.

Tipp: Katharina Nickoleit hat u.a. einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
ISBN: 978-3-89662-586-1
Seiten: 252
Verlag: Reise Know-How
4. aktualisierte Auflage 2014

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