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[art_1] Brasilien: Zwischen den Kulturen
Gerry Hardy und der Tourismus in Manaus

Es sieht aus, als ob man Milch in den Kaffee gießt und nicht verrührt. Etwa 10 Kilometer südlich des Stadtzentrums von Manaus bietet sich dem Betrachter ein einmaliges Naturschauspiel: der Schwarzwasserfluss Rio Negro und der ocker-braun-farbene Rio Solimões treffen aufeinander. Gemeinsam bilden sie ab hier den Amazonas-Strom.

Über zig Kilometer fließen die beiden zwar gemeinsam im gleichen Flussbett, vermischen sich jedoch nicht. Ungleiche Fließgeschwindigkeiten und Wassertemperaturen müssen sich erst langsam angleichen.

Wer eine Dschungeltour mit Gerry Hardy unternimmt, bekommt das einmalige Naturschauspiel gleich mitgeliefert. Die mehrere Kilometer lange Flussüberquerung ist der Ausgangspunkt für den Trip. Hardy ist seit über 25 Jahren im Geschäft. Angefangen hat der Sohn eines nach dem 2. Weltkrieg nach Südamerika ausgewanderten Engländers und einer Indianerin aus dem Grenzgebiet zwischen Brasilien, Venezuela und British Guayana aber in einer ganz anderen Branche.

"Ich war Goldgräber, im Grenzgebiet. Dort habe ich nach Gold und auch nach Diamanten gesucht. Aber nachdem ich zweimal an Malaria und einmal an Hepatitis erkrankt war, wurde mir klar, dass dort alles einen hohen Preis hat - bis auf das Leben eines Menschen."

Hardy beschloss, den nördlichsten Bundesstaat Roraima zu verlassen und sein Glück weiter südlich in Manaus zu suchen. "In Boa Vista, der Hauptstadt von Roraima, gab es keine Arbeit, und so machte ich mich auf nach Manaus, wo ich in einem Hotel eine Anstellung am Empfang bekam. Durch den direkten Kontakt mit den Touristen wurde mir klar, dass das Tourismusgeschäft hier in Manaus noch in den Kinderschuhen steckte. Da boten sich noch eine Menge Chancen. Die wenigen Agenturen, die es damals gab, bedienten nur den 5 Sterne Tourismus. Niemand dachte an die vielen Studenten, die mit dem Rucksack unterwegs waren."

In den ersten Jahren führte Hardy noch selber Touristengruppen durch den Dschungel. Nach der Heirat mit einer ortsansässigen Indianerin quartierte er die zumeist europäischen Touristen in den Holzhäusern der Familie seiner Frau ein, inmitten des Urwald, gut fünf Bootsstunden südlich von Manaus.

Geschlafen wurde in Hängematten, waschen musste man sich im Fluss und Strom gab es auch nicht. Für die Familie seiner Frau bedeutete der Kontakt mit den Touristen die Chance, eine neuartige Einnahmequelle zu erschließen. "Nun, der Wohlstand hat Einzug gehalten, denn allen geht es seither finanziell gut."

Doch der Kultursprung ist nicht einfach. "Trotzdem haben sie es nicht geschafft, wirklich voran zu kommen - es fehlt ihnen an der nötigen Bildung. Sie sind auf das begrenzt, was sie gelernt haben, und schaffen es nicht, sich darüber hinaus weiterentwickeln."

Die Familie von Hardys Frau bildet eine Ausnahme im Amazonas-Tourismusgeschäft. Normalerweise haben einheimische Indianer kaum eine Chance vom boomenden Dschungeltourismus zu profitieren.

Den meisten fehlen Fremdsprachenkenntnisse und weitere Qualifikationen, die man nun mal im Tourismusgeschäft braucht. "Es gibt einige Indios, die den Sprung in die Tourismusbranche geschafft haben. Aber es sind sehr wenige. Nur diejenigen schaffen es, die sich an die herrschende westliche Kultur angepasst haben. Entweder haben sie in den USA oder sonstwo im Ausland gelebt und dort Fremdsprachen erlernt. Oder sie leben im Grenzgebiet zu Venezuela und Kolumbien und kennen den Urwald wie ihre Westentasche. Die hier aus der Gegend von Manaus stammenden Indios jedoch haben weder das eine noch das andere und praktisch keine Chance."

Heute beschäftigt Hardy etwa ein Dutzend Angestellte: Guides, Köche, Bootsführer und Verkäufer, die den in Manaus ankommenden Touristen gleich am Flughafen die mehrtägigen Dschungeltouren anpreisen.

Mittlerweile muss man auch nicht mehr in Hängematten schlafen oder sich im Fluss waschen. In den letzten Jahren hat Hardy massiv im Urwald investiert und kleine Chalets mit WC und Dusche gebaut. Der Luxus hat Einzug gehalten. Seinen Erfolg, so meint Hardy, verdankt er seiner ungewöhnlichen Herkunft. "Da meine Mutter Indianerin und mein Vater Engländer ist, kann ich auf beide Arten denken. Zum einen in der Art der materiellen Welt, der mein Vater entstammt, und zum anderen in der Art der naturbelassenen Welt meiner Mutter. Ich verstehe beide Welten. Oder besser, ich kann beide Welten zusammenführen. In der westlichen Welt dreht sich alles um den materiellen Wohlstand, wohingegen in der indianischen Welt die Unversehrtheit und Geschlossenheit der Familie im Mittelpunkt stehen; der Zusammenhalt einer Gruppe, damit diese überleben kann. Die andere Welt hingegen ist eine Welt der Individualisten, in der das Geld regiert und alles kontrolliert."

Materieller Erfolg und familiärer Zusammenhalt - den Drahtseilakt zwischen zwei so unterschiedlichen Kulturen beherrscht Hardy. Ob seine Kinder seinem Vorbild folgen werden, bleibt abzuwarten. Ihre englische Abstammung ermöglicht ihnen ganz andere Perspektiven als den übrigen Indianern hier. Und so träumen Hardys Kinder von einem Studium in London und einem Leben weit weg vom Urwald - in Rio, São Paulo oder gar in Europa.

"Ich wünsche mir sehr, dass sie das weiter machen würden, was ich gepflanzt habe. Aber das wird von deren eigenen Entscheidungen abhängen. Jeder macht das, was er gerne machen will. Ich werde versuchen, sie in diese Richtung zu motivieren, aber ich kann sie nicht dazu zwingen."

Text + Fotos: Thomas Milz

Kontakt zu Gerry Hardy
Iguana Tourismo
Hotel 10 de Julho
Rua 10 de Julho, 679, sala 1
Centro - Manaus
092 - 3633 6507 und 092 - 9615 0480
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