ed 08/2016 : caiman.de

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spanien: Wo Barock rockt
Zu Besuch in der grandiosen Kirche San Juan de Dios in Granada
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


brasilien: Bois don’t cry
Back to Bumba meu Boi in Parintins
THOMAS MILZ
[art. 2]
paraguay: Musik aus Müll
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 3]
uruguay: Nostalgie und Futurismus
Architektur a la Uruguaya
LARS BORCHERT
[art. 4]
erlesen: Quo vadis Kuba?
Melodie und Rhythmus (M&R), Heft Juli / Aug. 2016
TORSTEN EßER
[kol. 1]
sehen: Troja ist überall - Der Siegeszug der Archäologie
Rivalen im Maya-Reich / Das Rätsel von Machu Picchu
[kol. 2]
sehen: Brasilien / Zona Norte – Kriegerin des Lichts
Was aus den Straßenkindern des Projeto Uerê geworden ist
[kol. 3]
lauschrausch: Viva Cuba - Diverse
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Spanien: Wo Barock rockt
Zu Besuch in der grandiosen Kirche San Juan de Dios in Granada
 
Der heilige Johann von Gott (San Juan de Dios) lebte von 1495 bis 1550 und widmete zumindest seine zweite Lebenshälfte ganz dem Dienst am Nächsten. Geboren wurde er in Portugal, kam aber schon mit 12 Jahren nach Toledo. Zunächst kämpfte er in seiner Jugend als Soldat für Kaiser Karl V. Später zog er nach Granada, wo er die theologischen Schriften von Juan de Ávila las und fortan sehr von dessen Gedanken beeinflusst wurde.

Er verschrieb sich absoluter Armut, vernichtete seine Bücher und wanderte von einem Moment zum anderen nackt durch die Stadt. Er wurde verhaftet, für verrückt erklärt und eingesperrt. Nach seiner Entlassung aus dem Kerker unternahm er als Pilger eine Wallfahrt zum Kloster Guadalupe in der Extremadura. Dieses Erlebnis prägte ihn sehr, sodass er sein Leben radikal änderte, sich fortan der Krankenpflege widmete und ein Hospital für Kranke und Sterbende in Granada gründete. Daraus entstand der Orden der Hospitalarier und weitere Krankenhäuser in anderen andalusischen Städten wurden gegründet. Passend für einen Mann, der sich als Idealist ganz der Nächstenliebe verschrieben hatte, starb San Juan de Dios durch Ertrinken beim Versuch, einen jungen Mann aus dem Fluss Genil zu retten. Schon 1690 wurde San Juan de Dios heilig gesprochen und seit 1757 ruhen seine Gebeine in der in jenem Jahr vollendeten Kirche in Granada, die zu den spektakulärsten Barockbauten Europas gehört.

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Eine gewaltige Grabstätte, wenn auch deutlich zu prunkvoll geraten für einen Bettelmönch, der Armut und Demut zu seinen wichtigsten Idealen zählte. Schon von außen wirkt dieser Kirchenbau, der in knapp sechs Jahrzehnten zwischen 1700 und 1757 vollendet wurde, durchaus imposant mit seiner monumentalen Doppelturm-Fassade und der großen Kuppel. Im Zentrum der Hauptfassade erhebt sich eine steinerne Statue des jugendlich wirkenden Heiligen, der in der rechten Hand ein goldenes Banner und in der linken ein Modell seiner Kirche hält.

Von der Popularität dieses "Heiligen der Hospitäler" und seiner Beliebtheit bei der Bevölkerung Granadas zeugt ein großer Blumenstrauß zu seinen Füßen. Inzwischen vertrocknet, wird er sicher bald durch einen neuen ersetzt und man wundert sich, wie man diese Blumengabe dort in Schwindel erregender Höhe anbringen konnte.

Links von der Heiligenstatue entdeckt man die interessante Skulptur eine Engels, der in einem Umhang Brote trägt, um sie an die Armen zu verteilen.

Die meisten Reliefs der Fassade sind Werke des Bildhauers Miguel de Pereda. Die beiden Glockentürme rechts und links sind reich mit Schnörkeln und barocken Girlanden aus Stein verziert. Die 50 Meter hohe Kuppel besteht ähnlich wie die Figueroa-Barockkirchen in Sevilla zum größten Teil aus Ziegeln und ist mit bunt glasierten Dachschindeln bedeckt, vorwiegend in weiß und grün, den Farben Andalusiens.

Man ist also schon beeindruckt von der Außenbesichtigung dieses Tempels. Aber sobald man den Innenraum betritt, ist kein Wort groß genug, um all die Großartigkeit ringsumher zu beschreiben.

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Der erste Eindruck: hier scheint ALLES aus Gold zu sein: nicht nur die sieben (!) Hochaltäre, sondern auch die Kanzeln, die Bilderrahmen, die Gesimse und Fresken. Obwohl die Kirche wie so viele in Andalusien nur kleine und sehr wenige Fenster hat, wird sie von strahlender Helligkeit erfüllt. Hier ersetzt Goldglanz das Sonnenlicht. Der Effekt wird noch geschickt verstärkt durch Hunderte von kleinsten Spiegeln, die in die vergoldeten Altäre integriert wurden und die Strahlkraft des begehrtesten aller Metalle multiplizieren.

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Besonders interessant für Besucher: man kann quasi in den Hauptaltar hinein klettern. – Treppen führen auf seiner Rückseite nach oben, so dass man die schöne Inmaculada mit blauem Mantel auch aus der Nähe betrachten kann und zudem eine eindrucksvolle Aussicht auf das ganze Kirchenschiff von oben erhält. Hier hat man auch einen wunderbaren Blick in die Kuppel mit den Fresken des Barockmalers Sarabia, der auch die Heiligenporträts neben dem Reliquiar gemalt hat. Diese prunkvoll dekorierte, goldene "Knochenkammer" birgt 180 Reliquien und befindet sich auf derselben Höhe wie das Zentrum des Hauptaltars.

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San Juan de Dios ist ganz großes Barocktheater nach allen Regeln der Kunst. In dem ganzen Tempel gibt es keinen Quadratzentimeter ohne Dekoration – das barocke Prinzip des "Horror Vacui" wurde hier im künstlerischen Gesamtkonzept sehr konsequent umgesetzt.

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Zu den wichtigsten Kunstschätzen dieser Kirche gehören neben dem grandiosen Goldgebirge des ca. 20 Meter hohen Hauptaltars die Madonnenstatuen und Heiligenskulpturen von Bernardo und Diego de Mora, Pedro de Mena, und die Gemälde der Barockmeister Conrado Giaquinto und Carlos Maratta sowie die außergewöhnlich verschnörkelte Kanzel, die natürlich auch üppig vergoldet wurde. Übrigens war es König Philipp V., der das Gold für die Altäre von San Juan de Dios stiftete.

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Kritiker mögen nun einwenden, von diesem Gold hätte man vielleicht ein halbes Dutzend Krankenhäuser bauen können. Aber Kranke und Krankenhäuser kommen und gehen. Gold hingegen strahlt ewig und dieser Barocktempel wird noch in Jahrhunderten das Auge zukünftiger Generationen erfreuen und an den Namen des Heiligen erinnern, dem er gewidmet wurde: an Johannes von Gott, einen Krankenpfleger, dessen Programm radikale Nächstenliebe war.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Und noch ein Tipp zum Schluss: Den schönsten Blick auf Kuppel und Türme von San Juan de Dios hat man von der Dachterrasse des Hotels Colón schräg gegenüber. Man muss kein Gast sein, einfach im Aufzug ganz nach oben fahren, am besten kurz vor Sonnenuntergang in der Azotea-Bar einen Cocktail trinken und den Blick auf Granada und seine schönste Barockkirche genießen.

Link 1: La Basilica de la Inmaculada y San Juan
Link 2: Fachada Basilica San Juan de Dios

Adresse: C/ San Juan de Dios 19 (Eingang rechts neben der Hauptfassade).
Es sind Audio-Guides verfügbar. 
Eintritt: 4 Euro
Montags bis Samstags: 10.00 bis 13.00 und 16:00 bis 19:00
Sonntags: 16.00 bis 19.00

[druckversion ed 08/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Brasilien: Bois don’t cry
Back to Bumba meu Boi in Parintins

In den Straßen stehen Regenpfützen, eine frische Brise weht vom Fluss herüber. In meiner Erinnerung ist Parintins ein Feuerofen. Jetzt allerdings ist es angenehm. Gut so.

In meiner Erinnerung waren alle Häuser der Insel entweder blau oder rot. Wer den Boi Caprichoso, den Ochsen von Caprichoso liebt, gibt seiner Hütte einen blauen Anstrich. Wer auf Garantido steht, rot. Doch jetzt sind wenige Häuser angemalt, wenige geschmückt. Und das obwohl Boi Bumba in Parintins als größtes Folklore-Fest Brasiliens gilt. Überall spricht man von Krise, Sponsorengelder fehlen. Fast hätte man es komplett abgesagt, nachdem auch der Gouverneur einige Tage vor dem Fest die Gelder strich. Er mag den Bürgermeister von Parintins nicht, man ist Mitglied in zwei verfeindeten Parteien. Typisch Brasilien, wo die Politik nur auf den eigenen Bauchnabel schaut.

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"2016 ist das Jahr, in dem wir alles überstanden haben", sagt auch der Stadionsprecher des Bumbódromo. Gigantisch ist die Arena, mitten in der Stadt. 35.000 Plätze, wau, ich hatte sie nicht so gigantisch in Erinnerung. Aber ich erinnere mich noch genau an das magische Gefühl, wenn die Trommler einziehen, wenn das Publikum wild zu den Liedern hüpft. Und das jeweils zweieinhalb Stunden, drei Nächte hintereinander. Und jedes Mal mit neuem Programm. Unglaublich. Das ist nicht bloß eine Urwaldoper mitten auf einer Amazonas-Flussinsel. Nein, es sind sechs verschiedene Opern, drei Nächte lang.

Und, was meint das Sambódromo dazu, der Carnaval in Rio de Janeiro? Da hat man jeweils ein einziges Liedchen, was in Endlosschleife gespielt wird. Immer das gleiche. Und die Choreografie wird von zehn Leuten am Anfang des Umzugs aufgeführt. Die restlichen 10.000 Mitläufer laufen halt nur mit, rasend schnell durch die Avenida. Da lob ich mir den Ochsen mit seinen stundenlangen Choreografien.

Die Geschichte des Ochsen ist übrigens recht simpel. Und vorhersehbar. Der Bumba meu Boi stammt aus dem Nordosten, und geht in etwa so: ein Typ soll auf das Vieh einer Farm aufpassen. Seine Frau ist jedoch schwanger und hat Heißhunger, ausgerechnet auf Ochsenzunge. Und es muss ausgerechnet die Zunge des besten Ochsen sein. Statt seiner Frau diese Idee auszureden und ihr die Konsequenzen vor Augen zu führen, tötet er schlichtweg den besten Ochsen und verfüttert dessen Zunge an die heißhungrige Frau. Was wäre die Welt der Mythen und Geschichten ohne dumme Männer? Und ohne Frauen, die ihre Männer in deren Dummheit noch anfeuern? Klar dass das Ärger mit dem Eigentümer geben wird. Dessen wird sich der Typ dann auch bewusst, leider etwas spät. Immerhin, er setzt Schamane, Geister und alle möglichen magischen Tierchen in Bewegung, um den Ochsen wiederzubeleben. Nicht ganz einfach, klar.

So müssen hunderte von Tänzern sich abmühen, Stunden und Tage lang rumhüpfen, damit das Tier wieder erwacht. Am Ende erhebt sich das Tier tatsächlich. Ob allerdings mit oder ohne Zunge, hab ich noch nicht herausgefunden. Aber natürlich lohnt sich der ganze Aufwand, all die geschmückten Wagen, die Herde von Tänzern, und natürlich die cunhã poranga, wie die schönste Frau auf Tupi heißt. Von ihr gibt es viele Versionen, alle sehr hübsch, mit Federn geschmückt, mit orientalisch-indigenen Augen und pechschwarzem Haar. Königinnen sind sie. Barfuß tanzen sie. Und stets verknalle ich mich in sie, heute genauso wie vor vielen Jahren.

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Es war 2002, wenige Wochen nachdem ich nach Brasilien kam, um als Journalist zu arbeiten. Da tauchte eine Einladung der Landesregierung auf, man wolle Journalisten Parintins zeigen. Zu der Zeit schauten die Politiker also doch nicht nur auf den eigenen Bauchnabel.

Damals reiste ich mit einer Gruppe von Journalisten, nette Truppe, Freunde. Der Flug von Manaus nach Parintins hatte fünf Stunden Verspätung, da ein Geier in die Turbine kam und ein neues Flugzeug erst aus São Paulo geschickt werden musste. Als wir endlich auf der Insel landeten, tanzte der erste Ochse bereits. Wir fuhren direkt in die Arena. Am Eingang füllte ich den Rucksack mit Dosenbier. Mal blau, mal rot, der Sponsor wollte es allen recht machen. Mir ganz besonders.

Bei den höllischen Temperaturen trank ich in einer Höllengeschwindigkeit. Danach versuchte ich Fotos zu machen, mit meiner einfachen Kamera, mit drei 36er Filmen im Gepäck. Damals durfte die Presse noch mitten unter die Schauspieler und Tänzer. Ich ging nah an sie ran, um Fotos zu machen, bekam oft Ärger deswegen. Ich sah einen glatzköpfigen Fotografen, der mir bekannt vorkam. Da ich erst seit einigen Wochen in Brasilien war, musste es jemand aus Deutschland sein, dachte ich. Und sprach ihn auf Deutsch an. Er schaute nur grimmig zurück. Danach stellte ich fest, dass es kein Deutscher war. Sondern Sebastião Salgado. Naja, was soll man machen?

Als die drei Filme voll waren, fotografierte ich mit meiner Unterwasser-Kamera weiter. Unnötig zu sagen, dass bei all dem Aufwand gerade einmal drei oder vier Bilder was wurden. Und so entschloss ich mich, eine Profi-Kamera zu kaufen (und Bier langsamer zu trinken). So etwas sollte mir nicht noch einmal passieren.

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So hätte ich jetzt, vierzehn Jahre später, mit der Profi-Kamera Bilder machen können. In der Theorie. Vor einigen Tagen stellte ich fest, dass was mit der Kamera nicht stimmt. So nahm ich eine digitale Normalkamera mit. Jetzt hab ich immerhin neun oder zehn Fotos, die etwas geworden sind. Ich hab sie mal hier auf die Seite gestellt.

Wer weiß, vielleicht komm ich in ein paar Jahren wieder nach Parintins, mit einer guten Kamera, um mal endlich nette Bilder zu schießen. Und herauszufinden, was aus der Ochsenzunge wurde. Und um die cunhã poranga zu heiraten.






[art_3] Paraguay: Musik aus Müll
 
Angenommen, eure Kinder würden gerne ein Instrument spielen, es wäre aber kein Geld da, um ihnen eine Gitarre oder eine Geige zu kaufen. Hieße das dann, kein Instrument spielen zu können? Nicht unbedingt. In Paraguay gibt es ein Orchester, in dem alle Kinder auf Instrumenten spielen, die aus Müll gebaut wurden.

Mittwoch ist Probentag für das Müllorchester. Evelyn schaut konzentriert auf ihre Noten und gibt acht, den Einsatz nicht zu verpassen. Sie ist zwölf Jahre alt und spielt Saxofon. Auf den ersten Blick sieht ihr Saxofon wie ein ganz normales Instrument aus. Doch wenn man genauer hinschaut, entdeckt man einige Unterschiede. In der Pause erklärt Evelyn die Besonderheiten an ihrem Saxofon:"Es war früher mal ein Regenabflussrohr. Die beweglichen Teile sind aus Münzen, Deckeln von Colaflaschen und alten Schlüsseln gemacht und hier wurde noch eine Maisdose eingebaut. Das ganze Saxofon besteht aus wiederverwertetem Müll, nur das Mundstück nicht."



Evelyn und die anderen Kinder leben in Asuncion, der Hauptstadt von Paraguay. Das Viertel, aus der Evelyn stammt, ist ziemlich arm, es gibt hier nur kleine Hütten und eine große Müllkippe. Die Menschen haben kein Geld für Musikunterricht oder gar teure Geigen oder Celli. Trotzdem wollen viele Kinder gerne ein Instrument spielen. "Ich liebe die Musik und als meine Mutter erfuhr, dass man hier umsonst ein Instrument erlernen kann, hat sie mich bei der Musikschule angemeldet. Seit einem Jahr bin ich gut genug für das Orchester. Hier muss man nichts bezahlen, nur regelmäßig üben.  Die Instrumente leiht uns die Musikschule", erklärt Evelyn.

Doch woher sollte die Musikschule das Geld für Musikinstrumente nehmen? Flavio Chavez, der Direktor des Orchesters, hatte vor einigen Jahren eine Idee: "Es gibt hier jede Menge Müll. Wir dachten uns: lass uns daraus etwas Schönes machen! Wenn man nur genug Phantasie und Geduld hat, dann lässt sich aus fast allem ein Instrument bauen. Die Geigen sind zum Beispiel aus alten Konservendosen gemacht. Weggeworfene Gabeln halten die Saiten. Oder es gibt Pauken, die mit Röntgenbildern bespannt sind." All diese Dinge stammen von der Müllkippe, auf der der Abfall der Hauptstadt landet. Und Flavio Chavez ist der Meinung, dass diese Instrumente aus Müll noch viel mehr Vorteile haben als nur billig zu sein: "Sie gehen nicht so schnell kaputt und wenn doch, dann kann man sie leicht reparieren, sie sind ja selbst gebaut. Außerdem können die Kinder sie mit nach Hause nehmen, ohne dass man Angst haben muss, dass sie geklaut werden, denn sie sind ja nicht wertvoll."



Das ist ziemlich wichtig, denn in einer Gegend, in der die Menschen so arm sind, wird ziemlich viel gestohlen und geraubt. Es gibt auch keine Spielplätze oder Sportvereine oder sonst etwas, was die Kinder nach der Schule machen könnten. "Die Kinder haben hier nicht viele Möglichkeiten und ich dachte, die Musik ist eine gute Sache, bei der alle gemeinsam etwas Tolles auf die Beine stellen können. Auch wenn vielleicht nicht alle gleich gut spielen können", erzählt Chavez.

Zwei Mal pro Woche treffen sich die Orchestermitglieder zur Probe in einem Haus, das ziemlich baufällig ist und etwas muffig riecht. Der Probenraum ist sehr eng und die Wände sind gekachelt – vielleicht war das mal eine Küche. Aber das ist den Musikern ganz egal. "Musik ist mein Leben und hier kann ich sie mit anderen zusammenspielen. Das mache ich jetzt schon seit zwei Jahren", berichtet Miguel. Er spielt eine Gitarre aus Konservendosen. Eigentlich kommen die Kinder her,  um gemeinsam zu musizieren. Aber ganz nebenbei werden sie auch berühmt. Ihr Müllorchester ist inzwischen auf der ganzen Welt bekannt. Miguels Mutter ist unglaublich stolz: "Es wird immer schlecht über unser Viertel gesprochen, hier gäbe es ja nur Müll. Aber unsere Kinder zeigen, dass es hier auch gute Sachen gibt. Sie reisen sogar ins Ausland!"

Gerade ist das Müllorchester von einer Konzertreise aus den Vereinigten Staaten zurück gekommen. Für Evelyn war das ein tolles Erlebnis: "Wir haben bei den Konzertreisen immer Zeit, auch etwas vom Land zu sehen. Die USA sind sehr schön!  Das Leben dort ist ganz anders als bei uns in Paraguay. Die Häuser, die Straßen, das Klima." Und diese Reise war nicht die einzige des Müllorchesters – es gibt wohl in ganz Südamerika kein Orchester, das so erfolgreich und berühmt ist wie die Kinder aus der Armensiedlung neben der Müllkippe. Und dabei wollen Evelyn und die anderen doch eigentlich nur eines: Musik machen.

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Christian Nusch

Tipp: Katharina Nickoleit und Christian Nusch haben u.a. einen Bildband Paraguay verfasst, den ihr im Verlagshaus Würzburg erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

[druckversion ed 08/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: paraguay]





[art_4] Uruguay: Nostalgie und Futurismus
Architektur a la Uruguaya
 
Eines der am häufigsten fotografierten Gebäude im Land ist Casapueblo: Atelier und Museum des lateinamerikanischen Picasso: Carlos Páez Vilaró. An dem extravaganten Gebäude in Punta Ballena wurde 36 Jahre lang gebaut. Doch ist es bei Weitem nicht das einzige Bauwerk in Uruguay, das sich zu besuchen lohnt. Schon bei der Ankunft (sofern man einfliegt) überrascht der Hauptstadtflughafen Aeropuerto Internacional de Carrasco als ein architektonisches Meisterwerk. Das revolutionäre futuristische Design des eleganten, transparenten Gebäudes stammt von dem uruguayischen Architekten Rafael Viñoly und hat bereits zahlreiche internationale Preise gewonnen. Besonders die Dreifachkrümmung der Decke, die sich über das Gebäude spannt und an seinen Enden auf dem Boden zu schweben scheint, gibt dem Flughafen beinahe den Anschein eines Raumschiffes.

Foto: Die Aduana, das Zollgebäude Montevideos, ist ein weithin sichtbarer Art Déco-Bau, der 1923 errichtet wurde.


In starkem Kontrast zu so viel Moderne stehen die meisten anderen Gebäude in Uruguay (selbst die Hauptstadt strotzt nicht vor zeitgenössischen Bauten). Die Stilrichtungen variieren stark in einem Land, das viele Eroberer erdulden musste und vielen Einwanderern eine neue Heimat gab: Kolonialarchitektur, Renaissance und Barock, spanischer bzw. französischer Klassizismus, italienischer Neoklassizismus, Art déco – alles ist vertreten.

Besonders der im Stil des Eklektizismus bzw. Art déco erbaute Palacio Salvo in Montevideo sticht im wahrsten Sinne des Wortes heraus, war er doch mit 26 Stockwerken das erste Hochhaus des Landes und bis 1935 das höchste Gebäude Südamerikas.

Ohnehin ist die Hauptstadt berühmt für ihre Paläste und Stadtvillen sowie die mit Stuck und anderen Ornamenten geschmückten Reihenhäuser. Viele Gebäude der Stadt sind zwar trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs im Land in einem etwas heruntergekommenen Zustand. Aber sie haben sich ihren Charme bewahrt und lohnen einen Blick – und es ist ein Glück, dass nur wenige abgerissen und durch hässliche Betonklötze ersetzt wurden.

Ein anderes architektonisches Highlight aus den letzten beiden Jahrhunderten sind die zahlreichen Estancias. Viele stammen aus der Gründungszeit der Republik. Sie sind eher schlichte, oft sogar festungsähnliche Bauten mit meterdicken Mauern und Fenstern, die zum Teil handgeschmiedete Eisengitter aufweisen. In der Mitte ihrer Innenhöfe befindet sich oft noch ein Schöpfbrunnen. Ab der späten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fiel die Architektur der Landgüter dann schon sehr viel stattlicher aus. Die Herrenhäuser der Anwesen erstrahlen noch heute in ihrer meist kolonial inspirierten, stark von der spanischen Architektur beeinflussten Pracht. Einige von ihnen haben sogar einen Turm (Mirador), der eher Repräsentationszwecken als der Verteidigung diente. Die Decken der „neuen“ Estancias sind schon sehr viel höher und die Fenster deutlich größer. Die Fassaden zieren Stuck und andere Ornamente. Kurz: Wer sich für historische Landgüter und herrschaftliche, mediterran inspirierte Architektur mit Patios, Brunnen, Galerien, schweren Mauern, hohen Decken und kunstvoll geschmiedeten Fenstergittern interessiert, ist in Uruguay genau richtig.

Kleinere öffentliche Gebäude und die Wohnhäuser der Familien auf dem Land stammen mehrheitlich aus der Zeit zwischen 1900 und 1940. Sie sind in einer eher simplen, aber dennoch deutlich neo-kolonialen Bauweise errichtet. So wie in anderen Teilen der Welt waren auch in Uruguay nach der vorletzten Jahrhundertwende historisierende Baustile modern. Sie und die unter dem Einfluss des Art déco entstandenen Gebäude sind es, die oft den Eindruck erwecken, in manchen Orten Uruguays sei die Zeit stehen geblieben.

Text + Foto: Lars Borchert

Reiseführer Uruguay: Dieser Text ist dem Reiseführer Uruguay – Handbuch für individuelles Entdecken erschienen im Reise Know-how Verlag entnommen. Wer nicht bis zum nächsten Caiman warten, sondern möglichst schnell mehr über Uruguay erfahren möchte, kann sich diesen Reiseführer für 16,95 Euro unter info@larsborchert.com persönlich beim Autor bestellen oder im gut sortierten Buchhandel kaufen.
Titel: Uruguay – Handbuch für individuelles Entdecken
Autor: Lars Borchert
ISBN: 978-3831725908
Seiten: 300
Verlag: Reise Know-How
1. Auflage 08/2015

[druckversion ed 08/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: uruguay]






[kol_1] Erlesen: Quo vadis Kuba?
Melodie und Rhythmus (M&R), Heft Juli / Aug. 2016

"Quo vadis Kuba?", diese Frage haben sich Mitarbeiter der Zeitschrift "Melodie und Rhythmus" (M&R) gestellt und sind auf die Insel geflogen, um sich selbst ein (musikalisches) Bild zu machen. Die Autoren der Texte / Interviews im Schwerpunkt "Viva Cuba" (Heft Juli / Aug. 2016) haben bei ihrem Besuch Liedermacher, Rapper, Jazzer und Rockmusiker getroffen, viele Konzerte besucht und die Stimmung auf der Insel aufgesaugt. In Interviews mit u.a. dem Jazzer Javier Zalba, dem spanischen Flamenco-Sänger "El Cigala" (sehr lesenswert!) oder der Sängerin Omara Portuondo erkunden sie die persönlichen Biographien der Musiker, aber auch die Geschichte der Insel und das Wesen der kubanischen Musik. Ein lobenswertes Projekt in Zeiten fortschreitender Digitalisierung, in denen Printprodukte und CD´s aus der Mode kommen.

Diverse
Viva Cuba
M&R / Verlag 8. Mai

Dabei sollte man wissen, dass M&R eine dem Marxismus und der Frankfurter Schule verhaftete Zeitschrift ist, denn die politischen Hintergründe werden oft nur durch das linke Brillenglas betrachtet und gipfeln so manchmal in einer für ausschließlich politisch-ideologisch denkende Menschen typischen Schwarz-Weiß-Malerei: Kuba = gut, USA ("das Imperium", S. 30) / Yankee-Musik = schlecht. So einfach ist es nicht! Und der kubanische Musikwissenschaftler Olavo Alén verzichtet bezeichnenderweise in seinem aufgezeichneten Gespräch über die Musikgeschichte denn auch auf solche Schlussfolgerungen. Ebenso der Liedermacher Gerardo Alfonso, der zeitweise sehr unter der staatlichen "Zensur" zu leiden hatte, und der im Interview sehr offen über die früheren und aktuellen Missstände der Revolution berichtet, die nämlich vielfach hausgemacht waren bzw. sind, und die inzwischen auch auf der Insel (teilweise) von Historikern aufgearbeitet werden (Tobias Thiele hingegen "vergisst" in seinem Artikel über die "Trova / Nueva Trova" mal eben die teils erheblichen Schwierigkeiten, die jede Generation der Liedermacher mit den staatlichen Institutionen hatte (z.B. Pablo Milanés, Carlos Varela, Pedro Luis Ferrer).

Besonders durchsetzt mit ideologischen Spitzen ist der einleitende Text von Gerd Schumann, ehemaliger Leiter des Ressorts Außenpolitik der jungen Welt (!), der anscheinend den Untergang des Sozialismus emotional noch nicht verarbeitet hat. Leider streifen sie oft nur die Oberfläche eines Problems und die Wortwahl erinnert an Reden von Honecker und Ulbricht über "Beatmusik": "Der Import von westlichen Riten und Ritualen - auch Kultur genannt - soll das Tor öffnen für die Etablierung einer bewusstseinstechnischen Verflachungstendenz, die den Menschen zu [...] einem auf Konsum fixierten Wesen verformt".

Das ist kein neues Phänomen auf der Insel und war nur durch die Blockade einerseits und die staatliche "Verleumdung" andererseits in den 1960er-80er Jahren abgeschwächt. Die (junge) Bevölkerung aber fühlte sich immer zu anglo-amerikanischer und europäischer Musik / zu US-Produkten hingezogen, daran änderte auch eine sozialistische Erziehung nichts. Nicht umsonst versuchte man auch in Kuba Ersatzprodukte wie den songo zu schaffen, vergeblich. Der hier als straffer Sozialist zitierte Ex-Kulturminister Abel Prieto war / ist übrigens bekennender Beatles-Fan und die treibende Kraft hinter der Aufstellung der Lennon-Statue in Havanna.

Es freut mich natürlich, dass Herr Schumann mich im seinem anderen Text über die Rocksmusik Kubas zitiert, aber auch dieser ist – wenn man die Geschichte und die Szene lange begleitet hat – sehr verharmlosend. Denn ob es nun "der Staat" oder "nur" seine Kulturfunktionäre waren, Tatsache ist, dass viele Rockmusiker und –fans erhebliche Nachteile für ihre Leidenschaft hinnehmen mussten, bis hin zu Lager- oder Gefängnisstrafen.

"Die Kubaner trauen ihrer Regierung zu, die weitere Entwicklung zu meistern...", ist ein weiteres Zitat aus dem Heft. Das freut mich, aber ich befürchte, dass es sich hier um das Phänomen einer selektiven, in diesem Fall linken, Wahrnehmung handelt: In Studien zum Leseverhalten wurde belegt, dass Menschen am liebsten das lesen, was ihre Meinung weitestgehend bestätigt. Und solche Menschen trifft und spricht man auch gerne, das scheint auch den Autoren so gegangen zu sein. Ich jedenfalls habe bei meinen acht Aufenthalten auf der Insel viele Menschen getroffen (und mit ihnen gearbeitet), die das anders sahen, darunter sympathische und vom Sozialismus überzeugte Studenten, Journalisten und Funktionäre, die im weiteren Verlauf unserer Bekanntschaft auf einmal in Madrid oder Miami lebten… (und das waren nicht nur sog. "Wirtschaftsflüchtlinge").

Als weitere Quelle in der Literaturfülle über die (Musik der) Insel hat das Heft (und die CD) seinen Wert, besonders, wenn die ideologischen (Unter)Töne entfallen, wie z.B. im interessanten Interview über das Urheberrecht etc., oder wenn wie im Text "Zwei Kulturmodelle im Kampf" bewusst die kommunistische Kulturvorstellung dem Modell der USA gegenüberstellt wird. Und dort stehen dann auch die Kernsätze des ganzen Hefts, vom Journalisten Enrique Ubieta: "Die einzige Lösung [zur Rettung Kubas] ist, um kritische Menschen zu kämpfen, die in der Lage sind zu differenzieren, und das eine vom anderen Produkt zu unterscheiden", und "…brauchen wir einen starken Staat, der das Authentische der Kultur fördert" (womit natürlich kein irgendwie zensierender Staat gemeint sein kann). Nur das wird "gegen die drohende Ausplünderung…" helfen, die im Editorial befürchtet wird.

Text: Torsten Eßer
Cover: M&R Verlag

[druckversion ed 08/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: erlesen]





[kol_2] Sehen: Rivalen im Maya-Reich / Das Rätsel von Machu Picchu
Troja ist überall – Der Siegeszug der Archäologie
 
Folge 1: Rivalen im Maya-Reich

Der Deutsche Teobert Maler und der Amerikaner Edward Thompson waren besessen von dem Wunsch, als Maya-Forscher Geschichte zu schreiben – jeder auf seine Art. In den Regenwäldern von Mexiko und Guatemala entwickelte sich ein Wettlauf um Ruhm, Geld und Anerkennung. Ihr Ringen miteinander spiegelt die beiden Philosophien wider, die die Archäologie des 19. Jahrhunderts bestimmten: Erkenntnisgewinn und Erhaltung kontra Raub im Namen der Wissenschaft.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Edward Herbert Thompson finanzierte seine Reisen in das Mayaland auch, indem er vor Ort Fundstücke entnahm und sie an amerikanische Museen verkaufte.

Copyright: PHOENIX/ZDF/David Kämmerer


Maler war Dokumentarist, Archivar und vor allem ein hervorragender Fotograf. Seine Bilder sind für moderne Wissenschaftler noch immer oft der erste und einzige Anhaltspunkt für das Verstehen und Interpretieren versunkener Tempel und Paläste der ebenso rätselhaften wie faszinierenden Kultur der Maya. Seine Expeditionen führten den Deutschen kreuz und quer durch das gesamte Maya-Reich. Tausende Kilometer legte er im Dschungel zurück. Monate lang war er ohne Unterbrechung unterwegs – um zu zeichnen und zu fotografieren und so die Kultur der Maya zu bewahren. Dabei hatte er den amerikanischen Forscher Edward Thompson besonders im Visier.

Sendetermin und Hintergrundinfo
Troja ist überall - Der Siegeszug der Archäologie
Mittwoch, 10. August 2016

Folge 1: Rivalen im Maya-Reich
Beginn: 20.15 Uhr

Folge 4: Das Rätsel von Machu Picchu
Beginn: 23.00 Uhr

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Als Pionier der Unterwasser-Archäologie erkundet Edward Thompson einen als Cenote bezeichneten Maya-Brunnen.

Copyright: PHOENIX/ZDF/David Kämmerer


Thompson war der Gegenentwurf eines verantwortungsvollen Wissenschaftlers. Um bei seinen Raubzügen durch das mexikanische Yucatán ungestört walten zu können, beantragte er beim amerikanischen Außenministerium einen diplomatischen Status. Fortan suchte Thompson als Konsul die Stätten der Maya nach gewinnbringenden Funden ab. Dabei war er äußerst erfolgreich und lieferte so viele Artefakte an die amerikanischen Museen, dass er dort als Held galt. Als Thompson dann auch noch als erster Unterwasser-Archäologe Amerikas in die geisterhaften Opferbrunnen der Maya hinab tauchte, wurde er zu einer lebenden Legende.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Palenque, das "Paris der Maya".

Copyright: PHOENIX/ZDF/David Kämmerer


Obwohl die Rivalität ihre Arbeit bestimmte, legten Teobert Maler und Edward Thompson entscheidende Grundsteine für die Archäologie des 21. Jahrhunderts. Die Wissenschaftler von heute führen mit modernen Methoden die Arbeit fort und versuchen genau wie ihre Vorgänger, die noch immer bestehenden Geheimnisse der Maya in Mexiko, Guatemala und Honduras zu lüften.

Folge 4: Das Rätsel von Machu Picchu

1532 eroberten 168 spanische Soldaten unter dem Kommando von Francisco Pizarro, einem ehemaligen Schweinehirten, das heutige Peru. Ein Teil der Inka floh an einen Ort namens Vilcabamba und leistete von dort aus noch bis 1572 Widerstand. Der Rückzugsort wurde in der Folgezeit zu einem Mythos. Das Wissen um seine Lage ging verloren, nicht aber die Gerüchte über sagenhafte Gold- und Silberschätze, die in Vilcabamba vor den Konquistadoren versteckt worden sein sollen. Unzählige Abenteurer und Archäologen durchstreiften seither die peruanischen Anden, auf den Spuren der letzten Inka.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Die Inkaruine Machu Picchu gibt den Archäologen noch immer Rätsel auf.

Copyright: PHOENIX/ZDF/Thomas Bianga


Der Morgen des 24. Juli 1911: Nebel verschlechtert die Sicht und nur wenig Licht scheint durch das dichte Gewächs. Ein junger Amerikaner kämpft sich einen unwegsamen Andenpass hinauf. Immer wieder rutscht der Mann ab, Blattwerk peitscht ihm ins Gesicht, Gestrüpp auf dem Boden fesselt ihn. Seine Gesichtszüge sind verzerrt, vor Anstrengung und Schmerz. Als er endlich oben ankommt, macht er die spektakulärste Entdeckung in der Geschichte der Inkaforschung. Vergessen im nahezu unzugänglichen Gebirge Perus und dem dichten Nebel des Regenwaldes thront die atemberaubende Festung Machu Picchu auf einem Felssporn hoch über dem Urubambatal. Es soll der wichtigste Tag im Leben des amerikanischen Forschers Hiram Bingham werden. Er selbst misst dem Fund zunächst allerdings nur wenig Bedeutung bei, da er in den Schriften spanischer Chronisten keinen Hinweis auf den Ort findet.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Der Amerikaner Hiram Bingham erforschte auf drei Expeditionen von 1911-1915 die Kultur der Inka.

Copyright: PHOENIX/ZDF/Thomas Bianga


Der junge Wissenschaftler läutete mit der „Yale Peruvian Expedition“ im Jahr 1911 eine neue Ära in der Geschichte der Archäologie ein. Zum ersten Mal bricht ein interdisziplinäres und mit modernster Technik ausgestattetes Team auf, um eine bisher unbekannte Region Perus zu erkunden. Für seine Expedition hat sich Bingham das größte und in vielen Teilen unzugänglichste Reich in der Geschichte Amerikas ausgesucht.

Die Inka selbst nannten es Tahuantinsuyu, Land der vier Teile. Ihre Herrschaft schwankte zwischen perfekter Ordnung und grausamer Despotie. Die Ordnung des Reiches spiegelt sich in seiner planvollen Architektur wieder, einem mehr als 20.000 Kilometer umfassenden, phantastisch ausgebauten Straßensystem und einer wirtschaftlichen Verwaltung, die die Versorgung der Bevölkerung auch bei Katastrophen und in Dürrejahren sicherte.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Die Nachfahren der Inka leben noch immer in den Anden.

Copyright: PHOENIX/ZDF/Thomas Bianga


Fast 100 Jahre nach der Entdeckung ist der ursprüngliche Zweck Machu Picchus, dieser archäologischen Stätte der Superlative, noch immer nicht geklärt.

Weitere Infos: phoenix

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[kol_3] Sehen: Brasilien / Zona Norte – Kriegerin des Lichts
Was aus den Straßenkindern des Projeto Uerê geworden ist
 
2001 hat Regisseurin Monika Treut die Menschenrechtlerin Yvonne Bezerra de Mello porträtiert, die sich um Straßenkinder in Rio kümmert. Jetzt fragt Treut nach dem Stand des Hilfsprojekts.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 1: Die sechs Moraes Schwestern mit Filmemacherin Monika Treut (Mitte).

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Aus der langjährigen Arbeit hat Yvonne Bezerra de Mello mittlerweile eine neue Pädagogik entwickelt, die durch Gewalt und Krieg traumatisierten Kindern weltweit helfen kann, ihre Erfahrungen und die daraus resultierenden Lernprobleme zu überwinden.

15 Jahre nach Monika Treuts Film "Kriegerin des Lichts" hat sich vieles verändert, vor allem die Stadt Rio ist nicht mehr wiederzuerkennen: Die Fußball-WM 2014 und die Vorbereitung auf die Sommer-Olympiade 2016 haben ihre Spuren hinterlassen. Der den Mega-Sportereignissen geschuldete, extreme Militäreinsatz gegen die Bewohner der Favelas hat bürgerkriegsähnliche Zustände provoziert. Fast täglich eskaliert die Gewalt.

Sendetermin und Info
Im Fokus: Brasilien
Zona Norte
Dokumentarfilm von Monika Treut, Deutschland 2016
Länge: 91 Minuten

Zona Norte lief am 26. Juli 2016 im ZDF.
Aktuell findest du den Dokumentarfilm in der ZDF-Mediathek.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Archäologen und Drehteam. Im Hintergrund altes Gebäude.
Foto 2: "Zona Norte": Ein Soldat sondiert durch ein Fernglas die Lage, während vor ihm, auf Sandsäcken aufgebaut, ein schussbereites Maschinengewehr steht.

Copyright: ZDF/Bernd Meiners

Wie geht Bezerra de Mellos Hilfsprogramm "Projeto Uerê" mit der veränderten Lage um? Und was ist aus den Kindern geworden, die in "Kriegerin des Lichts" vor der Kamera standen?

Der damals 13-jährige Tiago hatte als Sechsjähriger das Candelaria-Massaker überlebt, bei dem acht Straßenkinder brutal von der Polizei ermordet worden waren. Der HIV-positive Junge trug als Schuhputzer zum Unterhalt seiner zehnköpfigen Familie bei und träumte davon, Automechaniker zu werden.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Gómez und zwei Arbeiter in unterirdischem Gang.
Foto 3: Seit Jahrzehnten setzt sich die brasilianische Menschenrechtlerin Yvonne Bezerra de Mello (links) im Rahmen ihres Hilfsprojektes Uere für Rechte und Bildung von Favelakindern ein.

Copyright: ZDF/Bernd Meiners


Vanessa, ein begabtes, lernbegieriges Mädchen, sehnte sich nach einem Leben ohne Leid und hoffte, später Anthropologin zu werden.

Die Schwestern Pamela, Joice und Gessica erfuhren nur in Yvonne Bezerra de Mellos sicherem Haus, dass das Leben nicht nur aus Gewalt, Drogen und Vernachlässigung besteht.

Aus den Kindern von damals sind heute junge Erwachsene geworden, die aus ihrem Leben berichten. Sie sind der lebende Beweis dafür, dass eine alternative Pädagogik langfristig den Teufelskreis von Armut und Gewalt zu durchbrechen vermag.

Das WDR WELTWEIT-Team hat ihn auf dieser Mission begleitet.

Weitere Infos: ZDF

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[kol_4] Lauschrausch: Viva Cuba - Diverse

Die beiliegende CD zur Zeitschrift M&R Juli / August 2016 mit dem Schwerpunkt "Viva Cuba" enthält erfreulicherweise keinen der üblichen kubanischen Klassiker (Mama Inés, Son de la loma, Lagrimas negras etc.), selbst das hier ideologisch passende "Hasta siempre…" fehlt, sondern Aufnahmen von Liedern, Jazz, Folklore und Heavy-Metal, die hierzulande den meisten eher unbekannt und teilweise schwer erhältlich sein dürften.

Diverse
Viva Cuba
M&R / Verlag 8. Mai

Das Spektrum reicht von Liedermachern wie Santiago Feliú und Gerardo Alfonso, über den Jazzer Javier Zalba und die Sängerin Yusa bis zur Metal-Band Tendencia, die leider die einzigen Vertreter einer "echten Jugendkultur" sind. Hip-Hopper oder DJ's aus der rührigen Szene in Havanna sind nicht dabei (erstere kommen aber im Heft zu Wort). Die Texte sind - dem Schwerpunkt entsprechend -  eher politischer Natur, die Stücke stammen mehrheitlich von Musikern die auch im Heft vorkommen.

Wahrscheinlich wegen seiner inhaltlichen Aussage hat es auch das musikalisch schräge "What keeps us apart" des in Kuba eingebürgerten US-Amerikaners Pablo Menéndez auf die CD geschafft. Und mit Omara Portuondo und Silvio Rodríguez sind dann doch noch zwei internationale "Stars" auf dem Album vertreten. Eine Compilation, die nicht nur wegen ihrer politischen Ausrichtung aus der Masse der Kaufhaus-Kuba-Compilations heraussticht!

Text: Torsten Eßer
Cover: M&R Verlag

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