suche



 


[kol_1] Macht Laune: Portugiesen in Hamburg

Hamburg - Das Tor zur Welt führt nicht nur in diese hinaus, sondern auch nach Hamburg hinein, und so habe ich die letzte Zeit damit verbracht, in dieser meiner neuen Heimat nach den Arten von Fremden und Neuankömmlingen zu suchen, über die sich vielleicht eine Kolumne schreiben ließe, jetzt, wo nicht mehr ich der Neuankömmling in der Fremde bin.

Lange braucht man nicht, bis man darauf aufmerksam wird, dass hier kaum jemand, der etwas auf sich hält, noch Milchkaffee trinkt. Nein, der Hamburger von Welt trinkt: Galão. Das ist natürlich portugiesisch, sieht man ja schon an dem nasalen ã, und mit Portugiesisch kenne ich mich aus. Allerdings nicht genug, um nicht überrascht zu sein, als meine Recherche ergibt, dass "Galão" erstaunlicherweise Borte oder Tresse bedeutet. Und nichts zu tun hat mit dem Galan, dem galanten Edelmann.

Vielleicht ist aber auch die Rede von einem besonders großen Galo, Hahn - so etwas könnte man meiner Meinung nach auch Galão nennen, und das könnte mein Wörterbuch übersehen haben. Das ("Der dich morgens weckt") wäre, ebenso wie Galan (das Getränk für den Gentleman), eine irgendwie angemessenere Bezeichnung für einen Milchkaffee als Borte oder Tresse.

Wie auch immer: Ein Galão ist ein Kaffee mit Milch, wenn man ihn bei einem Portugiesen kauft, und der Galão hat den Latte Macchiato als schickes In-Getränk abgelöst. Das ist natürlich die Erklärung, die der Ignorant liefert - was hab ich schon für eine Ahnung von Kaffeespezialitäten? Eine wesentlich weniger ignorante Freundin kommentiert hellsichtig: "Kann gerade nicht viel schreiben, aber ich freu mich, dass dir Hamburg gefällt, vielleicht trinkst du auch zur Abwechslung mal ne Bica oder eine Bica Cheia oder eine Bica com Cheiro oder einen Café Duplo oder eine Meia de Leite (die ja eigentlich eher dem simplen Milchkaffee entspricht, während der Galão, zumindest in der feinen Version ‚de Máquina’, dem Cafe Latte gleicht. So zumindest das Lissaboner Original. Die abgespeckte Version ist einfach in heißer Milch aufgelöster Instantkaffee.) Brauchst ja gar nicht glauben, du wärest der einzige Mensch von Welt."

Beruhigend ist da nur, dass ich wohl nicht der einzige Ignorant bin. Manchmal verkaufen nämlich auch Leute, die keine Portugiesen und keine Kaffeespezialitätenexperten sind, in ihren Cafés Galão und Milchkaffee, und fragt dann der wissbegierige und preisbewusste Kunde nach dem Unterschied, so sagt man ihm: "Ääääh… der Milchkaffee kommt in einem größeren Glas."

Solche Zwischenfälle sind allerdings leicht vermeidbar, denn das Etablissement des echten Portugiesen mit dem echten Galão ist nie weit. Hamburg hat 67 portugiesische Cafés, davon die meisten in den einschlägigen Zum-Kaffetrinken-Ausgeh-Vierteln flächendeckend verteilt.

Das hat seinen Grund: Zum einen ist offenbar die Nachfrage nach Galão und zweifellos köstlichen portugiesischen Pasteten und Küchlein groß, zum anderen gibt es einfach recht viele Portugiesen in der Hansestadt, nämlich um die 10.000, die größte portugiesische Gemeinde Deutschlands.

Wenn allerdings eine Einwanderungstradition eine so lange Geschichte hat wie die der Hamburger Portugiesen, dann ist die Frage, ob man überhaupt noch mit Fug und Recht von Fremden oder Neuankömmlingen sprechen kann, wie ich es oben getan habe. Die ersten portugiesischen Immigranten in Hamburg waren im 17. Jahrhundert aus dem katholischen Portugal vertriebene Juden - die Stadt war 1529 protestantisch und somit für viele Verfolgte ein Zufluchtsort geworden.

Zwar zählte die portugiesische Bevölkerung zu dieser Zeit nur um die 700 Seelen, aber Hamburg hatte insgesamt noch nicht mehr als 30.000 Einwohner, so dass der portugiesische Anteil der Hamburger damals noch größer war, als er es heute ist.

Bis dann der nächste große Einwanderungsschub kam, dauerte es eine Weile: Der größte Teil der heute in Hamburg lebenden Portugiesen geht auf die deutsche Anwerbung von Gastarbeitern in den sechziger Jahren zurück. Die meisten von ihnen betätigten sich zunächst in der Fischerei und Fischverarbeitung; inzwischen jedoch ist es die Fischzubereitung und sonstige gastronomische Aktivitäten, mit der viele ihren Lebensunterhalt verdienen.

Und was tun sie sonst noch so die Hamburger Portugiesen? Gibt es die portugiesische Gemeinde als solche, wenn die Cafés Feierabend machen? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht genau. Jenseits der Cafés ist eine portugiesische Präsenz schwer auszumachen. Man hört, dass es hier einmal eine blühende Fado-Kultur gegeben habe - aber diese Szene ist nicht mehr so lebendig, wie sie es mal war; man hört gar, dass es nur noch einen echten Fado-Sänger in Hamburg gebe. Der ist melancholisch und traurig nicht nur, weil das seine Aufgabe als Fado-Sänger ist, sondern auch, weil sich seine Landsleute nicht mehr für den Fado interessieren.

Aktiver sei die Folklore-Szene, höre ich noch - und wo kann man die Folklore-Szene besser beobachten als auf einem Festival der Kulturen? Berlin hat einen Karneval der Kulturen, aber was ist das schon, wenn Hamburg an einem Wochenende Karneval und Festival der Kulturen dagegensetzt? Den großen Umzug verpasse ich, also kann ich nur noch einen Tag später über den Uni-Campus schlendern und mir die in leicht verdauliche Häppchen - vor allem, aber nicht nur kulinarischer Natur - aufgeteilten Präsentationen der in Hamburg ansässigen Kulturen ansehen.

An einem Stand liest eine authentisch in ein Maya-Kostüm gehüllte Guatemaltekin (ich erkenne sie spätestens an dem Banner mit der Aufschrift "Guatemala" über dem Stand) für ein paar Kinder aus einem authentischen Maya-Tarot die Karten: "Der TOOOOOOOOD! La Muerte!", sagt sie, und die Kinder machen große Augen.

Ein Kiosk aus groben Holzbohlen verkauft in verschiedenen Variationen Fleisch am Spieß; der zuständige Mensch trägt eine franziskanerartige Kutte. Was mag das für eine Kultur sein? Ein entsprechendes Banner fehlt. Vielleicht "Mittelalter"?

Schließlich finde ich Portugiesen. Eine folkloristische Kindergruppe, in Trachten aus verschiedenen Teilen Portugals, tanzen für ein kleines Publikum auf einer kleinen Bühne, begleitet vom Gesang älterer Leute. Die Kinder sehen niedlich aus und haben offensichtlich Spaß an der Veranstaltung, aber ich war zugegebenermaßen enttäuscht, dass die größte portugiesische Gemeinde Deutschlands auf einem solchen Fest nicht präsenter ist.

Die Brasilianer dagegen, um die Ecke, auf einer größeren Bühne, wussten irgendwie besser, wie man auf sich aufmerksam macht. Durch lautes Trommeln zum Beispiel, wie es ihre Art ist. Dabei gibt es von denen in Hamburg nicht mal 2000. Was sie offenbar nicht davon abhält, wild zu tanzen und dabei ganz nebenbei vortreffliches Marketing für ihre Kultur zu betreiben.

Die Portugiesen allerdings sind nicht wie die Brasilianer, trotz der engen Verwandtschaft, die man eigentlich annehmen müsste.

Selbst unter den anderen Südländern in Europa nehmen sie eine kulturelle Sonderposition ein, ist ihr Image doch eben nicht das feurig-fröhliche, extrovertierte, das man zum Beispiel Spaniern und Italienern unterstellt. Der Fado kann ein Lied davon singen. Und weil nicht einmal der in Hamburg noch gesungen wird, macht offenbar portugiesische Zurückhaltung die portugiesische Minderheit zu einer, die man leicht übersehen kann - vorausgesetzt, man begeht den Fehler, beim klassischen Milchkaffee zu bleiben und sich niemals ein Pastel de Nata zu gönnen. Und das sollte man nun wirklich nicht tun.

Text + Fotos: Nico Czaja