caiman.de 09/2008
[art_2] Venezuela: Auf dem Fahrrad durch Venezuela
Die 57-jährige Jutta Schöniger reiste mit ihrem Fahrrad fast 3 Monate durch Venezuela. Una abuela con la cola (eine Oma mit Schwanz bzw. Anhänger), riefen die Kinder und kicherten und prusteten. Diese Reaktion unterschied sich nicht wesentlich von der der Erwachsenen.
Aber es gab auch viele Begegnungen, die mit Weggucken oder unbeteiligter Miene verbunden waren. Was das bedeutet? Ist Neugierde so verpönt wie bei uns zu Hause? Haben sie gar nicht registriert, welch seltsames Fahrzeug ihre Wege kreuzt? Macht die Fremdartigkeit Angst? Oder ist es Ausländerfeindlichkeit? - Steine werfen oder Bespucken wie andere Touristen berichteten, habe ich selbst nicht erlebt. Und das, obwohl es bestimmt sehr selten vorkommt, dass ein Gringo oder eine Gringa so lange auf der Straße zu sehen ist. Allein 140 Stunden verbrachte ich auf dem Rad. Und auch die Art des Reisens weicht mit Sicherheit von der der Venezolaner ab:
Hinzu kommt:
Und es gibt unendlich viele Venezolaner im Straßenverkehr! Kaum einer dieser Verkehrsteilnehmer hat Erfahrung im Umgang mit einem Radler. Es kam unglaublich oft vor, dass ich mit der Handykamera fotografiert worden bin, meist aus dem fahrenden Auto heraus, das mich überholte und so einen Stau verursachte oder auch aus dem entgegenkommenden Fahrzeug heraus, das dabei einen Unfall riskierte. Nett war, dass alle Polizisten, denen ich begegnete, einfach neugierig waren. Wo komme ich her? Wieso reise ich alleine? Ist das Fahrrad aus Venezuela? Habe ich einen Motor für die Berge? Die Passkontrolle diente vor allem dazu, mein Alter zu erfahren, das nämlich wurde ansonsten nie erfragt. Dann gab es viele Beifallsbekundungen, gute Ratschläge und Hinweise auf unsichere Gegenden und wie ich sie umfahren könne. Einmal (hinauf nach Sanare) bin ich samt Fahrrad im Polizeifahrzeug bis zur Hospedaje (einer kleinen privaten Unterkunft) chauffiert worden.
Von den vielen landschaftlichen Schönheiten Venezuelas habe ich mir drei für meine Radtouren ausgesucht: Die östliche Karibikküste inklusive der Isla Margarita, die Gran Sabana und die Anden. Meine absolute Lieblingsstrecke begann in Barquisimeto und führte in knapp 1000 Kilometer durch die nördlichen Ausläufer der Anden bis zur kolumbianischen Grenze. Teils hügelig, teils gebirgig und nie eben ist sie zwar anstrengend, aber die Schönheit der Natur kompensiert alles! Durch kahlere Landschaften, in denen hauptsächlich Kakteen und Akazien zwischen Felsen gedeihen, mit enorm weiter Aussicht, durch tropische Wälder mit unglaublich vielen Grüntönen und intensivem Geruch, an steilen Berghängen und tiefsten Schluchten entlang und immer wieder eine Üppigkeit der Vegetation, wie ich sie in anderen Ländern noch nicht erlebt habe. Und was ich mühsam bergauf erstrampelte, konnte ich dann genussvoll mit oft langen Abfahrten versüßen. Und wenn ein Pass dann doch zu steil oder zu lang wurde, konnte ich ohne weiteres mit meinem Rad samt Anhänger auf den Bus umsteigen, der mich auf die Passhöhe kutschierte. So etwa von Valera auf 500 Meter Meereshöhe auf den höchsten Pass Venezuelas, den Paso de Aguila (Adlerpass) auf 4000 Meter. Von dort oben ging es dann mit dem Rad 70 Kilometer herrlichste Abfahrt bis nach Tabay, 11 Kilometer vor der Stadt Mérida gelegen.
Dazu hübsche Städte und gute, sehr saubere Unterkünfte, sodass Verpflegung und Schlafen nie zu einer fraglichen Angelegenheit wurden. Immer wieder traf ich Bauern, die ihr Obst direkt an der Straße verkaufen. Die ausgereiften Mangos, Orangen und Bananen schmecken ganz anders als in Deutschland. Die übrige Nahrungsversorgung in Venezuela war allerdings nicht so beglückend (außer dem herrlich schmeckenden starken Kaffee). Auch hier hat sich das bekannte Fast Food durchgesetzt oder es ist ein rechtes Einerlei: Hühnchen oder (oft zähes) Fleisch oder Fisch vom Grill, meist ohne Gewürz und Soße, Reis, dazu (leckere) gebratene Bananen und Yucca. Als Schluckhilfe wird jede Menge Bier konsumiert. Deshalb habe ich es auch sehr bedauert, dass ich mich nicht selbst versorgen konnte und sich keine Gelegenheit fand, meine Campingküche auszupacken. In Venezuela gibt es so gut wie keine Campingplätze (allenfalls auf Wanderrouten) und in den Hospedajes ist es sehr unüblich, dass man die Küche mitbenutzen darf. Das hatte natürlich einen meiner Eitelkeit schmeichelnden Nebeneffekt: Ich bin ganz schön schlank geworden!
Und die mich - unaufgefordert - auf mögliche Gefahren hinwiesen. Diese Warnungen habe ich immer befolgt, und ich kam beim Radeln nicht ein einziges Mal in kritische Situationen. Text: Jutta Schöniger Fotos: Jutta Schöniger und Dirk Klaiber Website: www.radnomadin.de
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