ed 10/2008 : caiman.de

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brasilien: Die Stadt und der Biosprit
THOMAS MILZ
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


spanien: Kurztrip ins ultimative Paradies: Espalmador
NORA VEDRA
[art. 2]
chile: Santiago de Chile - Skizzen aus der Hauptstadt
BERND KÜPPERBUSCH
[art. 3]
spanien: Internet in Spanien mit UMTS und GPRS
DIRK KLAIBER
[art. 4]
grenzfall: Zwei Tage durch die Atacama-Wüste
THOMAS MILZ
[kol. 1]
erlesen: Flamenco, neu betrachtet
Flamenco von Kersten Knipp
TORSTEN EßER
[kol. 2]
macht laune: Voll ertüchtigen
DON RÖSCHEN
[kol. 3]
lauschrausch: Vier Damen aus Brasilien
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Brasilien: Die Stadt und der Biosprit

Vermummte Gestalten kämpfen sich durch den schwarz-gelben Dschungel abgebrannter Zuckerrohrstangen. Mit dem linken Arm umklammern sie die bis zu zweieinhalb Meter hohen Stümpfe, dann folgen mit der rechten Hand schnelle Schläge ihrer frisch geschärften Macheten. Das halbe Dutzend abgetrennter Stangen werfen sie hinter sich, bevor es weiter tief hinein in das Feld geht.

Der Südosten Brasiliens erlebt zurzeit einen neuen Wirtschaftsboom: Ethanol gewonnen aus Zuckerrohr. Der pflanzliche Alkohol treibt heute schon Millionen brasilianischer Autos an. In Zukunft sollen, glaubt man den Vorhersagen von Präsident Lula, auch Millionen Fahrzeuge im Rest der Welt mit dem Wunderbenzin betrieben werden. Zum Wohle des Weltklimas und der brasilianischen Wirtschaft.


Makroökonomisch mag die Rechnung vielleicht sogar aufgehen. Doch wie sieht die Realität einer 60.000 Einwohner kleinen Stadt aus, die fast ausschließlich vom Zuckerrohr lebt?

Die von uns ausgesuchte Stadt im Landesinneren von São Paulo war in den 80er Jahren eine Modellstadt, sagt der Sozialreferent. Alle Häuser seien an das Wasser- und Abwassernetz angeschlossen und das öffentliche Gesundheitswesen beispielhaft für ganz Brasilien gewesen.

Damals produzierten die um die Stadt herum angesiedelten Landwirte neben Zuckerrohr auch Fleisch, Mais, Kaffee, Erdnüsse, Reis, Gemüse und Früchte. Sogar eine Milchbauernkooperative habe es gegeben, erzählt eine Sozialarbeiterin, die selber auf dem Land groß geworden ist. Doch mittlerweile seien praktisch all ihre Verwandten in die Stadt gezogen. Ihr Land haben sie verkauft oder verpachtet – an die Zuckerrohrbetriebe.

Mit nichts könne man derzeit soviel Geld verdienen wie mit dem Zuckerrohr, sagt sie. Sofern man selber Land besitzt, das man verpachten kann. Die meisten Bauern haben es aufgegeben, noch selber zu produzieren. Man lebt besser von der Zuckerrohrpacht. Lebensmittel müssen mittlerweile von weit her heran geschafft werden – und die Preise so mancher Grundnahrungsmittel haben sich in den letzten Jahren verdoppelt.


70% der Anbaufläche im Bundesstaat São Paulo seien mittlerweile mit Zuckerrohr bepflanzt, verkündete zuletzt das Landwirtschaftministerium. Dem wolle man entgegentreten, so die Regierenden. Monokulturen seien gefährlich, so weiß man aus Erfahrung. Doch was genau dagegen getan werden soll, steht noch nicht fest.

Neue Industrien würden sich erst gar nicht in der Stadt ansiedeln, klagt der Gesundheitsreferent, denn es mangele an Facharbeitern. Das Resultat eines halben Jahrhunderts Zuckerrohrwirtschaft. Nie habe man sich darum gesorgt, eine Alternative zum Zuckerrohr zu suchen und Arbeiter besser auszubilden.

Heute kommen die meisten auf den Feldern tätigen Arbeiter aus dem armen Nordosten Brasiliens. Mit der Biospritgewinnung können sie zumindest um die 300 Euros pro Monat verdienen. Meist sind es junge Männer ohne Familie, die sich hier verdingen. Sie wohnen zu 20 oder mehr in von den Zuckerbetrieben angemieteten Häusern, denn Wohnraum ist knapp geworden und die Mieten sind explodiert.

Viele der alteingesessenen Bewohner betrachten die Fremden aus dem Nordosten argwöhnisch. Die Kriminalitäts- und Gewaltrate sei stark gestiegen, so der Sozialreferent. Prostitution, Alkoholismus, Drogen – mit den jungen Wanderarbeitern seien auch die Probleme in die Stadt gekommen. Und das öffentlichen Gesundheitssystem ist ob der 10.000 neuen Einwohner schier überfordert. Zumindest hätten die meisten Arbeiter heutzutage gültige Arbeitspapiere – ein Fortschritt, dank der strengeren Kontrolle des Arbeitsministeriums in Brasilia.


Doch die Arbeit auf den Feldern ist auch mit gültigen Papieren noch hart. In der Nacht wird das Feld abgefackelt, um das Schlagen zu erleichtern. Qualm hängt noch in der Luft, dazu die stickig-schwüle Hitze bereits in den Morgenstunden. Acht Stunden dauert eine Arbeitsschicht, sechs Tage die Woche.

Die Rauchschwaden dringen bis in die Stadt vor. Nachts müsse man die Fenster verriegeln und am Morgen läge eine weiße Schicht auf den Straßen und Gebäuden, so eine Bewohnerin. Atemwegserkrankungen hätten stark zugenommen, sagt der Gesundheitsreferent. Besonders bei Kindern und alten Leuten.

Ab 2014 soll das Abbrennen der Felder deshalb ganz verboten werden, plant die Landesregierung. Dann soll das Schlagen maschinell erfolgen. Bereits jetzt sieht man ab und zu die gewaltigen Erntemaschinen auf den Feldern rund um die Stadt. Aber sie sind teuer in der Anschaffung. Und anfällig dazu: Steine und Baumstümpfe beschädigen die feinen Schneidemesser und verursachen Ausfälle durch lange Reparaturzeiten.

Und so wird sich in der nächsten Zeit wohl wenig an der archaisch anmutenden Routine der Zuckerrohrfelder ändern. Alternativen zum Zuckerrohr müsse man suchen, meint der nachdenklich gestimmte Sozialreferent. Denn abgesehen von den wenigen Landbesitzern und Zuckerrohrbaronen seien die meisten Menschen der Region eher ärmer als reicher geworden.

Und das könne ja nicht im Sinne der Gesellschaft sein, fügt er noch hinzu.

Text + Fotos: Thomas Milz

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[art_4] Spanien: Internet in Spanien mit UMTS und GPRS

Der Festnetzanschluss in unserem Ferienhaus hatte ausgedient: 1. Er lohnte nicht mehr, da ich nicht oft genug vor Ort war. 2. Die 56k-Verbindung war nicht mehr zeitgemäß und DSL wäre dann doch des Luxus zu viel gewesen.

Hinzu kamen kleinere Probleme mit der Telefonica. Diese geht mit dem Verlegen von Kabeln etwas laxer um als etwa die Anbieter in Deutschland. Und so kam es mehrfach vor, dass wir bei unser Ankunft in Katalonien kein Freizeichen vorfanden, weil sich beispielsweise ein LKW im entscheidenden Draht, der über die Straße gespannt war, verfangen hatte.

Ein LKW kappt die Telefonleitung, nachdem er beim Schreiner im Haus gegenüber Holz abgeladen hat und im Anschluss losfuhr ohne den Kran einzuholen

Zur Führung eines Festnetzanschlusses bedarf es eines spanischen Kontos. Ist dieses nicht ausreichend gedeckt, wird der Anschluss lahm gelegt und eine Gebühr von 30 Euro zur Reaktivierung fällig. Der Telefonica-Service an sich war recht gut, uns wurde meist recht schnell geholfen. Trotzdem hatte ich die Nase voll von Überraschungen, denn mit dem Internet verhält es sich wie mit dem Kompi: Nur ein funktionierendes und angemessen schnelles System ist ein gutes System.

Bei meiner Recherche zur Überwindung meines Internet-Dilemmas bin ich dann auf eine Website aus Mallorca gestoßen, die auf Deutsch zu Telefon- und Internetbelangen Hilfestellung bietet - ausgenommen für Mac-User. Also eigentlich nicht für mich. Immerhin erfuhr ich auf diesem Weg von der über die von Vodafone Spanien angebotene Bono-Session-UMTS/GPRS-Karte, die ich mir dann auch auf der deutschen Mallorca-Website bestellte und umgehend erhielt.

Nun bedurfte es noch einer geeigneten Datenkarte ohne SIM-lock, also eine für alle Anbieter freie Karte. Im Regelfall sind Datenkarten, die bei einem Mobilfunkanbieter mit Vertrag abgeschlossen wurden, ohne SIM-lock. In Deutschland aber brauche ich diese Karte nicht, da in allen Büros oder Haushalten, in denen ich mich aufhalte, W-LAN zur Verfügung steht. Es sollte also eine kostengünstige Lösung her, da die Leistung des Anbieters in Deutschland für mich unerheblich ist.

Drei Stunden später fixiert ein Außendienstler der Telefonica das aus der Halterung an der Hauswand gerissene Kabel mit einem Packgurt an der Straßenlaterne


Ich bin daher in mehreren Mobilfunkanbieter-Shops mit meinem Anliegen vorstellig und letztendlich bei vodafone Deutschland fündig geworden. Ich habe nun einen Zweijahresvertrag inkl. einem MC USB-Stick UMTS Broadband Huawei E172 (alternativ auch einem der MC USB-Stick UMTS Broadband Novatel MC950D) für brutto 5 Euro pro Monat. Nach Ablauf der zwei Jahre gehört der Stick mir. Geliefert wird dieser mit der PC und Mac-Software. Die aktuelle Version kann man sich aber auch auf der Vodafone-Website downloaden.

Um mich (mit dem Mac) in Spanien ins Internet einzuwählen, lege ich die spanische Bono-Session-Karte in meinen Stick ein, verbinde diesen mit dem Kompi, öffne die deutsche Vodafone-Software und gebe die PIN-Nummer ein. Über "Vodafone Mobile Connect" in der Kopfzeile gelange ich zu den "Voreinstellungen". Dort setze ich das Häkchen bei "Verbindungseinstellungen manuell auswählen" und es öffnet sich ein Auswahlfenster (falls manuell schon ausgewählt ist, zum Öffnen des Auswahlfensters den Haken entfernen und wieder setzen). Hier einmal klicken auf "ES Vodafone Spain" und das Auswahlfenster schließt sich automatisch. Dann die Voreinstellungen schließen und im Hauptfenster auf "aktivieren" klicken. Nun wird man von der Software aufgefordert das Programm "Internet-Verbindung" zu öffnen und auf "verbinden" zu drücken. Das wars. Ich bin drin im spanischen Netz.

Nur 14 Stunden nach der Rettungsaktion des Telefonkabels durch den Telefonica-Außendienstler bedarf es erneut Hilfe für die Leitung. Dieses Mal ist das Telefonkabel samt Straßenlaterne durch einen Traktor mit Heuanhänger von der Wand gerissen worden

Was kostet denn nun der Spass?
Der UMTS/GPRS-Stick liegt mit Vertrag bei 120 Euro (24 Monate mal 5 Euro). Im Internet (Ebay etc.) wird der Stick manchmal noch etwas günstiger angeboten. Unbedingt auf den Zusatz "ohne SIM-lock" achten. Mit Prepaid-Karte etwa ist der Stick, von Vodafone Deutschland angeboten, ausschließlich mit Vodafone Deutschland nutzbar und mit einer Karte von Vodafone Spanien nicht zu gebrauchen.

Die Karte mit 1 GB Datentransfer-Volumen kostet zwischen 60 (Nachladen) und 90 Euro (Neupreis im Webshop aus Mallorca: shop.gsm-webshop.com). Hier erhaltet ihr neben der Beschreibung auf Deutsch, wie ihr euch mit diversen PC-Betriebssystemen in Spanien ins Internet einwählt, auch eine detaillierte Beschreibung zur BONO-Session-Karte, wie ihrer Gültigkeitsdauer, den verschiedenen Datenvolumina und deren Preise etc. Nachladen kann man die Karte in Vodafoneläden und an bestimmten Kiosken und Tankstellen.

Text + Fotos: Dirk Klaiber

Links
Software und Installationsbeschreibung auf Spanisch:
http://www.vodafone.es/particulares/internet/modem/index.jsp

Netzabdeckung Spanien:
http://www.cobertura.movistar.es/contenedor/coberturas-moviles/com.telefonica.coberturas/coberturas.html

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[art_3] Chile: Santiago de Chile - Skizzen aus der Hauptstadt

Man kommt gar nicht umhin, bereist man Chile mit dem Ziel, möglichst viele Landesteile kennen zu lernen, auch die Hauptstadt mehrfach aufzusuchen. Das der internationale Flughafen meist in den Hauptstädten der Welt angesiedelt ist, entspricht der Normalität. In Chile allerdings muss man auch davon ausgehen, dass jeder Standortwechsel von Nord nach Süd oder auch umgekehrt immer mit einem Zwischenaufenthalt in der Hauptstadt verbunden ist. Das ist einerseits logisch in einem Land, was sich über 4300 Kilometer in der Länge, aber nur maximal 250 Kilometer in der Breite erstreckt (vernachlässigen wir mal das Territorium der Osterinseln), andererseits ist es für den Besucher gar nicht so übel, wenn er zwischen der Einsamkeit der Wüste des Nordens und der Gletscherwelt Feuerlands mal wieder urbane  Betriebsamkeit erleben kann.


Schneidet man Chile aus einem Atlas aus, steckt dann eine Nadel in den Standort seiner Hauptstadt, so hat man eine fast gleichschenklige, Windmühlen ähnliche  Konstruktion, in der Santiago den zentralen Punkt darstellt. Und genau diesen Dreh- und Angelpunkt bildet die Stadt für das gesamte Land, wenn man dann in sein Straßennetz eintaucht.

Im Großraum von Santiago leben immerhin fast 40 Prozent der chilenischen Bevölkerung, von denen aber beim Landeanflug auf den Flughafen im Stadtteil Pudahuel nichts zu sehen ist, weil wieder einmal Smog über dem Talkessel der Stadt liegt. Ich habe nicht einen einzigen Start, geschweige denn eine einzige Landung, erlebt, bei denen einmal freie Sicht auf die Stadt geherrscht hätte. Das liegt zum einen daran, dass die Stadt in einem regelrechten Kessel liegt, umgeben von den Andenbergen und der Küstenkordillere. Zum anderen an dem enormen Ausstoß von Auto -und Industrieabgasen, die an manchen Tagen alles in regelrecht diffusem Licht erscheinen lassen. Fahrverbote und auch schärfere Auflagen für emittierende Industrieanlagen haben noch keine durchschlagenden Verbesserungen gebracht, doch gibt es inzwischen durchaus hoffnungsvolle Aktivitäten, die zukünftig Besserung erwarten lassen.

Diese Probleme haben dem Gründer der Stadt, Pedro de Valdivia, 1541 noch keine Sorgen bereitet. Eher schon die Frage, wie er denn den Landflecken benennen sollte, den er auf seinen Zügen gen Süden als Standort für die spanische Krone auserwählt hatte. Da er aus Santiago de Compostela, dem Nordwesten der iberischen Halbinsel, stammte, war es dann das Heimweh und die Verbundenheit zur alten Heimat, die seine Entscheidung beeinflusste. Große Bedeutung aber erlangte die Stadt für die Spanier nicht, Lima blieb immer die eigentliche Hauptstadt des Kolonialreiches. Erst mit der Unabhängigkeit und der Gründung der "Republica de Chile" 1818 sowie der einsetzenden wirtschaftlichen Entwicklung, gerade auch dem Salpeterabbau im Norden, entwickelte sich Santiago zum Wirtschafts- und Verwaltungszentrum des Landes. Interessanterweise geht diese Entwicklung einher mit einer erstaunlich hohen Anzahl an  Einwanderungen aus Europa, besonders stark auch aus dem deutschsprachigen Raum. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum man beim Bummeln in der Stadt eher selten das Gefühl hat, man befinde sich in Südamerika, sondern eher im vertrauten Europa.


Wer nun der Meinung ist, er reise nicht tausende Kilometer um ein Spiegelbild der alten Welt zu erleben, dem sei angeraten, zunächst etwa in den Stadtteil Macul, einem Vorort von Santiago, zu fahren, um dort im Estadio Monumental ein  Spiel von Chiles erfolgreichstem  Fußballverein CSD Colo-Colo zu besuchen. Eines vornweg: Der Name ist nicht - so wie bei uns inzwischen üblich auf Werbeeinnahmen zielend - mit einem bekannten Brausehersteller in Verbindung zu bringen, sondern bezieht sich auf einen Mapuche-Häuptling. Wenn man südamerikanisches Temperament, überschäumende Begeisterung und Lebensfreude auf kleinstem Raum betrachten möchte, dann ist man hier richtig. Die glänzenden Augen der Anhänger, wenn sie darüber berichten, dass der Club 1991 als einzige chilenische Mannschaft die "Copa Libertadores" gewann und dabei Mannschaften wie Penarol Montevideo, Botafogo und Flamengo Rio de Janeiro und die Boca Juniors aus Buenos Aires hinter sich ließ, zeigen etwas von dem Stellenwert, den der Fußballsport hier genießt. Aus den euphorischen Berichten, die man mir ohne Pause zur Kenntnis bringt, muss unser Revierschlager Schalke gegen Dortmund ein unbedeutender Fußballkick sein verglichen mit dem hiesigen Clasico, das Spiel der Colo-Colos gegen den Erzrivalen Universidad. Ganz erstaunlich ist es auch festzustellen, welche aktuelle Bedeutung noch die  Fußballweltmeisterschaft von 1962 im Bewusstsein der Fans hat, die in Chile stattfand. Es war der größte Erfolg für die Nationalmannschaft sich den 3. Platz durch ein 1:0 gegen Jugoslawien zu erkämpfen und  noch heute schwärmen die Anhänger des runden Leders vom legendären Linksaußen Leonel Sanches, der, wie könnte es anders sein, für Colo-Colo spielte. Und alle Fußballkenner des Landes sind sich einig: Wäre Chile damals nicht im  Halbfinale auf die Übermannschaft aus Brasilien mit ihren Superstars Garrincha, Didi, Vava und wie sie alle hießen getroffen, das Finale wäre erreicht worden.

Nach soviel Begeisterung fällt es nicht leicht, zurück im Zentrum der Stadt, auf sehr nachdenklich machende Bauwerke zu treffen. Natürlich gehört der Präsidentenpalast "La Moneda" zum festen Bestandteil einer Stadtexkursion und natürlich verbinden sich hier zwangsläufig die Gedanken mit dem Armeeputsch von 1973. Tatsache ist, dass die folgende 17- jährige Diktatur mit unglaublicher Gewalt verbunden war und auch heute noch tief im  Bewusstsein der  Menschen verankert ist. Es war dieser Putsch, der dazu führte, dass viele Chilenen ihre  Heimat verlassen mussten. Etliche von ihnen fanden in Deutschland, speziell in der damaligen DDR, Aufnahme und konnten sich so vor der Verfolgung in Sicherheit bringen. Da klingt es fast wie ein Anachronismus, dass Jahre später die Familie Honecker aus ähnlichen Gründen in dem feinen Stadtteil La Reina Alta von Santiago ihr Exil bezieht.


Nur zeigt schon ein Blick in das Grundstückskataster (hier ist kein Objekt für weniger als US-$ 500.000 zu haben), dass allein schon deshalb die Situation wohl nicht miteinander verglichen werden kann, wie manche das gerne tun. Ein altes irisches Sprichwort sagt: "Erinnerungen sind wie reifender Whiskey - je länger die Zeit vergeht, umso besser werden sie." Das mag für das edle Getränk wohl zutreffen, aber mit Blick auf den  Regierungspalast habe ich dann doch eine ganz andere Meinung. Trotz allem verblassen sie, die Schatten der Vergangenheit und die Stadt zeigt sich heute als weltoffenes, quirliges, urbanes Gebilde mit Charme und Esprit.

Auskosten kann man dieses Gefühl, besucht man eines der Wahrzeichen der Stadt, den Cerro San Christobal. Hier tummeln sich, vor allen an den Wochenenden, ganze Familien und genießen die üppigen Angebote an Freizeitvergnügungen oder einfach ein Picknick mit schöner Aussicht auf die Stadt. Der nur 350 Meter über dem Plaza de Armas liegende Cerro verführte mich zu der Entscheidung, ihn zu Fuß zu erklimmen. Nach all den Bergen der Anden ja wohl ein Kinderspiel, wie ich meinte, zumal  die Kabinenbahn am frühen morgen noch nicht in Betrieb war. Der seltsame Blick des Fahrkartenverkäufers an der Talstation der Bahn, der mir bedeutete, dass die Gondeln in einer Stunde ihren Betrieb aufnehmen würden, hätte mich zumindest etwas stutzig machen müssen.

"Da bin ich doch schon lange oben", so meine unbedarfte Antwort, die auf dem Gesicht meines Gesprächspartners nur ein mitleidiges Lächeln hervorrief. Tatsächlich erreichte ich den Gipfel dank unendlich vieler und lang gestreckter Serpentinen zu einem Zeitpunkt als die Bergbahn bereits Hunderte von Besuchern auf den Berg transportiert hatte. Dem Aufstieg zur 36 Meter hohen Marienstatue - dem Wahrzeichen der Stadt und dem Bauwerk in Rio de Janeiro recht ähnlich - folgte dann wie zur Entschädigung der schönste Ausblick auf die Metropole ... wenn, ja wenn da nicht wieder der Smog sein hinderliches Spiel getrieben hätte. Auf einen Abstieg zu Fuß habe ich dann sehr gern verzichtet. Allein schon, weil an diesem letzten Abend meines diesmaligen Aufenthaltes ein Treffen mit einem  Freund geplant war, der mir avisiert hatte, wir würden im besten Fischrestaurant ganz Südamerikas essen und das wollte ich nun keinesfalls verpassen.


Als wir am Abend über die O´Higgins zum Restaurant schlenderten und der Weg uns dann auf schier endlosen Nebenstraßen in ein recht dunkel und verlassen wirkendes Viertel führte,  tauchte bei mir allmählich die Frage auf, ob man denn hier wirklich Südamerikas bestes Fischrestaurant finden könne. - Und wie man das kann! Von einer finsteren, absolut einsamen  Straße aus tritt man ein in ein Ambiente gediegenster Eleganz, in dem befrackte Kellner dezent zu plüschbezogenen Sitzgruppen führen und sofort mit großer Sachkunde die aktuellen Angebote einer übereichen Speisekarte erläutern. Flankiert von  erlesenen Weinen der besten Weingüter Chiles erreichte uns mit unserer Bestellung eine wagenradgroße Silberplatte, darauf aufgeschichtet das Appetitlichste, was der Ozean so zu bieten hat. Hier ist eine wahre Orgie zu beschreiben, denen zuallererst unsere Augen Tribut zollten. Eine solche Fülle an unterschiedlichen Farben, ausgefallenen Formen von Fischen und sonstigem Meeresgetier und alles in ausgewogener Form drapiert mit feinem Gemüse und erlesenem Obst habe ich weder zuvor noch später in solch einer Formvollendung gesehen. Und selbstredend war alles von einer  Frische, die eigentlich nicht überrascht, denn auch Santiago ist ja beinahe eine Küstenstadt, wenn man die paar Kilometer nach Valparaiso mal vernachlässigt.

Auf jeden Fall hätte ich mir gewünscht, nachdem unser Menü  komplett vor uns auf dem Tisch stand, ein Maler vom Formate eines Gauguin hätte dieses Bild auf eine Leinwand gebannt. Die Ästhetik dieser Komposition wäre dann wohl auch irgendwann im Louvre zu bewundern gewesen. Und was die Augen dem Gaumen versprachen, wurde in  keiner Weise enttäuscht und die Verbindung der Hauptzutaten mit einem ausgesprochen ausgefallenen Kompendium an würzigen Kräutern führte zu einer regelrechten Geschmacksexplosion. So begannen wir zu speisen und wie es nun mal ist im Leben: die allmähliche Zerstörung dieses wunderbaren Stilllebens erhöhte unser körperliches Wohlbefinden mit jedem Bissen. Auch die Tatsache, dass sich die Kreditkarte beim Bezahlen vor Schreck leicht verbog, änderte nichts an diesem Gefühl, denn selten war so klar wie hier, dass jeder Cent berechtigt war.


Skizzen zeigen immer nur Details auf. Doch auch noch so viele Skizzen zeichnen kein Gesamtbild. So auch hier, wenn man eine  Stadt wie Santiago beschreiben möchte. Einzelne, sehr unterschiedlich strukturierte Schlaglichter lassen allerdings schon  erkennen, welch liebenswerte Stadt hier pulsiert. Und so wird das Skizzieren weitergehen, denn wie bereits gesagt, man kommt ja gar nicht umhin auf seinem Weg von Nord nach Süd und von Süd nach Nord immer wieder in dieser schönen Stadt eine Zwischenstation einzulegen!

Text + Fotos : Bernd Küpperbusch

[druckversion ed 10/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: chile]





[kol_1] Grenzfall: Zwei Tage durch die Atacama-Wüste



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Es war Nacht als irgendwo zwischen La Serena und Copiapó ein Schild verkündete, dass wir soeben die Region Atacama erreicht hätten. Die Ruta 5, wie die entlang Chiles Atlantikküste verlaufende Panamericana hier heißt, wurde gerade von heftigen Windböen gepeitscht. Überall um uns herum wirbelte Sand, die Sicht betrug weniger als 50 Meter.

Die Atacama Region, auch Verwaltungsregion III genannt, zieht sich über nahezu den gesammten Norden Chiles hinauf zur Grenze mit Peru, landeinwärts bis hoch zur Grenze mit Bolivien und weiter westwärts bis in das Grenzgebiet mit Argentinien. Wir folgten der Panamericana noch einige hundert Kilometer weiter nach Norden bis nach Antofagasta, einer Mischung aus Wildweststadt und modernen Hochhausvierteln.


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Die Ruta 5 führt meist über einen Gebirgskamm, der zwischen 1000 und 2000 Meter hoch liegt. Links geht es rasant hinab zum Pazifik. Ostwärts trennt uns eine weitere Bergkette von der eigentlichen Atacama-Wüste. Hoch in den Bergen glitzern einige weiße Gebäude – Sternwarten, die den unglaublichen Sternenhimmel abtasten.

Abgesehen von den Städten Copiapó und Antofagasta ist es einsam hier. Ab und zu kommen wir an kleinen, verlassen scheinenden Dörfern vorbei. Und alle paar hundert Kilometer erwartet uns ein einsamer Zivilisationsposten mit Tankstelle und Restaurant. Der Rest ist Sand und Fels, von der Sonne in goldenes Licht getaucht.

Von der am Pazifik gelegenen Stadt Antofagasta aus geht es landeinwärts Richtung Calamá, einer Bergwergsstadt auf halber Stecke hinein in die eigentliche Wüste, zu unserem Ziel: San Pedro de Atacama. Hier wollen wir unser Lager aufschlagen, von hier aus die Wunder der Umgebung erkunden.


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Auf unserem Weg kommen wir an verlassenen Minenstädtchen vorbei. Heftige Erdbeben haben die Mauern der Häuser niedersgerissen. Einige Kilometer weiter erwartet uns ein erschütterndes Zeugnis der Erdstöße: ein komplett aus Holzkreuzen bestehender Friedhof, auf dem Mitte des letzten Jahrhunderts die Opfer der Erdbeben begraben wurden.

Ein halb geöffneter Kindersarg gibt den Blick auf ein vertrocknetes Kinderskelett frei. Der Oberkörper bedeckt von Kleidung, die kleinen Lederschuhe in scheinbar perfektem Zustand.

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Hunderte Holzkreuze durchziehen die grau-braune Landschaft. Mittendrin sorgen vereinzelte Blumen für pastellene Farbtupfer. Und eine Nationalflagge flattert im Wind.

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Die chilenische Flagge treffen wir immer wieder entlang des Weges. Sie schmückt die unzähligen Heiligenschreine und Gebetsstätten, wie die der Santa Teresa de los Andes, Angehörige des Karmeliterordens, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts lebte und später vom Vatikan heilig gesprochen wurde.


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Wir ziehen weiter landeinwärts Richtung Atacama-Wüste. Die wellenförmige Landschaft zwischen Calamá und San Pedro reicht bis auf 3500 Meter, danach hinunter bis auf 2300 Meter in San Pedro.


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Diese Stadt hat gerade einmal 3000 Einwohner. Doch sie wimmelt von Touristen aus aller Herren Länder. Rucksacktouristen aus Deutschland und Frankreich, Brasilianer und Chilenen mit ihren Allrad-Geländewagen.

San Pedro gilt als Zentrum der Atacama-Wüste, dem trockensten Fleck auf unserem Planeten. Über Jahre werden keinerlei Niederschläge gemessen. Der Humboldtstrom an der Küste verhindert die Bildung von Regenwolken und die Bergketten der Anden bilden ein natürliches Schutzschild vor Westwinden.


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Zwei Tage haben wir eingeplant, um die Region zu erkunden. Am ersten besuchen wir das Valle de la Luna, das Mondtal, das uns einen traumhaften Sonnenaufgang inmitten der golden-glühenden Berge beschert. Danach fahren wir weiter nach Süden.

Die Vegetation ist karg. Vereinzelt sehen wir Kakteen und kleine, vertrocknete Büsche. Auf der weiten Ebene südlich von San Pedro gibt es zudem kleinere mit Bäumen umgebene Lagunen. Hier treffen wir auf Lamas und Guanacos, die typischen Bewohner der Andenregion. In höher gelegenen Berggebieten streunen Füchse umher, die erstaunlich zutraulich sind. Mit etwas Brot kann man sie bis auf wenige Meter heran locken.


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Wir erreichen die Salar de Atacama, eine riesige Salzwüste, deren flache Bäche von Schwärmen von Flamingos bewohnt werden. Majestätisch gleiten sie im Tiefflug über das Wasser oder schreiten auf ihren dürren Beinen durch das selbige. Bis zu 1500 Meter sei die Salzschicht hier an manchen Stellen tief, erzählt unsere Reiseführerin.

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Weiter südöstlich geht es aus der Ebene hinauf in die von Vulkanen bestimmte Höhen. In dem kleinen Dorf Socaire geraten wir in eine Prozession zu Ehren der Jungfrau von Guadalupe.


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Danach geht es weiter die Berge hinauf. Dort treffen wir auf die türkisfarbenen Gebirgsseen Miscanti und Mineques, die einen beeindruckenden Kontrast zu den gelb strahlenden Gräsern um sie herum bilden.


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Am zweiten Tag brechen wir früh auf. Wir machen uns auf Richtung Norden, zu dem Geysir von Tatio, auf 4300 Metern gelegen. Hier treffen kalte unterirdische Bäche auf das heiße Vulkangestein.

Die Nachttemperaturen erreichen bis zu 10 Grad minus und lassen unsere Fingerkuppen blau anlaufen. Wir versuchen uns über den aus den Geysiren aufsteigenden Wasserdampfschwaden etwas aufzuwärmen.

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Bis zu 10 Metern hoch spucken die Geysire alle paar Minuten ihre Wasserschwaden in den Himmel. Doch das wirklich beeindruckende Spektakel beginnt mit dem Sonnenaufgang, wenn die ersten Sonnenstrahlen sich in den Wasserdampfwolken brechen.


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Vom Tatio-Geysir aus führt unser Weg östlich in Richtung des Jama-Passes, dem Grenzübergang zu Argentinien. Wir machen einen kleinen Abstecher hinüber nach Bolivien, um die Laguna Verde und die Laguna Azul zu besuchen. Am kleinen Grenzposten der bolivianischen Polizei lässt man uns trotz fehlender Einfuhrpapiere für unsere Autos passieren – gegen ein kleines freiwilliges Bakschisch.


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Nach wenigen Kilometern erstrecken sich die blaue und die grüne Lagune vor uns am Horizont. Am Rand zugefroren, wagen wir uns zu Fuß hinauf aufs Eis. Flamingos gleiten über uns hinweg.

Nach drei Stunden in Bolivien sind wir zurück in Chile. Es geht weiter nach Osten, Richtung Argentinien. An einem steilen Anstieg bis auf über 4800 Meter beginnen die Motoren unserer Autos zu stocken.

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Wir müssen die Luftfilter auswechseln - sie sind vollkommen verstopft mit Wüstensand.


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Je näher wir der argentinischen Grenze kommen, desto heftiger weht der Wind. Argentinien sei das Land, in dem der Wind wohne, sagen die Einwohner der Region. Wir müssen ihnen Recht geben.

Atemberaubend schön ist die Landschaft hier im Altiplano. Wir hätten gerne mehr Zeit, um sie zu genießen. Doch wir müssen weiter hinunter nach Salta. Das nächste Mal dann, so schwören wir uns, als wir den Juma-Pass nach Argentinien überqueren.


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Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 10/2008] / [druckversion] / [archiv: grenzfall]





[kol_2] Erlesen: Flamenco, neu betrachtet

"Wenn ich singe, schmeckt mein Mund nach Blut", bekannte der Sänger Manolito el de la María. Der Flamenco besingt ein Leid, das auf sehr konkreten Erfahrungen beruht. Nämlich vor allem auf dem der 1425 aus Indien nach Spanien emigrierten gitanos, die sich einem Staat und einer Gesellschaft gegenüber sahen, die über Jahrhunderte mehr oder weniger gewaltsam versuchten, sie zu integrieren. Diese Ursprünge und die weitere Geschichte des Flamenco arbeitet Autor Kersten Knipp detailreich heraus, wobei er bei seinen tiefschürfenden Recherchen auch viele Anekdoten ausgegraben und in seinem Text verarbeitet hat, so dass man bei der Lektüre zeitweise vergisst, ein Sachbuch in Händen zu halten.

Kersten Knipp
Flamenco
Suhrkamp Verlag 2007
Taschenbuch
244 Seiten, 8,50 Euro

Er beschreibt die Armut des normalen Volkes zur Zeit der Bourbonen und dessen Vorliebe für das deftige Volkstheater, aus dem einige der Vorläufer des Flamencogesangs und -tanzes entsprungen sind: "Tabak, Alkohol, Musik – und nicht zuletzt eine zumindest latent erotische Atmosphäre" bildeten den Rahmen bei der Entstehung der Frühformen des Flamenco. Francos Instrumentalisierung der andalusischen Musik – generell der dortigen Traditionen – erklärt der Autor genauso wie die modernen Strömungen im Flamenco (u.a. Flamenco-Rap) und die damit verbundene, schon immer währende Diskussion über den Flamenco "puro" oder "impuro". Denn Leser, die dachten, der Kampf der Traditionalisten um den reinen Flamenco habe erst in den 1970er Jahren mit Paco de Lucias und Camaróns Modernisierungen des Genres begonnen (u.a. Integration elektrischer Instrumente sowie von Jazz-Elementen), werden eines besseren belehrt: Schon seit den 1920er Jahren, als die Kommerzialisierung des Flamenco in den cafés cantantes begann, tobte dieser Kampf und führte u.a. zu einer von Knipp sehr detailliert beschriebenen Festival-Initiative (1922) des Dichters Federico García Lorca zur Rettung des cante jondo.

Die Herausarbeitung der Kommerzialisierung des Flamenco unterscheidet Knipps Buch von anderen Werken über die inzwischen weltweit beliebte Musik (in Japan existiert eine der vitalsten Szenen von Flamenco-aficionados). Er entzaubert die Legenden, nach denen der Flamenco eine reine Erfindung armer gitanos sei. "Zigeunerhaft", aber nicht "zigeunerisch" wurde er auf dem Weg seiner Verbreitung, zitiert Knipp den Romanisten Hugo Schuchardt (1881) und nimmt diesen Faden auf, um auch in der weiteren Entwicklung der spanischen Nationalmusik immer wieder aufzuzeigen, wie geschickte und clevere Interpreten, Cafébesitzer und Konzertagenten sich den Vorlieben des Publikums anzupassen wussten. So veränderten sie den Flamenco immer weiter bis er das wurde, was er heute ist: einerseits ein kommerziell erfolgreiches Produkt der Musikindustrie, gereinigt von den derben Klängen seines Ursprungs, andererseits – vor allem bei Künstlern wie u.a. Miguel Poveda, Tomasito, Pata Negra oder Ojos de Brujo, die in Madrid und Barcelona in Kontakt mit vielen musikalischen Kulturen dieser Welt kommen – eine Basis für neue, spannende Experimente, die diese Musik auch für die Jugend wieder interessant macht. Denn heute ist der traditionelle Flamenco nur noch eine Option unter vielen.

Text: Torsten Eßer
Foto: amazon.de

[druckversion ed 10/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: erlesen]





[kol_3] Macht Laune: Voll ertüchtigen
Hauptsache kompromissbereit

Wir sind körperlich ertüchtigt. Zurzeit wandern wir. Schont die Gelenke, füllt die Seele mit Frischluft, rötet die Wangen. Wir sind mein kleiner weiblicher Antrieb und ich, Tiger Stups, für den es nichts Größeres gibt als die Jungs lauthals über den Platz zu scheuchen und mit Chips und Bier vor Rage über den verschossenen Elfmeter auf dem Sofa herumzuspringen.

Hey Burschen, ich bin einer von euch. Wachts halt auf. Ihr habts doch auch satt: Ins Grüne, ins Blaue, kurz mal Spazieren. Auf den sinnlosen Trödel, langweilige Möbel gucken, Mode-(Huuuaaa)-Läden, modrige Antiquariate während bei den Paralympics die Rekorde purzeln.

Mein perfekter Tag wäre: Bierfrühstück, Zappen, 500 Gramm Spaghetti. Und deshlab mussten Kompromisse her in Form eines 10 sekündigen Schlagabtauschs. Antrieb fängt an: Den ganzen Tag an der frischen Luft. Tiger Stups: Bewegungsarmut. Antrieb: Kein Fernsehen. Stups: Möglichkeit zum Anlehnen. AUS und VORBEI und gewonnen.

Ja, Burschen: Kommts halt mal vorbei. Wir werden immer mehr. Gesundheit liegt uns am Herzen. Radio statt bewegte Bilder. Sonne statt Heizungsluft. Sonntag ist immer.

Text + Foto: Don Röschen

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[kol_4] Lauschrausch: Vier Damen aus Brasilien

Clara Bellar
Meu coração brasileiro
Alô Alô / galileo mc
Wer seinen Sommer mit brasilianischen Klängen in den Herbst hinein verlängern möchte, sollte eines der folgenden Alben erwerben – oder gleich alle vier? Mit Clara Bellars CD beginnen wir eine Reise, die mit klassischen Bossa Novas aufwartet. Die Sängerin interpretiert mit ihrer angenehmen und leichten Stimme 16 im Klang ein wenig modernisierte Bossas und Sambas von berühmten Komponisten wie Gilberto Gil oder Chico Buarque – nur ein Song ist neu – und hat sich ebenso bekannte Unterstützung eingeladen: Milton Nascimento, João Bosco und Dori Caymmi singen bei einigen Titeln mit.

Clara Bellar
Meu coração brasileiro
Alô Alô / galileo mc

Juliana Aquino
Disco [meets] Bossa
Peacelounge/ Alive
Juliana Aquino wählt für ihr Album einen originelleren, aber auch schwierigeren Weg. Sie nimmt Disco-Klassiker wie "I’m every woman" von Chaka Khan und entschleunigt sie auf Bossa-Nova-Niveau. Interessant wäre zu sehen, wie John Travolta zu "Staying Alive" in diesem Tempo sein Jackett weggeschleudert hätte… Weiteren 70er-Jahre-Partyhits wie "I will survive" oder "Love is in the air" verpasst Aquino gekonnt brasilianisches Flair – ohne die Texte zu übersetzen – und einen jazzig-coolen Touch, auch wenn es zunächst gewöhnungsbedürftig ist einen Tanzflächenknüller wie "Don’t let me be misunderstood" von Santa Esmeralda auf diese Art zu hören. Bei einigen Songs wird so erst ihre Qualität jenseits des dancefloors hörbar. Ein Album mit einigen Überraschungsmomenten.

Juliana Aquino
Disco [meets] Bossa
Peacelounge/ Alive

Marissa
Alô Alô
Alô Alô / galileo mc
Viel Wert auf Tanzbarkeit legt hingegen Marissa Groberg mit ihrem Album "Alô Alô". Moderne Arrangements mit mal dezenteren, mal härteren (Break) Beats ("Mundo melhor") durchziehen die Stücke der Percussionistin und Sängerin aus Rio de Janeiro. Marissa präsentiert eine zeitgenössische Sambaversion mit Anklängen an die Bossa. Der Titelsong "Alô Alô" wurde 1933 von André Filho komponiert und von Carmen Miranda berühmt gemacht.

Marissa
Alô Alô
Alô Alô / galileo mc

Lygia Campos
Meu Nome E Brasile
galileo mc
Ebenfalls aus Rio stammt Lygia Campos, die aber heute in München lebt. Sie präsentiert uns 12 Eigenkompositionen (und zwei Cover), die von Samba-Batucada bis Pop reichen. Und sie zeigt uns eine jazzigere ("Theresa") und jazzrockigere ("Trem pra Munique") Seite der brasilianischen Gesangskunst ohne dabei die typische Leichtigkeit zu verlieren. Hier spielt Gitarrist Paulo Morello eine wichtige Rolle, der sich hörbar an Carlos Santana orientiert. "Meu Nome E Brasile" demonstriert zwischen afrikanischen Rhythmen und Swing die Liebe von Lygia Campos zu ihrem Land.

Lygia Campos
Meu Nome E Brasile
galileo mc

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon

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