caiman.de 09/2013

[kol_2] Grenzfall: Erinnerung an Víctor Jara
Zum 40. Todestag des großen chilenischen Sängers
 
Víctor Jaras Frau Joan beschreibt den Morgen jenes 11. September 1973 als einen kalten, Nebel verhangenen Tagesbeginn. Ihr Mann, der chilenische Sänger und Theaterdirektor Víctor Jara, machte sich auf den Weg in die Universidad Técnica, wo er der Eröffnung einer Ausstellung über die Gräuel des Faschismus beiwohnen wollte. Erwartet wurde auch Staatspräsident Salvador Allende.

Doch Allende kam nicht. Sein Palast wurde an jenem Morgen von den Truppen unter General Augusto Pinochet umstellt und bombardiert. Allende konnte sich in einer Radioansprache noch von seinem Volk verabschieden, dann tötete er sich im Angesicht der den Palast stürmenden Soldaten selber mit zwei Schüssen. Gleichzeitig verhafteten Pinochets Soldaten Víctor Jara in der Universidad Técnica und brachten ihn mit anderen Gefangenen in den Sportkomplex Estádio Chile.

Für das Militär war Jara nichts weiter als ein Marxist, ein subversiver Liedermacher der offen seine kommunistischen Überzeugungen heraussang, die UDSSR lobte und den amerikanischen Vietnamkrieg verurteilte. Sein Protest richtete sich auch gegen die Aktion der chilenischen Polizei, die im März 1969 eine Landbesetzung nahe Puerto Montt gewaltsam auflöste und dabei 10 Personen tötete. Ein Massaker, besungen von Jara in dem Lied "Preguntas por Puerto Montt".

Victor Jara - Preguntas por Puerto Montt

Vier Tage lang wurde Jara von Pinochets Schergen gefoltert, sein Körper mit brennenden Zigaretten gebrandmarkt, seine Seele mit inszenierten Erschießungen gequält. Zuletzt soll er noch ein Gedicht über die im Estádio Chile errichtete Hölle verfasst haben.

"Espanto como el que vivo
como el que muero, espanto.
De verme entre tanto y tantos
momentos del infinito
en que el silencio y el grito
son las metas de este canto."

"Spiel doch jetzt die Guitarre, Scheißkommunist" sollen die Soldaten ihn aufgefordert haben, nachdem sie ihm mit Schlägen ihrer Gewehrkolben beide Hände zerschmettert hatten. Die Hände, die einst so wundervolle Lieder wie "Paloma quiero contarte" spielten.

"Lloro con cada recuerdo
a pesar que me contengo.
Lloro con rabia pa' fuera
pero muy hondo pa' dentro,
palomita verte quiero."

Victor Jara - Paloma quiero contarte

Am 16. September 1973 fand der Höllentrip des Víctor Jara sein Ende. Mit 44 Kugeln tötete man die Stimme Chiles. Zurück ließ er einen reichen Schatz an Liedern, Gedichten und Theaterarbeiten, die er in seinen kurzen 40 Lebensjahren erschuf.

Für sein Land dagegen war es erst der Beginn von nahezu drei Jahrzehnten unter der Herrschaft des grausamen Herrn Pinochet. In Freiheit durfte dieser 91 Jahre alt werden, zurück ließ er ein vor ihm zitterndes Land, das seinen gewaltigen Schatten bis heute immer noch abzuschütteln sucht. Zurück ließ Pinochet auch über 2.000 Tote, über 1.000 Verschwundene und zwischen 30.000 und 40.000 Chilenen, die von seinen Knechten gefoltert wurden.

Einer davon war Víctor Jara. Im August 1973, wenige Tage vor Pinochets Putsch, spielte Jara auf einem Konzert in Peru sein Lied "El derecho de vivir en paz", das die Gräueltaten des Vietnamkriegs verurteilt. Das Recht, in Frieden zu leben, wurde ihm ebenso verweigert wie das Recht, in Frieden zu sterben.

Victor Jara El derecho de vivir en Paz

Text: Thomas Milz

[druckversion ed 09/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]