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[art_3] Peru: Die Keks-Schmuggler von Piura
 
Ich hätte von Anfang an misstrauisch sein sollen. Der Bus, den ich an jenem kühlen Donnerstagmorgen am Busbahnhof der südecuadorianischen Stadt Loja erblickte, war entschieden zu neu. In den letzten fünf Wochen waren alle Busse, mit denen ich kreuz und quer durch Ecuador gefahren war, stets deutlich älter und wesentlich weniger verkehrstauglich gewesen. Auf all diesen Fahrten war nie etwas passiert. Doch jetzt sollte es in diesem klimatisierten Ungetüm mit krawattetragendem Fahrkartenkontrolleur über die peruanische Grenze nach Piura gehen. Ich fühlte mich entschieden zu sicher. In meinem Vorstellungsvermögen existierte die Möglichkeit, dass die Fahrt problematisch verlaufen könnte, gar nicht. Bekanntermaßen wird man vor allem dann von Überraschungen heimgesucht, wenn man am wenigsten mit ihnen rechnet. Diese Fahrt sollte da keine Ausnahme bilden.

Zunächst ging alles gut. Fünf Stunden lang folgte unser Bus einer kurvigen Route durch die Ausläufer der Vulkanstraße Richtung Peru. Je weiter wir nach Süden kamen, desto karger wurde die Landschaft. Die saftig grünen, von Feldern überzogenen Berghänge Ecuadors wichen einer von einsamen Eseln bevölkerten Hügellandschaft mit verdorrten Steppentälern.

Dann erreichten wir Peru. Die Grenzformalitäten waren schnell erledigt, der scherzende Grenzbeamte sprach sogar Deutsch und gab mir bereitwillig eine Aufenthaltsgenehmigung für 90 Tage. Dann passierte es: zehn Minuten nachdem wir die Grenze hinter uns gelassen hatten, blieb unser Bus plötzlich stehen. Ursache war ein Motorschaden - und bald war klar, dass wir nicht weiterfahren würden.

Wir befanden uns mittlerweile jenseits der Hügel in einer wüstenartigen Landschaft, in der es nicht viel gab außer unserer Straße. Die zehn verbliebenen Fahrgäste (der Großteil war vor der peruanischen Grenze ausgestiegen) fingen an, aufgeregt mit dem Busfahrer und dem Fahrkartenkontrolleur zu streiten. Offensichtlich würde die Busgesellschaft in nächster Zeit keinen Ersatzbus schicken, dafür wurden uns 4 Dollar des Fahrpreises erlassen. Allerdings war nun jeder auf sich allein gestellt, was das Weiterkommen nach Piura betraf.

Ehe diese Vereinbarung in die Tat umgesetzt werden konnte, hielt ein rotes Auto am Straßenrand, auf dessen Windschutzscheibe in gotisch anmutenden Buchstaben "Todo lo puedo en Christo" stand. Am Steuer saß ein schmächtiger junger Mann, der so gar nicht zu seiner etwas älteren, voluminösen Beifahrerin passen wollte, die mich an eine südamerikanische Mischung aus Miss Piggy und Missy Elliot erinnerte. Billiger Goldschmuck klimperte an ihren Handgelenken und ich konnte nicht sagen, ob sie die Freundin oder die Mutter des Fahrers war. Die beiden boten freundlich an, einige von uns mitzunehmen. Ein argentinisches Pärchen, ein Pärchen aus Hong Kong und ich nahmen dieses Angebot ohne groß nachzudenken an, in der Hoffnung, so noch unseren Anschlussbus nach Lima zu erwischen, der Piura einige Stunden später verlassen sollte. Also gab der Busfahrer unserer Mitfahrgelegenheit kurzerhand 20 Dollar und wir fünf quetschten uns auf die Rückbank des Autos. Unsere Rucksäcke wurden aufs Dach geschnallt und los ging die Fahrt.

Wie uns etwas spät auffiel, war der Kofferraum des Autos voller Kisten, die jede Menge Packungen ecuadorianischer Kekse enthielten. Vorerst machten wir uns keine großen Gedanken darüber und waren glücklich, doch noch nach Piura zu kommen. So schossen wir über die Wüstenstraße, während der Auspuff des ans Batmobil erinnernden, auf Hochtouren röhrenden Toyotas beständig knallte. Nachdem die Argentinier dem Gespräch unserer Mitfahrgelegenheit gelauscht hatten, änderte sich unser Gemütszustand. Ging aus diesem doch hervor, dass die beiden ihre Keks-Fracht (und was auch immer sich sonst noch in den Kisten versteckt hielt) über die Grenze geschmuggelt hatten, und so im weiteren Verlauf der Fahrt gezwungen waren, jeglicher Polizeikontrolle aus dem Weg zu gehen.

Das jedoch sollte sich als schwieriges Unterfangen herausstellen, denn keine fünf Minuten später gerieten wir in die erste Polizeikontrolle. Allerdings reichte ein gekrächzter Gruß unseres Fahrers und vorbei waren wir - offenbar kannte man sich unter Schmugglern und Grenzpolizisten. Bei der nächsten Polizeikontrolle war ein herzlicher Gruß nicht mehr genug: wir mussten aussteigen, unsere Pässe zeigen. Uns wurde etwas bange, insbesondere da wir in einem divahaften Monolog der Beifahrerin gegenüber den Polizisten als "Gäste" ausgegeben wurden. Kurz darauf verschwand die Dame scherzend mit einem Polizisten hinter dem Polizeiauto. Dort wechselten mit einem geübten Handschlag ein paar Geldscheine den Besitzer. Freundlich wünschte man uns daraufhin eine gute Reise.

Dasselbe Spielchen wiederholte sich ein weiteres Mal einige Minuten später. Aber wir befanden uns nach wie vor auf der ausgebauten Hauptverkehrsstraße und kamen unserem Ziel langsam aber sicher näher. Ein Schild zeigte an: 60 Kilometer bis nach Piura.

Plötzlich jedoch bog unser Auto von der asphaltierten Hauptstraße auf eine sandige Nebenpiste ab. Unser Fahrer versicherte uns, dass es jetzt drei oder vier Kilometer auf eine andere Hauptstraße gehen würde. Als wir nach 30 Minuten noch immer auf der Schotter- und Sandpiste an einem verlassenen Kanal entlangrasten, begannen wir uns ernsthaft Sorgen zu machen. Auf der holprigen Straße waren obendrein die Kisten im Kofferraum teilweise geplatzt und immer mehr Kekspackungen landeten auf der Rückbank.

Wir begannen derweil zu realisieren, wie machtlos, wie ausgeliefert wir waren. Wir diskutierten auf Englisch, was unsere Optionen wären und stellten fest, dass wir keine hatten. Uns dämmerte, wie klug es gewesen wäre, nach dem Abbiegen von der Hauptstraße auszusteigen.

Irgendwann hielt das Auto vor einem Haus, das abgelegener nicht hätte sein können. Die bis dahin in Schach gehaltene Panik in uns flammte auf. Eine gefühlte Ewigkeit verstrich, ehe sich unser Fahrer in Zeitlupe aus dem Auto hievte. Während wir damit rechneten, dass jeden Augenblick Pistolen schwingende Männer aus dem Haus stürmen, ging er mit grimmiger Miene langsam um das Auto herum - und öffnete schließlich die Motorhaube: überhitzter Motor.

Jenseits der Lehmmauer, die das Haus umgab, vernahmen wir Stimmen. Doch während wir vor Schreck erstarrten, studierte die Diva auf dem Beifahrersitz gelassen ihre rosa gefärbten Fingernägel. Wenige Augenblicke später traten zwei Schatten auf die Straße. Aber: statt dunkler Gestalten waren es nur Kinder mit einem Fußball, die uns mit großen Augen anschauten. Wenige Minuten später setzten wir unsere Fahrt fort, erleichtert und ein bisschen beschämt, dass wir mit dem Schlimmsten gerechnet hatten.

Bald darauf ging unsere Sandpiste in eine asphaltierte Straße über. Dann erschienen in der Ferne die Randbezirke einer Stadt. War das Piura? Wir waren uns nicht sicher, wir hätten genauso gut wieder in Ecuador sein können. Aber dann begannen unsere Fahrer darüber zu debattieren, wo sie uns absetzen sollten. Man könne uns nicht am Busterminal Piuras rauslassen, weil da Leute seien, die das Auto nicht sehen dürften. Auch sei überall Polizei und es wäre am besten, überhaupt nicht in die Stadt reinzufahren. Auf unser zähes Drängen hin wurden wir schließlich an einem Markt in der Stadt abgesetzt. Hier sollten auch die Kekse - oder was auch immer - ausgeladen werden. Es war uns auch egal, wir waren einfach froh, heil in Piura angekommen zu sein.

Wir nahmen ein Taxi zum Busbahnhof und als die sandigen Straßen Piuras jenseits der Fensterscheibe an mir vorbeizogen, realisierte ich, gerade eine Backpacker-Weisheit am eigenen Leib erlebt zu haben: "South America - everything is possible, nothing is secure."

Text: Robert Gast

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