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[art_2] Brasilien: Endlich Land in Sicht?
Volksbegehren zur Begrenzung von Landbesitz
 
Staubtrocken ist der Boden rund um das Landlosencamp "Vale da Conquista" nahe des Städtchens Sobradinho im Norden des Bundesstaates Bahia. Zwischen Kakteen und dürren Sträuchern hausen unter der erbarmungslosen Sonne seit mehr als drei Jahren gut 400 Familien. Sie warten darauf, dass ihnen endlich Land zugesprochen wird.

Hoffnung setzen sie nach Jahren der Enttäuschung nun auf das in der ersten Septemberwoche in ganz Brasilien stattfindende Plebiszit zur Begrenzung von Landbesitz.

Seit zehn Jahren schon laufen die Vorbereitungen des "Nationalen Forums für die Landreform und Gerechtigkeit auf dem Land" (FNRA), der Basisorganisation, die hinter dem Plebiszit steht. Mittlerweile sind es gut 40 Einzelorganisationen, darunter die Landlosenbewegungen und Basisorganisationen der katholischen Kirche, die sich die Landumverteilung auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Nun soll es also soweit sein. 1,5 Millionen Unterschriften braucht die Bewegung um das Volksbegehren in den Kongress einzubringen, wo dann darüber abgestimmt werden wird, ob eine Begrenzung des Landbesitzes in die Verfassung aufgenommen werden soll.

"Wir wünschen uns, dass es ein Erfolg wird, aber Sie wissen ja, dass dieser Kampf nicht einfach ist", sagt Antonio Carlos, der Leiter des Camps, an dessen Eingang die Fahnen der Landlosenbewegung Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra (MST) wehen. "Und der Versuch kostet uns ja nichts, und irgendwas müssen wir nun mal unternehmen." Mit dem Amtsantritt von Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, dessen Bild von unzähligen Plakaten auf den Hütten des Camps herablächelt, hatte man sich eigentlich die Realisierung der Agrarfrage erhofft. Doch in nahezu acht Jahren unter Lula ist nicht viel passiert. "Sie wissen ja auch, wie das mit der Politik hier so ist."

Im semi-ariden Nordosten braucht man nicht nur Land, sondern auch Zugang zu Wasser. Ohne Bewässerungsprogramme - Wasser muss aus den wenigen großen Flüssen abgepumpt und dann zu den Feldern transferiert werden – ist jede Mühe umsonst. Wenige Kilometer vom Camp entfernt liegen riesige Weintrauben- und Mango-Plantagen, die mit Wasser aus dem nahen São Francisco-Fluss und mittels ausgeklügelter Bewässerungssysteme versorgt werden. Bezahlen müssen die Eigner aus unerfindlichen Gründen dafür nicht, anders als die lokale Bevölkerung, die nahe des São Francisco lebt. Letztere muss sich Tankwagen mit 10.000 Liter Trinkwasser kommen lassen, um ihre Zisternen aufzufüllen. Und sie zahlt 100 Reais pro Anfahrt.

Auch die MST-Leute haben ein Bewässerungssystem aufgebaut, mit dem sie einen trockenen Acker hinter den Hütten in ein Mais- und Bohnenfeld verwandeln wollen. Doch die Pumpe funktioniert nicht und die Brunnen, aus denen das Wasser kommen soll, sind nahezu trocken.
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Die Organisatoren würden auch gerne eine direkte Wasserleitung zum São Francisco installieren, aber davon können sie nur träumen: "Hier in der Region haben die großen Unternehmen die besten Ländereien mitsamt Bewässerungsprogrammen für ihre Felder. Die Armen dagegen haben nichts."

Auf maximal 35 Module soll der Landbesitz laut Plebiszit begrenzt werden. Ein Modul entspricht der Fläche, die man braucht, um eine Familie zu ernähren. Brasiliens größte Landbesitzer nennen derweil Flächen ihr eigen, die der Größe deutscher Bundesländer entsprechen.

Wer mehr als die 35 Module, deren Größe in Abhängigkeit von der Fruchtbarkeit des Bodens zwischen den einzelnen Regionen und Biomen Brasiliens unterschiedlich ausfallen kann, besitzt, soll diese an den Bund abgeben. Der Bund verteilt das Land dann an Landlose. 200 Millionen Hektar sollen so umverteilt werden - Hoffnung für hunderttausende armer Familien.

Vorbild für das Volksbegehren ist der Erfolg von "Ficha Limpa", einem Plebiszit, das die schwarzen Schafe unter Brasiliens Politikern von Wahlen ausschließen wollte und mittlerweile zum Gesetz geworden ist. Einen ähnlichen Erfolg erhoffen sich die Organisatoren des Plebiszites zur Landbegrenzung. "Wir können nicht erwarten, dass die Abgeordneten von sich aus ein Gesetz zur Landbegrenzung verabschieden, denn im Kongress sitzen ja einige der größten Landbesitzer", erklärt Padre Juvenal. "Deshalb muss die Initiative vom Volk ausgehen."

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Der 77-jährige Padre lebt in einer kleinen Gemeinde auf der anderen Seite des São Francisco-Flusses, in Pernambuco nahe der Stadt Garanhuns, der Geburtsstadt Präsident Lulas. Gemeinsam mit Basisorganisationen der katholischen Kirche wie Caritas und der Landpastorale engagiert er sich für mehr Gerechtigkeit auf dem Land. "Wir werden am 7. September einen Marsch durch die Stadt organisieren. Im Anschluss daran können die Menschen ihre Unterschrift auf die Liste setzen."

Es könnte sich also auf Brasiliens Feldern endlich etwas tun. "Natürlich haben wir Hoffnung", sagt Antonio Carlos im MST-Camp. "Sonst würden wir nicht seit drei Jahren und sechs Monaten unter schwarzen Plastikfolien inmitten dieser höllischen Hitze hocken und ausharren."

Text + Fotos: Thomas Milz

Linktipp:
http://www.limitedaterra.org.br/

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